Archiv für den Monat: April 2016

Glück gehabt: 5 kg Ampethamin im Besitz, aber die „Fleppe“ bleibt dir…

entnommen wikimedia.org Author Orlan

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„Glück“ gehabt, hat ein Fahrerlaubnisinhaber beim VG Neustadt/Weinstraße. Denn das hat im im VG Neustadt, Beschl. v. 04.02.2016 – 3 L 25/16.NW – seine Fahrerlaubnis belassen. Die Verwaltungsberhörde hat dem Fahrerlaubnisinhaber die Beibrinung eines Gutachten zur Fahreignung aufgegeben und als das nicht kam, die Fahrerlaubnis entzogen. Begründung für die Auflage:  „Am 14.04.2014 wurden Sie in W. wegen eines Verbrechens nach § 29a BtMG festgenommen. Bei diesem Drogengeschäft wollten Sie 5 Kilogramm Amphetamin verkaufen. Bereits am 07.04.2014 veräußerten Sie 100 Gramm Amphetamin an eine VP des Polizeipräsidiums Westpfalz….

Das VG sagt/meint:  Der Besitz einer größeren zum Weiterverkauf bestimmten Menge Betäubungsmittel, die tatsächlich auch verkauft wird, rechtfertigt für sich allein nicht die Anordnung, ein ärztliches Gutachten gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV beizubringen:

Der vorliegende Fall unterscheidet sich von dem Regelfall, d. h. dem Fall, dass bereits aus dem bloßen Besitz eines Betäubungsmittels auf Drogenkonsum des Besitzers geschlossen werden kann, signifikant. Denn sowohl die von dem Antragsteller am 14. April 2014 verkaufte und sichergestellte Menge von 5.007 Gramm Amphetamin als auch der Verkauf von 100 Gramm Amphetamin am 7. April 2014 jeweils an eine Vertrauensperson des Polizeipräsidiums Westpfalz lassen gerade nicht den von dem Antragsgegner in seiner Anordnung vom 15. August 2014 (dort S. 2, 2. Absatz) gezogenen Schluss zu, dass diese Betäubungsmittel zum Eigenkonsum des Antragstellers gedacht waren.

Der Antragsteller hat diese – größere – Amphetaminmenge zum Weiterverkauf besorgt, weswegen gegen ihn wegen eines Verbrechens nach § 30a BtMG am 15. April 2014 ein Haftbefehl (B. 85 f. der Beiakte) erlassen wurde. Laut Haftbefehl hat es sich derart verhalten, dass der Antragsteller über Kontakte verfügte, die ihm die Lieferung großer Mengen Betäubungsmittel ohne nennenswerte Vorlaufzeit oder Vorfinanzierung ermöglichten, so dass er mit Betäubungsmittel Handel treiben konnte (§ 30a BtMG). Der Antragsteller war im Besitz der bei ihm sichergestellten Mengen Amphetamin, weil er genau diese Mengen der Vertrauensperson der Polizei zum Kauf anbieten wollte und dann auch angeboten hat. Bei den von dem Antragsteller am 7. April 2014 verkauften 100 Gramm Amphetamin handelte es sich um einen Probekauf (s. Bl. 2 der Beiakte, VN: 607001/07042014/0900) und bei dem Verkauf von ca. fünf Kilogramm Amphetamin am 14. April 2014 an eine Vertrauensperson der Polizei um das Anschlussgeschäft (vgl. Vernehmung einer Vertrauensperson am 8. April 2014, Bl. 10 – 13 der Beiakte), anlässlich dessen der Antragsteller von der Polizei festgenommen wurde. Auf Grund dieses Sachverhaltes, auf den der Antragsgegner sich bezieht, war der Antragsteller im Besitz dieser Mengen Amphetamin, um mit ihnen Handel zu treiben.

Es liegt damit nicht der typische Fall von Drogenbesitz im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV vor, der den Rückschluss auf Eigenkonsum zulässt. Diese besonderen Umstände des vorliegenden Falles hat der Antragsgegner nicht bei der nach 14 Abs. 1 Satz 2 FeV erforderlichen Ermessensausübung berücksichtigt.

Burhoff-Online im neuen Gewand, oder: Burhoff-Online 2.0

HomepageBurhoff-Online im neuen Gewand, oder: Burhoff-Online 2.0? Was ist los? Nun der ein oder andere Besucher/Nutzer von Burhoff-Online wird es vielleicht schon bemerkt haben: Burhoff-Online hat ein neues Outfit – passend zum bevorstehenden 1. Mai, denn wie heißt es doch: Alles neu macht der Mai. Mein Webmaster hat die neue Homepage am Montag aufgespielt, allmählich dürfte sich der Neustart durchs Internet „gefressen“ haben.

Vorab – ich habe nicht nur ein neues Outfit, sondern was viel wichtiger ist: Auch die Technik ist neu. Dieser – neudeutsch – Relaunch war einfach mal notwendig, nachdem ich jetzt fast 20 Jahre mit der Homepage online war und immer noch mit einer Technik aus dem vorigen Jahrhundert durch die Welt des Internets gezogen bin. Diese alte/veraltete Technik machte das Nutzen von Burhoff-Online auf Tablets, Smartphones usw. schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Und ohne das geht es natürlich in den heutigen Zeiten nicht mehr. Das wird jetzt alles besser. Ich hoffe jetzt nur, dass nicht wieder Mails (aus der Justiz) kommen, dass dies oder das nicht richtig läuft. Das liegt dann aber nicht an mir sondern an alten Webbrowsern. die dort immer noch im Gebrauch sind.

Den Relaunch habe ich dann aber eben gleich für ein neues Outfit genutzt, das grafisch auch mehr den heutigen Gepflogenheiten entspricht. Alles „schlanker“, klarer und aufgeräumter. Auf den ersten Blick denkt der regelmäßige Nutzer vielleicht, dass Funktionen weggefallen sind. Nein, das ist jedoch nicht der Fall. Es ist alles noch da, nur ein wenig anders zusammengefasst und gegliedert. So geht es jetzt z.B. unter „Veröffentlichungen“ zu den eingestellten Volltexten aus Zeitschriften, den Verfahrenstipps und den thematisch dazu passenden Zeitschriften „VRR“ und „StRR“. Und unter „RVG“ findet man alles das, was mit Gebührenrecht zu tun hat. Ich denke, das spielt sich dann bald ein bzw. man hat sich schnell „umgewöhnt“.

Zum Schluss: Ein herzliches Dankeschön an meinen Webmaster Daniel Springwald aus Bochum, der mal wieder alles mit bewundernswerter Geduld und Ruhe erledigt hat; er macht auch noch andere Dinge als meine Homepage (was, kann man hier nachschauen). Und dann auch an Christian Bartsch aus Havixbeck (liegt im Münsterland), auf dessen Webserver ich dann jetzt untergekommen bin. Denn „umgezogen“ bin ich mit der Homepage auch. Bisher war die bei Domainbox.de gehostet. Das war aber schon lange nicht mehr so gut wie in der Anfangszeit und das Theater um den Umzug hat mir gezeigt, dass die Entscheidung, den Laden zu verlassen, richtig war.

Und dann jetzt auf zur neuen Version von Burhoff-Online. Gleich mal schnuppern…..

Wenn die BAK nur dünne 0,6 o/oo beträgt, muss das Urteil dicker sein….

© benjaminnolte - Fotolia.com

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Wer bei mir im FA-Kurs war, der weiß (oder sollte wissen). Desto geringer die BAK, desto gewichtiger müssen die Anzeichen sein, die bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 316 StGB für die Annahme der Fahruntüchtigkeit angeführt werden und desto mehr muss dazu auch im Urteil ausgeführt werden. Daran hat sich offenbar der Kollege, der mir den von ihm erstrittenen OLG Oldenburg, Beschl. v. 07.04.2016 – 1 Ss 53/16 – übersandt hat, erinnert und war deshalb gegen eine Entscheidung des AG Lingen in die (Sprung)Revision gegangen. Das OLG macht es sich einfach und rückt die Stellungnahme der GStA ein, die ausgeführt hatte:

„Der Schuldspruch wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Nach § 316 StGB macht sich strafbar, wer infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr sicher zu führen. Dies ist – unabhän­gig von der Fahrweise – stets der Fall, wenn auf den Fahrer zum Zeitpunkt der Fahrt ein Blutalkoholgehalt von 1,1%o oder mehr einwirkt. Liegt die alkoholi­sche Beeinflussung unter diesem Wert, müssen weitere Tatsachen hinzutre­ten, aus denen sich ergibt, dass die Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers infolge Enthemmung sowie geistig-seelischer und körperlicher Leistungsaus­fälle so erheblich herabgesetzt ist, dass er nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr über eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen, sicher zu führen (vgl. BGHSt 13, 83; BGHSt 31, 42 ff. = NJW 1982, 2612; KG NZV 1995, 454; KG VRS 89, 446). Von Bedeutung sind dabei zunächst in der Person des Angeklagten lie­gende Gegebenheiten wie Krankheit oder Ermüdung, sodann äußere Bedin­gungen der Fahrt wie Straßen- und Witterungsverhältnisse und schließlich das konkrete äußere Verhalten des Angeklagten, das durch die Aufnahme alkoho­lischer Getränke oder anderer berauschender Mittel mindestens mitverursacht sein muss (sogenannte Ausfallerscheinungen). Als Ausfallerscheinungen kommen insbesondere in Betracht: eine auffällige, sei es regelwidrige, sei es besonders sorglose oder leichtsinnige Fahrweise, ein unbesonnenes Beneh­men bei Polizeikontrollen, aber auch sonstiges Verhalten, das alkoholbedingte Enthemmung und Kritiklosigkeit erkennen lässt (BGH a.a.O.). Insbesondere ungewöhnliche Fahrfehler lassen den Schluss auf Fahruntüchtigkeit zu (KG NZV 1995, 454; vgl. Cramer, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 316 Rn. 12 m. w. N.). Beachtlich ist ein Fahrfehler allerdings nur, wenn das Gericht die Überzeugung gewinnt, dass er dem Angeklagten ohne alkoholische Beein­trächtigung nicht unterlaufen wäre. Es kommt dabei nicht darauf an, wie sich irgendein nüchterner Kraftfahrer oder der durchschnittliche Kraftfahrer ohne Alkoholeinfluss verhalten hätte, sondern es ist festzustellen, dass der Ange­klagte sich ohne Alkohol anders verhalten hätte (BayObLG NZV 1988, 110; KG v. 26.11.1999 – Ss 525/99 – m.w.N.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 316 StGB Rn. 26 m. w. N.). Das Verhalten eines durchschnittlichen nüchternen Kraftfahrers ist nur mittelbar von Bedeutung: Je seltener ein bestimmter Fahrfehler bei nüchternen Fahrern vorkommt und je häufiger er erfahrungsgemäß von alkoholisierten Fahrern begangen wird, des­to eher wird der Schluss gerechtfertigt sein, der Fehler wäre auch dem Ange­klagten in nüchternem Zustand nicht unterlaufen (KG NZV 1995, 454). Andererseits haben Fehlleistungen, die erfahrungsgemäß auch nüchternen Fahrern bisweilen unterlaufen, geringeren Indizwert (vgl. für überhöhte Geschwindigkeit: BGH DAR 1968, 123; BGH NZV 1995, 80; BayObLG VRS 60, 384).

Die Entscheidung darüber, ob bestimmte Beweisanzeichen den Schluss auf alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zulassen, ist Sache des Tatrichters und unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur im Hinblick auf Rechtsfehler (KG NZV 1995, 454). Rechtsfehlerhaft ist es, wenn die vorstehend dargestellten Grundsätze verkannt worden sind oder die tatrichterlichen Erwägungen zur Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar sind, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstoßen.

Das Amtsgericht hat vorliegend festgestellt, dass der Angeklagte am 31.05.2015 gegen 2.14 Uhr mit seinem Pkw Golf zunächst die B 213 in Wietmarschen/Lohne in Richtung Lingen befahren habe, die er in Höhe der Ausfahrt Lingen/Schepsdorf verlassen habe. Sodann sei er weiter auf der Nordhorner Straße in Richtung Lingen gefahren, obgleich er bei einer Blutalkohol­konzentration von 0,6 %o, wie er hätte erkennen können, alkoholbedingt fahr­untüchtig gewesen sei. Der Angeklagte, der zufällig der anwesenden Polizeistreife V./P. wegen seiner rasanten Fahrweise aufgefallen sei, sei von der Polizeistreife bis nach Lingen hinein verfolgt worden. In Lingen habe der Angeklagte die Lindenstraße mit einer Geschwindigkeit von über 100 km/h befahren und habe dort trotz Sichtbehinderung vor der Emsbrücke zum Überholen eines vor ihm fahrenden Taxis angesetzt. Dabei sei er links an einer Verkehrsinsel vorbeigefahren und habe sodann aufgrund Gegenverkehrs zwischen dem Taxi, das er überholt habe, sowie einem weiterhin davor fahrenden Taxi unvermittelt einscheren müssen.

Den Feststellungen des Gerichts ist weiterhin zu entnehmen, dass der Verkehrszentralregisterauszug für den Angeklagten von 04.06.2015 elf Eintragungen aufweise und gegen den Angeklagten zuletzt am 14.04.2014 und am 23.05.2014 Bußgeldbescheide wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ergangen seien.

Schließlich hat das Amtsgericht in den Urteilsgründen ausgeführt, dass bei dem Angeklagten alkoholbedingt Ausfallerscheinungen vorgelegen hätten. Der Angeklagte sei über eine nicht geringe Wegstrecke selbst innerorts mit einer deutlich überhöhten Geschwindigkeit gefahren und habe unter Umfahren einer Verkehrsinsel zu einem grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Überhol­manöver angesetzt, was eben für eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit und entsprechende Ausfallerscheinungen spreche.

Da die Blutalkoholkonzentration mit 0,6 %o noch nicht nahe an den Grenzwert zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 %o) heranreichte, waren unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze hinsichtlich der konkreten Fahruntüchtigkeit jedoch umfassende Feststellungen zu treffen.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zum einen hat das Amtsgericht sich nicht ausreichend mit den äußeren Umständen der Fahrt (Straßen- und Witterungsverhältnisse) auseinandergesetzt. Zum anderen haben sich angesichts der Voreintragungen im Verkehrszentralregister Erörterungen dazu aufgedrängt, ob der Angeklagte nicht generell zum Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit neigt und ob hier allein das riskante und zu schnelle Fahren ausreichend sein kann, um alkoholbedingte Ausfallerschei­nungen anzunehmen. Es fehlt jedoch insofern zumindest an den den Bußgeldbescheiden vom 14.04.2014 und 23.05.2014 zugrunde liegenden tatsäch­lichen Feststellungen.“

Dem konnte sich das OLG „nicht verschließen“ und hat aufgehoben. Richtig übrigens auch der Weg des Kollegen, denn in solchen Fällen muss man die Sprungrevision wählen und nicht in die Berufung gehen. Das bringt nichts, wenn man richtig Zeit gewinnen will.

Mutterschutz, Mutterschutz, oder: Man kann ein Urteil auch noch nach 7 Monaten unterzeichnen…

© Stefan Rajewski Fotolia .com

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Sicherlich nicht alltäglich ist/war die Fallgestaltung, über die das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 16.02.2016 – 3 RBs 385/15 – zu entscheiden hatte. Es geht um Mutterschutz und die Frage der Unterzeichnung des Urteils. In einem Bußgeldverfahren war das nach eintägiger Hauptverhandlung am 20.03.2015 verkündete Urteil erst am 02.10.2015 in schriftlicher Form mit Gründen und Unterschrift zu den Akten gelangt. Ebenfalls vom 02.10.2015 datiert ein Vermerk der entscheidenden Richterin, der wie folgt lautet:

„Am 20.04.2015 musste ich stationär ins Krankenhaus. Im direkten Anschluss erhielt ich ein individuelles Beschäftigungsverbot. Hiernach folgte die Mutterschutzzeit, die bis zum 11.09.2015 andauerte. Insofern war mir eine frühere Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe nicht möglich“.

Die auf eine Verletzung des § 275 StPO gestützte Verfahrensrüge hatte beim OLG keinen Erfolg- Die Leitsätze der OLG-Entscheidung:

  1. Das individuelle Beschäftigungsverbot und die Mutterschutzfristen stehen in ihren Auswirkungen der Dienstunfähigkeit infolge Erkrankung eines Richters, für die die Anwendung des § 275 Abs. 1 S. 4 StPO in Rechtsprechung und Literatur anerkannt ist, gleich.
  2. Eine Dienstpflicht der Richterin, während der bewilligten Elternzeit das schriftliche Urteil zu fertigen, besteht nicht; die im Rahmen einer überobligatorischen Leistung der Richterin gefertigten Urteilsgründe können daher nicht unter Verstoß gegen § 275 Abs. 1 StPO zu den Akten gebracht worden sein.
  3. Eine Höchstfrist für die nach § 275 Abs. 1 S. 4 StPO gerechtfertigte Fristüberschreitung lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen; eine an dem Gesetzeszweck der §§ 275 Abs. 1, 338 Nr. 7 StPO orientierte Auslegung zwingt ebenfalls nicht zu der Annahme, nach Ablauf einer mit etwa einem Jahr zu bemessenden Fristüberschreitung sei das Urteil auf die Verfahrensrüge hin zwingend aufzuheben.

Zu Leitsatz 3 führt das OLG aus:

(4) Auch die absolute Zeitdauer zwischen der Verkündung des Urteils und der Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe führt vorliegend nicht zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils.

(a) In Literatur und Rechtsprechung wird in diesem Zusammenhang vertreten, die Fristüberschreitung dürfe sich im Rahmen des § 275 Abs. 1 S. 4 StPO nur auf ein „vertretbares Maß“ im Sinne von Tagen oder wenigen Wochen beschränken, so dass eine Fristüberschreitung um fast ein Jahr nicht mehr hinnehmbar sei und zur Aufhebung nach § 338 Nr. 7 StPO führe (LR-Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 275, Rdnr. 13; Julius in: Gercke/Julius/Temming u.a., StPO, 5. Aufl., § 275, Rdnr. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 275, Rdnr. 12; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14. Mai 2004 – 1 Ss 85/04, […], Rdnr. 3; Thüringer OLG, Beschluss vom 8. April 2013 – 1 Ss Bs 8/13 (43), […], Rdnr. 6). In den zitierten Entscheidungen wird in diesem Zusammenhang auf den unzweifelhaft bestehenden Ausnahmecharakter der Regelung des § 275 Abs. 1 S. 4 StPO verwiesen. Ergänzend wird angeführt, der Ausgestaltung der Fristüberschreitung als absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 7 StPO liege der Gedanke zugrunde, dass durch die Verzögerung der Urteilsabsetzung die Zuverlässigkeit, mit der die schriftlichen Urteilsgründe das Beratungsergebnis beurkundeten, gefährdet sei. Auch und gerade bei kleineren Verfahren bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren, die oft gleichgelagert seien, sei damit zu rechnen, dass das Erinnerungsbild des Richters schnell verblasse, weshalb ein Zeitraum von nahezu einem Jahr zwischen Urteilsverkündung und schriftlicher Urteilsabsetzung – auch unter Berücksichtigung der Belange der von der Entscheidung Betroffenen – nicht mehr tragfähig erscheine und zur Urteilsaufhebung führen müsse (Thüringer OLG, Beschluss vom 8. April 2013 – 1 Ss Bs 8/13 (43), […], Rdnr. 6; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14. Mai 2004 – 1 Ss 85/04, […], Rdnr. 3).

(b) Diese Auffassung teilt der Senat in dieser Allgemeinheit nicht. Eine Höchstfrist für die nach § 275 Abs. 1 S. 4 StPO gerechtfertigte Fristüberschreitung lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen. Eine an dem Gesetzeszweck der §§ 275 Abs. 1, 338 Nr. 7 StPO orientierte Auslegung zwingt ebenfalls nicht zu der Annahme, nach Ablauf einer mit etwa einem Jahr zu bemessenden Fristüberschreitung sei das Urteil auf die Verfahrensrüge hin zwingend aufzuheben.

(aa) Die Auffassung, die Regelung des § 275 Abs. 1 S. 4 StPO erlaube nur Fristüberschreitungen in einem überschaubaren Rahmen von Tagen oder wenigen Wochen, findet in den Gesetzesmaterialien keine hinreichende Stütze. Die Vorschriften in §§ 275 Abs. 1, 338 Nr. 7 StPO sind mit dem am 11. Dezember 1974 verkündeten Ersten Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG) am 1. Januar 1975 in Kraft getreten. Nach § 275 Abs. 1 StPO des bis dahin geltenden Rechts war das Urteil mit den Gründen binnen einer Woche nach der Verkündung zu den Akten zu bringen, wobei es sich um eine Soll-Vorschrift handelte. Die Vorbereitung des 1. StVRG reicht bis in das Jahr 1970 zurück. Ein im Bundesjustizministerium erarbeiteter Regierungsentwurf (BT-Drucks. VI/3478) wurde in der 6. Wahlperiode im April 1972 erstmals den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet, wegen der vorzeitigen Auflösung des Bundestages im Herbst 1972 aber nicht mehr beraten. Den nur wenig veränderten Entwurf (BT-Drucks. 7/551) brachte die Bundesregierung in der 7. Wahlperiode im Frühjahr 1973 erneut ein. Die hier in Frage stehenden Regelungen zur Bestimmung einer neuen, zwingenden Frist zur Absetzung der schriftlichen Urteile in Strafsachen haben dabei im Zuge der parlamentarischen Beratungen im Vergleich zu den Gesetzentwürfen keine wesentlichen Änderungen erfahren und sind seit ihrem Inkrafttreten unverändert. Lediglich die Vorschrift des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO wurde aufgrund eines entsprechenden Anliegens des Bundesrates sprachlich anders gefasst als von der Bundesregierung zunächst vorgeschlagen (BT-Dr. 7/2600, S. 7, 36). Erklärtes Ziel der Neuregelung war nach den Gesetzesmaterialien eine Beschleunigung des Verfahrens und eine Abkürzung der Fristen, innerhalb derer schriftliche Urteile in Strafverfahren zu den Akten gebracht werden. Dazu war eine Auswertung von Revisionsverfahren vorgenommen worden, über die der Bundesgerichtshof entschieden hatte. Die in den Begründungen beider Regierungsentwürfe ebenfalls erwähnte Absicht, auch sicherzustellen, dass die Gründe besser mit dem Beratungsergebnis übereinstimmen, tritt demgegenüber erkennbar zurück (so auch Rieß, Die Urteilsabsetzungsfrist (§ 275 I StPO), NStZ 1982, S. 441, Rdnr. 8). Eine Höchstfrist für die Überschreitung der durch unabwendbare Ereignisse gerechtfertigten Urteilsabsetzungsfrist spielte bei den parlamentarischen Beratungen zu § 275 Abs. 1 S. 4 StPO nach der vorliegenden Dokumentation keine Rolle. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber durch die gleichzeitig geschaffene Regelung in § 275 Abs. 1 S. 2 StPO, die gestaffelte Fristen für die Urteilsabfassung vorsieht, gezeigt, dass er durchaus Vertrauen in das Erinnerungsvermögen der erkennenden Richter an das Ergebnis Hauptverhandlung und der Beratungen auch nach langem Zeitablauf seit Verkündung des Urteils hat. Denn mit dieser Regelung wurde bewusst in Kauf genommen, dass das schriftliche Urteil nach lang andauernden Strafverfahren mit vielen Hauptverhandlungstagen unter Umständen erst nach Wochen oder Monaten zu den Akten gelangt. In der Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung ist ein Beispielfall zitiert, wonach dann, wenn an mehr als 90, aber an nicht mehr als 100 Tagen verhandelt worden ist, insgesamt 25 Wochen für die Urteilsabsetzung zur Verfügung stehen (BT-Drucks. 7/551, S. 84, 85). Eine absolute Höchstfrist für die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe hat der Gesetzgeber dabei nicht vorgesehen.“

Überzeugt mich nicht so ganz. Denn die Begründungen und auch das zitierte Beispiel haben die landgerichtlichen Verfahren im Blick. Da sind aber am schriftlichen Urteil bei den großen Strafkammern, um die es geht/ging, meist zwei oder drei Berufsrichter beteiligt, die sich erinnern können…

Wie viel Marihuana passt in den Kofferraum eines Mercedes 350 CLS?

entnommen wikimedia.org Urheber nakhon100

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„Wie viel Marihuana passt in den Kofferraum eines Mercedes 350 CLS?“ So ähnlich hatte sich für das LG Dortmund die Frage in einem BTM-Verfahren gestellt. Da hatten die Angeklagten im Kofferraum eines Mercedes 350 CLS „zwei große schwarze Koffer vor [gefunden], die den Kofferraum fast gänzlich ausfüllten“. In denen befand sich Marihuana. Das LG hat dann zur Menge des Rauschgifts festgestellt:

„Da nicht festgestellt werden konnte, dass das später in Süddeutschland sichergestellte Marihuana auch das war, das sich in dem Fahrzeug der Angeklagten befunden hatte, hat die Kammer das Gewicht des in dem Fahrzeug des Angeklagten L gefundenen Marihuanas auf 5 kg geschätzt. Diese Schätzung beruht auf den Angaben der Angeklagten zur Größe der Koffer und deren Inhalt sowie auf den Erfahrungen der Kammer als Spezialkammer für Betäubungsmitteldelikte. Im Übrigen haben auch die Angeklagten selbst erklärt, dass es sich um mehrere Kilogramm Marihuana gehandelt habe.“

Dem OLG Hamm reicht das nicht. Es hebt im OLG Hamm, Beschl. v. 05.01.2016 – 1 RVs 96/15 – auf:

aa) Zunächst ist im vorliegenden Fall die Schätzung der Rauschgiftmenge des in den beiden Koffern im Kofferraum des Mercedes 350 CLS aufgefundenen Marihuanas durch das Landgericht zu beanstanden. Insoweit ist ausgeführt, diese beruhe auf den Angaben der beiden Angeklagten zur Größe der Koffer und deren Inhalt sowie auf den Erfahrungen der Kammer als Spezialkammer für Betäubungsmitteldelikte. Zu den konkreten Größenangaben findet sich in den Urteilsgründen hierzu lediglich die Feststellung, die beiden Koffer hätten den Kofferraum „fast gänzlich ausgefüllt“. Angaben zur tatsächlichen Größe des Kofferraums und der Koffer werden dagegen nicht gemacht. Zudem bleibt offen, ob sich diese Angabe neben Länge und Breite auch auf die Höhe der beiden Koffer bezogen hat. Insoweit ist anzumerken, dass in allgemein zugänglichen Quellen z.B. selbst für die Coupéversion des Mercedes 350 CLS die Kofferraumgröße mit 520 Litern angegeben ist (vgl. http://www.autobild.de/artikel/mercedes-cls-350-cdi-test-1288344.html), so dass unter Berücksichtigung selbst des Volumens großer Reisekoffer von bis zu 150 Litern die Feststellung, der Kofferraum sei durch zwei Koffer „fast gänzlich“ ausgefüllt gewesen, nicht ohne Weiteres schlüssig erscheint. Ferner ist auch nicht festgestellt, ob die in den Koffern aufgefundenen Plastikbeutel eher lockeres oder stark verdichtetes Pflanzenmaterial enthielten, so dass ggfls. nachvollziehbare Rückschlüsse auf ein zugrunde zu legendes spezifisches Gewicht des abgepackten Marihuana möglich wären. Die Schätzung, es habe sich im zu beurteilenden Fall um mindestens 5 kg Marihuana gehandelt, ist aber auch deshalb rechtsfehlerhaft erfolgt, weil die Kammer nicht mitteilt, worin ihre konkreten Erfahrungen hierzu als Spezialkammer begründet sind (BGH NStZ-RR 2015, 77).“