Archiv für den Monat: Juni 2017

Grundkurs zur Bemessung der Tagessatzhöhe, oder: So geht es

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Nach den ganzen Gesetzesänderungen und – neuerungen dann mal wieder (etwas) Rechtsprechung, und zwar mit dem BGH, Beschl. v. 25.04.2017 – 1 StR 147/17 zur Bemessung der Tagessatzhöhe.

Das LG hatte die Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 25 € verurteilt. Mit ihrer auf die Höhe der verhängten Tagessätze beschränkten Revision hat sich die Angeklagte gegen die Festsetzung der Höhe des einzelnen Tagessatzes durch das LG gewendet und hatte Erfolg.

Der BGH stellt zunächst noch einmal die allgemeinen Grundsätze zur Bemessung der Höhe eines Tagessatzes zusammen, und zwar:

  • Grundsätzlich kann auch das Einkommen des Ehepartners berücksichtigt werden, wenn dem Täter hieraus tatsächlich Vorteile zufließen, wobei aber das Strafgericht den Entschluss eines Ehepartners, nicht berufstätig zu werden, zu respektieren hat. Im Ergebnis kommt es in solchen Fällen darauf an, inwieweit der nicht berufstätige Ehepartner am Familieneinkommen teilhat, indem ihm tatsächlich Naturalunterhalt, ggf. auch ein Taschengeld, gewährt wird.
  • Von den anzurechnenden Einkünften abzuziehen sind damit zusammenhängende Ausgaben, wie beispielsweise Werbungskosten und Betriebsausgaben, auch Sozialversicherungsbeiträge; ebenfalls sind in der Regel außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, Unterhaltsverpflichtungen des Täters demgegenüber nur in angemessenem Umfang.
  • Dem Tatrichter steht gemäß § 40 Abs. 3 StGB eine Schätzungsbefugnis zu, sofern entweder der Angeklagte keine oder unrichtige Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen macht oder deren Ermittlung zu einer unangemessenen Verzögerung des Verfahrens führen würde bzw. der erforderliche Aufwand nicht im Verhältnis zur Höhe der Geldstrafe stehen würde.

Hier hatte das LG die Tagessatzhöhe durch Schätzung festgelegt, ohne ausreichend die wirtschaftlichen Verhältnisse der Angeklagten aufzuklären. Es hatte zwar festgestellt, dass die Angeklagte ohne eigene Erwerbseinkünfte ist, der Ehemann mindestens 3.000 € monatlich verdient, an monatlicher Miete 900 € aufwendet und den beiden noch im Haushalt lebenden 21 und 19 Jahre alten Kindern Naturalunterhalt gewährt, und dass die Angeklagte, die derzeit auf freiwilliger Basis in einer Therapie untergebracht ist, sich  jeweils am Wochenende in der Familienwohnung aufhält. Ob der Aufenthalt am Wochenende 2,5 Tage oder etwa nur 1,5 Tage ausmacht, ergibt sich aus den Feststellungen des LG nicht, was aber entscheidend dafür sein dürfte, ob der damit geleistete und vom LG auf 750 € geschätzte Naturalunterhalt tatsächlich ein Viertel des Nettoverdienstes des Ehegatten ausmachen kann. Des Weiteren gibt es keine Feststellungen dazu, wer die Kosten der freiwilligen Unterbringung der Angeklagten ganz oder teilweise aufbringt, ob es insoweit Ansprüche gegen Sozialhilfeträger gibt oder ob diese bei einer Leistung möglicherweise Rückzahlungsansprüche gegen den Ehegatten haben oder bereits geltend machen.

Die Entscheidung stellt noch einmal sehr schön die Anforderungen an die Feststellungen zur Bemessung der Tagessatzhöhe zusammen. Die sollte man als Verteidiger präsent haben, wenn es in der Hauptverhandlung um die Bemessungsfragen geht.

Sie haben es getan III, oder: Paralllelvollstreckung des Fahrverbotes gibt es nicht mehr

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So, und dann nochmal das „Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze“ mit der BT-Drucksache 18/12785 (vgl. dazu bereits gestern: Sie haben es getan, oder: Wenn Heiko Maas es beim Fahrverbot besser weiß, und vorhin: Sie haben es getan II, oder: Wenn das Strafverfahren effektiver und praxistauglicher“ werden soll).

Hinzuweisen ist nämlich auch noch auf eine für die Praxis des straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahrens wichtige Änderung des StVG. Auf die hätte ich auch vorhin schon hinweisen könne, ich schiebe sie aber lieber mal in einem Beitrag nach, damit sie nicht „untergeht“.

geändert worden ist nämlich § 25 StVG. Aufgehoben worden ist § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG. Eingefügt worden ist dafür ein Abs. 2b, u.a. eine Folgeänderung zur Änderung des § 44 StGB, in dem es dann heißt:

„Werden gegen den Betroffenen mehrere Fahrverbote rechtskräftig verhängt, so sind die Verbotsfristen nacheinander zu berechnen. Die Verbotsfrist auf Grund des früher wirksam gewordenen Fahrverbots läuft zuerst. Werden Fahrverbote gleichzeitig wirksam, so läuft die Verbotsfrist auf Grund des früher angeordneten Fahrverbots zuerst, bei gleichzeitiger Anordnung ist die frühere Tat maßgebend.“
Damit ist dann in Zukunft aber auch der Streit um die Parallelvollstreckung von (gemischten) Fahrverboten nach § 25 StVG erledigt (vgl. dazu auch BT-Drucksache 18/11272).

Sie haben es getan II, oder: Wenn das Strafverfahren „effektiver und praxistauglicher“ werden soll

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Ich hatte ja gestern bereits über den vergangenen Donnerstag im Bundestag berichtet (vgl. hier: Sie haben es getan, oder: Wenn Heiko Maas es beim Fahrverbot besser weiß). Da ging es um die m.E. „durchgepeitschte/durchgedrückte“ Reform des § 44 StGB. Aber damit nicht genug. Heiko Maas und seinen Vasallen reicht nicht ein Denkmal, nein, es müssen mehrere sein. Und so hat man dann auch – wie nicht anders zu erwarten – das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ beschlossen.

Dazu vorab: Wer mich kennt, kennt den Spruch/die Aussage: Wenn ein Gesetz schon die Worte „effektiv und praxistauglich“ im Namen trägt, dann verheißt es nichts Gutes. Denn die Steigerung – schamhaft „Ausgestaltung“ genannt – geht m.E. immer zu Lasten des Angeklagten und des Verteidigers. „Die anderen“ bestimmen, was – für sie – „praxistauglich und effektiv“ ist. Und das ist meist gepaart mit dem Abbau von Angeklagtenrechte.

In dem „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ hat man das dann gleich noch gepaart mit dem Abbau von Bürgerrechten, indem die Überwachungsmöglichkeiten des Staates massiv ausgeweitet worden sind. Da hat man dann mal eben in die Beschlussempfehlung an den Bundestag aus dem Rechtsausschuss – datiert auf den 20.06.2017, also zwei Tage vor der Bundestagssitzung – einen „Überraschungsangriff“ auf Grundrechte geführt, indem man nun die Überwachung eines „informationstechnischen System“ ermöglicht. Stichwort: Onlinedurchsuchung, Quellen-TKÜ oder plakativer: Überwachung von WhatsApp. Mit der Begründung „Terrorabwehr“ kann man das alles machen und hat es nun (endlich) getan. Versucht worden ist es (teilweise) schon häufiger. Das BVerfG hatte aber Grenzen gesetzt.

Man kann jetzt nicht hier zu allen Einzelheiten der kommenden Änderungen Stellung nehmen. Das würde den Rahmen sprengen – die Beschlussvorlage in der BT-Drucksache 18/12785 ist 53 Seiten lang. Die Fachzeitschriften der nächsten Monate werden voll von Beiträgen sein, also hat insoweit das Ganze dann doch etwas Positives, nämlich ein Existenzsicherungsprogramm für Verlage und Autoren. Auf ein parr Punkte will ich dann aber doch kurz in einem Überblick hinweisen:

  • Teilweise Änderung des Ablehungsverfahrens in §§ 26 ff. StPO: Hinausschieben des Zeitpunkt, bis zu dem über einen Ablehungsantrag entschieden werden muss,
  • Wegfall des Richtervorbeahlt in § 81a Abs. 2 StPO für Blutentnahmen in Verfahren betreffend § 315 a Abs. 1 Nr. 1, 315 c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 und 3, 316 StGB: Endlich haben es die Länder geschafft und endlich ist – so die Gesetzesbegründung – die Polizei mit der StA gleichrangig gestellt. Für mich eine völlig überflüssige Regleung, die man hätte vermeiden können, wenn die Länder genügend Personal eingestellt hätte. So greift man in den Richtervorbehalt ein. Die Büchse der Pandora ist geöffnet.
  • Anpassung des § 81e StPO an die geltende Rechtsprechung,
  • Änderung der Überwachung der Telekommunikation – Stichwort: Online-Durchsuchung, Quellen-TKÜ – in den §§ 100a ff. StPO,
  • In § 136 StPO Ausweitung/Einführung der Aufzeichnung der Vernehmung des Beschuldigten in Bild und Ton in bestimmten Fällen (su.a. Tötungsdelikt, Beschuldigter unter 18 Jahre),
  • Nach § 141 Abs 3 Satz 3 StPO ggf. Bestellung eines Pflichtverteidigers bei einer richterlichen Vernehmung – seht, seht: Ausweitung der Beschuldigtenrechte,
  • § 153a StPO. Jetzt auch im Revisionsverfahren zulässig/möglich,
  • § 163 Abs. 3 – 7 StPO. Einführung der Verpflichtung von Zeugen, „auf Ladung vir Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zurgunde liegt.“ Alles ohne Einschränkungen. Übrigens schöne Formulierung:  „und zur Sache auszusagen“, nicht dass die Ermittlungspersonen/die Polizei auf die Idee kommt, bei der Vernehmung gebe es kein Zeugnisverweigerungsrecht mehr. Die Ladungen kann ich mir vorstellen: „Sie sind verpflichtet,….“. Und die Belehrungen kann ich mir auch ausmalen…
  • In § 213 StPO ggf. Abstimmung des äußeren Ablaufs der Hauptverhandlung.
  • In § 243 Abs. 5 Satz 2 StPO Einführung des vielfach bereits praktizierten Opening-Statement, also Ausbau der Beschuldigtenrechte (?),
  • In § 244 Abs. 6 StPO: Nach Abschluss der Beweisaufnahme Fristsetzung zum Stellen von Beweisanträgen,
  • In § 256 StPO Ausweitung der Verlesungsmöglichkeiten für ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
  • Teilweise Übernahme der Rechtsprechung zu § 265 Abs. 2 StPO,
  • In § 374 Abs. 1 Nr. 5 StPO wird die Nötigung nebenklagefähig; das musste unbedingt sein?
  • In § 464b Verlängerung der Frist zur Einlegung der Kostenbschwerde auf zwei Wochen.

Das also als kleiner Überblick. Die ein oder andere Änderung wird uns sicherlich noch länger beschäftigen. Und ich wage die Voraussage: Das wird hier Grenzen setzen. Das letzte Wort zu Online-Durchsuchung usw. ist sicherlich nicht gesprochen. Das fällt nicht in Berlin, sondern in Karlsruhe.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Verzicht auf Einspruch – gibt es dafür die Befriedungsgebühr?

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Auf die Frage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Verzicht auf Einspruch – gibt es dafür die Befriedungsgebühr?, hatte ich dem Kollegen wie folgt geantwortet:

„Hallo,

wird schwer werden.

Es gibt zu einer vergleichbaren Konstellation bei der Nr. 4141 VV RVG Rechtsprechung aus Nürnberg. Müsste auf meiner HP stehen. Versuchen würde ich es; m.E. müsste es gehen. Ausgang würde mich interessieren.“

Was aus der Sache geworden ist kann, ich nicht sagen. Ich habe davon nichts mehr gehört.

In der angesprochenen Entscheidung des OLG Nürnberg geht es um die Frage, ob das bloße Abraten, ein Rechtsmittel nicht einzulegen, zur Gebühr Nr. 4141 VV RVG führt. Das hat das OLG Nürnberg verneint (vgl. Rpfleger 2009, 645 = VRR 2009, 399 = RVGreport 2009, 464 = StRR 2010, 115; StRR 2010, 443; so auch AG Hamburg-St. Georg, RVGreport 2015, 143 = AGS 2015, 70 = zfs 2015, 228 = StRR 2015, 200; AG Remscheid, AGS 2017, 188). Etwas anderes kann/soll gelten für das Nichteinlegen eines Rechtsmittels in einem anderen Verfahren AG Berlin-Tiergarten, AGS 2010, 220 = RVGprofessionell 2010, 40 = RVGreport 2010, 140 = StRR 2010, 400).

Obwohl: Ich meine, dass der Rechtsgedanke der Nr. 4141 VV RVG bzw. der Nr. 5115 VV RVG passt. Aber der Zug fährt dann wohl in eine andere Richtung.

Akteneinsicht in die Lebensakte; oder: Geht doch, auch in Bayern

entnommen openclipart.org

Nach der Rechtsprechung des OLG Bamberg (vgl. dazu u.a. OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 – und „Logik ist Ansichtssache“, oder: Zirkelschluss beim OLG Bamberg zur Einsichtnahme in die Messdatei bei ESO 3.0 oder OLG Bamberg, Beschl. v. 22. 10. 2015 – 2 Ss OWi 641/15 und dazu OLG Bamberg: Mit „Klauen und Zähnen“ für Riegl FG21-P, oder: Die PTB als „antizipierter Sachverständiger“) hatte ich wenig Hoffnung für die Akteneinsicht im Bußgeldverfahren in Messunterlagen und/oder Lebensakte (vgl. dazu hier: Messdaten: In Bayern nicht, oder: Anderer Rechtskreis bzw. „mia san mia“).

Aber: Das ist wie bei Asterix. Da gibt es auch das kleine gallische Dorf, das sich den Römern widersetzt. Und so ist es dann doch auch in Bayern. Ich konnte schon über den AG Pfaffenhofen a.d. Ilm, Beschl. v. 22.11.2016 – 2 OWi 70/16 berichten (vgl. hier Messdaten: Jetzt auch in Bayern, oder: Doch kein anderer Rechtskreis?). Und jetzt dann über eine weitere Entscheidung, die mir der Kollege Dr. Stadler aus Zwiesel übersandt hat. Es ist der AG Neumarkt/Oberpfalz, Beschl. v. 31.05.2017 – 35 OWi 702 Js 102324/17, der sich mit der Einsicht in die Lebensakte beschäftigt. Der Kollege hatte Einsicht in die Lebensakte begehrt, die Verwaltungsbehörde hatte das abgelehnt. Das AG hat der Verwaltungsbehörde ufgegeben, „eine Kopie der Lebensakte des Messgeräts zu  übersenden, welches für die Messung der Betroffenen am 21.11.2016 verwendet wurde“. Nun ja, die Formulierung ist ein wenig schräg. Denn die Betroffene ist ja nicht gemessen worden. Aber, was soll es, wenn das Ergebnis stimmt. 🙂 Begründung des AG:

„Die Einsicht in die Lebensakte des Geräts erforderlich, um ein faires Verfahren zu gewähr­leisten. Allerdings gebietet das Vertrauen in die korrekte Arbeit der Ermittlungsbehörden keine Übersendung des Originals. Der Verteidiger kann über eine weitere Akteneinsicht vom Inhalt Kenntnis nehmen. Dies genügt.

Die weiteren vom Verteidiger begehrten Dokumente sind entweder bereits bei der Akte, werden von Gericht angefordert oder sind zur Beurteilung des Sachverhalts nicht erforder­lich.“

Welche weiteren Unterlagen nicht „herausgerückt“ werden, lässt sich dem Beschluss nicht entnehmen. Aber die Lebensakte immerhin. Und das in bayer. Von wegen „mia san mia“.