Archiv für den Monat: Februar 2010

Die nachträgliche Sicherungsverwahrung dient nicht der Korrektur früherer, fehlerhafter Entscheidungen

Der BGH (3 StR 439/09, PM v. 17.02.2010). hat eine vom LG Hannover angeordnete nachträgliche Sicherungsverwahrung aufgehoben. Der 49 Jahre alte Verurteilte hatte 1984 seine erste Ehefrau getötet und war deswegen vom LG Hildesheim zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Nachdem er diese Strafe teilweise verbüßt hatte und 1989 auf Bewährung aus der Haft entlassen worden war, heiratete er erneut. Im Mai 1993 tötete er auch seine zweite Ehefrau sowie seinen Stiefsohn. Deswegen verurteilte ihn das LG Hannover 1994 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren. Hintergrund der Taten war jeweils die Persönlichkeitsstruktur des Verurteilten, eines auf die eigene Geltung bedachten Menschen mit einem ausgeprägten Bedarf an Anerkennung und Neigung zu impulsiv unbedachten Verhaltensmustern. Schon im Urteil von 1994 war vom Landgericht Hannover deshalb festgestellt worden, bei ihm bestehe ein hohes Risiko für weitere brutale Gewaltentfaltung gegenüber Menschen, die eine Partnerbeziehung zu ihm eingingen.

Zur Überzeugung des Landgerichts besteht bei dem Verurteilten eine solche Gefährlichkeit auch nach der vollständigen Vollstreckung der 15-jährigen Freiheitsstrafe fort. Es hat daher gegen ihn die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet. Da die Gefährlichkeit des Verurteilten schon bei seiner Verurteilung im Jahr 1994 bekannt war, hat es indes keine erst während des Strafvollzugs neu entstandenen oder erstmals erkennbaren Umstände in der Person des Verurteilten festgestellt, die dessen Beurteilung als gefährlich erst nachträglich rechtfertigen. Derartige neue Tatsachen sind aber für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66 b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 StGB erforderlich. Das Landgericht hat seine Entscheidung deshalb auf Grundlage der seit dem Jahr 2007 geltende Ausnahmevorschrift des § 66 b Abs. 1 Satz 2 StGB getroffen. Nach dieser Bestimmung kann die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch auf bereits bei der ursprünglichen Verurteilung erkennbare Tatsachen gestützt werden, wenn damals die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB aus Rechtsgründen noch nicht möglich war.

Hiervon ist das Landgericht Hannover im Jahr 1994 und im jetzigen Urteil ausgegangen. Diese Rechtsauffassung ist indes fehlerhaft, da gegen den Verurteilten schon im Jahr 1994 die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB hätte angeordnet werden können.

Daher ist die Ausnahmeregelung des § 66 b Abs. 1 Satz 2 StGB nicht anwendbar, so dass die Revision des Verurteilten Erfolg haben musste. Da auszuschließen ist, dass das Landgericht in einer erneuten Verhandlung solche neuen Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 StGB feststellen kann, hat der Bundesgerichtshof von einer Zurückverweisung der Sache abgesehen und selbst entschieden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung entfällt. Der Verurteilte muss deshalb entlassen werden, sobald die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hildesheim vollstreckt ist.

Der Bundesgerichtshof hatte bei dieser Konstellation nicht zu entscheiden, ob das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (AZ 19359/04) Anlass gibt, an der Vereinbarkeit der Ausnahmevorschrift des § 66 b Abs. 1 Satz 2 StGB mit dem Grundgesetz oder der Europäischen Menschenrechts-konvention zu zweifeln.

Außergewöhnliche Umstände gegen ein Fahrverbot müssen stets geprüft werden.

Ich habe ja schon häufiger geschrieben: „Man ist immer wieder erstaunt“, was alles nicht beachtet wird. So auch, wenn man die Entscheidung des OLG Hamm v. 19.01.2010 – 2 (6) Ss OWi 987/09 – liest. Der Betroffene wird wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Es wird ein Fahrverbot verhängt. Allerdings im Urteil keinerlei Ausführungen zu einem „Absehen“ vom Fahrverbot. Dabei hat schon das BVerfG 1969 darauf hingewiesen, dass die Fahrverbotsentscheidung immer verhältnismäßig sein muss. Daher muss selbst unter Berücksichtigung der sog. Indizwirkung immer dargelegt/geprüft werden, ob und warum besondere Umstände, die ein ein Absehen rechtfertigen würden, nicht vorliegen. Das darf das AG jetzt nachholen.

Wehe dem, der beschuldigt wird: 34. Strafverteidigertag in Hamburg vom 26. – 28.02.2010

»Wehe dem, der beschuldigt wird…« so lautet das Thema des 34. Strafverteidigertag, in Hamburg, 26. – 28. Februar 2010, Universität Hamburg – Hauptgebäude.

Hintergrund dieser Thematik: Beschuldigte in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sehen sich einer staatlichen Übermacht gegenüber, der sie – gleichviel ob schuldig oder unschuldig – nicht gewachsen sind. Denn der mit der Beschuldigung konfrontierte Bürger verfügt in der Regel nicht über die erforderlichen Kenntnisse und Ressourcen, dem gegen ihn erhobenen Vorwurf wirkungsvoll zu begegnen. Die Institution der Verteidigung ist notwendig, doch alleine zum Schutz des Beschuldigten nicht ausreichend. Den Strafverfolgungsorganen müssen vielmehr wirksame Grenzen gesetzt und ihre Handlungen einem System ständiger Kontrolle unterworfen werden. Der Strafverteidigertag befasst sich in seinen Arbeitsgruppen mit der aktuellen Entwicklung der Strafverfolgungspraxis und zeigt auf, wo in Anbetracht der technischen und wissenschaftlichen Entwicklung einerseits, der Gesetzgebung und Rechtsprechung andererseits Löcher im Schutz des Beschuldigten – vom Beginn der Ermittlungen bis zur rechtskräftigen Verurteilung – klaffen.

Und: Werbung muss ja auch mal sein: Zusammen mit dem Team von LexisNexis® Strafrecht und der Redaktion Strafrecht des ZAP-Verlags werde ich auf dem Strafverteidigertag zugegen sein und aktuelle Produkte aus dem Verlagsprogramm präsentieren. Für Fragen und Anregungen stehen wir Ihnen dort gerne zur Verfügung. Ich freue mich auf Ihren Besuch!


Zum Programm im Einzelnen:


Freitag, 26. Februar 2010, 18.30 Uhr
Universität Hamburg | Ernst-Cassierer-Saal
Eröffnung und Begrüßung
Eröffnungsvortrag: RA Dr. Bernd Wagner (Hamburg)
Strafverteidigung als Privileg
Wehe dem, der uns in die Pflicht nimmt


im Anschluss (ca. 20.30 Uhr):
Empfang für die Gäste des 34. Strafverteidigertages im Foyer der Universität Hamburg


Sonnabend, 27. Februar 2010, 9.00 – 17.30 Uhr
Universität Hamburg |Hauptgebäude

Arbeitsgruppen:

AG 1 Der Geist des Obrigkeitsstaats im Revisionsrecht – die freie Advokatur als Feindbild der jüngeren Rechtsprechung des BGH
AG 2 Prognose und Strafrecht: Die Sanktionierung negativer Kriminalprognose
AG 3 Labeling
AG 4 Kritische Kriminaltechnik
AG 5 (Mehr) Transparenz im Strafverfahren
AG 6 Wiederaufnahme


Sonntag, 28. Februar 2010, 10.00 – ca. 12.30 Uhr

Schlussdiskussion des Strafverteidigertages
Die Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens

(die Teilnehmer/innen werden noch bekanntgegeben).

Ende der Veranstaltung gegen 12.30 Uhr.


weitere Informationen:

www.strafverteidigertag.de

Bundesrat beschließt Gesetzentwurf über Videokonferenzen in allen Gerichtsverfahren

Gerichtsverfahren sollen mit Hilfe von Videokonferenztechnik beschleunigt und wirtschaftlicher durchgeführt werden. Dies fordert der Bundesrat in einem am 12.02.2010 beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren.

Im Einzelnen: Zeitgleiche Bild- und Tonübertragungen sollen zukünftig auch Abwesenden die Teilnahme an gerichtlichen Verhandlungen und Ermittlungsverfahren ermöglichen. Bisher ist dies hauptsächlich für Opferzeugen vorgesehen, denen die gleichzeitige Anwesenheit mit dem Täter im Gerichtssaal nicht zumutbar ist (§ 58a StPO). Zukünftig sollen jedoch auch andere Verfahrensbeteiligte, zum Beispiel Parteien, Anwälte, Dolmetscher und Sachverständige mittels Konferenzschaltung am Prozess teilnehmen können. Dies würde Reisekosten und Zeitaufwand vermindern und die Terminierung von mündlichen Verhandlungen und Erörterungsterminen erleichtern. In bestimmten Fällen könnte zukünftig auch auf die – teils aufwändige – persönliche Vorführung von Gefangenen im Rahmen der Strafvollstreckungsüberprüfung verzichtet werden.

Der Gesetzentwurf wird zunächst der Bundesregierung zugeleitet, die ihn zusammen mit ihrer Stellungnahme dem Deutschen Bundestag zur Entscheidung vorlegt. Der Beschluss ist mit einem Gesetzentwurf deckungsgleich, den der Bundesrat bereits Ende Dezember 2007 dem Bundestag (BT-Drs. 16/7956) zugeleitet hatte. Dort ist er wegen des Ablaufs der 16. Wahlperiode jedoch nicht mehr abschließend behandelt worden.

Und wie ist es mit § 250 StPO?

Den Gesetzesantrag des Landes Hessen: BR-Drs. 902/09 (PDF)
Den Gesetzentwurf des Bundesrates: BT-Drs. 16/7956 (PDF)
Den Beschluss des Bundesrates: BR-Drs. 902/09(B) (PDF)

AG Mannheim und PoliScan: Hier der Volltext

Hallo, es ist ja schon an verschiedenen Stellen über das Urteil des AG Mannheim v. 23.12.2009 – 21 OWi 506 Js 19870/09 AK 445/09 betreffend PoliScan berichtet worden. Hier dann der Volltext. Sehr interessante Verteidigungsansätze.