Polizeiflucht: Ungebremst Zufahren auf eine Polizeisperre – reicht dem BGH so nicht

entnommen: openclipart.org

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Fast ebenso häufig wie in der Rechtsprechung des 4. Strafsenats des BGH sind hier bei mir Postings zu den §§ 315b, 315c StGB. In vielen Fällen hebt der BGH landgerichtliche Verurteilungen auf, weil ihm die tatsächlichen Feststellungen nicht reichen (vgl. dazu zuletzt .a. den BGH, Beschl. v. 21.05.2015 – 4 StR 164/15 und dazu Ist das denn so schwer?, oder: Butter bei die Fische im Verkehrsrecht oder den  BGH, Beschl. v. 21.04.2015 – 4 StR 92/15 und dazu Bitte nicht schon wieder: BGH zur Straßenverkehrsgefährdung). In den beiden Entscheidungen ging es um den sog. „Beinaheunfal, also die konkrete Gefahr.

In einer weiteren Entescheidung, dem BGH, Beschl. v. 30.06.2015 – 4 StR 188/15 -, geht es nun schon wieder um den Beinaheunfall, aber auch um den „zumindest bedingten Schädigungsvrsatz“, der bei einem gefährlichen Eingriff in den (fließenden) Straßenverkehr vorliegen muss. Gegenstand der landgerichtlichen Verurteilung war eine sog Polizeiflucht, die auf der Rastanlage einer BAB endete. Dort hatten dann der Angeklagte sein Fahrzeug auf der mehrere hundert Meter langen Ausfahrspur der Rastanlage auf 100 bis 120 km/h beschleunigt. Obwohl er die Polizeisperre bemerkte, beschleunigte er weiter und fuhr ungebremst auf das die Ausfahrt blockierende Streifenfahrzeug zu, um die Polizeibeamten zur Freigabe der Fahrbahn zu zwingen. Als der Fahrer des Polizeifahrzeugs das Fahrzeug des Angeklagten mit hoher Geschwindigkeit ungebremst auf sich zukommen sah, fuhr er den Streifenwagen nach hinten auf eine Sperrfläche und gab den Weg frei. Im Zeitpunkt des Beginns dieses Fahrmanövers war der Angeklagte mit seinem Fahrzeug „weniger als 50 Meter“ von dem Streifenfahrzeug entfernt. Er hätte sein Fahrzeug auch mit einer Vollbremsung nicht mehr vor dem Streifenwagen zum Stehen bringen können. Ihm kam es dabei darauf an, den Streifenwagen zum Zurücksetzen zu zwingen. Ohne dieses Rückfahrmanöver wäre es zu einem Zusammenstoß mit Lebensgefahr für die Fahrzeuginsassen gekommen.

Dem BGH genügt das nicht:

b) Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 StGB liegt erst dann vor, wenn durch eine der in § 315b Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist und sich diese abstrakte Ge-fahrenlage zu einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert verdichtet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2014 – 4 StR 251/14, NStZ 2015, 278; Be-schluss vom 18. Juni 2013 – 4 StR 145/13, Urteil vom 4. Dezember 2002  – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 122; Ernemann in SSW-StGB, 2. Aufl., § 315b Rn. 5, 16). Dies ist der Fall, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing (sog. Beinahe-Unfall), ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2012 – 4 StR 435/12, NStZ 2013, 167; Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/95, NJW 1995, 3131, jeweils zu § 315c StGB; Ernemann in SSW-StGB, 2. Aufl., § 315b Rn. 16). Bei Vorgängen im fließenden Verkehr muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Absicht ferner hinzukommen, dass das Fahrzeug mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz missbraucht wurde (vgl. BGH, Be-schluss vom 5. November 2013 – 4 StR 454/13, NStZ 2014, 86; Urteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 237 f.). Beides ist nicht hinreichend belegt.

Dass das Fahrverhalten des Angeklagten zu einer konkreten Gefahr in dem dargestellten Sinne geführt hat, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Als der Polizeibeamte PK R. die Rückwärtsfahrt einleitete, war der Angeklagte mit seinem Fahrzeug noch „weniger als 50 Meter“ entfernt. Diese nur sehr vage Beschreibung der Entfernungsverhältnisse lässt keinen sicheren Schluss auf ein Geschehen zu, das als ein „Beinahe-Unfall“ erfasst werden könnte. Feststellungen zu den räumlichen Verhältnissen an der Stelle, an der der Angeklagte das zurückgesetzte Polizeifahrzeug mit hoher Geschwindigkeit passierte (Abstände zwischen den Fahrzeugen, zur Verfügung stehender Raum für die Durchfahrt in Richtung Autobahn), fehlen. Soweit das Landgericht an anderer Stelle (im Rahmen der Ausführungen zu § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB) darauf abhebt, es habe „die konkrete Gefahr“ bestanden, dass der Polizeibeamte einen Fahrfehler macht (UA 14), fehlt dafür jeder Beleg. Dies gilt umso mehr als PK R. – ein ausgebildeter Polizeibeamter – durch den Hinweis seiner Kollegen vorgewarnt war.

Einen zumindest bedingten Schädigungsvorsatz hat das Landgericht nicht festgestellt. In der rechtlichen Würdigung ist lediglich davon die Rede, dass der Angeklagte die Gefahr für die beiden Polizeibeamten durch seinen Eingriff auch vorsätzlich herbeigeführt habe (UA 14). In der Beweiswürdigung führt das Landgericht dazu aus, dass es dem Angeklagten darauf angekommen sei, die Durchfahrt in Kenntnis der Blockade zu erzwingen und er dementspre-chend damit gerechnet habe, dass durch sein bedingungsloses Fahrverhalten das Polizeifahrzeug den Weg freigibt (UA 12).“

Ist verkehrsstrafrechtliches Allgemeinwissen  bzw. sollte es sein.

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