Akteneinsichtrecht im Strafverfahren, oder: Vorrang vor dem Datenschutz

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Heute ist zwar (Mai)Feiertag, aber da es ja der „Tag der Arbeit“ ist, mache ich „normales Programm“. Allerdings nichts Schweres, sondern nur zwei Entscheidungen zur Akteneinsicht. Und: Ich starte mit dem ersten Posting etwas später 🙂 .

Von den beiden Entscheidungen hängt die des OLG Zweibrücken schon etwas länger im Blogordner. Es ist der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.01.2017 – 1 Ws 348/16, der sich mit dem Verhältnis des Aktensichtsrechts des Verteidigers zum Datenschutz befasst. Das OLG räumt dem Akteneinsichtsrecht des Verteidigers den Vorrang ein.

Der Voritzende hatte in einem Verfahren wegen Betruges die Übersendung je einer Kopie eines Datenträgers mit dem Inhalt einer Telefonüberwachung, die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durchgeführt wurde, an die Verteidiger der Angeklagten angeordnet. Dagegen das Rechtsmitte der Staatsanwaltschaft. Das OLG hat die Beschwerde als unzulässig angesehen, aber dann auch zur Frage der Begründetheit Stellung genommen:

„2. Das Rechtsmittel wäre allerdings auch unbegründet. Die Aushändigung und Mitgabe der (jeweiligen) Datenträger-Kopie an die Verteidiger begegnet vorliegend keinen rechtlichen Bedenken.

a) Rechte Dritter stehen der Herausgabe der Datenträger-Kopie nicht entgegen. § 147 Abs. 4 S. 1 StPO lässt die Aushändigung und Mitgabe von Akten und Aktenbestandteilen nur zu, wenn nicht wichtige Gründe dem entgegenstehen. Persönlichkeits- und Datenschutzrechte Dritter stellen in der Regel keine derartigen Ausschlussgründe dar (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Rn. 29 m.w.N.; a.A. OLG Hamburg, Beschluss vom 16. Februar 2016 – 3 Ws 11-12/16, juris, Rn. 12; OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 6). Dies belegt ein systematischer Vergleich zu der Vorschrift des § 147 Abs. 7 StPO: Einem nichtverteidigten Beschuldigten sind Auskünfte und Abschriften aus der Akte nur zu erteilen, wenn – u.a. – überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter nicht entgegenstehen. Diese Einschränkung dient der „Wahrung der Intimsphäre Dritter“ (BT-Dr. 14/1484, 22). Bei Gewährung von Akteneinsicht an einen Verteidiger hat der Gesetzgeber von dieser Einschränkung hingegen abgesehen. Im Übrigen wird der nur für unverteidigte Beschuldigte geltende Verweis auf den datenschutzrechtlichen Zweckbindungsgrundsatz des § 477 Abs. 2 StPO ausweislich der Gesetzesbegründung für den Verteidiger als obsolet angesehen, da sich für diesen die Zweckbindung der Akteneinsicht bereits aus der Aufgabe der Verteidigung und der besonderen Stellung des anwaltlichen Verteidigers, eines Organs der Rechtspflege, ergebe (BT-Dr. 14/1484, 22). Etwaigen Kernbereichsverletzungen – die mit Weitergabe eine Vertiefung erfahren würden – wird bereits im Rahmen der Datenerhebung durch die §§ 100a Abs. 4 S. 1-3 StPO begegnet, so dass es eines „subsidiären“ Schutzes durch eine extensive Auslegung von § 147 Abs. 4 S. 1 StPO oder gar einer analogen Anwendung des § 147 Abs. 7 StPO nicht bedarf.

b) Eine weitergehende „Eingriffsvertiefung“ ist bei Mitgabe an den Verteidiger nicht zu befürchten, da dieser lediglich an einem anderen Ort von seinem ohnehin bestehenden Einsichtsrecht Gebrauch macht. Die Gefahr einer unkontrollierten Weitergabe an Dritte besteht bei Verteidigern – als Organen der Rechtspflege – nicht (so auch KG, Beschluss vom 15. März 2015 – 2 StE 14/15, juris, Rn. 11 für dem Gericht bekannte Verteidiger); im Übrigen beugt auch das Standesrecht dem vor, vgl. §§ 19 BORA, 43, 43a BRAO. Schließlich würde sich eine etwaige Gefahr der unkontrollierten Weitergabe von Akteninhalten auch bei – unstreitig an den Verteidiger zu übersendenden – schriftlichen Aktenbestandteilen nicht verneinen lassen. Die in § 101 Abs. 8 S. 1 StPO statuierte Verpflichtung zur Löschung der gewonnenen Daten wird durch die Aushändigung an den Verteidiger ebenfalls nicht vereitelt (KG, a.a.O.; a.A. OLG Hamburg, Beschluss vom 16. Februar 2016 – 3 Ws 11-12/16, juris, Rn. 12 ff.; OLG Nürnberg, a.a.O., Rn. 14); denn dieser ist, als Organ der Rechtspflege auch ohne besonderen Hinweis oder vorheriger Verpflichtungserklärung verpflichtet, die erhaltenen Datenträger (und eventuell angefertigte Kopien) an das Gericht zurückzugeben.

c) Darüber hinaus bestünde hier, worauf die Verteidigung zu Recht hinweist, bei bloßer Zugänglichmachung der Tonaufnahmen in den Räumen der PP Südhessen in Darmstadt sowie des PP Rheinpfalz ein dem Grundsatz des fairen Verfahrens zuwiderlaufendes Defizit auf Seiten der Verteidigung bei der Möglichkeit zur Kenntnisnahme der für sie notwendigen Informationen. Diese läge nicht nur in einer räumlich und zeitlich begrenzten, sondern auch gegenüber Gericht und Staatsanwaltschaft unterlegenen Möglichkeit zur Kenntnisnahme. Das Verfahren hatte bereits am 4. Oktober 2016 begonnen. Der Datenträger mit dem „Stand: 19.10.2016“ war dem Gericht am 24. Oktober 2016 übergeben worden und das Abspielen zur Beweisaufnahme war bereits für die Hauptverhandlung vom 8. November 2016 geplant.

Mit der Entscheidung kann man übrigens nicht nur im Strafverfahren, sondern auch im Bußgelverfahren argumentieren, wenn es um die Einsicht in Messdaten, Messbilder usw. geht. Auch da berufen sich ja einige AG auf den Datenschutz.“

2 Gedanken zu „Akteneinsichtrecht im Strafverfahren, oder: Vorrang vor dem Datenschutz

  1. schneidermeister

    „Die Gefahr einer unkontrollierten Weitergabe an Dritte besteht bei Verteidigern – als Organen der Rechtspflege – nicht“ ist ja erst einmal eine unbelegte Behauptung, die etwas an die inzwischen als antiquiert geltende Beweisregel „Polizeibeamte lügen nicht (und irren nur höchst selten)“ erinnert.

    Warum dann bei Nebenklagevertretern, die man wohl auch als Organe der Rechtspflege einordnen müsste, die Gefahr besteht, dass sie die „Opfer“zeugenaussage durch Weitergabe der Akteninhalte kontaminieren und eine entsprechende Versicherung, keine Akteninhalte weiterzugeben, laut Hans. OLG nicht ausreicht, erschließt sich mir da nicht so ganz.

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