Genauer Hinsehen/Prüfen – so das BVerfG zur Prüfungspflicht beim „behaupteten Deal“…

Ds BVerfG meldet sich gerade mit seiner PM Nr. 19/2012 zum BVerfG, Beschl. v. 05.03.2012 – 2 BvR 1464/11, mit dem eine Entscheidung des OLG Dresden betreffend die Prüfung des Zustandeskommens eines „Deals“ im Strafverfahren durch das Rechtsmittelgericht aufgehoben worden ist.

Hier dann zunächst mal nur der Text der PM – die Entscheidung muss man sich dann mal in Ruhe durchlesen:

„Der Beschwerdeführer wurde auf der Grundlage seines Geständnisses vom Amtsgericht wegen diverser Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Nach der Urteilsverkündung und der Aufhebung des Haftbefehls verzichteten die Staatsanwaltschaft und der Beschwerdeführer auf Rechtsmittel. Der Beschwerdeführer legte später Berufung gegen das Urteil ein und machte die Unwirksamkeit seines Rechtsmittelverzichts geltend, weil die Verurteilung auf einer Absprache zwischen den Verfahrensbeteiligten beruhe. Weder Hauptverhandlungsprotokoll noch Urteil enthalten einen Hinweis auf das Zustandekommen einer Absprache oder die Angabe, dass eine Verständigung nicht erfolgt sei. Im Protokoll ist lediglich vermerkt, dass die Hauptverhandlung vor der Einlassung des Beschwerdeführers für ein „Rechtsgespräch“ unterbrochen wurde, dessen Inhalt und Verlauf von den Verfahrensbeteiligten jedoch unterschiedlich geschildert wird. Während nach der schriftlichen Erklärung der Verteidigerin des Beschwerdeführers im Ergebnis eine Verständigung auf ein Strafmaß von zwei Jahren und zehn Monaten bei gleichzeitiger Aufhebung des Haftbefehls getroffen worden sei, erklärte die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in der von ihr eingeholten dienstlichen Stellungnahme, es habe kein regelrechtes Gespräch über ein bestimmtes Strafmaß gegeben; ihr sei es vor allem um die Fortsetzung der Untersuchungshaft gegangen, während der Beschwerdeführer in erster Linie eine Aufhebung des Haftbefehls habe erreichen wollen. Dem Vorsitzenden des Schöffengerichts war nach seiner dienstlichen Erklärung der Vorgang nicht mehr genau erinnerlich.

Das Landgericht verwarf die Berufung des Beschwerdeführers als unzulässig, weil es das Zustandekommen einer Absprache für nicht erwiesen und deshalb den Rechtsmittelverzicht für wirksam hielt. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Die Annahme der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts sei nicht zu beanstanden. Da das Verhandlungsprotokoll die von § 273 Abs. 1a StPO geforderten Angaben nicht enthalte, sei seine Beweiskraft entfallen. Im Freibeweisverfahren habe der Beschwerdeführer aufgrund der sich widersprechenden Erklärungen der Verteidigerin und der Vertreterin der Staatsanwaltschaft den Nachweis einer Verständigung nicht zur Überzeugung des Senats führen können.

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts aufgehoben, weil er den Beschwerdeführer in seinem Prozessgrundrecht auf ein faires Strafverfahren (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt, und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts weicht in einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Weise von den Anforderungen an die richterliche Sachaufklärung ab. Einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte es schon im Hinblick auf die augenfällige Ungereimtheit in der dienstlichen Erklärung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft bedurft, die einerseits primär das Ziel einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft verfolgt haben will, andererseits aber in der Hauptverhandlung selbst die Aufhebung des Haftbefehls beantragte. Ferner hätte das Oberlandesgericht Stellungnahmen der Schöffen und der Urkundsbeamtin einholen müssen, da nach der widerspruchsfreien Erklärung der Verteidigerin die Gespräche im Sitzungssaal fortgesetzt worden sein sollen.

Darüber hinaus hätten verbleibende Zweifel nicht zulasten des Beschwerdeführers gewertet werden dürfen. Zwar ist es grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach der auch im Freibeweisverfahren gebotenen Sachaufklärung nicht zu beseitigende Zweifel am Vorliegen von Verfahrenstatsachen grundsätzlich zulasten des Angeklagten gehen. Dies gilt jedoch dann nicht mehr, wenn die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts auf einem Verstoß gegen eine gesetzlich angeordnete Dokumentationspflicht beruht.“

Liest sich aber hier schon „unschön“:

„…auf die augenfällige Ungereimtheit in der dienstlichen Erklärung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft…“

5 Gedanken zu „Genauer Hinsehen/Prüfen – so das BVerfG zur Prüfungspflicht beim „behaupteten Deal“…

  1. Matthias

    „Zwar ist es grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass (…) nicht zu beseitigende Zweifel am Vorliegen von Verfahrenstatsachen grundsätzlich zulasten des Angeklagten gehen.“
    Sag ich doch, Rechtsstaat wird meistens überbewertet.
    87% der Bevölkerung haben mit der Inhaftierung Unschuldiger kein Problem.

  2. n.n.

    manche richter scheinen aber auch ein richtig schlechtes gedächtnis zu haben:

    „Dem Vorsitzenden des Schöffengerichts war nach seiner dienstlichen Erklärung der Vorgang nicht mehr genau erinnerlich.“

  3. meine5cent

    Ich weiß nicht so genau, was sich das BVerfG bei den Ausführungen zur Ungereimtheit in der Erklärung der Staatsanwältin so gedacht hat:
    – wenn die StAin für den Fall „keine Rechtskraft“ den Haftbefehl aufrecht erhalten haben wollte,
    – andererseits aber (wohl in der Annahme, dass das Urteil sofort rechtskräftig wird, denn die Verteidigerin hat schließlich im Sitzungssaal (???) vor der Fortsetzung mit dem Mandanten besprochen, dass die Sache rechtskräftig werden soll, Rdnr. 7, drittletzter Satz) Aufhebung des HB beantragt hat,
    ist das keineswegs ungereimt. Denn mit Rechtskraft geht die UHaft ohne weiteres in Strafhaft über. Der HB wird damit automatisch gegenstandslos. Aber ggf. kann man ihn deklaratorisch aufheben, damit nicht so etwas wie in BVerfG NJW 2005,3131 passiert…

  4. OG

    @meine5cent:

    Denn mit Rechtskraft geht die UHaft ohne weiteres in Strafhaft über. Der HB wird damit automatisch gegenstandslos.

    Dazu eine Frage (nicht rhetorisch gemeint): Setzt das Übergehen der einen Haft in die andere nicht ein Überlappen voraus? Im hiesigen Fall war (von den Beteiligten vorausgesehen) der zeitliche Ablauf folgender:

    * Haftbefehl wurde aufgehoben (Angeklagter war „ein freier Mann“)
    * Rechtsmittelverzicht wurde erklärt, Urteil wurde rechtskräftig

    Im hiesigen Fall war außerdem die vorübergehende Freiheit des Angeklagten offenbar auch „Geschäftsgrundlage“ aller Gespräche:

    „Nachdem sie die Angelegenheit mit dem Beschwerdeführer in dem Sinne erörtert gehabt habe, dass dieser sich zur Sache einlasse, wenn der Haftbefehl aufgehoben werde, sei sie zu dem Vorsitzenden gegangen und habe mitgeteilt, mit der besprochenen Vorgehensweise bestehe Einverständnis.“

    „Hierüber habe sie mit dem Beschwerdeführer gesprochen, der sich für die Rechtskraft entschieden habe, weil der Haftbefehl aufgehoben werden sollte.“

    In der Tat ist allerdings das Vorverständnis der Staatsanwältin bemerkenswert:

    „Auf die Ankündigung des Gerichts, gegebenenfalls den Haftbefehl aufzuheben, habe sie eingewandt, wegen der hohen Fluchtgefahr sei mit einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft zu rechnen. Für den Fall der Rechtskraft sei dies natürlich anders.“

    Wenn sie nicht den von Ihnen angesprochenen Mechanismus im Sinn gehabt haben sollte, dann fragt sich, warum die Fluchtgefahr erst so hoch ist und dann -. ausgerechnet wenn jede Hoffnung auf ein günstigeres Prozeßergebnis dahin ist – „natürlich“ keine Rolle mehr spielt.

  5. n.n.

    @meine5cent

    wenn die staatsanwältin im plädoyer tatsächlich – wie sie vermuten – von sofortiger rechtskraft durch rechtsmittelverzicht ausging und nur deshalb nicht auf haftfortdauer bestand, dann spricht das doch gerade dafür, dass es einen deal über den rechtsmittelverzicht gab, oder?

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