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Strafantrag I: Die Wirksamkeit des Strafantrags, oder: Wenn der Antragsteller nicht geschäftsfähig ist/war

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Und auf in die 40. KW., die ja kurz ist, na ja: Sie hat einen Arbeitstag weniger, aber sonst…. 🙂 .

Ich beginne heute mit zwei Entscheidungen zum Strafantrag (§ 158 StPO und §§ 77 ff. StGB). Dazu hat zunächst das AG Dresden im AG Dresden, Urt. v. 26.07.2023 – 216 Ds 131 Js 54399/20 – Stellung genommen.

Folgender Sachverhalt: Angeklagt war Untreue. Die Angeklagte war mit Generalvollmacht vom 07.11.2018 vom Geschädigten  bevollmächtigt worden, ihn in allen Angelegenheiten zu vertreten. Insbesondere wurde die Angeklagte vom Geschädigten bevollmächtigt, dessen Vermögen zu verwalten und dahingehend alle Rechtshandlungen und Rechtsgeschäfte, darunter auch Schenkungen in dem für einen Betreuer rechtlich gestatteten Rahmen vorzunehmen.

Unter Nutzung der Generalvollmacht des Geschädigten verschaffte sich die Angeklagte unmittelbar nach Vollmachterteilung Zugriff auf die Gemeinschaftskonten des Geschädigten sowie dessen zwischenzeitlich verstorbener Ehefrau bei verschiedenen Banken. Den Zugriff auf die  Konten nutzte die Angeklagte sodann, um diese am 28.11.2018 aufzulösen und die Guthaben in einer Gesamthöhe von 25.137,08 EUR auf ein anderes Konto zu überweisen, um so eine höchstmögliche Liquidität des Kontos zu ermöglichen. Der Tagesendsaldo betrug nach der Auflösung der Konten 40.727,41 EUR.

Von dem noch verbliebenen Konto der Geschädigten überwies sich die Angeklagte sodann verschiedene Beträge auf ihrKonto, obwohl sie wusste, dass ein Rechtsgrund oder ein Ermächtigung der Geschädigten Eheleute für die Überweisungen nicht bestand und die Vollmacht derartige Überweisungen nicht umfasste. Den Geschädigten Eheleuten entstand. wie von der Angeklagten beabsichtigt, ein Schaden in Höhe von insgesamt 25.735,24 EUR.

Strafantrag wurde durch den Geschädigten am 28.10.2020 anlässlich der Befragung durch den Zeugen, offenbar ein Polizeibeamter, schriftlich auf dem üblichen Formular der Ermittlungsbehörden gestellt. Die Anklage wurde zugelassen und das Hauptverfahren vor dem AG – Strafrichter – eröffnet.

Der hat das Verfahren dann durch Urteil eingestellt:

„Das Verfahren ist gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen, weil der nach § 266 Abs. 2, 247 StGB erforderliche Strafantrag durch den Geschädigten pp. nicht wirksam gestellt ist.

Der Zeuge pp. schilderte, dass der Geschädigte Herr in dem Vorgespräch zur beabsichtigten Zeugenvernehmung auf Fragen immer wieder abschweifte und Anekdoten von früher erzählt und was er beruflich gemacht habe. Auch Fragen nach dem Umfang der Generalvollmacht vermochte Herr pp. nicht zutreffend zu beantworten. So schilderte der Zeuge pp. dass Herr pp. das Schriftstück nur in Verbindung mit dem Heimaufenthalt seiner Ehefrau gebracht habe. Insbesondere habe Herr pp. auch die Tragweite und Bedeutung des Strafantrages nicht erkannt. Aus diesen Gründen habe man von einer förmlichen Vernehmung Abstand genommen.

Aufgrund der glaubhaften Angaben des Zeugen pp. kann das Gericht nicht feststellen, dass Herr pp. im Zeitpunkt der Stellung des Strafantrages geschäftsfähig war. Damit ist die Erklärung unwirksam. Es fehlt demzufolge an dem erforderlichen Strafantrag, sodass das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen ist.“

Der (kleine) Fall zeigt sehr schön, auf was man als Verteidiger alles achten kann/sollte/muss. Mir stellt sich allerdings die Frage, warum das AG eröffnet hat. Das macht nur Sinn, wenn sich die Angaben des Zeugen zu den Umständen der Antragstellung erst bei dessen Vernehmung ergeben haben.

OWi III: Die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung, oder: Einlegen in den Briefkasten

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas vom BayObLG. Der BayObLG, Beschl. v. 31.07.2023 – 102 AR 128/23 e – ist zwar im Zivilverfahren in Zusammenhang mit einem Zuständigkeitsstreit ergangen. Er behandelt aber eine Zustellungsfrage, die auch im OWi-Verfahren von Bedeutung sein kann – ich sage doch: Die OWi-Lage ist mau 😉 . Es geht nämlich um die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung dazu führt das BayObLG aus:

„Die Voraussetzungen einer wirksamen Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten ergeben sich aus § 180 ZPO. Gemäß § 180 Satz 1 ZPO kann, wenn der Zustellungsadressat in seiner Wohnung nicht angetroffen wird und die Ersatzzustellung durch Übergabe in der Wohnung an einen erwachsenen Familienangehörigen, eine in der Familie beschäftigte Person oder einen erwachsenen ständigen Mitbewohner (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) nicht ausführbar ist, das Schriftstück in einen zu der Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt, § 180 Satz 2 ZPO. Gemäß § 180 Satz 3 ZPO hat der Zusteller auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung zu vermerken. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass gesetzliche Regelungen über das Zustellungsverfahren verletzt worden wären.

Die über den Zustellungsvorgang zu erstellende Urkunde dient lediglich dem Nachweis der Zustellung, § 182 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 15. März 2023, VIII ZR 99/22, NJW-RR 2023, 766 Rn. 20). Ihr notwendiger Inhalt ergibt sich aus § 182 Abs. 2 ZPO. Anders als die Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften im Sinne von § 189 Alt. 2 ZPO, etwa der in § 180 Satz 3 ZPO statuierten Verpflichtung (vgl. BGH NJWRR 2023, 766 Rn. 18), führen Fehler oder Lücken in der Zustellungsurkunde nicht ohne Weiteres zu einer Unwirksamkeit der Zustellung, die nur durch tatsächlichen Zugang gemäß § 189 ZPO geheilt werden könnte. Allenfalls bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Mangels kann die Unwirksamkeit der Zustellung in Betracht kommen (vgl. Vogt-Beheim in Anders/Gehle, ZPO, 81. Aufl. 2023, § 182 Rn. 21; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 44. Aufl. 2023, § 187 Rn. 7; Eyink, MDR 2008, 1255 [1257]; noch zu § 191 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung: BGH, Urt. v. 29. Juni 1989, III ZR 92/87, NJW 1990, 176 [juris Rn. 13]; OLG München, Beschl. v. 11. Dezember 2001, 21 W 2569/01, MDR 2002, 414 [juris Rn. 7 ff.]). Sonstige Mängel wirken sich lediglich auf die Beweiskraft der Urkunde aus, § 419 ZPO (vgl. BGH, Beschl. v. 11. Juli 2018, XII ZB 138/18, NJW 2018, 2802 Rn. 5 und 8; Urt. v. 19. Juli 2007, I ZR 136/05, NJW-RR 2008, 218 Rn. 26; Dörndorfer in BeckOK ZPO, 49. Ed. Stand 1. Juli 2023, § 182 Rn. 14; Wittschier in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 182 Rn. 1 und 3; Häublein/Müller in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 182 Rn. 3 und 19; Siebert in Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 182 Rn. 13; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 182 Rn. 17; BT-Drucks. 14/4554 S. 15 [re. Sp.], 22 [re. Sp.]). Ob fehlende, unklare oder unstimmige Angaben die Beweiskraft der Zustellungsurkunde mindern oder sogar aufheben, ist nach freier Überzeugung (§ 286 Abs. 1 ZPO) zu beurteilen. Gegebenenfalls bedarf es ergänzender Beweismittel (vgl. Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 182 Rn. 17).

Gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat die Zustellungsurkunde die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde nach § 418 ZPO. Sie erstreckt sich auf sämtliche in der Urkunde bezeugten Tatsachen, mithin auf Zustellungsart, -zeit und -ort sowie bei Ersatzzustellung darauf, dass der Zusteller unter der angegebenen Anschrift weder den Adressaten persönlich noch eine zur Entgegennahme des Schriftstücks in Betracht kommende Person angetroffen und er das Schriftstück in den Briefkasten oder eine entsprechende Einrichtung eingelegt hat (Schultzky in Zöller, ZPO, § 182 Rn. 14 m. w. N.). Einschränkungen der Beweiskraft ergeben sich aus widersprüchlichen oder unklaren Angaben in einer ansonsten formal ordnungsgemäßen Zustellungsurkunde (Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2022, § 182 Rn. 15).

Die vorliegende Urkunde enthält insofern eine Unstimmigkeit, als in ihr die Zustellanschrift und dementsprechend der Ort der Zustellung, § 182 Abs. 2 Nr. 7 ZPO, mit „A. G., 9xxxx München“ angegeben sind. Dass die Bezeichnung des Zustellorts mit „München“ eine auf einem Schreibversehen beruhende Unrichtigkeit ist, ergibt sich ohne weiteres aus der Kombination mit der Postleitzahl „9xxxx“. Diese Postleitzahl ist nicht München, sondern E. zugeordnet. Hinzu kommt, dass es eine Straße „A. G.“ in München nicht gibt, sehr wohl aber in E. Der Ort des beurkundeten Zustellungsvorgangs kann der Urkunde trotz des darin enthaltenen Fehlers ohne verbleibende Restzweifel durch Auslegung entnommen werden. Die Wirksamkeit der Zustellung wird durch die fehlerbehaftete Ortsangabe in der Urkunde nicht berührt.“

StPO II: Der nicht unterschriebene Strafbefehl, oder: Wesentlicher Mangel, der zur Einstellung führt?

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Ich hatte im vergangenen Herbst über den LG Arnsberg, Beschl. v. 16.09.2022 – 3 Ns – 110 Js 1471/21 – 92/22 – berichtet (vgl. hier: StPO II: Der nicht unterschriebene Strafbefehl, oder: Wesentlicher Mangel, der zur Einstellung führt. Ich bin jetzt darauf hingewiesen worden, dass das OLG Hamm in der Sache inzwischen entschieden und den LG-Beschluss aufgehoben hat. Das war mir bisher durchgegangen. Ich hole die Entscheidung dann heute mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 17.11.2022 – 5 Ws 289/22 – nach:

„Die zulässige sofortige (§ 206a Abs. 2 StPO) Beschwerde ist begründet.

1. Dabei kann dahinstehen, ob ein nicht unterschriebener Strafbefehl einem fehlenden Eröffnungsbeschluss gleichsteht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Dezember 1992 – 2 Ss 155/92 -, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Auflage, § 409, Rn. 13) oder bereits der Antrag der Staatsanwaltschaft die ausreichende Verfahrensgrundlage bildet (vgl. BayObLG, Beschluß vom 30. 5. 1961 – RReg. 4 St. 147/61 = NJW 1961, 1782, beckonline).

2. Denn selbst bei fehlender Unterzeichnung ist ein Strafbefehl wirksam, wenn sich die entsprechende Willensäußerung des Richters aus den Akten ergibt und die entscheidende Person hinreichend zuverlässig dem Vorgang entnommen werden kann (vgl. BayObLG StV 1990, 397; OLG Düsseldorf StV 1983, 408; OLG Hamm JR 1982, 389; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 21.12 .1981 – 3 Ws 368/81; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Dezember 1992 – 2 Ss 155/92, Rn. 2, juris; Brauer in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 409, Rn. 15; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Rn. 13; BeckOK StPO/Temming, 44. Ed. 1.7.2022, StPO § 409 Rn. 12; MüKoStPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 409 Rn. 34).

3. Zwar trägt der hiesige Strafbefehl keine Unterschrift. Allerdings wird aus den aus der Akte ersichtlichen Begleitumständen bei einer Gesamtwürdigung ausreichend deutlich, dass nicht bloß ein Strafbefehlsentwurf vorliegt. Für den Willen zum Erlass des Strafbefehls spricht, dass auf dem übersandten Strafbefehlsformular das gerichtliche Aktenzeichen nebst Datum und die Dienstbezeichnung des erkennenden Richters vermerkt sind. Anders als der ursprüngliche – bis auf die Tagessatzhöhe gebilligte – Strafbefehlsentwurf der Staatsanwaltschaft ist das Formular auch nicht durch diagonalen Strich zum Entwurf degradiert worden. Zudem wird aus der – mit Schriftzeichen des erkennenden Richters versehenen – vom Datum und Inhalt korrespondierenden Begleitverfügung offenkundig, dass eine Willensäußerung nach Außen vorliegt.

4. Die Argumentation der Kammer in der angefochtenen Entscheidung in Anlehnung an § 275 Abs. 2 StPO, dass die fehlende Unterzeichnung einer auch nicht durch eine vom erkennenden Richter unterzeichnete Verfügung ersetzt werden könne, verfängt nicht. Bei der von der prozessualen Situation vergleichbaren Konstellation der fehlenden Unterschrift unter einem Eröffnungsbeschluss ist allgemein anerkannt, dass die fehlende Unterschrift keinen gravierenden Mangel darstellt (vgl. BeckOK StPO/Ritscher, 44. Ed. 1.7.2022, StPO § 207 Rn. 13; KG Urt. v. 27.7.1998 – (3) 1 Ss 118-98(57/98) = BeckRS 2014, 11690, m.w.N.). Der hiesige Verfahrensablauf nach dem Einspruch in Anwendung von § 411 Abs. 1 S. 2 StPO ist eben nicht mit dem – so die Argumentation der Kammer in der angefochtenen Entscheidung – rechtskräftigen Strafbefehl im Sinne von § 410 Abs. 3 StPO gleichzusetzen. Zudem stellt die Vorschrift des § 409 StPO nicht die gleichen Anforderungen an den Strafbefehl wie § 275 Abs. 2 StPO an die Urteilsurkunde.“

Pflichti I: Rechtsmittelverzicht ohne Verteidiger?, oder: Betreuung und „Schwere der Tat“

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Und dann mal wieder ein Pflichtverteidigungstag.

Den eröffne ich mit dem OLG Celle, Beschl. v. 04.05.2023 – 2 Ws 135/23. Ein Klassiker. Nämlich: Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts, den der Angeklagte erklärt, ohne dass der an sich erforderliche notwendige Verteidiger anwesend ist.

Das AG hat den Angeklagten am 02.11.2022 wegen vorsätzlicher Körperverletzung iund Beleidigung  verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In der Hauptverhandlung erklärten der nicht verteidigte Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft im Anschluss an die Urteilsverkündung einen Rechtsmittelverzicht.

Mit Schriftsatz vom 08.11.2022 legte der Angeklagte durch seine nunmehr bevollmächtigte Verteidigerin Berufung gegen das Urteil ein und macht geltend, der erklärte Rechtsmittelverzicht sei mangels Mitwirkung eines Verteidigers an der Hauptverhandlung unwirksam. Es habe ein Fall der notwendigen Verteidigung vorgelegen, da der Angeklagte bei Begehung der abgeurteilten Taten unter Bewährung gestanden habe, eine Begutachtung des Angeklagten zu den Voraussetzungen gem. §§ 20, 21 sowie § 64 StGB angezeigt gewesen wäre und der Angeklagte gerichtlich wie außergerichtlich von einer Betreuerin vertreten werde, deren Aufgabenkreis u.a. Rechts- / Antrags- und Behördenangelegenheiten umfasse.

Das LG hat die Berufung gem. § 322 StPO als unzulässig verworfen. Sie erachtet den erklärten Rechtsmittelverzicht für wirksam, denn der Angeklagte sei verhandlungsfähig gewesen und ein Fall der notwendigen Verteidigung habe nicht vorgelegen.

Dagegen die als „Revision“ bezeichneten Eingabe der Verteidigerin. Die hatte beim OLG Erfolg:

1. Die gem. § 300 StPO als die allein statthafte sofortige Beschwerde gem. § 322 Abs. 2 StPO auszulegende Eingabe der Verteidigerin des Angeklagten ist zulässig und in der Sache auch begründet.

Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten zu Unrecht als unzulässig verworfen, denn der von dem seinerzeit nicht anwaltlich vertretenen Angeklagten in der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter erklärte und im Protokoll beurkundete Rechtsmittelverzicht war unwirksam. Der Rechtsmittelverzicht steht mithin der Zulässigkeit des von dem alsdann beauftragten Verteidiger fristgerecht eingelegten Rechtsmittels nicht entgegen.

Zwar ist im Hauptverhandlungsprotokoll vom 2. November 2022 vermerkt, dass die Rechtsmittelverzichtserklärung dem Angeklagten – wie in § 273 Abs. 3 S. 3 StPO vorgeschrieben – noch einmal vorgelesen wurde und die Genehmigung erfolgt ist, so dass die Sitzungsniederschrift gemäß § 274 Satz 1 StPO für den erklärten Verzicht beweiskräftig ist. Zudem kann ein erklärter Rechtsmittelverzicht als Prozesshandlung grundsätzlich nicht widerrufen, angefochten oder sonst zurückgenommen werden. In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass in besonderen Fällen schwerwiegende Willensmängel bei der Erklärung des Rechtsmittelverzichts aus Gründen der Gerechtigkeit dazu führen, dass eine Verzichtserklärung von Anfang an unwirksam ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. 1. 2008 – 2 BvR 325/06, NStZ-RR 2008, 209 m. zahlr. w. N); denn im Hinblick auf die Unwiderruflichkeit des Rechtsmittelverzichts kann es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar sein, wenn der Angeklagte nur aus formellen Gründen an den äußeren Wortsinn einer Erklärung gebunden wird, der mit seinem Willen nicht im Einklang steht (BVerfG a.a.O.).

Ein solcher Ausnahmefall wird u. a. dann angenommen, wenn entgegen § 140 StPO ein Verteidiger in der Hauptverhandlung nicht mitgewirkt hat und der Angeklagte unmittelbar nach der Urteilsverkündung auf Rechtsmittel verzichtet hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 2. Mai 2012 – 4 Ws 41/12 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 26. März 2009 – 5 Ws 91/09 –, juris; BGH, Beschluss vom 5. 2. 2002 – 5 StR 617/01, NJW 2002, 1436, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 302, Rn. 25a). Der von einem Angeklagten in derartiger Weise abgegebene Rechtsmittelverzicht wird als unwirksam angesehen, weil sich der Angeklagte nicht mit einem Verteidiger beraten konnte, der ihn vor übereilten Erklärungen hätte abhalten können (vgl. KG Berlin a.a.O., OLG Hamm a.a.O., BGH a.a.O.)

So liegt der Fall hier, denn entgegen der Auffassung des Landgerichts Bückeburg war ersichtlich ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben.

Soweit das Landgericht ausführt, ein Fall von § 140 Abs. 2 StPO liege nicht vor, da der Angeklagte angesichts der schriftlichen Urteilsgründe des Amtsgerichts Bückeburg und der darin nicht nur formelhaft begründeten Bewährungsentscheidung nicht mit einem Widerruf der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 10. September 2020 (Az.: 85 Ds 7/20) zu rechnen habe, geht der Einwand fehl.

Denn allein maßgeblich für die Frage, ob ein Fall von § 140 Abs. 2 StPO gegeben ist, ist der Zeitpunkt der Hauptverhandlung und der dort abgegebenen Rechtsmittelverzichtserklärung. Hier war dem Angeklagten schon deshalb ein Verteidiger beizuordnen, weil gravierende Zweifel daran bestehen, dass er in der Lage war, sich selbst zu verteidigen. Denn nach der Rechtsprechung ist in Fällen, bei denen dem Angeklagten – wie hier – ein Betreuer mit dem Aufgabenkreis „Vertretung gegenüber Behörden“ bestellt wurde, regelmäßig ein Fall von § 140 Abs. 2 StPO gegeben (KG, Beschluss vom 20.12.2021, Az.: (2) 161 Ss 153/21 (35/21), BeckRS 2021, 43952; OLG Hamm, Beschluss vom 14. 8. 2003 – 2 Ss 439/03, NJW 2003, 3286; LG Magdeburg, Beschluss vom 21. Juli 2022 – 25 Qs 53/22 –, juris; LG Berlin, Beschluss vom 14. Dezember 2015 – 534 Qs 142/15 –, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 140, Rn. 30). Vorliegend trat kumulativ hinzu, dass sich die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Voraussetzungen von §§ 20, 21 sowie § 64 StGB förmlich aufdrängte, denn das Amtsgericht stellt im Urteil vom 2. November 2022 selbst fest, dass der Angeklagte vor den abgeurteilten Taten 3,5 Liter Bier sowie eine halbe Flasche Wodka konsumiert hatte, hochgradig alkoholabhängig ist, zahlreiche Male strafrechtlich wegen Körperverletzungsdelikten sowie wegen Trunkenheitsfahrten verurteilt wurde und noch bis zum 1. Februar 2022 eine stationäre Alkoholtherapie absolviert hatte. Mithin drohte dem Angeklagten im Falle einer Verurteilung wegen der im hiesigen Verfahren angeklagten Taten nicht nur ein Widerruf der zur Bewährung ausgesetzten 9-monatigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 10. September 2020, sondern auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB und damit ein weiterer sonstiger schwerwiegender Nachteil, der bei der Prüfung der Voraussetzungen von § 140 Abs. 2 StPO zu berücksichtigen war (KK-StPO/Willnow, 8. Aufl. 2019 Rn. 21, StPO § 140 Rn. 21; MüKoStGB/van Gemmeren, 3. Aufl. 2016, StGB § 64 Rn. 105; LG Kleve, Beschluss vom 14. November 2014 – 120 Qs 96/14 –, juris).

Nach alledem war der Strafrichter des Amtsgerichts Bückeburg aus Gründen der prozessualen Fürsorgepflicht gehalten, dem Angeklagten von Amts wegen einen Verteidiger beizuordnen, der ihm in der Hauptverhandlung beistehen und mit dem er sich hätte beraten können. Der unmittelbar nach Urteilsverkündung von dem Angeklagten erklärte Rechtsmittelverzicht kann bei Würdigung der Gesamtumstände in der Person des Angeklagten nicht als rechtswirksam erachtet werden. Da der im Protokoll beurkundete Rechtsmittelverzicht mithin der Zulässigkeit des fristgerecht eingelegten Rechtsmittels nicht entgegensteht, war der angefochtene Beschluss aufzuheben.“

Wenn man es liest, kann man nur den Kopf schütteln, und zwar doppelt. Nämlich einmal über die Verteidigerin, die sich – gelinde ausgedrückt – im Rechtsmittelrecht nicht so gut auszukennen scheint und ihre Eingabe als „Revision“ bezeichnet hat. Aber man muss m.E. den Kopf noch mehr über AG und LG schütteln. Da sieht man es als nicht notwendig an, einem Angeklagten, der – wenn der Vortrag der Vereteidigerin stimmt – bei Begehung der abgeurteilten Taten unter Bewährung gestanden hat, dessen Begutachtung zu den Voraussetzungen gem. §§ 20, 21 StGB sowie § 64 StGB ggf. angezeigt gewesen wäre und der  gerichtlich wie außergerichtlich von einer Betreuerin vertreten wird, deren Aufgabenkreis u.a. Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten umfasst, ohne Verteidiger? Ohne weitere Worte.

beA II: Wirksamkeit der Revisionsrücknahme, oder: Rücknahme des Rechtsmittels geht auch ohne beA

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Und als zweite Entscheidung zum beA und zu den neuen Formvorschriften dann der BGH, Beschl. v. 04.07.2023 – 4 StR 171/23 – zur Wirksamkeit einer Revisionsrücknahme.

Auszugehen war von folgendem Sachverhalt: Das LG hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nachdem der Pflichtverteidiger der Beschuldigten frist- und formgerecht Revision gegen das Urteil eingelegt hatte, hat die weitere Pflichtverteidigerin der Beschuldigten mit Schreiben vom 27.02.2023, dem LG per Fax zugegangen am selben Tag, erklärt, dass sie „nach mehrfacher und ausführlicher Rücksprache mit der Mandantin und deren Betreuer“ die Revision zurücknehme.

Mit Schreiben vom 13.02.2023 an das LG hat der Pflichtverteidiger erklärt, die Beschuldigte habe ihm mitgeteilt, eine Ermächtigung zur Rücknahme der Revision nicht erteilt zu haben. Am folgenden Tag hat er dem Landgericht frist- und formgerecht die Revisionsbegründung sowie ein Schreiben der Beschuldigten übermittelt, in welchem diese erklärt, dass sie ihre weitere Verteidigerin nicht ausdrücklich zur Revisionsrücknahme ermächtigt habe, und für den Fall, dass sie „eine Erklärung abgegeben haben sollte, die als solcherart Ermächtigung zu werten sein könnte oder ist“, diese zurücknehme; an der Revision solle festgehalten werden. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 21.3.2023 hat die Pflichtverteidigerin sodann erklärt, dass die Beschuldigte sie „in vielen ausführlichen Telefonaten ab dem 09.02.2023 mehrfach darum gebeten [habe], die Revision gegen das Urteil vom 19.12.2022 zurückzunehmen“.

Mit Beschluss vom 13.04.2023 hat das LG festgestellt, dass die Revision der Beschuldigten wirksam zurückgenommen worden ist. Gegen diese Entscheidung des LG richtet sich der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts. Der BGH hat festgestellt, dass die Revision wirksam zurückgenommen worden ist:

„2. Die Revision ist wirksam zurückgenommen worden.

a) Das Schreiben vom 27. Februar 2023, mit dem die Verteidigerin die Zurücknahme der Revision erklärt hat, ist dem Landgericht formgerecht übermittelt worden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestehen für die Rücknahmeerklärung wie auch für die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts trotz Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung grundsätzlich dieselben Formerfordernisse wie für die Einlegung des Rechtsmittels (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2011 – 4 StR 691/10, wistra 2011, 314 Rn. 7; Urteil vom 12. Februar 1963 – 1 StR 561/62, BGHSt 18, 257, 260 mwN). Den somit zu beachtenden Anforderungen des § 341 Abs. 1 StPO genügt die Rücknahmeerklärung, denn sie ist schriftlich erfolgt (vgl. zur Wahrung der Schriftform durch Telefax GmS-OGB, Beschluss vom 5. April 2000 – GmS-OGB 1/98, BGHZ 144, 160, 164).

Auf die für Verteidiger geltende Pflicht zur elektronischen Übermittlung einer Revision aus § 32d Satz 2 StPO erstreckt sich die Übertragung der für die Einlegung eines Rechtsmittels geltenden Formerfordernisse auf dessen Zurücknahme nicht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. November 2022 – 1 Ws 312/22, NStZ-RR 2023, 81; BeckOK-StPO/Cirener, 47. Ed., § 302 Rn. 4; Valerius, ebd., § 32d Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 302 Rn. 7). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift sowie aus historischen und teleologischen Erwägungen. § 32d Satz 2 StPO zählt diejenigen Prozesserklärungen, für die die Übermittlung als elektronisches Dokument zwingend vorgeschrieben und infolgedessen eine Wirksamkeitsvoraussetzung ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. April 2022 – 3 StR 86/22, wistra 2022, 388 mwN), enumerativ auf. Schriftsätze anderen Inhalts unterliegen demgegenüber nur der Sollvorschrift des § 32d Satz 1 StPO. Ausweislich der Begründung des diesen Vorschriften zugrundeliegenden Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs (BT-Drucks. 18/9416, S. 50 f.) handelt es sich hierbei um eine bewusste Differenzierung, mit der der Gesetzgeber nur bestimmte schriftliche Erklärungen von Verteidigern oder Rechtsanwälten – nämlich nur solche, bei denen ausgeschlossen ist, dass sie in einer besonders eilbedürftigen Situation abzugeben sind – der strengen Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs unterwerfen wollte. Die Erklärungen der Rechtsmittelrücknahme und des Rechtsmittelverzichts fehlen in dem Katalog des § 32d Satz 2 StPO, was bei der Anwendung des Gesetzes unbeschadet des Umstandes, dass auch sie regelmäßig nicht eilbedürftig sind, hinzunehmen ist (so auch OLG Karlsruhe, aaO). Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 32d Satz 2 StPO auf diese Prozesserklärungen ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, der die Rechtsprechung veranlasst hat, für sie grundsätzlich dieselbe Form zu verlangen wie für die Einlegung des Rechtsmittels. Denn dieser besteht maßgeblich in dem Gedanken des Übereilungsschutzes; der Formzwang soll den zu der Erklärung Berechtigten zu einer gründlichen Prüfung des Für und Wider seines Schrittes veranlassen und ihn vor einer unüberlegten Entscheidung bewahren (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 1963 – 1 StR 561/62, BGHSt 18, 257, 260). Dies gewährleisten aber bereits die Formanforderungen des § 341 Abs. 1 StPO, namentlich das hier gewahrte Schriftformerfordernis. Die für Rechtsanwälte geltenden Pflichten zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs sind hingegen weder geeignet noch bestimmt, diesen Schutz weiter zu erhöhen; sie sollen vielmehr lediglich sicherstellen, dass die vom Gesetzgeber gewollten Vorteile der elektronischen Aktenführung verwirklicht werden können (vgl. KK-StPO/Graf, 9. Aufl., § 32d Rn. 1). Sie auf die im Gesetz nicht genannten Prozesserklärungen nach § 302 StPO zu erweitern ist somit auch teleologisch nicht veranlasst.“

Und auch die anderen „klassischen“ Punkte hat der BGH bejaht:

„b) Der Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung steht auch nicht entgegen, dass sie nicht von demjenigen Pflichtverteidiger abgegeben worden ist, der auch die Revision eingelegt hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 1995 – 3 StR 205/95). Die Verteidigerin war zu der Erklärung ermächtigt (§ 302 Abs. 2 StPO). Für diese Ermächtigung ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, so dass sie auch mündlich und telefonisch erteilt werden kann. Für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2019 – 1 StR 327/19 Rn. 5). Eine solche enthielt sowohl das Rücknahmeschreiben der Verteidigerin vom 27. Februar 2023 als auch deren weitere schriftliche Stellungnahme vom 21. März 2023. Deren Beweiswirkung wird auch durch das von dem anderen Verteidiger eingereichte Schreiben der Beschuldigten vom 14. März 2023 nicht entkräftet. Denn aus diesem geht hervor, dass die Beschuldigte sich gerade nicht imstande sieht auszuschließen, dass sie ihrer Verteidigerin gegenüber – wie von dieser vorgetragen – eine Erklärung abgegeben habe, die als Ermächtigung „zu werten“ war.

Die Beschuldigte hat die der Verteidigerin erteilte Ermächtigung auch nicht wirksam widerrufen. Ein Widerruf der Ermächtigung zur Revisionsrücknahme ist nur zulässig, solange die Rücknahmeerklärung noch nicht bei Gericht eingegangen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2016 – 4 StR 558/16, NStZ-RR 2017, 185, 186). Dies war aber am 14. März 2023 bereits geschehen; ein zu einem früheren Zeitpunkt der Verteidigerin gegenüber erklärter Widerruf der Ermächtigung ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ein Widerruf oder eine Anfechtung der Rücknahmeerklärung selbst kommt nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2021 – 4 StR 447/20 Rn. 4 mwN).

c) Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschuldigte nicht in der Lage gewesen sein könnte, die Bedeutung der von ihr abgegebenen Erklärung zu erfassen (vgl. zur maßgeblichen prozessualen Handlungsfähigkeit BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2019 – 1 StR 327/19 Rn. 9 ff.; Beschluss vom 20. Februar 2017 – 1 StR 552/16, NStZ 2017, 487, 488 mwN). Zwar ist ausweislich der Urteilsgründe bei der Beschuldigten in der Kindheit eine Grenzbegabung (IQ 73) festgestellt worden und sie hat nur bis zu ihrem 14. Lebensjahr die Schule, eine Förderschule, besucht. Überdies besteht bei ihr eine paranoide Schizophrenie. Allerdings konnte deren Symptomatik durch die der Beschuldigten in der einstweiligen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verabreichten antipsychotischen Medikamente erheblich vermindert werden, so dass im Urteilszeitpunkt Halluzinationen zwar noch vorhanden, aber nicht mehr handlungsleitend waren. Der Beschuldigten konnten ihre Erkrankung und die Bedeutung der medikamentösen Therapie jedenfalls oberflächlich vermittelt werden. Die Beschuldigte war ausweislich des im Freibeweisverfahren verwertbaren Akteninhalts (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2017 – 1 StR 552/16, NStZ 2017, 487, 488 mwN) zudem bereits während des laufenden landgerichtlichen Verfahrens in der Lage, sich mit schriftlichen Eingaben unter Angabe der Aktenzeichen an die Staatsanwaltschaft und „den zuständigen Richter“ zu wenden und auf in sich schlüssige Weise ihre Interessen wahrzunehmen, insbesondere ihre „Entlassung auf Bewährung aus dem Maßregelvollzug“ unter Äußerung des Bedauerns über die Anlasstaten und dem Versprechen, sich an etwaige Bewährungsauflagen halten zu wollen, anzuregen. Auch ihr Schreiben vom 14. März 2023, mit dem sie nicht geltend macht, die Bedeutung einer von ihr erteilten Ermächtigung zur Zurücknahme der Revision nicht verstanden zu haben, sondern nur die Erteilung in Abrede stellt und eine etwa doch erklärte Ermächtigung widerruft, spricht für die Verhandlungsfähigkeit der Beschuldigten, welche im Übrigen auch das Landgericht – auf der Grundlage seines in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks – ohne weiteres angenommen hat.“

Den vom BGH zitierten OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.11.2022 – 1 Ws 312/22 – hatte ich hier auch im Blog, und zwar hier: beA II: Wirksamkeit der Berufungsrücknahme per Fax, oder: Berufungsrücknahme per Fax zulässig.