Die „kriminalistische Erfahrung“ und die Erstattungsfähigkeit der Kopierkosten von TÜ-Protokollen

In Strafverfahren gibt es immer wieder Streit in der Frage, welche Auslagen dem Pflichtverteidiger zu erstatten sind. Ansatzpunkt ist § 46 RVG und die Frage der „Notwendigkeit“. Das gilt vor allem, wenn es um den zweiten Aktenauszug für den Angeklagten geht. Da ist die (obergerichtliche) Rechtsprechung noch ziemlich restriktiv und verlangt vom Verteidiger, dass er aus der Akte das „herausschält“ und dem Mandanten vermittelt, was für diesen von Bedeutung ist. Das ist nicht immer einfach. Man denke da z.B. nur an komplizierte und komplexe Zeugenaussagen. In der Frage hat jetzt das LG Bad Kreunach einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. In seinem Beschluss vom 27.07.2010 -43 Js 5548/08 KLs hat für den Pflichtverteidiger in einem umfangreichen BtM-Verfahren zumindest die Kosten für das Kopieren der Telefonüberwachungsprotokolle festgesetzt = für erstattungsfähig gehalten. Begründung: “

„Die kriminalistische Erfahrung lehrt, dass insbesondere Täter, die sich in größerem Umfang an Betäubungsmittelgeschäften beteiligen, in aller Regel mit Telefonüberwachungsmaßnahmen rechnen und ihr Verhalten bei Telefonaten hierauf einstellen. Dies führt dazu, dass die Beschuldigten in Telefonaten so gut wie nie offen über Betäubungsmittelgeschäfte sprechen, sondern für die Mitteilung relevanter Informationen (etwa hinsichtlich Art und Menge der Drogen, anderer Beteiligter und relevanter Treffpunkte oder Tatmittel) individuelle Codes entwickeln, die nur den Gesprächspartnern bzw. der jeweiligen Tätergruppe bekannt sind. Diese besonderen Umstände machen es dem Verteidiger ungewöhnlich schwer, der Aufgabe des anwaltlichen Bestands, die in einem komplexen Verfahren auch im Wesentlichen darin besteht, mit dem beruflichen Sachverstand aus einer Fülle von Stoff das Wesentliche herauszuarbeiten und die entscheidenden Punkte dann mit dem Mandanten zu erörtern, sachgerecht nachzukommen. Der Verteidiger verfügt in der Regel nicht über die notwendigen tatsächlichen Hintergrundinformationen, um die volle Bedeutung solcher Telefonate zu erfassen und umfassend beurteilen zu können. Da es gerade auf einzelne Worte bzw. Verklausulierungen entscheidend ankommen kann, ist eine Zusammenfassung derart, dass der volle Inhalt erhalten bleibt, oft nicht möglich.“

Wer solche Protokolle einmal gelesen hat und damit zu tun hatte, weiß, wie Recht das LG hat. Und sicherlich auch ein Gebot der Fairness.

3 Gedanken zu „Die „kriminalistische Erfahrung“ und die Erstattungsfähigkeit der Kopierkosten von TÜ-Protokollen

  1. RA Jörg Jendricke

    Wobei man ja als Pflichtverteidiger dem Rechtspfleger ein Schnippchen schlagen kann, wenn man einen Antrag nach § 46 II 3 RVG (praxiserprobtes Muster bei Burhoff, EV, Rn. 67 b) stellt. Die richterliche Entscheidung bindet den Rechtspfleger.

  2. Gerd

    Und der Richter wird die Kopien schon deshalb nach § 46 Abs. 2 RVG genehmigen, weil er sich keinen weiteren Ärger einhandeln will (Anträge, Beschwerden, Befangenheitsgesuche, unzulässige Beschränkung der Verteidigung).

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