Archiv für das Jahr: 2009

Verdoppelung der Geldbuße: Rechtlicher Hinweis erforderlich, so OLG Hamm

Ganz interessant für die anwaltliche Praxis ist die Entscheidung des OLG Hamm vom 13. 11. 2009 – 3 Ss OWi 622/09. Dort hat das OLG eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) darin gesehen, dass dem Betroffenen vor der Verdoppelung des Regelsatz der Geldbuße, die im Bußgeldbescheid verhängt worden war, nicht Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist. Interessant deshalb, weil sich daraus dann wohl der Schluss ziehen lässt, dass in den Fällen also ein rechtlicher Hinweis (§ 265 StPO) als erforderlich angesehen wird. Und vor allem. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist oft der einzige Weg, die Zulassung der Rechtsbeschwerde bei den geringfügigen OWi zu erreichen (vgl. § 80 Abs. 2, 1 OWiG). Zudem: Man wird dann jetzt auch die Frage des rechtlichen Hinweises neu diskutieren müssen, wenn es um eine Erhöhung des Fahrverbotes geht.

Inbegriffsrüge im Revisionsverfahren. Achtung! Falle!

Wer kennt sie nicht? Die Inbegriffsrüge im Revisionsverfahren, mit der ein Verstoß gegen § 261 StPO geltend gemacht wird. Sie ist z.B. immer dann zu erheben, wenn eine Urkunde, die in der Hauptverhandlung nicht verlesen worden ist, zur Grundlage des Urteils gemacht worden ist. Dann wird gerügt, dass das Urteil nicht auf dem „Inbegriff der Hauptverhandlung“ beruht. Aber, Achtung!!!! Es reicht nicht aus, nur zu rügen/vorzutragen, dass die Urkunde nicht verlesen worden ist. Vielmehr muss auch noch vorgetragen werden, dass die Urkunde auch sonst nicht, z.B. im Wege des Vorhalts, in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist. Das wird häufig übersehen und dann ist die formelle Rüge unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Wer es nachlesen  will, kann es im Beschluss des OLG Hamm vom 24.11.2009 – 3 Ss OWi 882/09 – tun. Klassischer Fall. Der Verteidiger wusste es aber. Ergebnis: Aufhebung.

Strafverfahren quo vadis? – Das deutsche Strafverfahren auf dem Weg in den Parteiprozess?

Erstaunlich, was man da so aus Karlsruhe liest. Seit einigen Jahren ist ja mehr als deutlich zu erkennen, dass sich der Ton im Strafverfahren deutlich verschärft. Das gilt vor allem auch für das Beweisantragsrecht, wo immer mehr auf Prozessverschleppung abgestellt wird und der BGH ja eine vom Gesetz nicht vorgesehene Fristsetzung eingeführt hat. Die wird von den Instanzgerichten gerne aufgegriffen und das führt dann dazu, dass teilweise schon nach kurzem Verfahrenslauf Fristen zur Stellung weiterer Beweisanträge gesetzt werden. Und zwar Fristen von nur einem Tag. Zwar ist eine gewisse Entspannung eingetreten durch die Entscheidung des 5. Strafsenats – da ging es um so kurze Fristen – und auch der 1. Strafsenat – ansonsten immer vorne weg bei diesem „Spiel“ – ist ja vor kurzem etwas zurückgerudert. Jetzt ist ein wenig Mäßigung angesagt. Wer allerdings auf Hilfe von ganz oben gehofft hatte – also vom BVerfG -, der wird enttäuscht. Der Beschluss vom 06.10.2009, 2 BvR 2580/09 segnet diese Verfahrensweise ab und stellt im Strafverfahren einen weiteren Schritt auf dem Weg in den Parteiprozesse dar. Und nicht nur hier, sondern auch im Bußgeldverfahren. Überall lesen wir: Der Beschuldigte/Betroffene hat nicht geltend gemacht usw. Wo steht das eigentlich in der StPO. Strafverfahren quo vadis?

Ihr Kinderlein kommet, oder wann ist das „Stillen“ eines 6-jährigen sexueller Missbrauch?

Das OLG Oldenburg hat sich jetzt in einem brandaktuellen Beschluss vom 22.12.2009 – 1 Ss 210/09 – mit dem Begriff der sexuellen Handlung auseinandersetzen müssen. Die vietnamesische Angeklagte hatte es zugelassen habe, dass ihr zur Tatzeit 6jähriger Sohn mehrmals ihre unbekleidete Brust ergriff und an der Brust saugte bzw. leckte, ohne dass dies einem Stillvorgang gedient habe. Das LG hatte festgestellt, dass die Angeklagte bewusst in Kauf genommen habe, dass der Sohn ihre Bekleidung hochschob, um an die nackte Brust zu gelangen. Die Angeklagte habe ihn in seiner von ihm ausgehenden Initiative bestärkt, indem sie während des Vorgangs von je etwa 30 Sekunden Dauer ihre Hand zärtlich um den Kopf oder den Rücken des Kindes legte, ohne ihn zurückzuweisen. Bei der rechtlichen Würdigung hatte das Landgericht u. a. ausgeführt, das Verhalten der Angeklagten stelle nach seinem äußeren Erscheinungsbild eine eindeutig sexualbezogene Handlung von einiger Erheblichkeit dar. Die Duldung der Intimitäten im Brustbereich könne im Laufe der Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit der Kinder zu einer ungezügelten Sexualisierung des kindlichen Verhaltens führen.

Das OLG hat das Vorliegen einer sexuellen Handlung verneint. Eine solche liege objektiv vor, wenn die Handlung das Geschlechtliche im Menschen zum unmittelbaren Gegenstand hat und für das allgemeine Verständnis nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eine Sexualbezogenheit erkennen lässt, Dies treffe zwar für das Betasten einer unbekleideten weiblichen Brust grundsätzlich zu, gelt jedoch nicht für diese festgestellten Vorgänge. Denn diese weisen in ihrem Erscheinungsbild keinen sexuellen Bezug auf. Die Erwägung des LG, dass die Duldung der ´Intimitäten im Brustbereich im Laufe der Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit der Kinder zu einer ungezügelten Sexualisierung des kindlichen Verhaltens führen´ könne, erschien dem OLG abwegig. Der Sohn habe äußerlich erkennbar aufgrund eines spielerischen Impulses gehandelt oder weil er Geborgenheit suchte, ohne dass Sexualität dabei irgendeine Rolle gespielt hätte. Das Verhalten der Angeklagten war nach seinem objektiven Erscheinungsbild in keiner Weise sexualbezogen.