Fehlende Frontlinie führt nicht zum Freispruch – sondern nur zum SV-Gutachten

Wir hatten neulich über eine Entscheidung des AG Lübben berichtet, das eine Geschwindigkeitsmessung mit eso ES 3.0 als unverwertbar angesehen hatte, weil die sog. „Fotolinie“ fehlte (vgl. hier).

Inzwischen hat die Problematik das OLG Brandenburg beschäftigt. Dieses hat in seinem Beschl. v. 03.06.2010 – 2 Ss (OWi) 110 B/10 – eine gleich lautende Entscheidung des AG Lübben zu der Problematik aufgehoben und ausgeführt, dass das Tatgericht bei Zweifeln an der Richtigkeit eines Geschwindigkeitsmessergebnisses für Sachaufklärung sorgen und nicht unmittelbar freisprechen darf. Der Freispruch druch das AG wegen Fehlens der sog. Fotolinie beim Aufbau einer Messstation sei aufzuheben, wenn das Tatgericht die Unverwertbarkeit des Messergebnisses an diesem konkreten Umstand festmacht und diese Erkenntnisse aus einer selbständigen Analyse des Aufbaus der Messstation gewonnen haben will. Zwar könen sich das Gericht grundsätzlich auf seine eigene Sachkunde zur Klärung von Beweisfragen beziehen, es müsse das Ergebnis seiner Erwägungen aber immer auf Grundlage einer für die Sachverhaltsaufklärung und Überzeugungsbildung tragfähigen Begründung bilden. Drängt sich lediglich der Verdacht einer Fehldokumentation auf, müsse das Gericht dies zum Anlass nehmen, eine weitere Sachaufklärung hinsichtlich der Relevanz der mutmaßlichen Fehlerquelle und seiner Auswirkung auf das Messergebnis mittels eines Sachverständigengutachtens in die Wege zu leiten.

Fazit: In den Fällen soll also wohl die Einholung ein SV-Gutachtens erforderlich sein. Ggf. muss der Verteidiger das beantragen und wegen der m.E. nicht beachteten Vorgaben der Bedienungsanleitung immer auch die Frage des Toleranzwertes problematisieren.

5 Gedanken zu „Fehlende Frontlinie führt nicht zum Freispruch – sondern nur zum SV-Gutachten

  1. H. W.

    Also das Fazit scheint mir nicht schlüssig. Die Fotolinie hat doch zwei Funktionen:
    a) Plausibilitätsprüfung der Geschwindigkeit
    b) Zuordnungserleichterung, wenn ein weiteres Fahrzeug auf dem Messbild vorhanden ist.
    Mit dee Messwertbildung hat sie jedoch rein gar nichts zu tun, weshalb die Frage einer zusätzlichen Toleranz sich m. E. nicht stellen kann. Entweder der SV kann den Messwert zuordnen, oder die ganze Messung ist hinfällig.

  2. Dominik Weiser

    Wenn die Fotolinie nicht abgebildet ist, kann auch der ordnungsgemäße Messbetrieb, wie ihn die Bedienungsanleitung vorsieht, nicht durchgeführt worden sein. Die üblichen Toleranzwerte gelten aber nur bei standardisierten Messverfahren und ordnungsgemäßer Durchführung der Messung. Deshalb macht es nach meinem Dafürhalten schon Sinn, die Problematik mit den Toleranzwerten anzusprechen.

  3. H.W.

    Dann versteh ich wohl unter Toleranz was Falsches. M. E. ist eine Toleranz ein Ausgleich für systembedingte Messungenauigkeiten. Die Messung wird aber von der Fotolinie in keiner Weise tangiert. Mir wäre neu, dass Toleranzen falsches Arbeiten retten sollen. Oder wie soll so eine zusätzliche Toleranz bemessen werden? Fehlt eine Linie – 5%, fehlen zwei Linien – 10%.

  4. Detlef Burhoff

    Hallo, wenn die Vorgaben nicht alle beachtet sind, führt das nicht unbedingt zur Unverwertbarkeit der Messung. Sie ist verwertbar, allerdings mit einem höheren Sicherheitsabschlag; so OLG Hamm und OLG Koblenz.

  5. Bernd Coring

    Bei der Fotolinie handelt es sich um eine virtuelle Linie, d.h. sie muss nicht sichtbar sein. Hilfsmittel zur Sichtbarmachung (verschiedene Fahrbahnoberflächen, Pylonen, stationäre Dinge am Straßenrand, Linien auf der Fahrbahn, …) sind lediglich Hilfen, um die Kamera/s auszurichten, damit ein gutes Foto erstellt werden kann. Damit sich das Betriebssystem für eine Messung freischaltet, muss ein Foto der „virtuellen Linie“ erstellt worden sein.
    Bei der Auswertung sind Vorgänge zu verwerfen, bei denen die erfassten Fahrzeuge nicht an der virtuellen Linie (einschl. Toleranz) fotografiert wurden.

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