„ein kleines gallisches Dorf…“, oder: AG Emmendingen versus PoliscanSpeed, die 2.

© Bertold Werkmann - Fotolia.com

© Bertold Werkmann – Fotolia.com

Wer die Geschichten von Asterix und Obelix kennt, weiß, dass alle mit der Einleitung anfangen (vgl. hier): „Wir befinden uns im Jahre 50 v.Chr. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt… Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die römischen Legionäre, die als Besatzung in den befestigten Lagern Babaorum, Aquarium, Laudanum und Kleinbonum liegen…“ Für das Verkehrsrecht möchte ich das – animiert durch den Kollegen Dr. Krenberger, der mich (auch) auf das AG Emmendingen, Urt. v. 13.11.2014 – 5 OWi 530 Js 17298/13, das mir der Kollege Rinklin aus Emmendingen schon geschickt hatte, hingewiesen hat, wie folgt abwandeln:

Wir befinden uns im Jahre 2015 n.Chr. Ganz Deutschland ist von der Firma Vitronic und Poliscan Speed besetzt… Ganz Deutschland? Nein! Ein von einem unbeugsamen Amtsrichter bevölkertes AG – das AG Emmendingen – hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die Firma Vitronic und Poliscan Speed, die als Besatzung in den befestigten Lagern anderer AG und OLG, auch dem OLG Karlsruhe, liegen…

Denn: Nachdem das AG Emmendingen schon im AG Emmendingen, Urt. v. 26.02.2014 – 5 OWi 530 Js 24840/12 – (vgl. dazu PoliscanSpeed – OLG unterliegen einem “Zirkelschluss”) mehr als deutliche Worte zu Poliscan Speed gefunden hatte, hat es jetzt im AG Emmendingen, Urt. v. 13.11.2014 – 5 OWi 530 Js 17298/13 noch einmal richtig nachgelegt, und das dann gleich auf mehr als 30 Seiten. Also ein „richtiger Hammer“. Und dabei hat sich das AG auch nicht von seinem „übergeordneten“ OLG Karlsruhe „belehren“ bzw. leiten lassen, das im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2014 – 2 (7) SsBs 454/14 – das AG Emmendingen, Urt. v. 25.02.2014 aufgehoben hatte. Das AG schlägt zurück bzw. lässt sich nicht beirren und hält an seiner Auffassung fest, dass dem Tatrichter in Verfahren, in denen eine Messung mit PoliscanSpeed zugrunde liegt, nur der Freispruch bleibt, solange die Geräteherstellerfirma „Vitronic“ und die PTB nicht alle Daten herausrücken.

Die Formulierungen in dem mehr als 30 Seiten langen Urteil sind schon bemerkenswert; dass ich hier nicht alles vorstellen kann, liegt bei der Länge auf der Hand, daher nur zwei Beispiele:

1. Das AG scheut sich nicht, mit der Rechtsfigur des „standardisierten Messverfahrens“ ins Gericht zu gehen und auch sie zu hinterfragen. Dazu heißt es u.a.

Die Interessen an der Aufrechterhaltung der „Rechtsfigur“ des „standardisierten Messverfahrens“ sind gleichwohl gesellschaftlich weit verbreitet und untereinander verbunden durch ein gewachsenes Geflecht privater Geschäftsleute und staatlicher Entscheidungsträger, vor allem auf exekutiv-kommunaler Ebene, womöglich aber zumindest teilweise auch auf judikativer Ebene (sog. „PoliScan-Allianz“). Die privaten wirtschaftlichen Interessen liegen dabei ebenso auf der Hand wie die finanziellen Überlegungen der Öffentlichen Hand und die Arbeitsbelastungen der Bußgeld- und Rechtsbeschwerderichter. Sie sind – isoliert betrachtet – allesamt legitim.

Ebenso legitim ist aber auch das Anliegen des Staatsbürgers, den Interessen der Allgemeinheit nicht bedingungslos untergeordnet zu werden. Konkret: Im Falle einer Geschwindigkeitsüberschreitung konsequent zur Rechenschaft gezogen zu werden – allerdings nur im Falle einer belastbaren Überführung. Immerhin geht es nicht nur um Geldbußen im Bagatellbereich, sondern z. B. auch um Fahrverbote, Nachschulungen bei „Führerscheinen auf Probe“ oder Fahrtenbuchauflagen (zu Letzterem vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse v. 16.09.2014 – 6 K 4512/13 sowie v. 22.09.2014 – 6 K 8838/13).“

2. Und dann auch noch einmal zum „standardisierten Verfahren“:

„Der Ausgangsfall (1993) betraf noch einen „geständigen“ Betroffenen, so dass sich die Skrupel gegenüber einer Verurteilung „mit wenigen Sätzen“ leichter überwinden ließen. Im zweiten Fall (1997) erklärte der BGH dann jedoch – wohl zur Verblüffung nicht nur des GBA und des jeweils vorlegenden OLG Köln – die Absegnung derartiger „Spar-Urteile“ habe sich auch auf „nicht geständige“ Betroffene bezogen. Es dürfte sich insoweit vorliegend um ein negatives Paradebeispiel schleichender rechtsstaatlicher Desensibilisierung auf höchstfach- bzw. obergerichtlicher Ebene handeln.

Jedenfalls übernahmen die meisten OLGe in der Folgezeit einigermaßen „bereitwillig“ die Sichtweise des BGH. Einschränkungen der Überprüfbarkeit der Funktionsweise der Geräte seien eben hinzunehmen. Das Messverfahren „PoliScan Speed“ sei ja ein „standardisiertes Verfahren“ iSd Rechtsprechung des BGH. „Argumente“ werden seither in aller Regel durch Zirkelschlüsse in Gestalt von Hinweisen auf den BGH und andere OLGe ersetzt.

Die Heraufbeschwörung der Funktionsuntüchtigkeit der Ordnungswidrigkeiten-rechtspflege durch den BGH überzeugt indes nicht. Insoweit gilt es vielmehr mit Prof. Dr. Ulrich Sommer zu bedenken: „Die Folgen des Umgangs mit angeblich rechtsstaatlich geprägten Oberbegriffen wie dem der Funktionsuntüchtigkeit hatte schon Limbach gesehen, die die Gefahr der Zuflucht zu Zweckmäßigkeits- und Plausibilitätserwägungen für offensichtlich hielt und vor einer Argumentation warnte, „die allzu leicht der Staatsräson Unterschlupf bietet“ (Limbach, Die Funktionsuntüchtigkeit der Strafrechtspflege im Rechtsstaat, Strafverteidigervereinigungen 1996, S. 42). Wer mit den unabwendbaren Bedürfnissen der Funktionsuntüchtigkeit einer Strafrechtspflege Bürgerrechte demontieren will, findet sich leicht in der eines Richters unwürdigen Rolle des Liktors wieder, der weit entfernt von dem Freiheitsbedürfnis seiner Bürger das blanke Beil der strafrechtlichen Gewalt nur noch halbherzig in Rutenbündeln verdeckt“ (Sommer, StraFo 2014, 441, 444).“

Ich bin gespannt, wie das OLG Karlsruhe, dem der amtsrichterliche Kollege in Emmendingen die Gefolgschaft verweigert reagiert. Sicherlich „not amused“. Und im zweifel nun auch mit einer Senatsentscheidung in Dreier-Besetzung, denn bei dem Beschluss vom 24.10.2014 hat es sich – so meine ich – um eine Einzelrichterentscheidung gehandelt. Aber, ob der Kollege aus Emmendingen dem folgen wird. Ich wage es zu bezweifeln. Wie hießt es doch bei Asterix: „Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.

7 Gedanken zu „„ein kleines gallisches Dorf…“, oder: AG Emmendingen versus PoliscanSpeed, die 2.

  1. meine5cent

    Ich kann da nur mit dem Kopf schütteln. Menschen fliegen in den Weltraum, sportliche Leistungen werden auf tausendstel Sekunden genau gemessen, CNC-Fräsen stellen Präzisionsgeräte her, GPS-gesteuerte Drohnen erreichen ihr Ziel, aber angeblich kann man die Geschwindigkeit eines fahrenden Autos nicht messen oder sich jedenfalls nicht von der Richtigkeit der Messung anhand eines Messfilms/Fotos nebst Zeugenaussagen zur Bedienung überzeugen, nur weil der Hersteller „nicht alle Daten herausrückt“ (mit denen der Amtsrichter mangels Physikstudiums vermutlich selbst wenn er sie hätte nichts anfangen könnte; einfacher ist es natürlich, von wirtschaftlichen Verflechtungen zu schwadronieren….) . Ob solche Richter überhaupt einen Wecker stellen, um morgens aufzuwachen? Ohne Betriebsanleitung und Schaltplan sowie Batteriemessprotokoll kann man ja nicht darauf vertrauen, am nächsten Morgen geweckt zu werden!

    Ich weiß ja nicht, ob diese Richter, falls sie jemals im Zivilrecht landen, sich überhaupt irgendwann z.B. von einem Baumangel überzeugen lassen, wenn ihnen nicht der Sachverständige die Messdaten seines Ultraschallgerätes, oder seiner Schallmesseinrichtungen oder bei Statikfragen die Algorithmen der verwendeten Software offenlegen und die Software sowie Betriebsanleitung nebst Messprotokollen vorlegen kann. Aber dann hat man es auch schön einfach und hat ein non liquet: Klage wird abgewiesen, Richter ist ja nicht überzeugbar. Ähnliches gilt für zivilrechtliche Verkehrsunfallsachen und unfallanalytische Gutachten.

  2. Miraculix

    Großartig!
    Endlich ein Richter der diese dümmliche Abzocke
    nicht so einfach mitmacht. Viele gibt es ja nicht.

  3. PSS Feind

    „Menschen fliegen in den Weltraum, sportliche Leistungen werden auf tausendstel Sekunden genau gemessen, CNC-Fräsen stellen Präzisionsgeräte her, GPS-gesteuerte Drohnen erreichen ihr Ziel,…“

    Aber auch Raumschiffe explodieren, Uhren gehen falsch, CNC -Fräsen nutzen ab und Drohnen verschwinden. Und bei denen kommt es i.d.R. auf mehr an als ein Bußgeld.

    Rechtsstaat bedeutet Transparenz.

  4. PSM

    Rückrat fängt im Hirn an!
    Warum wohl muss ein Hersteller nicht verpflichtend die Messdaten zur Messung dazu geben? Technisch doch ein Kinderspiel, denn wir „…fliegen ja auch in den Weltraum…“ , nicht? Wäre damit wohl das Prüfverfahren der PTB kontrollierbar? Will man bei (in der Vergangheit zahlreich) aufgedeckten Fehlern in den Messverfahren Regressansprüchen vorbeugen?
    Bananenstaaten haben wir genug, da ist sicher auch noch etwas Platz für „meine5cent“.
    Rechtsstaat bedeutet nicht nur Transparenz, sondern bedarf auch der unbeugsamen Gallier, bei denen das Rückrat im Hirn anfängt!

  5. Pingback: Das kleine gallische Dorf im Gebührenrecht: AG Meißen versus LG Dresden – zur Nachahmung empfohlen – Burhoff online Blog

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert