Archiv für den Monat: Oktober 2012

Die menschenwürdige Unterbringung – Ja, aber. Aber irgendwie nicht schön

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Wenn es um die Entschädigung eines (U-Haft)Gefangenen für nicht menschenwürdige Unterbringung geht, bleibt für mich häufig beim Lesen der Entscheidungen ein schaler Beigeschmack. So auch beim LG Heidelberg, Urt. v. 24.09.2012 – 1 O 96/11. Darüber könnte man eben auch schreiben – mit der einen Hand gegeben, mit der anderen Hand genommen. Anerkannt wird ein Verstoß gegen die Menschenwürde bzw. eine (teilweise) menschenunwürdige Unterbringung, aber: Es gibt keine Entschädigung weil der Kläger sich nicht nicht ausreichend gewehrt hat. Dazu:

„Ausschlaggebend für die Ablehnung der Geldentschädigung ist nach Ansicht der Kammer jedoch schließlich, dass sich der Kläger während seiner Gemeinschaftsunterbringung nicht gegen diese gewehrt hat. Die dargestellten menschenunwürdigen Haftbedingungen in einer Gemeinschaftszelle werden von nicht wenigen Gefangenen hingenommen, da sie sie der Isolation von der Außenwelt und der fehlenden Möglichkeit der Kommunikation in einer Einzelzelle vorziehen. Zudem werden die Haftbedingungen je nach Herkunft und Persönlichkeit der Betroffenen unterschiedlich empfunden. Als objektives Anzeichen dafür, dass der Kläger bei dem gegebenen Gemisch aus unterschiedlichsten persönlichen Motiven, objektiv und subjektiv empfundenen Vorteilen und Nachteilen der konkreten Situation diese als nicht mehr hinnehmbar empfand, bedarf es nach Auffassung der Kammer einer entsprechenden Äußerung des Klägers gegenüber dem Personal der Justizvollzugsanstalt (so auch OLG Karlsruhe, a.a.O., Rz. 25). Insofern ist nicht auf den Antrag auf Einzelunterbringung bei Aufnahme des Klägers in die JVA abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger noch nicht gemeinschaftlich untergebracht, er kannte also die konkrete Art und Weise der Gemeinschaftsunterbringung und die damit verbundenen Beeinträchtigungen noch nicht. Entscheidend für die Beurteilung der subjektiv als erheblich empfundenen Beeinträchtigungen der Menschenwürde können daher nur Äußerungen nach erfolgter Gemeinschaftsunterbringung sein. Zwar hat der Kläger behauptet, sich wiederholt beim zuständigen Wachpersonal mündlich über die Haftbedingungen beschwert zu haben. Diese vom beklagten Land bestrittene Behauptung hat er jedoch nicht unter Beweis gestellt, die Benennung des „Zeugnis des Mituntergebrachten aus dem streitbefangenen Haftraum“ ist mangels ladungsfähiger Anschrift kein tauglicher Beweisantritt. Zudem geht die Kammer nach Verwertung der Gefangenenpersonalakte des Klägers davon aus, dass dieser für den Fall, dass er sich subjektiv erheblich beeinträchtigt gefühlt hätte, schriftliche Anträge bei der Anstaltsleitung eingereicht hätte. Der Kläger stellt sich ausweislich seiner Gefangenenpersonalakte als aktiver Gefangener dar, der keine Scheu hatte, seine Bedürfnisse gegenüber der Anstaltsleitung zu kommunizieren und von seinen Rechten Gebrauch zu machen.“

Einziehung: Der Verurteilte muss entscheiden…

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Es mehren sich die Entscheidungen, in denen von den Tatgerichten in „Missbrauchsverfahren“ oder anderen Verfahren mit sexuellem Hintergrund bei den Taten verwendete Computer eingezogen werden. Demgemäß mehren sich auch die BGH-Entscheidungen, die sich mit den damit zusammen hängenden Fragen befassen müssen. Dazu gehört auch der BGH, Beschl. v. 28.08.2012 – 4 StR 287/12. Vom LG war die Einziehung eines PC angeordnet worden. Die hatte beim BGH keinen Bestand.

a) Das Landgericht hat zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass der Computer gemäß § 74 Abs. 1 Fall 2 StGB grundsätzlich als Einziehungsgegenstand in Betracht kommt, da der Angeklagte auf diesem Computer während der Begehung einiger der abgeurteilten Taten zu seiner Stimulierung kinderpornographisches Material vorführte. Hingegen hält die Wertung des Landgerichts, weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne von § 74b Abs. 2 StGB kämen nicht in Betracht, da angesichts des Alters des Gerätes die für die endgültige Löschung der vorhandenen Bilddateien entstehenden Kosten dessen Wert bei weitem übersteigen würden, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

b) Gemäß § 74b Abs. 2 StGB hat das Gericht anzuordnen, dass die Einziehung lediglich vorbehalten bleibt und eine weniger einschneidende Maßnahme zu treffen ist, wenn der Zweck der Einziehung auch durch sie erreicht werden kann. Als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat die Vorschrift – anders als die Absätze 1 und 3 dieser Norm – zwingenden Charakter (BGH, Beschluss vom 28. November 2008 – 2 StR 501/08, BGHSt 53, 69, 71). Auf die vom Landgericht herangezogene Erwägung, eine endgültige Löschung sei unverhältnismäßig, weil sie mit Kosten verbunden wäre, die den Wert des Computers bei weitem übersteigen würden, kann die Einziehung des gesamten Gerätes daher nicht gestützt werden. Steht mit der Löschung der betreffenden Dateien ein milderes geeignetes Mittel als die vorbehaltlose Einziehung zur Verfügung, so hat der Tatrichter die Einziehung vorzubehalten und eine entsprechende Anordnung zu treffen; es ist dann Sache des Verurteilten zu entscheiden, ob er die Anordnung befolgt und damit die Einziehung abwendet oder nicht (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 74b Rn. 5). Ein Ermessen ist ihm nicht eröffnet (BGH aaO).

Die unberechenbare Strafzumessung – jedenfalls beim 1. Strafsenat des BGH

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Der 1. Strafsenat des BGH hatte in seinem Urteil v. 02.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, Strafzumessungsregeln-/grenzen für Steuerhinterziehung augestellt. Auf die hat sich jetzt ein Angeklagter in der Revision berufen und die Ansicht vertreten, dass eine gegen ihn wegen der Hinterziehung von Einfuhrabgaben verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten schon deshalb rechtlich fehlerhaft sei, weil der Hinter-ziehungsbetrag die Millionengrenze nicht überschritten habe.

Das hat der 1. Strafsenat aber im BGH, Beschl. v.26.09.2012 –  1 StR 423/12 aber anders gesehen und eine Bindung/Selbstbindung/Berechenbarkeit oder was immer verneint:

Dies trifft indes nicht zu. Die Zumessung der schuldangemessenen Strafe richtet sich nach den Grundsätzen des § 46 StGB. Je nach den Umständen des Einzelfalls kommt daher auch bei geringeren Hinterziehungsbeträgen eine Freiheitsstrafe von über zwei Jahren in Betracht.
Die Strafzumessung ist insgesamt rechtsfehlerfrei.

Zack. Das war es.

1 Jahr Freiheitsstrafe versus 16 Monate anzurechnender U-Haft = unverhältnismäßig

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Wir haben länger nicht mehr zu U-Haft-Fragen berichtet. Daher bin ich dem Kollegen, der mir den OLG Naumburg, Beschl. v. 11.10.2012 – 2 Ws 198/12 übersandt hat, besonders dankbar, da man über den m.E. berichten kann.

Folgender Sachverhalt: Der Angeklagte wird zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. In dem Verfahren hat er bereits 10 Monate U-Haft verbüßt. Zuvor hatte er in einem anderen Verfahren, in dem er frei gesprochen worden ist mehr als sechs Monate U-Haft verbüßt. Das Verfahren wäre gesamtstrafenfähig gewesen.

Das OLG rechnet die mehr als sechs Monate auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bei der Prüfung der Frage der Verhältnismäßigkeit der weiteren U-Haft an und kommt zur Aufhebung der Haftbefehls:

„Mit Blick auf die Bedeutung des Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG ist über den eigentlichen Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 StGB hinaus sogenannte verfahrensfremde Untersuchungshaft jedenfalls dann auf eine Freiheitsstrafe anzurechnen, wenn zumindest eine potentielle Gesamtstrafenfähigkeit der Strafe, auf die die Untersuchungshaft angerechnet werden soll, besteht (BVerfG NStZ 2001, 501 m. w. N.; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 51, Rn. 6a). Dies gilt auch für die hier gegebene fiktive Gesamtstrafenlage, bei der der Angeklagte die verfahrensfremde Untersuchungshaft im Hinblick auf Tatvorwürfe erlitten hat, von denen er freigesprochen wurde. Die Taten, wegen derer er sich vom 9. Juni 2008 bis zum 11. Dezember 2008 und vom 29. Juli 2009 bis zum 11. September 2009 in Untersuchungshaft befand und die dem Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 12. September 2012 zu Grunde liegende Tat lagen zwischen der letzten Verurteilung des Angeklagten vom 23. Januar 2007 und dem Urteil des Landgerichts Halle (Saale) vom 24. Mai 2012. Wäre der Angeklagte für jene Taten verurteilt worden, wäre aus den dann verhängten Strafen und derjenigen, die vom Amtsgericht Magdeburg ausgesprochen und vom Landgericht Magdeburg mit Urteil vom 12. September 2012 bestätigt wurde, eine Gesamtstrafe zu bilden gewesen (§§ 55 Abs. 1 StGB, 460 StPO). Die im Fall der rechtskräftigen Verurteilung von der Staatsanwaltschaft im Vollstreckungsverfahren vorzunehmenden Anrechnung muss sich daher auch auf die in den Jahren 2008 und 2009 erlittene Untersuchungshaft erstrecken.“

Da damit „überbüßt“ war/ist, ging an der Entscheidung kein Weg vorbei. Offen bleiben damit die Fragen nach der Fluchtgefahr – 1 Jahr Freiheitsstrafe – und, ob nicht auch so bereits die weitere U-Haft unverhältnismäßig ist/war.

Der gescheiterte Übermittlungsversuch – keine Wiedereinsetzung

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Im Straf- und Bußgeldverfahren spielt die Frage des anwaltlichen Verschuldens bei einer Fristversäumung nicht so eine ganz große Rolle, da dem Beschuldigten/Betroffenen ein Verschulden seines Verteidigers ja i.d.R. nicht zugerechnet wird. Aber eben nur „i.d.R.“, denn im Klageerzwingungsverfahren (§ 172 StPO) oder bei der Einlegung der Verfassungsbeschwerde oder einer Anhörungsrüge gilt etwas anderes. Da wird anwaltliches Verschulden zugerechnet. Deshalb sollte man immer auch einen Blick auf die Rechtsprechung der Zivilsenate des BGH zur Wiedereinsetzung haben. Denn die setzen sich häufig mit der Frage auseinander, wann ein Verschulden des Rechtsanwaltes vorliegt. So auch der BGH, Beschl. v. 5. 9. 2012, VII ZB 25/12.

In der Sache ging es um einen gescheiterten Übermittlungsversuch. Der BGH erwartet von einem Prozessbevollmächtigten, dem es trotz zahlreicher Anwählversuche nicht gelingt, einen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung am letzten Tag dieser Frist per Telefax an eine vom Berufungsgericht genannte Telefaxnummer zu übermitteln, dass er über den Internetauftritt des Berufungsgerichts eine etwa vorhandene weitere Telefaxnummer des Berufungsgerichts ermittelt und den Verlängerungsantrag an diese Telefaxnummer übermittelt.

Also: Ein (wenig) Internetrecherche muss schon sein.