Die nach oben offene Hoeneß-Skala, oder: Wann stellen wir die Haftfrage?

entnommen wikimedia.org Urheber Harald Bischoff

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Die Stärke von Erdbeben wird auf der sog. Richterskala gemessen. Die ist nach oben offen. In Steuerstrafverfahren gibt es m.E. bzw. müsste es seit den Ereignissen/Entwicklungen der letzten beiden Tage im „Steuerstrafverfahren Hoeneß“ eine nach oben offene „Hoeneß-Skala“ geben. Oder wie anders will man das, was dort passiert ist, bezeichnen/sehen. Von 3,5 Mio € über 18,5 Mio € über 23,7 Mio € auf 27,2 Mio €! Mal abgesehen von dem Umstand, dass die entsprechenden Umstände/unterlagen ggf. schon länger vorgelegen/bekannt waren, aber jetzt erst kurzfristig bekannt gemacht worden sind. Da fragt man sich schon, was kommt da noch? Eine Verteidigungsstrategie kann ich da nicht mehr erkennen.

Aber vielleicht gibt es da auch nichts mehr zu verteidigen. Wenn die Verteidiger das erkannt haben, dann: Hut ab. Dann geht es vielleicht nicht mehr anders, als mit: Augen zu und durch. Und eins ist klar: Wenn ich denn Sinn und den Hintergrund des Agierens/Vorgehens verstehe, werde ich der erste sein, der öffentlich bekennt/sagt: Gut gemacht, wir sind alle blöd, dass wir den Coup nicht gesehen haben.

Aber über die Fragen will ich gar nicht weiter spekulieren. Ich habe ein ganz anderes Problem bzw. eine ganz andere Frage, wobei ich vorausschicke: Wer dieses Blog kennt und verfolgt, wird wissen, dass ich nun sicherlich nicht derjenige bin, der vorschnell an U-Haft denkt. Aber: Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist immer noch ein gegen eine Kaution von 5 Mio € ausgesetzter Haftbefehl in der Welt. Und ich frage mich: Warum diskutiert man in München eigentlich nicht inzwischen über den?

Für Kommentatoren: Mir ist die Rechtsprechung des BVerfG zu § 116 Abs. 4 StPO bekannt, dazu habe ich oft genug gebloggt. Aber es stellt sich dann doch die Frage, warum man nicht, wenn die Hinterziehungssumme um mehr als das Siebenfache gestiegen zu sein scheint, darüber diskutiert, dass Fristen immer wieder versäumt und Unterlagen verspätet vorgelegt worden sind, obwohl sie ggf. eher hätten vorgelegt werden können. Die Frage wird man stellen dürfen (oder sogar müssen?), ob es nämlich nicht allmählich Zeit wird, sich auch mal dem Haftbefehl bzw. der Haftfrage zu zu wenden. By the way: Bei jedem „Normalo“ bzw. bei jedem „Schütze Arsch“ würden wir längst darüber diskutiert haben. Ich bin – meine ich – sicherlich kein Scharfmacher, aber bitte: Warum hier nicht?

Und wenn nicht eine Invollzugsetzung, dann zumindest eine Erhöhung der Kaution, oder? Man muss ja nicht gleich die Todesstrafe fordern, wie es hier satirisch anklingt Die Einführung der Todesstrafe im Steuerstrafrecht. 🙂 🙂 . Ich denke, die Frage wird sich über kurz oder lang stellen (müssen). Man darf gespannt sein, wann. Ich jedenfalls bin es. Ggf. schon heute, wenn der wohl zur Hauptverhandlung geladene EDV-Experte bestätigt, dass die wohl erst Ende Februar überreichten Unterlagen schon vor einem Jahr gefertigt worden sind?

17 Gedanken zu „Die nach oben offene Hoeneß-Skala, oder: Wann stellen wir die Haftfrage?

  1. RA Herrmann

    Richtig, ein HB ist noch in der Welt.

    Aber welcher Haftgrund soll gegeben sein?

    Wiederholungsgefahr? Wohl kaum.

    Verdunkelungsgefahr? Sehe ich bei der Verteidigungslinie, sofern gegeben, auch nicht.

    Fluchtgefahr? Bei dem Wiedererkennungswert und der Presse für mich eher theoretischer Natur.

  2. Detlef Burhoff

    „Da bleibt nur Fluchtgefahr. von der muss auch die Kammer noch ausgehen, denn sonst dürfte der HB – auch gegen Kaution -nicht aufrecht erhalten bleiben.“
    „Wiedererkennungswert und der Presse für mich eher theoretischer Natur“ – nun das ein oder andere Land, das nicht ausliefert wird es geben. Aber ich räume ein. Die Fragen werden – aus welchem Grund auch immer – kaum diskutiert werden.

  3. RA Löwenstein

    Die U-Haftanstalten sind nicht voll mit Leuten, die Geld haben, sondern voll mit Leuten, die kein oder nicht genug Geld haben. Was sagt uns das über die angebliche Gleichheit vor dem Gesetz? Die Gelegenheit der Kautionsstellung ist nichts anderes als die Möglichkeit, die U-Haftverschonung zu erkaufen. Ein Privileg für Vermögende, verfassungsrechtlich fragwürdig.

  4. RA Rolf Franek

    Warum sollte man über eine Invollzugsetzung oder Änderung der Auflagen (Erhöhung der Kaution) nachdenken müssen? Fakt ist doch, dass sich Hoeneß jeden Morgen pünktlich bei Gericht einfindet, geständig ist und sich selbst im Verfahren nicht in die Richtung geäußert hat, er wolle freigesprochen werden oder erwarte eine Bewährungsstrafe. Die bisherigen Auflagen sind demzufolge wirksam, aber auch ausreichend. Jedem Praktiker sollte auch klar sein, dass mit höherer Schadenssumme die Strafe nicht linear ansteigt, außerdem dürfte es hier wegen der gleichgelagerten Taten und dem Zusammenhang zwischen ihnen einen engen Zusammenzug bei der Gesamtstrafenbildung geben.

  5. meine5cent

    Vielleicht wird ja in München diskutiert, aber nicht so, dass alle Medien gleich mal im Live-Ticker darüber berichten können?

  6. Detlef Burhoff

    Ach Herr Franek, schon aus Gründen der Optik, denn bei jedem „kleinen Krauter“ würde man es bei einer ähnlichen Sachlage tun. Im Übrigen: Auch mir ist bewusst, dass die „Strafe nicht linear“ ansteigt, aber die Straferwartung dürfte m.E. inzwischen sicherlich in einem Bereich liegen, der nicht mehr aussetzungsfähig ist und sicherlich in dem Bereich liegt, in dem sonst über Vollzug von HB nachgedacht wird.

  7. meine5cent

    Und manch einer ist sich für keinen Schwachsinn zu schade (Quelle: LiveTicker der Welt):
    „Spitzenpolitiker von Grünen und FDP fordern eine Zeugenaussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Steuerprozess. Wenn Merkel Hoeneß über das Scheitern des Steuerabkommens mit der Schweiz vorab informiert habe, „wirft das viele Fragen auf“, sagt Grünen-Chefin Simone Peter. Dazu müsse Merkel öffentlich Stellung beziehen. Damit „könnte sie auch eine wichtige Zeugin“ im Prozess gegen Hoeneß sein, sagt Peter“

  8. Hinweisgeber

    Die 23,7 Mio € bzw 27,2 Mio € sind die Zahlen der Finanzbeamtin, oder? Also 10 Jahre Festsetzungsfrist? Oder sind dass tatsächlich die Zahlen der 5j. Verfolgungsfrist?

  9. Detlef Burhoff

    da haben Sie Recht, allerdings:
    „bei jedem “kleinen Krauter” würde man es bei einer ähnlichen Sachlage tun“, das meint natürlich mit einer an ihn angepassten Hinterziehungssumme :-).

  10. RA_Wolter

    Ein gutes Argument, den Haftbefehl nicht wieder in Vollzug zu setzen ist m.E. der Umstand, dass Herr Hoeneß immer noch „da“ ist. Hätte die Verschlechterung seiner Aussichten hinsichtlich Strafmaß und Bewährung durch die neuen Unterlagen für ihn ein Fluchtmotiv gebildet, dann wäre er vermutlich schon geflohen, nachdem ihm die Unterlagen vorlagen und bevor er diese den übrigen Beteiligten zuleitete.

  11. n.n.

    dass prominenz und vermögen nicht zwangsläufig gegen fluchtgefahr sprechen müssen, zeigt recht deutlich der fall des vormaligen staatssekretärs holger pfahls.

  12. Anonymous

    Ich meine gelesen zu haben, dass der Haftbefehl aufgehoben wurde und H. die Kaution zurückerhalten habe. Somit wäre ihr Punkt, dass noch von Fluchtgefahr ausgegangen wird, hinfällig.

  13. Anonymous42

    Ich meine gelesen zu haben, dass der Haftbefehl aufgehoben wurde und H. die Kaution zurückerhalten habe. Somit wäre ihr Punkt, dass noch von Fluchtgefahr ausgegangen wird, hinfällig.

  14. Marko Gregor

    Die Fluchtgefahr sehe ich auch nicht. Herr Hoeneß wird von der jetzt im Raum stehenden Summe schon gewusst haben, bevor die Unterlagen Gericht und StA vorgelegt wurden. Ich gehe auch davon aus, dass ihn seine Verteidiger über die drohenden Konsequenzen belehrt haben. Wenn gewollt, hätte er sich also schon absetzen können, bevor die Unterlagen vorgelegt wurden. das spricht m.E. gegen Fluchtgefahr.

    Ansonsten sehe ich es wie Herr Strüwe. Der Richter soll zwar dafür bekannt sein, dass er nicht dealt. Aber hier könnte die Verständigung ja auch dahin gegangen sein, dass man sich über die U-Haft unterhalten hat – nicht über das Urteil.

    Eine Strategie ist für uns Außenstehende schwer zu erkennen. Vielleicht ist das Ziel, durch das Aufwerfen der neuen Zahlen verbunden mit der eigentlich vorzunehmenden, dann aber lang andauernden Prüfung, ob die Zahlen stimmen geeignet, das Gericht gewogen zu stimmen, wenn der Betrag eingeräumt / „unstreitig gestellt“ wird. Aber auch das ist nur eine Vermutung.

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