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Eröffnung des Hauptverfahrens, oder: Welche Zeugenaussagen begründen den hinreichenden Tatverdacht

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Und als zweite Entscheidung dann der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 03.03.2021 – 12 KLs 504 Js 1658/18 – zum Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts, wenn die Staatsanwaltschaft den Anklagevorwurf – teils auch – auf aus anderen Ermittlungsverfahren stammende Zeugenaussagen stützt, die im gegenständlichen Strafverfahren nur auszugsweise und teils geschwärzt präsentiert werden und bei denen die Zeugenpersonalien nur rudimentär angegeben sind.

Dazudas LG:

„(2) Die vorstehend genannten Zeugenaussagen sind beweistechnisch wertlos. Es handelt sich hierbei um teils collageartig zusammengestellte Aussageschnipsel, die aus Vernehmungen in anderen Verfahren stammen, teils nur wenige Zeilen lang und teils – darüber hinaus – geschwärzt. Der (jeweils mutmaßlich vorhandene) Rest der jeweiligen Aussagen ist nicht Aktenbestandteil, sodass die Kammer den Kontext und den weiteren Gehalt der jeweiligen Aussagen und teils auch die jeweilige Fragestellung, die zu den Aussagen geführt hat, nicht beurteilen kann, auf den es – siehe oben unter cc – aber entscheidend ankommen kann. Es liegen entgegen § 200 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht einmal, jenseits von Name, Vorname und teils Beruf, die jeweiligen vollständigen Zeugenpersonalien vor, sodass das Gericht, wenn es denn darauf ankäme, die Zeugen nicht laden könnte. Was soll die Kammer mit derartigen „Beweismitteln“ anfangen?“ OLG Saarbrücken, Beschluss vom 17. Juli 2008 – 1 Ws 131/08, juris Rn. 13; pointiert AG Gummersbach, Beschluss vom 15. Oktober 2014 – 81 Ds 922 Js 2198/14 – 326/14, juris Rn. 7 ff.). Letztere wären allerdings erforderlich, wollte man das Jahr 2011 für die Strafverfolgung noch retten…..“

 

Verlesung von Zeugenaussagen, oder: Etwas Mühe mit dem „Warum“ muss man sich schon machen

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Die zweite Entscheidung des heutigen Tages behandelt eine StPO-Frage, zu der man m.E. nicht so häufig etwas liest. Es ist der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 01.03.2017 – 3 RVs 6/17. Er nimmt Stellung zu den Anforderungen an den Beschluss, mit dem gem. § 251 StPO die Verlesung von Zeugenaussagen angeordnet wird.

Folgender Sachverhalt: Das AG hat den Angeklagten wegen Diebstahls und versuchten Diebstahls  verurteilt. Die Berufung des Angeklagten hat das LG verworfen. Die Strafkammer hat die Verurteilung für beide Taten maßgeblich auf die Aussage einer Zeugin gestützt, die sie durch Verlesung der Niederschriften über die polizeiliche Vernehmung der Zeugin sowie über ihre richterliche Vernehmung in, der erstinstanzlichen Hauptverhandlung in die Berufungshauptverhandlung eingeführt hat. Der diesbezügliche Beschluss lautete:

Die polizeiliche Vernehmung der Zeugin pp. soll gem. § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen werden, weil sie in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann, sich nämlich bis zum Sommer nächsten Jahres in Korea aufhalten wird.

Ihre richterliche Vernehmung in der erstinstanzlichen Verhandlung soll gem. § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO und Abs. 2 Nr. 2 StPO verlesen werden, weil ihrer Vernehmung ihre längere Abwesenheit durch das Studium in Korea entgegensteht und ihr aus dieser Entfernung eine Anreise zur Vernehmung nicht zugemutet werden kann.“

Die Revision hat mit der Verfahrensrüge eine Verletzung von § 251 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 und Nr., 2, Abs. 4 StPO gerügt und hatte damit Erfolg:

„a) Die Verlesung der Niederschrift über eine polizeiliche Zeugenvernehmung nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO ist, falls — wie hier — das Einverständnis der Verfahrensbeteiligten fehlt, nur zulässig, wenn der Zeuge verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen unter sorgfältiger Abwägung der Bedeutung der Sache und der Wichtigkeit der Aussage für die Wahrheitsfindung gegen das Interesse an beschleunigter Durchführung des Verfahrens unter Berücksichtigung der Aufklärungspflicht zu entscheiden. Der die Verlesung anordnende Beschluss muss dabei die Tatsachen angeben, die eine Verlesung — als Ausnahme von dem Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 250 StPO — rechtfertigen. Dafür ist grundsätzlich zumindest die Wiedergabe der das Gericht leitenden Erwägungen erforderlich (BGH, NStZ 1984, 375; BGH, NStZ 1993, 144). Allein eine weite Entfernung des Zeugen vom Gerichtsort reicht dabei regelmäßig nicht aus, um von einer Unmöglichkeit der Vernehmung auszugehen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 251 Rn. 9).

Diesen Anforderungen wird der hinsichtlich § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO allein auf den Aufenthalt der Zeugin pp. in Korea abstellende Beschluss nicht gerecht. Er lässt entgegen § 251 Abs. 4 Satz 2 StPO eine ordnungsgemäße Begründung vermissen, so dass der Senat nicht nachzuprüfen vermag, ob die Strafkammer die Voraussetzungen der Verlesbarkeit zu Recht bejaht hat. Es ist nicht zu erkennen, ob die Strafkammer in ihre Abwägung alle maßgeblichen Umstände eingestellt hat, insbesondere ob sie neben der Bedeutung der Sache und dem Interesse an beschleunigter Durchführung des Verfahrens gegen den in dieser Sache seinerzeit noch inhaftierten Angeklagten auch und gerade berücksichtigt hat, dass die Angaben der Zeugin für die Überzeugungsbildung von ausschlaggebender Bedeutung waren. Ohne die Zeugin wäre die Überführung des leugnenden Angeklagten kaum möglich gewesen. Es kam im besonderen Maße auf ihre Glaubwürdigkeit sowie die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben an, zumal die Zeugin den Angeklagten bei ihrer Vernehmung in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung mit einer Sicherheit von 90 % und im Rahmen der Lichtbildvorlage bei der zeitnahen polizeilichen Vernehmung am Morgen nach dem Tattag gar nur „zu 60 — 70 %“ wiedererkannt hatte. Deshalb durfte die Strafkammer nicht leichthin von einem Hinderungsgrund ausgehen. Die Begründung in dem Beschluss der Kammer, die Zeugin könne in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden, weil sie sich bis zum Sommer nächsten Jahres in Korea aufhalten werde, lässt indes nicht einmal erkennen, ob das Landgericht überhaupt Erwägungen angestellt und Bemühungen entfaltet hat, die unmittelbare Vernehmung der im Ausland lebenden Zeugin zu ermöglichen bzw. sie zum Erscheinen in der Hauptverhandlung — ggf. durch Verlegung des Termins auf einen späteren Zeitpunkt während eines etwaigen Heimataufenthaltes der Zeugin oder durch andere Maßnahmen — zu veranlassen. Aufschluss darüber gibt auch die aufgrund der Sachrüge ergänzend heranzuziehende Urteilsurkunde nicht.

b) Die Verlesung der Niederschrift über eine richterliche Vernehmung nach § 251 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO setzt voraus, dass dem Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung für eine längere Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen oder dem Zeugen das Erscheinen wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann. Hinderungsgrund ist dabei nicht die Tatsache allein, dass der Zeuge im Ausland wohnt; in diesem Fall muss, soweit angemessen und geboten, erst versucht werden, ihn zum Erscheinen zu veranlassen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O, § 251 Rn. 21). Für die Frage der Zumutbarkeit kommt es nicht ausschließlich auf eine große Entfernung an; dem Zeugen ist es unter Umständen sogar zuzumuten, aus Übersee anzureisen (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 251 Rn. 23, § 223 Rn. 8). Auch im Rahmen der Verlesung nach § 251 Abs. 2 StPO erfordert die dem Tatgericht obliegende Entscheidung eine Abwägung aller oben genannten Umstände (vgl. OLG München, Beschluss vom 18. Januar 2006, 4 St RR 252/05, juris Rn. 15).

Der auf § 251 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO bezogene Teil des Verlesungsbeschlusses, der insoweit allein auf eine längere Abwesenheit der Zeugin pp. durch das Studium in Korea und die daraus resultierende Unzumutbarkeit einer Anreise abstellt, lässt hier gleichfalls nicht erkennen, ob die Strafkammer in ihre Abwägung alle maßgeblichen Umstände — vor allem die Wichtigkeit der Angaben der Zeugin für die Wahrheitsfindung — eingestellt und überhaupt versucht hat, die Zeugin zum Erscheinen zu veranlassen. Die nicht näher mit Tatsachen belegte Begründung: der Zeugin sei eine Anreise nicht zuzumuten, verwehrt dem Senat ebenfalls jegliche Überprüfung.“

Na ja, ein bisschen Mühe muss man sich schon machen, wenn man von der Ausnahme des § 251 StPO Gebrauch machen und in der Hauptverhandlung verlesen will.