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Man muss wissen, wer das Rechtsmittel eingelegt hat, oder: Kann man den Rechtsmittelführer ermitteln?

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Und heute im „Kessel Buntes“ zwei verfahrensrechtliche Entscheidungen des BGH. Bei aus Zivilverfahren, aber die vom BGh aufgestellten Grundsätze gelten auch für andere Verfahren, also ggf. im Straf- oder Bußgeldverfahren.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 24.01.2024, XII ZB 39/23. In ihm geht es um die Frage, dass bei einem Rechtsmittelerkennbar sein muss, wer es eingelegt hat. Das, was der BGH in der Entscheidung sagt, ist nicht ganz neu. Ähnliches hat er schon mal 2020 im BGH, Beschl. v. 12.02.2020 – XII ZB 475/19 ausgeführt.

Ergangen ist die Entscheidung in einem familiengerichtlichen Verfahren. Es geht um die Abänderung eines Unterhaltsvergleichs, in dem sich der Kindesvater verpflichtet hatte, für seine Kinder Unterhalt zu Händen der Kindesmutter zu zahlen. Zunächst richtete sich der Antrag nur gegen Kindesmutter. Nach einem rechtlichen Hinweis wird auf die Kinder umgestellt. Da zwischen den Beteiligten u.a. auch streitig war, ob das angerufene AG international zuständig ist, hat sich dieses mit Zwischenbeschluss für international und örtlich zuständig erklärt. Im Rubrum dieses Beschlusses sind nur die vier Kinder als Antragsgegner aufgeführt.

Gegen diesen Beschluss hat die Kindesmutter, vertreten durch ihre Verfahrensbevollmächtigte, Beschwerde eingelegt. In dem Beschwerdeschriftsatz wird als Beschwerdeführerin allein die Kindesmutter benannt und die Beschwerde ausdrücklich „namens und im Auftrag der Beschwerdeführerin“ eingelegt. Mit der nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Beschwerde eingegangenen Beschwerdebegründung, in der nunmehr die Kinder, vertreten durch die Kindesmutter, als „Antragsgegner und Beschwerdeführer“ bezeichnet werden, wenden sich diese gegen die vom Amtsgericht angenommene internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte.

Das OLG hat die Beschwerde als unzulässig verworfen. Hiergegen richten sich die Rechtsbeschwerden der Antragsgegner und der Kindesmutter. Der BGH hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO) verworfen:

„2. Dies hält sich im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

a) Nach § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG muss die Beschwerdeschrift die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Diesem Erfordernis ist nur dann genügt, wenn bei der Einlegung des Rechtsmittels aus der Rechtsmittelschrift selbst oder in Verbindung mit sonstigen Unterlagen oder Umständen der Rechtsmittelführer erkennbar ist oder doch jedenfalls bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist erkennbar wird. Die Einhaltung dieser an den Inhalt der Beschwerdeschrift zu stellenden Anforderung dient – sowohl für das Beschwerdegericht als auch im Interesse der Beteiligten – dem geregelten Ablauf des Verfahrens und der Rechtssicherheit (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Februar 2020 – XII ZB 475/19FamRZ 2020, 778 Rn. 11 mwN). Denn bei der Beschwerde, die einen neuen Verfahrensabschnitt vor einem anderen als dem bis dahin mit der Sache befassten Gericht eröffnet, müssen aus Gründen der Rechtssicherheit zur Erzielung eines geordneten Verfahrensablaufs die Beteiligten des Rechtsmittelverfahrens und insbesondere die Person des Rechtsmittelführers bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise erkennbar sein (vgl. BGH Beschluss vom 18. April 2000 – VI ZB 1/00NJW-RR 2000, 1371, 1372 mwN zu § 518 Abs. 2 ZPO aF).

Das bedeutet indes nicht, dass die Person des Rechtsmittelführers wirksam nur ausdrücklich und nur in der Beschwerdeschrift selbst angegeben werden kann. Vielmehr ist die Rechtsmitteleinlegung einer Auslegung zugänglich. Den Belangen der Rechtssicherheit ist deshalb auch dann genügt, wenn eine verständige Würdigung des gesamten Vorgangs der Beschwerdeeinlegung jeden Zweifel an der Person des Rechtsmittelführers ausschließt. Daher ist es ausreichend, wenn jedenfalls mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig zu erkennen ist, wer Beschwerdeführer sein soll (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Februar 2020 – XII ZB 475/19FamRZ 2020, 778 Rn. 11 mwN).

b) Gemessen hieran bestehen bei verständiger Würdigung keine Zweifel, dass mit der Beschwerdeschrift allein die Kindesmutter Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Zwischenbeschluss eingelegt hat.

Die von der anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten verfasste Beschwerdeschrift enthält nach ihrem Wortlaut keinen Hinweis darauf, dass die Beschwerde für die Antragsgegner eingelegt werden sollte. In ihr wird ausdrücklich die Kindesmutter als Beschwerdeführerin bezeichnet. Zudem wird dort ausgeführt, dass „namens und im Auftrag der Beschwerdeführerin“ die Beschwerde eingelegt werde. Weitere Umstände, die zu einer Auslegung der Beschwerdeschrift führen können, dass das Rechtsmittel durch die Antragsgegner eingelegt werden sollte, ergaben sich für das Beschwerdegericht bis zum Ablauf der Beschwerdefrist nicht. Entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde war der Beschwerdeschrift keine Abschrift des angegriffenen Zwischenbeschlusses beigefügt. Die Verfahrensakte wurde dem Beschwerdegericht erst nach Ablauf der Beschwerdefrist übersandt. Daher konnten bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Beschwerdeeinlegung keine Zweifel daran bestehen, dass die Beschwerde allein von der Kindesmutter eingelegt wurde.

Soweit die Rechtsbeschwerde unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Kammergerichts (NJW-RR 2004, 331) die Auffassung vertritt, es greife im Streitfall die Zweifelsregelung, wonach die von einem gesetzlichen Vertreter eingelegte Beschwerde, wenn er selbst nicht beschwerdebefugt sei, im Zweifel als Rechtsmittel des Vertretenen anzusehen sei, kann dem nicht gefolgt werden. Wie das Beschwerdegericht zutreffend ausführt, war in dem vom Kammergericht entschiedenen Fall die Person des Rechtsmittelführers in der Rechtsmittelschrift nicht bezeichnet und musste daher durch Auslegung ermittelt werden. Im vorliegenden Fall ist die Kindesmutter in der Beschwerdeschrift ausdrücklich als Beschwerdeführerin genannt, so dass gerade kein Zweifelsfall und daher auch kein Anlass zur Anwendung dieser Zweifelsregelung besteht.

c) Soweit sich die Antragsgegner erstmals in der Beschwerdebegründung selbst gegen den Zwischenbeschluss wenden, erfolgte dies weder fristgerecht noch gegenüber dem zutreffenden Adressaten iSd § 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Zu diesem Zeitpunkt war die Beschwerdefrist auch für die Antragsgegner bereits abgelaufen, zudem war der Schriftsatz nicht an das Amtsgericht, dessen Zwischenbeschluss angefochten werden soll, sondern an das Beschwerdegericht gerichtet und auch nur dort eingegangen.

d) Nach alldem ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht die Beschwerde der Kindesmutter wegen fehlender Beschwerdebefugnis und die Beschwerden der Antragsgegner wegen Nichteinhaltung der Beschwerdefrist verworfen hat.“

Wie gesagt: Die Ausführungen gelten nicht nur für das Zivilverfahren, sondern eben auch für alle anderen Verfahrensarten. Ohne Kenntnis, wer Rechtsmittelführer ist, klappt es nicht. das bedeutet: Als Rechtsanwalt achte ist darauf, dass bei einem Rechtsmittel – egal in welchem Verfahren – immer erkennbar ist, wer Rechtsmittelführer ist. Man sollte sich nicht auf das „dünne Eis“ der Auslegung begeben.

Pflichti III: Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, oder: Eine fürs Töpfchen, eine fürs Kröpfchen

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Und dann – wie fast immer an einem „Pflichti-Tag“ – noch etwas zur rückwirkenden Bestellung. Ohne diesen Dauerbrenner geht es offenabr nicht. Heute habe ich zu der Problematik zwei Entscheidungen, eine „gute“ und eine „schlechte“, also „eine fürs Töpfchen und eine fürs Kröpfchen“.

Hier zunächst die „Töpfchen-Entscheidung“, nämlich der LG Erfurt, Beschl. v. 31.01.2024 – 7 Qs 313/23 -, von dem es aber nur die Leitsätze gibt, da die Problematik hier ja nun schon sehr häufig Thema war:

1. Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist ausnahmsweise dann zulässig, wenn der Beiordnungsantrag bereits vor Verfahrensbeendigung gestellt worden ist, die Voraussetzungen für eine Beiordnung zu diesem Zeitpunkt vorlagen und eine Entscheidung über die Beiordnung aufgrund gerichtsinterner bzw. behördeninterner Vorgänge unterblieben ist.
2. Ein Fall der notwendigen Verteidigung ist u.a. dann gegeben, wenn eine Freiheitsstrafe von einem Jahr zu erwarten ist. Dabei sind auch Verurteilungen aus anderen Verfahren, wenn diese zur Bildung einer Gesamtstrafe führen, zu berücksichtigen.

Und dann die „fürs Köpfchen“, und zwar der LG Limburg, Beschl. v. 26.01.2024 – 2 Qs 4/24 – auch nur mit dem Leitsatz:

Auch nach der Neuregelung der §§ 140 ff. StPO durch die Richtlinie (EU) 2016/1919 vom 26.10.2016 (sog. „PKH-Richtlinie“) und deren Umsetzung durch das Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 verbleibt es dabei, dass eine sog. rückwirkende Beiordnung als Pflichtverteidiger ausgeschlossen ist.

Mich überzeugt diese Entscheidung nicht. Ich halte die Rechsprechung, auf die verwiesen wird, für falsch. Und erst recht ist m.E. die Beschwerde in den Fällen nicht „unzulässig“. Die Beschwer ist nicht entfallen, sondern besteht, da man ja um die Bestellung streitet, fort.

Haft I: Ladung eines im Ausland lebenden Angeklagten, oder: Androhung von Zwangsmaßnahmen erlaubt?

entnommen wikimedia.org

Heute – am Valentinstag 🙂 – gibt es hier drei Haftentscheidungen bzw. Entscheidungen, die mit Haftfragen zu tun haben. Passt doch :-).

Ich beginne mit einem Beschluss des KG, und zwar mit dem KG, Beschl. v. 04.09.2023 – 2 Ws 93/23. Die Entscheidung hat insofern mit Haft zu tun als es um die Frage der Zulässigkeit von Androhung von Zwangsmaßnahmen in einer Ladung eines im Ausland lebenden Angeklagten geht.

Ergangen ist die Entscheidung des KG nach dem sog. zweiten Rechtsgang. Der Angeklagte ist 2020 vom AG wegen schweren Bandendienbstahls verurteilt worden. Dagegen die Berufung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, die das LG teilweise verworfen hat. Das KG hebt dann auf Revision der Staatsanwaltschaft auf und verweist zurück.

Nach vorangegangenen Versuchen, das Berufungsverfahren weiterzuführen, hat das LG dann am 23.01.2023 einen Hauptverhandlungstermin für den 25.04.2023 angesetzt. Zu diesem Termin wurde der Angeklagte entsprechend der Verfügung der Vorsitzenden durch internationales Einschreiben mit Rückbrief sowie öffentlich geladen, wobei die Ladung in spanischer Sprache erfolgt ist und folgenden, ebenfalls übersetzten, Zusatz enthielt: „Soweit einer Verwerfung ihrer Berufung entgegensteht, dass die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen wurde, gilt folgendes: wenn Sie ohne genügende Entschuldigung ausbleiben, kann unabhängig von der Anwesenheit einer Verteidigerin/eines Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht Ihre Vorführung oder Ihre Verhaftung angeordnet werden. Die Vollstreckung sämtlicher mit dieser Ladung angedrohten Zwangsmaßnahmen erfolgt ausschließlich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.“

Ausweislich des Rückscheins ist dem Angeklagten diese Ladung am 20.01.2023 in Spanien zugestellt worden. Die in deutscher und spanischer Sprache verfasste Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung war darüber hinaus in der Zeit vom 10. bis zum 28.02.2023 an der Gerichtstafel des LG ausgehängt. Zu der Berufungshauptverhandlung am 25.04.2023 ist der Angeklagte ohne Entschuldigung nicht erschienen. Auf eine Vertretungsvollmacht hat sich der anwesende Verteidiger nicht berufen. Daraufhin hat die Kammer nach Feststellung der ordnungsgemäßen Ladung einen Haftbefehl gemäß § 329 Abs. 3 StPO erlassen und die Verhaftung des Angeklagten angeordnet. Die Hauptverhandlung wurde anschließend ausgesetzt.

Am 07.06.2023 hat die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage des Haftbefehls vom 25.04.2023 die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls beantragt, welcher erlassen und der Staatsanwaltschaft vom LG am 09.06.2023 übersandt worden ist. Mit Verfügung vom 22.06.2023 hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls die Einleitung der internationalen Fahndung veranlasst. Am 14.07.2023 wurde der Angeklagte durch die spanischen Behörden festgenommen und nach zwei Tagen mit der Maßgabe wieder freigelassen, sich am 29.08.2023 seiner Auslieferung zu stellen. Tatsächlich erfolgte die Auslieferung, der sich der Angeklagte entsprechend der vorherigen Ankündigung freiwillig gestellt hat, jedoch erst am 31.08.2023. Er wurde per Flugzeug nach München überführt und dort um 14.40 Uhr festgenommen. Anschließend wurde er noch am selben Tag nach Berlin überführt, wo ihm am 01.09.2023 der Haftbefehl verkündet worden ist.

Gegen den Haftbefehl vom 25. 04.2023 wendet sich der Angeklagte mit der Beschwerde seines Verteidigers. Das KG hat die Beschwerde als unbegründet worden:

„1. Der Angeklagte ist zur Hauptverhandlung ordnungsgemäß geladen worden, zu dieser ist er ohne Entschuldigung nicht erschienen und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden. Da im Hinblick auf die im Raum stehende Bewährungsentscheidung die Anwesenheit des Angeklagten und der persönliche Eindruck vom Angeklagten unerlässlich war, war die Anordnung der Verhaftung des Angeklagten auch geboten und mithin verhältnismäßig (§ 329 Abs. 3 StPO).

2. Auf diese Folge war der Angeklagte mit der Ladung auch ausdrücklich hingewiesen worden – so wie es § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO vorschreibt. Lebt der Angeklagte dauerhaft im Ausland, wird diese Warnung in Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, für zulässig (und erforderlich) angesehen, wenn sie den für den Zustellungsempfänger eindeutigen Hinweis enthält, dass die Vollstreckung der angedrohten Zwangsmaßnahmen ausschließlich im Geltungsbereich der Strafprozessordnung erfolgt (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 29. Februar 2008 – I Ws 60/08 –, juris; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2010, 49; KG, Beschluss vom 10. November 2010 – 3 Ws 459/10 –, juris mwN – auch hinsichtlich der gegenteiligen Auffassungen). Denn bereits die Androhung von Zwangsmaßnahmen auf dem Territorium eines fremden Staates ist geeignet, dessen Souveränität zu berühren (vgl. KG aaO).

Ebenfalls zutreffend ist die Ansicht des Landgerichts, dass der Erlass eines Europäischen Haftbefehls die Souveränität des ausländischen Staates nicht berührt, da der ersuchte Staat im Rahmen seiner nationalen Rechtsordnung und der dort geltenden Befugnisse eigenständig über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls und die Auslieferung der gesuchten Person entscheidet. Erst mit der Überstellung nach Deutschland wird der deutsche Haftbefehl – entsprechend der Warnung – vollstreckt.

Anders als das Landgericht Kleve in seiner von der Verteidigung herangezogenen Entscheidung (vgl. LG Kleve, Beschluss vom 24. August 2018 – 120 Qs 45/18 –, juris)  meint, ist es auch nicht widersprüchlich und stellt schon gar keine Täuschung des Angeklagten dar, wenn die Justizbehörden eine Warnung aussprechen, wonach Zwangsmaßnahmen gegen den säumigen Angeklagten nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ergriffen werden, dann aber diese Zwangsmaßnahmen mit Hilfe eines Europäischen Haftbefehls ermöglichen. Die Warnung vor Zwangsmaßnahmen soll dem Angeklagten die Chance eröffnen, sich dem Verfahren freiwillig zu stellen, um Zwangsmaßnahmen gegen sich zu vermeiden. Sie soll ihm keinen Weg aufzeigen, sich dem Verfahren zu entziehen. Die Einschränkung, dass eventuelle Zwangsmaßnahmen nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt werden, dient in diesem Zusammenhang – was das Landgericht Kleve verkennt – keineswegs dazu, den Angeklagten wider besseren Wissens in Sicherheit zu wiegen, sondern alleine dazu, die Souveränität des Aufenthaltsstaates zu respektieren.“

StPO II: Dreimal etwas zum Pflichtverteidiger, oder: Steuerstrafverfahren, Vollstreckung, Rückwirkung

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Im zweiten Posting des Tages dann etwas zur Pflichtverteidigung. Ja, kein „Pflichti-Tag“, dafür reichen die drei Entscheidungen nicht. Von den drei Beschlüssen betreffen zwei die Beiordnungsgründe und einer – natürlich 🙂 – zur rückwirkenden Bestellung.

Hier sind die Leitsätze der Entscheidungen:

Im Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung von § 140 Absatz 2 StPO ein Verteidiger zu bestellen, wenn nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass der Verurteilte aufgrund seiner medikamentösen Einstellung, seine Rechte nicht vollumfänglich eigenverantwortlich wahrnehmen kann.

Kommt es im Verfahren zur Beantwortung der Frage, ob sich gegen die Beschuldigte ein Verdacht wegen Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 AO erhärten lässt und ob ggf. im weiteren Verfahren eine entsprechende Schuld der Beschuldigten festgestellt werden kann, neben den §§ 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 68 EStG auch auf die Verordnung (EG) 883/2004 an, ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig im Sinn des § 140 Abs. 2 StPO.

Unter besonderen Umständen ist die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers zulässig. Dies kann der Fall sein, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 StPO vorlagen und die Entscheidung allein aufgrund justizinterner Vorgänge unterblieben ist, auf die der (ehemalige) Beschuldigte keinen Einfluss hatte.

Pflichti III: 4 x nachträgliche Bestellung zulässig, oder: Schritt(e) in die richtige Richtung

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Und dann – wie fast immer an „Pflichti-Tagen“ – noch etwas zum Dauerbrenner: Rückwirkende Bestellung. Dazu habe ich dann vier Entscheidungen, und zwar:

Alle vier Entscheidungen bejahen die rückwirkende Bestellung. Interessant in dem Zusammenhang vor allem der Beschluss des LG Braunschweig. Das „übergeordnete“ OLG lehnt die nachträgliche Bestellung nämlich ab. Anders also das LG, allerdings nur bei inhaftierten Beschuldigten. Aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.