„Strafkammertag“ – ein „Aufrüstungstag“? oder: Strafverfahren quo vadis?

© bluedesign - Fotolia.com

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Ich habe hier ja in der letzten Zeit schon ein paar Mal zu der geplanten Änderung der StPO – oder auch StPO-Reform – gepostet, angefangen mit Unbemerkt, oder: Kommt eine große StPO-Reform zur „Effektivierung unseres Strafverfahrens?) zur Einsetzung und Arbeitsaufnahme der Expertenkommission über Kommt jetzt eine große StPO-Reform zur „Effektivierung unseres Strafverfahrens? zu den Ergebnissen (vgl. auch noch „Richtervorbehaltsgötterdämmerung“, oder: Finger weg vom Richtervorbehalt bei der Blutentnahme!!!!). Nun scheinen die Dinge voran zu gehen oder getrieben zu werden. Es existiert nämlich ein erster Rohentwurf aus dem BMJV, der vor einigen Tagen an die Landesjustizverwaltungen versendet worden ist (vgl. hier bei LTO).

Was drin steht, ich weiß es nicht, bisher hatte ich keine Gelegenheit, den „Rohentwurf“ zu sehen. Ich vermute mal auf jeden Fall die Änderung des § 81a Abs. 2 StPO und wahrscheinlich auch die Einführung einer Anwesenheitspflicht bei/zu polizeilichen Vernehmungen. Über alles anders kann man nur spekulieren.

Und ob es ein „großer Wurf“ ist, das wird man auch bezweifeln können/dürfen, wenn er auf den Vorschlägen der Kommission beruht (ich verweise nur auf Schünemann in StraFo 2016, 45 ff., der den Vorschlägen der Expertenkommission eine – gelinde ausgedrückt – nicht gute Kritik erteilt hat).

Was mich umtreibt, sind die Nachrichten der vergangenen Woche über den „Strafkammertag“ in Hannover, an dem rund 70 Richter teilgenommen haben – jeweils zwei bis drei vornehmlich Richter am LG aus allen 24 Oberlandesgerichtsbezirken (vgl. hier bei LTO). Ich hatte erst angenommen, es handle sich um eine Konkurrenzveranstaltung zum „Strafverteidigertag“, aber mich dabei getäuscht. Denn es handelte sich um eine Veranstaltung, die den Richtern bei den Plänen zur Reform StPO mehr Gehör zu verschaffen soll. Sie fühlten sich in der Experten-Kommission unterrepräsentiert. Und die Ergebnisse gehen der Richterschaft, vor allem offenbar den OLG-Präsidenten/innen nicht weit genug. Dazu aus dem Interview, das LTO mit Götz von Olenhusen, dem Präsidenten des OLG Celle, geführt hat:

„Götz von Olenhusen: Die Vorschläge reichen aus unserer Sicht nicht aus. Vor allem betreffen die Empfehlungen im Wesentlichen Veränderungen im Ermittlungsverfahren. Unser Fokus liegt dagegen auf den Reformerfordernissen für das Hauptverfahren. Die kommen nach dem Verständnis der Richterschaft viel zu kurz. Die Vorschläge der Kommission sehen zwar auch eine Frist für Beweisanträge und etwa eine Videoaufzeichnung vor, das ist aber wirklich nicht genug.“

Also war der „Strafkammertag“ dann wohl eher ein „Aufrüstungstag“. Und dass das nicht verkehrt ist, beweist mir die gemeinsame PM des KG und der OLG v. 16.02.2106, unter dem schönen Titel: „Reform des Strafprozesses – Praktiker melden sich zu Wort“ und dem „Obersatz“: „Der Strafprozess muss effektiver gestaltet werden, so lautet das klare Fazit des bundesweiten Strafkammertages, der heute am Landgericht Hannover stattfand.“ Und da ist dann viel die Rede von Flexibilität, Beschleunigung usw. Auf dem Altar wird man – befürchte ich – manches opfern oder will opfern, aber das war leider zu erwarten bei einer Kommission, die ein „StPO-Reform zur „Effektivierung unseres Strafverfahrens“ einleiten sollte.

Und wenn man dann
Einige Thesen und Forderungen der Praktikerinnen und Praktiker:

  • bindende Vorabentscheidung über Besetzungsrügen wegen falscher Gerichtsbesetzung
  • Beschleunigung des Verfahrens durch Geltendmachung von Einwendungen schon im sog. Zwischenverfahren zwischen Anklageerhebung und Eröffnung der Hauptverhandlung
  • Strafabschläge wegen überlanger Verfahrensdauer durch flexiblere Möglichkeiten der Geschäftsverteilung innerhalb der Gerichte vermeiden
  • Fristsetzung für Beweisanträge, die nach Abschluss der von Amts wegen durchgeführten Beweisaufnahme gestellt werden
  • mehr Möglichkeiten zum Verlesen von Zeugenantworten in Fragebögen in gleichgelagerten Masseverfahren (bspw. Internetkriminalität)
  • Behandlung von Befangenheitsanträgen außerhalb der Hauptverhandlung: Fortsetzung der Verhandlung; Entscheidung über das Befangenheitsgesuch spätestens binnen 3 Wochen
  • Konzentration der Wirtschaftsstrafkammerstandorte in den Ländern und länderübergreifend
  • Unterstützung von Richterinnen und Richtern in Wirtschaftsstrafverfahren – Fachkräftepool bilden (Sachbearbeiter, Wirtschaftsreferent, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer)

liest, dann fragt man sich „Strafverfahren, qou vadis“?

Denn was soll sie z.B. bringen, eine „bindende Vorabentscheidung über Besetzungsrügen wegen falscher Gerichtsbesetzung„? Wer soll entscheiden? Wahrscheinlich das OLG. Aber was hat das mit dem Verfahren zu tun? Und warum nur eine bindende Vorabentscheidung über Besetzungsrügen? Dann könnte man doch gleich auch alle Beanstandungen von Vorsitzendenmaßnahmen (§ 238 Abs. 2 StPO) mitaufnehmen, was sicherlich die Revisionsgerichte entlasten würde.

Und warum eine „Beschleunigung des Verfahrens durch Geltendmachung von Einwendungen schon im sog. Zwischenverfahren zwischen Anklageerhebung und Eröffnung der Hauptverhandlung“? Wenn man mit Verteidigern spricht, hört man doch immer wieder die Klage, dass sie den Eindruck haben, dass das, was im Zwischenverfahren vorgetragen wird, eh keinen interessiert, sondern i.d.R. eröffnet wird.

Und was soll ein „Fachkräftepool“ bringen? Sind das Hilfsrichter? Welche Stellung haben sie und wie wird deren Arbeit  kontrolliert?

Alles in allem: Ich habe ein ungutes Gefühl. Aber es kann ja noch werden…..

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