Lang, lang ist es her, oder: Wie wird ein langer Zeitraum zwischen Tat und Urteil bei der Strafzumessung für sexuellen Missbrauch gewertet?

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Bei der zweiten BGH-Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 17.11.2016 – 3 StR 342/15. Es ist ein Vorlagebeschluss, ja, das Aktenzeichen ist richtig, es ist nicht der 2. Strafsenat, der vorlegt, sondern der 3 Strafsenat, und zwar eine Strafzumessungsfrage.

Es geht um die Strafzumessungserwägungen beim sexuellen Missbrauch eines Kindes. Der 3. Strafsenat des BGH fragt gemäß § 132 Abs. 2 GVG den Großen Senat für Strafsachen:

Kann der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil im Rahmen der Strafzumessung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes nicht in gleicher Weise Berücksichtigung finden wie bei anderen Straftaten?

Hintergrund der Anfrage: Das LG Bad Kreuznach hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 35 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Nach den vom LG „getroffenen Feststellungen entblößte der Angeklagte in dem Zeitraum vom 1. März 1990 bis zum 1. März 1994 in mindestens 35 Fällen beim Zubettbringen seiner am 1. März 1985 geborenen Tochter sein Geschlechtsteil vor dem Kind und veranlasste dieses, seinen Penis zu berühren. Das Mädchen nahm hierbei das Glied des Angeklagten in eine oder beide Hände, warf dieses zwischen den Händen hin und her oder umschloss es mit der ganzen Hand. Der Penis des Angeklagten war nicht in allen Fällen erigiert; in mindestens einem kam es jedoch zu einem Samenerguss. Wenigstens einmal berührte der Angeklagte mit dem Finger die entblößte Scheide des Kindes; in einem weiteren Fall demonstrierte er den Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau, indem er sein Geschlechtsteil an der Scheide des Mädchens rieb. Während der Taten erklärte der einen offenen und liberalen Erziehungsstil pflegende Angeklagte, dass dies „dazu gehöre“ und eine „gute Tochter das so mache“. Allerdings schärfte er seiner Tochter auch ein, sie dürfe niemandem von den Geschehnissen berichten, da er sonst „ins Gefängnis müsse“.

Die Verfahrensrügen des Angeklagten werden nach Auffassung des 3. Strafsenats keinen Erfolg haben. Auch der Schuldspruch des LG ist nach Auffassung des BGH nicht zu beanstanden. Aber:

„Der Senat beabsichtigt allerdings, auf die Sachrüge den gesamten Strafausspruch aufzuheben. Anlass hierzu gibt die unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des 1. Strafsenats (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2006 – 1 StR 7/06, NStZ 2006, 393) vorgenommene Wertung des Landgerichts, zu Gunsten des Angeklagten spreche zwar, dass die Taten inzwischen sehr lange zurück lägen; jedoch könne dieser Umstand vorliegend nicht in gleicher Weise Berücksichtigung finden wie bei anderen Straftaten, da der sexuelle Kindesmissbrauch im familiären Umfeld erfolgt und die späte Anzeige der Tat hierdurch mitbedingt gewesen sei, so dass die gesetzgeberische Wertung des § 78b StGB tangiert werde. Die Strafkammer hat durch den ausdrücklichen Verweis auf die Entscheidung des 1. Strafsenats und die Betonung der gesetzgeberischen Wertung des § 78b StGB deutlich gemacht, dass es bezüglich des Gewichts des Strafzumessungsgesichtspunktes Zeitablauf zwischen Tat und Urteil zwischen Straftaten, die in den Anwendungsbereich des § 78b StGB (im vorliegenden Zusammenhang allein in Betracht kommend: § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB) fallen, und sonstigen Straftaten generell unterscheidet. Der Senat hält diese Erwägung für rechtsfehlerhaft. Er kann nicht ausschließen, dass die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, hätte das Landgericht diesen Gesichtspunkt nicht in die Abwägung eingestellt.“

Ich bin gespannt, was der Große Senat für Strafsachen – er hat eine Menge zu tun – macht. Ich würde dem 3. Strafsenat folgen und sehe, wie der Senat näher ausführt, keinen Grund, warum man den langen Zeitraum zwischen Tat und Urteil beim sexuellen Missbrauch nicht strafmildernd berücksichtigen soll. Aber warten wir es ab, was der Große Senat macht.

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