Wenn einer eine Reise tut, oder: Freiheitsberaubung durch Zugverspätung?

© JiSIGN - Fotolia.com

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Am vergangenen Freitag (11.10.2013) war ich zu einer Autorenbesprechung und zum Besuch der Buchmesse in FFM. Natürlich mit der Bahn, denn die Fahrt mit dem Auto an einem Freitag nach FFM und zurück? Das wollte ich mir ersparen. Also DB.

Nun, in Münster ging es noch ganz entspannt um 7.27 Uhr los. Umsteigen in Essen HBF in den ICE, der auch pünktlich in FFM HBF angekommen ist. Allerdings DB-Pünktlichkeitsbegriff. Und danach ist ja alles noch pünktlich, was nicht mehr als 5 Minuten verspätet ist.

Aber nachmittags dann die Rückfahrt: Freitag und Buchmesse, das kann die DB nicht. Schon das Warten auf den ICE war „unterhaltsam“. Es fuhr nämlich vom gleichen Bahnsteig zuvor ein ICE nach München, den die Bahn erst mal teilentleeren musste, weil er überfüllt war. Wer ausstieg, dem winkte ein Reisegutschein in Höhe von 25 €. Ein paar Reisende haben das Angebot angenommen – wahrscheinlich die, die stehen mussten – und der ICE machte den Bahnsteig frei.

Er hätte aber ruhig noch ein wenig stehen bleiben können, denn mein Zug hatte (natürlich) Verspätung. Allerdings noch passte alles für den Anschluss in Köln nach Meerbusch zu einem privaten Termin. Aber da ist die Bahn dann ja sportlich. Wenn schon Verspätung, dann aber richtig. Also: Lassen wir den so oder so schon verspäteten ICE in Limburg stehen, damit er von einem anderen (pünktlichen [?], gibt es das?) ICE überholt werden kann L. Noch egal, da noch alles passt, weil der Anschluss in Köln inzwischen auch Verspätung hat.

Aber das wäre doch gelacht. Das schaffen wir = die DB schon, dass der Zug in Köln dann auch weg ist. Und wirklich: Es klappt. Wir lassen den ICE einfach nochmal 10 Minuten vor dem HBF Köln warten. Dann passt es.

Ergebnis: Anschluss weg, potentieller Anschluss in Düsseldorf auch weg. Da fährt man dann lieber gleich durch nach Münster. Also umsteigen in Köln, in einen natürlich verspäteten IC, der aus 10 Minuten Verspätung bis Münster locker 30 Minuten macht. Willkommen bei der Deutschen Bahn im 21. Jahrhundert.

Warum erzähle ich das alles? Hintergrund sind meine Gedanken während der Fahrt, ob nicht  Zugsverspätungen strafrechtlich relevante Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) sein können? Ich hatte da – leider – so meine Zweifel.

Und die wurden dann kurz drauf bei der Auswertung des NZV-Heftes 9/13 bestätigt. Da bin ich auf einen Aufsatz von Prof. Dr. Wolfgang Mitsch gestoßen, der sich mit der Problematik befasst. Er ist zwar der Auffassung, dass § 239 StGB verwirklicht ist, wenn der Reisende durch das Türenschließen bei der Abfahrt und die anschließende Zugfahrt am Verlassen des Zuges gehindert wird. Im Normalfall werde die Strafbarkeit durch das tatbestandsausschließende Einverständnis des Reisenden ABER ausgeschlossen. Wolle der Reisende aufgrund einer Verspätung des Zuges oder anderen Störungen jedoch daran gehindert, sofort den Zug verlassen, sei das Einverständnis nicht mehr gegeben und der Tatbestand eigentlich gegeben.

Mitsch lehnt aber eine Strafbarkeit trotzdem ab. Die Beschränkungen der Fortbewegungsfreiheit habe der Fahrgast nämlich durch die Annahme des Angebotes auf Abschluss des Beförderungsvertrages und der Beförderungsbedingungen akzeptiert. Ein Recht zur Kündigung des zivilrechtlichen Vertrages stehe ihm aufgrund der Beförderungsbedingungen nicht zu, da diese die Wahlmöglichkeiten im Falle einer Verspätung ausdrücklich festlegen. Zu berücksichtigen sei dabei auch, dass die anderen Mitreisenden durch eine Kündigung des Vertrages, der in Form des Wunsches nach einem sofortigen Ausstieg zum Ausdruck kommen kann, betroffen wären. Schade J.

Und: Versucht der Reisende durch Betätigen der Notbremse den Halt des Zuges zu erzwingen, macht er sich gem. § 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB des Notzeichenmissbrauchs strafbar.

Also: Still weiter leiden.

7 Gedanken zu „Wenn einer eine Reise tut, oder: Freiheitsberaubung durch Zugverspätung?

  1. roflcopter

    Herrlicher Beitrag!

    Herrn Prof. Mitsch durfte ich als Student im Strafrecht erleben. Die Übungsfälle waren grandios.

    Familienvater V fährt mit seinen beiden Töchtern und seiner Frau auf einer einsamen Landstraße. Plötzlich sieht er, wie sich ein Flugzeug nähert, welches erkennbar auf der Landstraße notlanden muss. Das Auto würde unweigerlich getroffen werden. Zufällig ist Familienvater V jedoch an der Entwicklung eines Hijackdevice beteiligt und hat einen Prototypen dabei. Mit diesem lenkt er das Flugzeug in einen nahegelegenden Wald, wo es zerschellt. Alle 35 Insassen sterben. Strafbarkeit des V

  2. Roland Hoheisel-Gruler

    Nicht nur, dass ich diesen Beitrag gerade im Zug lese 🙂 Mein Sohn trällert derzeit immer ein Lied, in dem es heißt: zu abgefahrenen Preisen auf abgefahrenen Gleisen – thank you for travelling with Deutsche Bahn 🙂

  3. n.n.

    interessant, wie herr mitsch offenbar davon ausgeht, dass man mittels zivilrechtlicher verträge über seine grundrechte verfügen kann. und noch interessanter, dass dies offenbar auch über das kleingedruckte (vulgo AGB) funktioniert.

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