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StGB III: Widerstand durch Festkleben auf der Straße, oder: Das hätte das KG gern in den Urteilgründen

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Ich hatte heute Morgen zwar geschrieben, dass es heute drei StGB-Entscheidungen vom BGH gibt. Nun, ist dann doch nicht so. Ich habe das Programm umgestellt.

Ich bin nämlich im Laufe des Tages auf den KG, Beschl. v. 16.08.2023 – 3 ORs 46/23 – 161 Ss 61/23 – gestoßen und möchte den dann doch heute sofort bringen. Denn es geht um eine Frage, die die Gerichte ja in der letzten Zeit vermehrt beschäftigt hat. Und dazu gibt es bisher wenig obergerichtliche Rechtsprechung, nämlich zur Frage des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte bei Festkleben auf Fahrbahn. Dazu dann also jetzt das KG:

Das AG hat die Angeklagte am 12.01.2023 wegen „gemeinschaftlich begangener“ Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer zu einer Geldstrafe verurteilt. Das AG istvon folgenden Feststellungen ausgegangen:

„Nach den getroffenen Feststellungen beteiligte sich die ledige Angeklagte, die Studentin ist und eine Halbwaisenrente in unbekannter Höhe bezieht, von 8:00 bis 9:40 Uhr auf dem Autobahnzubringer A 111 im Bereich K.-Damm/H.Damm in B. an einer Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“, bei der sich sie und drei weitere Personen aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans auf die Fahrbahn der viel befahrenen Straße setzten, um so die auf der Straße befindlichen Fahrzeugführer bis zur Räumung der Blockade durch Polizeibeamte an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern. Wie von ihr beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade bis zu deren Auflösung zu einer erheblichen Verkehrsbeeinträchtigung in Form eines ca. 60 Minuten andauernden Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge über mehrere hundert Meter. Zur Erschwerung der erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Blockade befestigte sie zeitgleich ihre rechte Hand mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn, so dass die Polizeibeamten sie erst nach Lösung des Klebstoffs, die eine bis eineinhalb Minuten in Anspruch nahm, von der Straße tragen konnten.“

Das KG hat aufgehoben. Ihm reicht die Beweiswürdigung des AG nicht:

 „Auf der Grundlage dieses Maßstabs erweist sich das angefochtene Urteil als lückenhaft. Denn ihm ist nicht zu entnehmen, worauf das Amtsgericht seine Annahme gestützt hat, die Angeklagte habe sich auf der Fahrbahn festgeklebt, um die erwartete polizeiliche Maßnahme zur Räumung der Blockade zu erschweren (UA S. 2). Dies ist weder den mitgeteilten Zeugenaussagen noch dem mitgeteilten Inhalt des Geständnisses zu entnehmen. Dass es glaubhaft sei, weil es dem “aktenkundigen Ermittlungsergebnis” (UA S. 3) entspreche, und die Angeklagte es „uneingeschränkt“ abgelegt habe (UA S. 6), führt zu keiner anderen Betrachtung, weil das bloße Abgleichen des Geständnisses mit der Aktenlage keine hinreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung darstellt (vgl. BGH NStZ 2023, 57 m.w.N.). Als allgemeinkundig kann der Umstand, die Angeklagte habe sich festgeklebt, um die Räumung durch die Polizei zu erschweren, nicht angesehen werden (zur Allgemeinkundigkeit vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 –  3 StR 508/17 -. juris; LG Berlin, Urteil vom 18. Januar 202 – (518) 237 Js 518/22 Ns (31/22) -, juris). Dazu hätte es weiterer Ausführungen bedurft.“

Und dann gibt es noch folgende „Anmerkungen“:

„3. Da bereits der unter 1. dargelegte Rechtsfehler zur Aufhebung des Urteils führt, kam es zwar auf das weitere Rügevorbringen der Angeklagten nicht mehr an, der Senat merkt aber dazu folgendes an:

a) Auch die auf die Verwerflichkeitsprüfung beziehende Beweiswürdigung erweist sich als lückenhaft. Das Amtsgericht hat seine Schlussfolgerung (durch wörtliche – kommentarlose – Wiedergabe einer etwa sechs Monate vor Beginn der Hauptverhandlung verfassten staatsanwaltlichen Verfügung), die Tat der Angeklagten sei verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB, auf die “teilweise Dringlichkeit der blockierten Transporte” und auf den Umstand gestützt, dass die Aktion unangekündigt gewesen sei (UA S. 5). Unklar bleibt allerdings, auf welcher tatsachenbegründeten Beweiswürdigung diese Schlussfolgerung beruht; auf den vorliegenden Einzelfall bezogene Feststellungen dazu enthält das Urteil nicht. Diese ergeben sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe.

Zwar stützt sich das Amtsgericht zur Begründung der Höhe des einzelnen Tagessatzes auf lückenhafte Feststellungen. Denn es hat ausgeführt, die Höhe des einzelnen Tagessatzes gemäß § 40 Abs. 2 StGB geschätzt zu haben, verschweigt aber, auf welcher tatsächlichen Grundlage es die Schätzung vorgenommen hat; die Mitteilung, die Angeklagte sei Studentin und beziehe eine Halbwaisenrente, lässt keine konkreten Rückschlüsse auf die Höhe des Einkommens zu. Allerdings hält es der Senat für ausgeschlossen, dass die als Studentin in L. lebende Angeklagte über ein unter 600,- Euro liegendes Einkommen verfügt, weswegen sie dieser Rechtsfehler nicht beschwert……

5. Zur weiteren Sachbearbeitung weist der Senat auf Folgendes hin:

„a) Grundsätzlich kommt eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB auch dann in Betracht, wenn sich der Täter bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber o.ä. festklebt, um die von ihm erwartete alsbaldige polizeiliche Räumung der Fahrbahn nicht nur unwesentlich zu erschweren.

aa) Das Festkleben auf der Fahrbahn, um das Entfernen von dort zu verhindern oder zu erschweren, kann als Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB qualifiziert werden; es ist in seiner physischen Wirkung dem Selbstanketten (vgl. dazu BVerfGE 104, 92; OLG Stuttgart NStZ 2016, 353) vergleichbar. Hier wie dort liegt eine durch tätiges Handeln bewirkte Kraftentfaltung vor, die gegen den Amtsträger gerichtet und geeignet ist, die Durchführung der Vollstreckungshandlung zu verhindern oder zu erschweren (vgl. BGHSt 18, 133, 134; NStZ 2023, 108; 2013, 336). Dass Polizeibeamten das durch Festkleben entstandene physische Hindernis durch Geschicklichkeit – hier unter Verwendung eines Lösungsmittels – zu beseitigen in der Lage sind, steht dem Merkmal der Gewalt nicht grundsätzlich entgegen und nimmt dem Vollstreckungsbeamten nicht ohne weiteres die körperliche Spürbarkeit (vgl. zu diesem Merkmal BGHSt 65, 36 m.w.N.) des Widerstands (a.A. LG Berlin, Beschluss vom 20. April 2023 – 503 Qs 2/23 -, juris). Ob das Festkleben im konkreten Einzelfall als gewaltsamer Widerstand gegen eine Diensthandlung im Sinne von § 113 Abs.1 StGB zu qualifizieren ist, bedarf allerdings der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. zu § 240 StGB Senat DAR 2022, 393). Hierbei sind auch Umfang und Dauer der zur Überwindung des Hindernisses erforderlichen Mittel in den Blick zu nehmen und vom Tatgericht zumindest in Grundzügen – wie es das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung noch ausreichend getan hat – darzulegen. Der Umstand, dass die Polizeibeamten nach den getroffenen Feststellungen eine bis eineinhalb Minuten benötigten, um die Angeklagte von der Fahrbahn zu lösen, ist ein gewichtiges Indiz, dass im vorliegenden Fall für die Annahme von Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB spricht.

bb) Ebenso wenig steht einer Strafbarkeit nach § 113 Abs. 1 StGB entgegen, dass die Widerstandshandlung (hier durch Festkleben auf der Fahrbahn) bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung (Entfernen der Demonstranten von der Fahrbahn) vorgenommen wurde. Zur Verwirklichung des objektiven Tatbestands genügt es, wenn der Täter gezielt eine Widerstandshandlung vornimmt, die bei Beginn der Vollstreckungshandlung noch fortwirkt (vgl. BGHSt 18, 133; OLG Stuttgart NStZ 2016, 353). Um ein gezieltes Verhalten des Täters vom bloßen Ausnutzen eines bereits vorhandenen Hindernisses abzugrenzen, muss allerdings in derartigen Fallgestaltungen der Wille des Täters dahin gehen, durch seine Tätigkeit den Widerstand vorzubereiten (vgl. BGH a.a.O.). Das Tatgericht hat deshalb dahingehende Feststellungen zu treffen, ob sich der Täter (zumindest auch) festgeklebt hat, um sich der von ihm erwarteten polizeilichen Räumung zu widersetzen.

c) Um den Schluss ziehen zu können, dass eine Nötigung verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB ist, bedarf es einer einzelfallbezogenen Würdigung aller Tatumstände. Das kommentarlose Einrücken von Textpassagen – hier einer etwa sechs Monate vor der Hauptverhandlung verfassten staatsanwaltlichen Verfügung – genügt dem nicht und ist vielmehr geeignet, das Vertrauen der Bürger in das Bemühen der Gerichte um Gewährung von Einzelfallgerechtigkeit nachhaltig zu beschädigen.

Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Verwerflichkeit zu ermöglichen, hat das Tatgericht in den Urteilsgründen eine tragfähige Entscheidungsgrundlage darzulegen. Das Gericht wird zumindest folgende Gesichtspunkte zu beachten und dazu die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben:

  • Ankündigung der geplanten Blockade/ Anmeldung der Demonstration,

  • Dauer der Blockade,

  • eine präzise Beschreibung des Tatorts, wobei hinsichtlich der Einzelheiten auch gemäß 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf Lichtbilder, Tatortskizzen, Kreuzungspläne und dergleichen mehr verwiesen werden kann,

  • Art und Ausmaß der Blockade, insbesondere die Länge des Staus, sowie etwaige Ausweichmöglichkeiten für die Kraftfahrer vor der blockierten Fahrbahn,

  • die Motive der Angeklagten, insbesondere auch dazu, warum sie sich festgeklebt hat,

  • Zweck/Zielrichtung der Demonstration.“

StGB I: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder: Entkleidung einer Frau im Beisein männlicher Beamter

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Ich stelle heute dann StGB-Entscheidungen vor, die eins gemeinsam haben: Es handelt sich um nicht alltägliche Fallgestaltungen.

Schon etwas älter ist die erste Entscheidung, die ich vorstelle. Es handelt sich um den BayObLG, Beschl. v. 07.12.2022 – 206 StRR 296/22. Das LG hatte die Angeklagte wegen eines Geschehens, das noch in der „Corona-Zeit“ liegt wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung in Tatmehrheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit drei tateinheitlichen Fällen der Beleidigung“ verurteilt.

Dagegen die Revision der Angeklagten, die nur teilweise Erfolg hatte. Das BayObLG hat nämlich die Revision wegen eines Teils des Berufungsurteils verworfen, insoweit bitte selbst lesen. Wegen eines weiteren Teils hatte sie hingegen Erfolg. Insoweit geht es um die Frage der Strafbarkeit wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) durch Widerstandshandlungen einer weiblichen Person, die aufgrund polizeirechtlicher Vorschriften zur Durchsetzung einer Platzverweisung in Gewahrsam genommen und in eine Haftzelle verbracht wurde, gegen ihre Entkleidung, die nach zunächst erfolglosen Maßnahmen weiblicher Polizeibeamtinnen unter Anwendung unmittelbaren Zwangs unter Beteiligung mehrerer männlicher Polizeibeamter bis auf den Slip durchgeführt wurde. Dazu das BayObLG:

„Die Revision erweist sich hingegen als begründet, soweit das Verhalten der Angeklagten im zweiten Teilkomplex des Gesamtgeschehens zu einer Verurteilung geführt hat. Das Berufungsurteil weist insoweit durchgreifende Darstellungs- und Erörterungsmängel auf.

1. Ein Schuldspruch wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte setzt, was das Landgericht im Ansatz zutreffend gesehen hat, in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 3 StGB die Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Diensthandlung voraus (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 114 Rn. 6). Auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen fehlt es hieran, wie die Revision zu Recht beanstandet. Auch die Generalstaatsanwaltschaft schließt sich dem in ihrer Stellungnahme vom 21. September 2022 im Ergebnis an; soweit die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft die Entkleidung der Angeklagten in der Haftzelle betreffen, nimmt der Senat hierauf ergänzend zu den nachfolgenden Ausführungen Bezug.

a) Der von der Angeklagten geleistete tätliche Widerstand richtete sich ausweislich der Feststellungen nicht gegen ihre Ingewahrsamnahme als solche gemäß Art. 17 PAG in der zur Tatzeit geltenden, von der aktuellen Rechtslage abweichenden Fassung vom 25. Mai 2018 bis 31. Juli 2021. Gegen ihre Verbringung zur Polizeidienststelle hat sich die Angeklagte nicht gewehrt. Tätlichen Widerstand leistete sie vielmehr erst gegen die ihr in der Haftzelle erteilte Aufforderung, sich (offensichtlich: vollständig oder nahezu vollständig) zu entkleiden, sowie gegen ihre zwangsweise Entkleidung, vorgenommen durch zwei Polizeibeamtinnen, die dabei von männlichen Beamten unterstützt wurden (UA S. 8), wobei der Senat anmerkt, dass in den Urteilsfeststellungen lediglich das Hinzukommen eines männlichen Beamten (POM …) geschildert wird, während sich aus den Aussagen der Zeugen eine Unterstützung durch drei männliche Beamte ergibt (UA S. 14, S. 15), von welchen einer sogar den BH der Angeklagten geöffnet hat (UA S. 15).

b) Ob die Ingewahrsamnahme der Angeklagten nach Art. 17 PAG gerechtfertigt war, begegnet zwar Bedenken, eine abschließende Entscheidung ist aber auf der Grundlage der insoweit lückenhaften Feststellungen weder möglich noch ist sie erforderlich. Selbst wenn eine etwaige weitere Sachverhaltsaufklärung durch den neuen Tatrichter die Beurteilung erlauben würde, dass die Ingewahrsamnahme als solche rechtmäßig war, stellt dies kein Präjudiz für die Rechtmäßigkeit der Entkleidungsanordnung dar. Die Frage der Anordnung der Ingewahrsamnahme und deren Vollzug sind grundsätzlich voneinander zu scheiden (BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 2005, 2 BvR 447/05, juris Rn. 61). Auch wenn die Anordnung der Ingewahrsamnahme rechtmäßig ist, kann sich eine einzelne Maßnahme während des Vollzugs als rechtwidrig erweisen (BVerfG a.a.O.).

c) Die Maßnahme der Entkleidung, gegen die die Angeklagte Widerstand leistete, stellt einen gravierenden, jedenfalls durch die festgestellten Tatsachen nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff dar und war damit rechtswidrig.

(1) Maßnahmen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen allgemein einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 GG dar (VG Augsburg, Urteil vom 10. Dezember 2021, Au 8 K 20.1952, juris Rn. 28; BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2009, 2 BvR 455/08, juris Rn. 25 für eine mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung). Neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist auch die Menschenwürde, Art. 1 GG, tangiert. Die Maßnahme einer Entkleidung kann allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn sie zum Schutz der in Gewahrsam genommenen Person selbst oder zum Schutz der Beamten vor Gefahren für Leib und Leben im Einzelfall geboten erscheinen (VG Augsburg a.a.O.).

(2) Der Senat kann den Feststellungen keine tatsächlichen Umstände entnehmen, die die Entkleidung der Angeklagten hätten rechtfertigen können.

aa) Nach den Angaben der als Zeugin vernommenen Polizeibeamtin pp. habe sich die Anordnung auf „Vorschriften der HVOPol“ gestützt (UA S. 8, 14); eine konkrete Bestimmung wurde dabei von ihr nicht genannt. Weiter nach Aussage der Zeugin – der sich die Berufungskammer ohne weitere Erörterung kritiklos angeschlossen hat (UA S. 17) –, seien „in einem BH meistens Metallbügel verarbeitet, die man leicht entnehmen könne und die dann gefährlich sein könnten“ (UA S.17).

Auf diese Behauptungen und Wertungen lässt sich die Maßnahme indessen nicht stützen. Nr. 3 Abs. 1 der Haftvollzugordnung der Polizei (HVPol), die zur Tatzeit in Geltung war (Fassung vom 5. April 1978) und inzwischen außer Kraft ist (seit 1. Mai 2022) ordnete an, dass ein Polizeihäftling sachlich, gerecht und unter Achtung der Menschenwürde zu behandeln sei. Gemäß der auch vom Landgericht herangezogenen Nr. 16 Abs. 1 der HVPol waren Gegenstände des Polizeihäftlings, die u.a. zur Schädigung von Leben und Gesundheit verwendet werden konnten, zu beschlagnahmen; beispielhaft waren Messer, Werkzeuge, Gürtel, Hosenträger u.a. genannt. Nach Nr. 16 Abs. 2 der HVPol war ein Polizeihäftling auf die nach Abs. 1 sicherzustellenden Gegenstände gründlich zu durchsuchen.

Von einer Entkleidung ist in der Verordnung nicht die Rede. Selbst wenn unterstellt wird, dass in einen BH Metallbügel eingearbeitet sein können – worauf sich die Annahme, dies sei „meistens“ der Fall, stützt, ist nicht dargelegt und dürfte auch tatsächlich nicht zutreffen – erschließt sich dem Senat nicht, warum zur Feststellung, ob ein solcher BH von der Angeklagten getragen wurde, deren vollständige Entkleidung notwendig gewesen sein sollte, insbesondere auch der Bekleidung des Unterkörpers, wobei in den Feststellungen nicht einmal mitgeteilt wird, worin diese Kleidung bestand und ob von dieser irgendeine Gefahr ausgehen konnte. Dass es bedeutend mildere Maßnahmen zur Feststellung, ob der BH der Angeklagten im konkreten Fall tatsächlich so beschaffen war, dass er als Werkzeug zur Schädigung von Leben oder Gesundheit hätte verwendet werden können (z.B. Abtasten durch eine weibliche Beamtin unter der Oberbekleidung, ggf. Ablegen des BH unterhalb der Kleidung durch die Angeklagte), liegt auf der Hand. Feststellungen, wonach solche milderen Eingriffe im konkreten Fall nicht möglich gewesen wären, sind nicht getroffen. Die vollständige Entkleidung der Angeklagten – das Gericht teilt in den Feststellungen nicht mit, ob und welche Kleidungsstücke die Angeklagte anbehalten durfte, lediglich aus einer Zeugenaussage ergibt sich, dass sie wenigstens ihren Slip habe anbehalten dürfen (UA S. 15) – stellt sich im Hinblick darauf als grob unverhältnismäßig und als schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Angeklagten dar.

bb) Dass eine, wie von einer Zeugin geschildert, etwaige „allgemeine Anordnung des Polizeipräsidiums“ und „eine seit Jahren bewährte Praxis“ (UA S. 17) nicht geeignet sind, einen derart gravierenden Eingriff wie das vollständige Entkleiden einer in Polizeigewahrsam genommenen Person unabhängig von den Umständen des konkreten Einzelfalls zu rechtfertigen, bedarf keiner weiteren Erörterung. Derartige Faktoren können fehlende gesetzliche Eingriffsgrundlagen nicht ersetzen.

cc) Feststellungen dazu, dass sich die Entkleidung der Angeklagten aus anderen Gründen als zum Zweck der Sicherstellung eines etwaig getragenen Büstenhalters mit eingearbeiteten Bügeln als erforderlich erwiesen habe, sind nicht getroffen. Im Übrigen unterlassen es die Urteilsgründe zudem, mitzuteilen, ob und welche Art von BH von der Angeklagten tatsächlich getragen wurde.

(2) Hinzu kommt schließlich noch, dass die Entkleidung der Angeklagten – bei andauerndem Widerstand ihrerseits – unter Hinzuziehung männlicher Beamter stattgefunden hat, wobei sich zudem ein offener Widerspruch zwischen den Feststellungen (UA S. 8: PHM … sei „in die Zelle gekommen, um zu helfen“) und der erhobenen Beweise (UA S. 14): PHM … [männlich] habe sich zusammen mit PHM … [männlich] und PHM … [männlich] in die Zelle begeben, danach sei der Körper der Angeklagten fixiert worden. Schließlich habe der männliche Beamte … den BH-Verschluss geöffnet (UA S. 15).

Die Beteiligung männlicher Beamter an der Entkleidung der Angeklagten beinhaltet zunächst einen eklatanten Verstoß gegen Nr. 16 Abs. 4 HVPol, welcher anordnet dass, bei der körperlichen Durchsuchung von Frauen Männer nicht einmal anwesend sein durften, was nach dem Gesetzeszweck nicht nur für die Durchsuchung des Körpers, sondern auch für eine Durchsuchung gemäß Nr. 16 Abs. 2 HVPol nach Gegenständen im Sinne der Nr. 16 Abs. 1 HVPol zumindest dann gelten musste, wenn diese Durchsuchung in der Bekleidung vorgenommen wurde oder gar mit deren fast vollständiger Entfernung vom Körper der Betroffenen verbunden war. Zudem liegt gleichzeitig ein Verstoß gegen Art. 21 Abs. 3 PAG in der zur Tatzeit geltenden Fassung vom 24. Juli 2017, insoweit gleichlautend mit der geltenden Fassung, vor, wonach Personen nur von Personen gleichen Geschlechts oder Ärzten durchsucht werden durften. Dies ist nur dann anders, wenn die sofortige Durchsuchung zum Schutz gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist. Dafür, dass diese Voraussetzungen vorgelegen hätten, ergibt sich aus den Feststellungen nicht im Ansatz ein Hinweis. Ob ein BH, der als gefährlicher Gegenstand hätte missbraucht werden können, getragen wurde, hätte sich, wie dargelegt, durch Maßnahmen deutlich geringerer Eingriffsintensität als durch das fast vollständige Entkleiden der Angeklagten unter Beteiligung dreier männlicher Beamter feststellen lassen, ggf. sogar unter Festhaltung der bekleideten Angeklagten durch männliche Beamte und Überprüfung der Beschaffenheit des BHs unter der Oberbekleidung durch eine weibliche Beamtin.

d) Soweit die Angeklagte gegen die Maßnahme des zwangsweisen Entkleidens tätlichen Widerstand geleistet hat, kann sie sich somit wegen deren jedenfalls auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsurteils bestehenden Rechtswidrigkeit weder wegen eines tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte nach § 114 StGB noch – vom Berufungsgericht ohnehin übersehen – wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB schuldig gemacht haben. Der Schuldspruch wird vom Revisionsgericht aufgehoben.“

StGB I: Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, oder: Tatsächliche Feststellungen

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Heute dann drei StGB-Entscheidungen.

Zunächst stelle ich den OLG Stuttgart, Beschl. v. 11.07.2022 – 4 Rv 26 Ss 378/22 – zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung vor.

Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„In der Nacht vom 20.05.2020 auf den 21.05.2020 kam es zu mehreren Platzverweisen gegen eine Gruppe alkoholtrinkender Personen, unter denen sich auch der Angeklagte befand. Der Angeklagte wurde schließlich wegen des Verdachts, eine Bierflasche gegen ein Polizeiauto geworfen zu haben — insofern wurde in der Hauptverhandlung nach § 154 II StPO verfahren — in polizeilichen Gewahrsam genommen. Zu diesem Zweck verbrachten ihn, mit Handschließen fixiert, Polizeikräfte zum Polizeirevier Calw. Gegen 0.10 Uhr am 21.05.2020 nahmen ihm PHMZ pp. und PMA pp. in der Gewahrsamszelle des Polizeireviers Calw, Schloßberg 3, die Handschließen ab. Als PMA pp. die Handschließen abgestreift hatte und im Begriff war, diese außerhalb der Gewahrsamszelle abzulegen, und während PHMZ pp. den Angeklagten aus Sicherheitsgründen am Arm festhielt, holte der Angeklagte plötzlich mit dem rechten Arm aus, um PHMZ Pp. einen Faustschlag zu versetzen, wobei er in Richtung Kopf/Hals zielte. PHMZ Pp. konnte den Schlag jedoch abwehren und den Angeklagten gemeinsam mit den hinzugeeilten PMA pp. und PK pp. wieder schließen.

Eine noch zu Beginn der Gewahrsamsnahme am Polizeiauto durchgeführte Atemalkoholkontrolle ergab um 0:08 Uhr eine Atemalkoholkonzentration von 1,54 mg/I. Trotz der hohen Alkoholisierung lag weder eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungs- noch der Einsichtsfähigkeit vor“.

Dagegen die Berufung, die beschränkt worden ist. Das LG hat die Beschränkung als wirksam angesehen und die Berufung verworfen. Anders das OLG in der Revision:

„2. Gemessen hieran ist die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam. Denn die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen sind lückenhaft und ermöglichen dem Senat keine Überprüfung dahingehend, ob die Verurteilung wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 114 Abs. 1 StGB zu Recht erfolgt ist.

Dem Urteil ist nicht hinreichend zu entnehmen, ob die polizeilichen Diensthandlungen, gegen die sich der Angeklagte zur Wehr setzte, rechtmäßig waren. Der Vorschrift des § 113 Abs. 3 StGB, auf die § 114 Abs. 3 StGB verweist, liegt der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff zugrunde, der sich mit dem materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff nicht in jedem Fall deckt. Es kommt grundsätzlich nicht auf die Richtigkeit der Amtshandlung, sondern auf ihre formale Rechtmäßigkeit an, also auf die sachliche und örtliche Zuständigkeit des handelnden Beamten, die gesetzlichen Förmlichkeiten, soweit sie vorgeschrieben sind und — soweit der Beamte nach eigenem Ermessen handelt — die Ordnungsgemäßheit der Ermessensausübung. Entscheidend ist weiter, ob der Beamte im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher pflichtgemäßer Abwägung aller erkennbaren Umstände die Handlung für nötig und sachlich gerechtfertigt halten durfte (BVerfG, Beschluss vom 30. April 2007 – 1 BvR 1090/06, juris Rn. 37). Zudem sind Belehrungs-, Eröffnungs- und Hinweispflichten, die eine effektive Wahrnehmung entgegenstehender Rechte, aber auch eine autonome Entscheidung zur freiwilligen Befolgung des Verwaltungsbefehls ermöglichen, für die strafrechtliche Rechtmäßigkeit einer Diensthandlung wesentlich (MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl., § 113, Rn. 41).

Hiervon ausgehend ist es, um die rechtliche Einordnung der Diensthandlung durch das Tatgericht nachvollziehbar prüfen zu können, erforderlich, dass die Urteilsfeststellungen die Diensthandlung, gegen die sich der Angeklagte zur Wehr setzte, genau erkennen lassen. Es genügt nicht, die Diensthandlung nur ihrer Art nach zu benennen, sondern es bedarf auch hinreichender Feststellungen zum Zweck, zur Ausführung und zu den Begleitumständen, so-dass ein Bezug zu einer bestimmten Ermächtigungsgrundlage erkennbar wird, aus der sich wiederum die einzuhaltenden wesentlichen Förmlichkeiten ergeben (OLG Hamm, Beschluss vom 25. Februar 2016 — 3 RVs 11/16, juris Rn. 6, 7). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

a) Aus den Feststellungen ergibt sich bereits nicht, ob die von den Polizeibeamten vorgenommenen Diensthandlungen, nämlich die Ingewahrsamnahme, das Anlegen der Hand-schließen und das Verbringen auf die Dienststelle, präventiv-polizeilichen oder repressiven Zwecken dienten. Die Formulierung des Amtsgerichts, der Angeklagte sei von den Beamten wegen des Verdachts, eine Bierflasche gegen ein Polizeiauto geworfen zu haben, in Gewahrsam genommen worden, lässt es zumindest als möglich erscheinen, dass die Ingewahrsamnahme nicht aus einem der in § 28 Abs. 1 PolG BW (in der zur Tatzeit geltenden Fassung) anerkannten Gründe erfolgte, sondern als — repressive — Reaktion auf den vermeintlichen Flaschenwurf. Dass die lngewahrsamnahme zur Vermeidung weiterer Ausschreitungen und damit zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG BW a.F.) oder zur Identitätsfeststellung (§ 28 Abs. 1 Nr. 3 PolG BW a.F.) erfolgte, ist dagegen gerade nicht festgestellt.

b) Auch lässt sich den Feststellungen nicht hinreichend entnehmen, ob die Polizeibeamten dem Angeklagten die durchgeführten Maßnahmen im Rahmen eines stufenweisen Vorgehens angedroht und ihm so die Möglichkeit der freiwilligen Beachtung des Verwaltungsbefehls, namentlich der Befolgung des Platzverweises, ermöglicht haben oder ob im vorliegenden Einzelfall eine solche Androhung aufgrund (in einem Urteil näher darzulegender) besonderer Umstände ausnahmsweise entbehrlich oder nicht möglich war. Das Erfordernis der vorherigen Androhung einer polizeilichen Zwangsmaßnahme ergibt sich bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist beispielsweise für den unmittelbaren Zwang ausdrücklich gesetzlich geregelt (§ 52 Abs. 2 PolG BW a.F., jetzt § 66 Abs. 2 PolG BW n.F.). Bei einer Ingewahrsamnahme sind zudem der Grund der Maßnahme und die gegen sie zulässigen Rechtsbehelfe unverzüglich bekanntzugeben (§ 28 Abs. 2 PolG BW a.F., jetzt § 33 Abs. 2 PolG BW n.F.).

Ob dies erfolgt ist oder nicht, ist im Urteil des Amtsgerichts nicht hinreichend dargetan. Zwar ist – im Rahmen der Beweiswürdigung – ausgeführt, dass einer der Beamten dem An-geklagten den Gewahrsam „erläutert“ habe; dem lässt sich jedoch nicht entnehmen, ob die konkreten Vorgaben des § 28 Abs. 2 PolG BW a.F. eingehalten wurden.

c) Da sich aus den Feststellungen nicht ergibt, ob derartige wesentliche Förmlichkeiten von den beteiligten Polizeibeamten eingehalten wurden, sind diese insoweit lückenhaft, zumal die Einhaltung der Förmlichkeiten auch nicht aus einer Gesamtbetrachtung der Urteilsgrün-de ersehen werden kann. So bleibt offen, aus welchem konkreten Anlass es zu den Platz-verweisen gegen die Gruppe, der auch der Angeklagte angehörte, kam. Auch ist nicht dar-getan, wie der Angeklagte hierauf reagierte und welche weiteren Maßnahmen ihm von den an dem Einsatz beteiligten Polizeibeamten für den Fall der Nichtbefolgung angedroht wurden.

Ebenfalls nicht festgestellt ist, aufgrund welcher konkreten Umstände dem Angeklagten Handschließen angelegt wurden und ob vor Anwendung dieser Maßnahme des unmittelbaren Zwangs eine Androhung erfolgte oder ob dies, etwa aufgrund des Verhaltens des Angeklagten, ausnahmsweise unterbleiben konnte.“

BayObLG II: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder: Körper des Beamten „gestreift“ – schon Gewalt?

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Die zweite Entscheidung des BayObLG, der BayObLG, Beschl. v. 01.06.2021 – 202 StRR 54/21 – nimmt zum Gewaltbegriff i.S.v. § 113 Abs. 1 StGB und zu den notwendigen Feststellungen zur Rechtsmäßigkeit der Diensthandlung i.S.v. § 113 Abs. 3 Stellung. Also: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.

Das LG hatte als Berufungsgericht folgende Feststellungen getroffen:

„Am 27.12.2019 war der Angeklagte gegen 15:40 Uhr in seinem Wohnort Sch. aus Richtung des Grenzübergangs zur tschechischen Republik joggend unterwegs. Hierbei trug er eine „Sturmhaube“, sodass sein Gesicht nicht zu erkennen war. Die Polizeibeamten A. und G. wollten den Angeklagten einer Personenkontrolle unterziehen. Sie wiesen sich gegenüber dem Angeklagten aus und baten diesen, sich ebenfalls auszuweisen, da er einer Personenkontrolle unterzogen werden sollte. Der Angeklagte erklärte daraufhin, nicht mit der Kontrolle einverstanden zu sein. Er zeigte auch keinen Ausweis vor, um sich über seine Personalien auszuweisen. Als die Beamten erklärten, sie würden ihn notfalls auch gegen seinen Willen durchsuchen, erwiderte er, dass er hiermit nicht einverstanden sei. Außerdem äußerte er zu den Polizeibeamten, dass sie einmal ohne Dienstmarken kommen sollen, dann würden sie schon sehen, was er machen werde. Daraufhin zog der Angeklagte, der türkischer Staatsangehöriger ist, sein Mobiltelefon aus der Tasche und erklärte, er werde jetzt das türkische Generalkonsulat anrufen. Die Beamten forderten den Angeklagten auf, das Telefonat bis nach Beendigung der Kontrolle zurückzustellen. Der Angeklagte kam dem jedoch nicht nach, sondern „hantierte weiter an seinem Handy“. Der Beamte A. wollte dem Angeklagten nun das Mobiltelefon aus der Hand nehmen, um „so die Kontrolle ordnungsgemäß zu Ende zu bringen“. Als der Beamte gerade dabei war, nach dem Telefon des Angeklagten zu greifen, begann dieser „mit den Armen stark rudernd, um sich zu schlagen, um zu verhindern, dass sein Mobiltelefon sichergestellt wird“. Dabei „streifte“ er mit seiner Hand auch den Brustbereich von PHK G. Aufgrund dieses Verhaltens wurde der Angeklagte durch die Beamten unter Einsatz körperlicher Gewalt zu Boden gebracht und fixiert. Dort ließ er sich Handschellen anlegen und leistete dabei keinen Widerstand, sodass er zur Dienststelle verbracht, dort durchsucht und seine Personalien festgestellt werden konnten.“

Dem BayObLG reicht das nicht für eine Verurteilung. Hier die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Die Annahme von Gewalt i.S.d. § 113 Abs. 1 StGB setzt ebenso wie ein tätlicher Angriff i.S.d § 114 Abs. 1 StGB voraus, dass sich die Tathandlung gegen den Körper des Amtsträgers richtet.

  1. Im Falle der Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte leidet das tatrichterliche Urteil unter einem Darstellungsmangel, wenn sich aus der Schilderung des Geschehens die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung i.S.d. § 113 Abs. 3 StGB nicht ergibt.

Also: Aufgehoben und zurückverwiesen.

StGB II: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder: Beisichführen eines Taschenmessers

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt vom OLG Bremen. Das hat im OLG Bremen, Urt. v. 31.03.2021 – 1 Ss 50/20 – zum Beisichführen eines Taschenmessers bei einer Widerstandshandlung (§ 113 StGB) Stellung genommen.

Das LG hatte festgestellt:

„….Während der Tat führte der Angeklagte bewusst und gebrauchsbereit ein einseitig geschliffenes eingeklapptes Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 8,5 cm in seiner Hosentasche mit sich…..“

Das OLG hat das Vorliegen des Regelbeispiels des § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB bejaht, und zwar mit folgenden Leitsätzen:

  1. Das bewusste und gebrauchsbereite Beisichführen eines eingeklappten Taschenmessers mit einer Klingenlänge von 8,5 cm als gefährliches Werkzeug erfüllt die Voraussetzungen des Regelbeispiels nach § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB. Eine Verwendungsabsicht wird – mit Wirkung für Taten nach dem 29. Mai 2017 – nicht mehr vorausgesetzt.

  2. Die Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung des Tatgerichts zum Bewusstsein des Beisichführens eines Taschenmessers als gefährliches Werkzeug während der Widerstandshandlung im Rahmen des § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB ist nicht im Rahmen der revisionsgerichtlichen Überprüfung als lückenhaft anzusehen, wenn das Tatgericht sich hierzu darauf stützt, dass der Angeklagte eingeräumt hat, das Taschenmesser bei sich geführt zu haben, um es im konkreten Moment der Tat zu bestimmten (anderweitigen) Zwecken zu verwenden.

  3. Erfolgt die Widerstandshandlung in einem Raum, der für den Angeklagten den Schutz nach Art. 13 GG genießt, kann dies – auch wenn dies die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung unberührt lässt – zu berücksichtigen sein im Rahmen der Strafzumessung und bei der Prüfung, ob die Indizwirkung des Regelbeispiels nach § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB in Form des bloßen Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs widerlegt ist.