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Pflichti II: Keine Beiordnung des Wahlanwalts, oder: Wenn die Entbindung des Pflichtis erschlichen wurde

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Im zweiten Pflichtverteidigungsposting heute – dem vorletzten in 2021 🙂 – dann eine  obergerichtliche Entscheidung zu Entbindungsfragen bzw. in Zusammenhnag damit. Es handelt sich um den KG, Beschl. v. 28.10.2021 – 3 Ws 276/21 – zur Frage der Beiordnung des Wahlverteidigers, der zuvor die Entbindung des Pflichtverteidigers „erreicht“, das KG spricht von „erschlichen“, hat.

„3. Die damit zulässig erhobene sofortige Beschwerde ist aber unbegründet. Der Vorsitzende der großen Strafkammer hat den Beiordnungsantrag der Rechtsanwältin verfahrensfehlerfrei abgelehnt.

Zwar liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung bereits nach § 140 Abs. 1 StPO vor. Die Bestellung der Wahlverteidigerin zur Pflichtverteidigerin kommt aber nicht in Be-tracht, weil diese zuvor einen Kollegen aus seiner Stellung als Pflichtverteidiger ver-drängt hat und eine der in § 143a Abs. 2 StPO kodifizierten (Ausnahme-) Fallkonstel-lationen weder geltend gemacht wird noch ersichtlich ist (vgl. OLG Bamberg, Be-schluss vom 8. April 2021 – 1 Ws 195/21 – [juris]). Bereits vor Inkrafttreten des Ge-setzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung am 13. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2128) war anerkannt, dass ein Rechtsanwalt seine Bestellung als Pflichtverteidiger nicht dadurch erreichen kann, dass er zunächst durch die Über-nahme eines Wahlmandats die Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers be-wirkt und hiernach auf seine eigene Anordnung als Pflichtverteidiger anträgt (vgl. BGH StraFo 2008, 505; KG NStZ 2017, 64; OLG Köln, Beschlüsse vom 24. Sep-tember 2012 – III-2 Ws 678/12 – und vom 7. Oktober 2005 – 2 Ws 469/05 –). Ande-renfalls, so wurde argumentiert, könnten die Grundsätze über die Rücknahme einer Pflichtverteidigerbestellung und deren Grenzen allzu leicht unterlaufen werden (vgl. etwa OLG Köln, Beschluss vom 24. September 2012, a.a.O.).

Die Gesetzesnovelle gibt zu einer anderen Bewertung dieser gefestigten Rechtspre-chung keinen Anlass. § 143a Abs.1 Satz 2 StPO bekräftigt und kodifiziert diese Rechtsprechung vielmehr. Hiernach ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht aufzuheben, „wenn zu besorgen ist, dass der neue Verteidiger das Mandat dem-nächst niederlegen und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragen wird“. Die von Rechtsanwältin Y. beabsichtigte Übernahme der Pflichtverteidigung ist damit von Gesetzes wegen ausdrücklich unerwünscht.

Der dem Senat vorliegende Sachverhalt gibt auch keinen Anlass, die Ausnahmevor-schrift des § 143a Abs. 2 Nr. 3 Var. 1 StPO anzuwenden. Hiernach gilt etwas ande-res, wenn „das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem end-gültig zerstört ist“. Der Beschwerdeführer macht über seine Verteidigerin lediglich geltend, die „Entpflichtung“ sei auf „eigenen Wunsch“ erfolgt. Eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses, an welche mit guten Gründen hohe Anforderungen zu stel-len sind (vgl. grundlegend BGHSt 39, 310), wird hingegen nicht behauptet und erst recht nicht, was erforderlich wäre, substantiiert und überzeugend dargelegt. Sie ist auch nicht anderweitig ersichtlich.

Eine verbreitete Ansicht in Literatur und Rechtsprechung geht davon aus, dass dar-über hinaus auch ein „konsensualer Verteidigerwechsel“ möglich bleibt, wenn der Beschuldigte und beide Verteidiger damit einverstanden sind, dadurch keine Verfah-rensverzögerung eintritt und auch keine Mehrkosten entstehen (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 13. Juli 2021 – 2 StR 81/21 – [juris]; OLG Bremen NStZ 2014, 358; OLG Oldenburg NStZ-RR 2010, 210; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 47; OLG Köln StraFo 2008, 348 und StV 2011, 659; OLG Braunschweig StraFo 2008, 428; OLG Bamberg NJW 2006, 1536; OLG Jena JurBüro 2006, 366; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 143 Rn. 5a). Zwar hat Rechtsanwalt Z. ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls um seine Entpflichtung gebeten, was ein solches Einverständnis na-helegen könnte. Jedoch spricht alles dafür, dass diese Erklärung vor dem Hintergrund des § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO abgegeben worden ist. Denn für den Rechtsanwalt stellte sich die Situation im Zeitpunkt seines Entpflichtungsantrags so dar, dass sich eine Wahlverteidigerin gemeldet hatte, was nach dieser Vorschrift und da-mit von Gesetzes wegen zu seiner Entpflichtung führen musste. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Pflichtverteidiger diese Erklärung nicht abgegeben hätte, wenn er um den seiner Entpflichtung gesetzlich gerade entgegenstehenden (§ 143a Abs. 1 Satz 2 StPO) Vorbehalt der Rechtsanwältin gewusst hätte, die Verteidigung nur als Pflichtverteidigerin zu führen.

Lediglich informatorisch teilt der Senat noch mit: Im Falle der Beendigung des Mandats des Wahlverteidigers kommt es grundsätzlich nicht in Betracht, ihn als Pflicht-verteidiger beizuordnen. Vielmehr wird regelmäßig der frühere Pflichtverteidiger wieder zu bestellen sein (vgl. BGH StraFo 2008, 505; OLG Bamberg, Beschluss vom 8. April 2021 – 1 Ws 195/21 – [juris]).“

Pflichti I: Immer wieder rückwirkende Bestellung, oder: Du hast ja einen Wahlverteidiger…

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Heute dann mal wieder Pflichtverteidigungsentscheidungen – verbunden mit einem herzlichen Dankeschön an alle Einsender.

Ich beginne mit dem Dauerbrenner „Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung“ , gekoppelt mit der Frage: Welche Auswirkungen hat es, wenn der Beschuldigte einen Wahlanwalt hat.

Zu den Fragen drei Entscheidungen, und zwar den LG Neubrandenbrug, Beschl. v. 30.07.2021 – 23 Qs 86/21-, den LG Stralsund, Beschl. v. 23.08.2021 – 26 Qs 161/21 – und den AG Torgau, Beschl. v. 03.08.2021 – 5 Gs 163/21. Beide LG und das AG haben die nachträgliche Bestellung als zulässig angesehen.

Ich stelle hier aber mal nur die Gründe des Beschlusses des LG Neubrandenburg ein, weil die sich auch noch zu § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO verhalten:

„Gemäß § 140 Abs. 1 Ziff. 2 StPO liegt jedoch ein Fall der notwendigen Verteidigung deshalb vor, weil Gegenstand des Verfahrens ein versuchtes Verbrechen gemäß § 306 StGB gewesen ist. Dieser Tatvorwurf ist im Sinne des § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO eröffnet worden. Im Gegensatz zur nicht ganz eindeutigen, wohl im nachfolgenden Sinne auszulegenden Auffassung in der Kommentierung von Schmitt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64.A, Rdr. 3 zu § 141) ist der Begriff der Eröffnung des Tatvorwurfes nicht so eng auszulegen, dass nur förmliche Mitteilungen über die Bekanntgabe eines Ermittlungsverfahrens im Sinne von § 163 a StPO – oder § 136 StPO – im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung hinreichend sind. Die in der Kommentierung genannten Fundstelle (BT-Drucks 19/13829 S 35) bezieht sich auf die Richtlinie 2013/48 EU. Diese setze voraus, dass die beschuldigte Person durch „amtliche Mitteilung oder auf sonstige Weise Kenntnis“ von der Verdächtigung der Begehung einer Straftat erhalten habe, womit Anträge aufgrund der Vermutung bestehender Ermittlungen unzulässig seien. Dem lässt sich entnehmen, dass nach Auffassung des Gesetzgebers Voraussetzung für die Möglichkeit der Antragstellung die Konfrontation von amtlicher Seite mit dem Tatvorwurf notwendige, aber auch hinreichende Voraussetzung ist. Ob der Begriff „auf sonstige Weise“ auch die Inkenntnissetzung durch Dritte – etwa durch Mitbeschuldigte, deren Verteidiger Akteneinsicht hatten – mit umfasst, kann dahinstehen, erscheint aber eher fraglich (vgl. Krawczyk, Beck StPO § 141 Rdr. 4; weitergehend auf die bloße Kenntnis des Beschuldigten abstellend LG Magdeburg 25 Qs 233 Js 9703/19 (65/20), 25  65/20)

Der Tatverdacht wurde dem Beschuldigten noch am 16.3.2021 durch die Polizeibeamten mitgeteilt, der Verteidiger wurde noch in der Nacht informiert, nach Aktenlage wohl auch darüber, dass eine Ingewahrsamnahme erfolgt und möglicherweise eine richterliche Vernehmung anstehe. Dies ist jedenfalls im Sinne des § 141 Abs. 1 StPO eine amtliche Mitteilung.

Da die Neufassung der Vorschriften über die Pflichtverteidigerbestellung eine zeitnahe Beiordnung eines Verteidigers ermöglichen soll, ist nach Auffassung der Kammer in der Regel die vorläufige tatbestandliche Einordnung im Zeitpunkt des Tatvorwurfes oder zumindest im Zeitpunkt der Antragstellung maßgebend.

Zu beiden Zeitpunkten war der Vorwurf der versuchten Brandstiftung Gegenstand des Ermittlungsverfahrens.

Sofern man die Meinung vertreten will, die rechtlich zutreffende Einordnung sei maßgebend, würde dies im Ergebnis nichts ändern. Der bisher ermittelte Sachverhalt ergibt nach Auffassung der Kammer Tatverdacht in Bezug auf eine versuchte Brandstiftung. Mit dem Übergießen mit Benzin, dem Anbringen benzingetränkter Tücher unter den Wischerblättern und dem Beisichführen von Feuerzeugen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nach den Tätervorstellungen ein Zeitpunkt erreicht, dem die Inbrandsetzung unmittelbar folgen soll, vorausgesetzt die Feuerzeuge waren funktions-tüchtig griffbereit mitgeführt (vgl. die Erwägungen in BGH 3 StR 28/06).

3. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO. Zum einen bezieht sich die Ausnahmevorschrift nur auf die Fälle, in denen unabhängig von einem Antrag von Amts wegen ein Pflichtverteidiger beizuordnen wäre, zum anderen haben sich die Untersuchungshandlungen nicht in der Einholung von Registerauskünften und der Beiziehung von Akten erschöpft. Es wurden nämlich versucht, eine Zeugenaussage einzuholen, eine Beschlagnahme wurde richterlich bestätigt und ein KTU-Antrag vorbereitet.

Nach dem Verfahrenslauf kann auch von einer Absicht, das Verfahren „alsbald“ einzustellen nicht ausgegangen werden.

4. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens steht der – nachträglichen – Beiordnung nicht entgegen……

…. Jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation ist davon auszugehen, dass aufgrund des Gesetzes zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 und des nunmehr ausdrücklich konstituierten Unverzüglichkeitsgebots des § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO bei dessen Missachtung eine rückwirkende Bestellung möglich ist, wobei im Fall einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO auch zu bedenken ist, dass ein eingestelltes Ermittlungsverfahren jederzeit wieder aufgenommen werden kann.

Das zum früheren Recht vorgebrachte Argument der Obergerichte, die Beiordnung diene nicht „fiskalischen Interessen“, sondern nur der Gewährleistung der Verteidigungsmöglichkeit, solange diese notwendig erscheint, greift jedenfalls bei der nunmehr geänderten Rechtslage nicht mehr. Zum einen ist die Gesetzesänderung in der Umsetzung einer EU-Richtlinie erfolgt, die die finanziellen Möglichkeiten des Beschuldigten als eine wichtige Voraussetzung für die Beiordnung erachtet, zum anderen ist der Gesamtzusammenhang der Regelungen nunmehr auf schnellstmögliche Umsetzung des Anspruchs auf Beiordnung eines Verteidigers gerichtet, wie auch die Tatsache zeigt, dass das zuvor gültige Rechtsmittel der einfachen Beschwerde nunmehr durch das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ersetzt worden ist. Bei gesetzeskonformer Handhabung der einschlägigen Vorschriften tritt das Problem der nachträglichen Beiordnung nur noch in Ausnahmefällen auf, die nicht gesetzeskonforme Handhabung durch die Ermittlungsbehörden bedarf der Korrektur durch die Eröffnung der Möglichkeit nachträglicher Beiordnung (vgl. zur aktuellen Rechtslage mit im wesentlichen gleicher Auffassung OLG Nürnberg Ws 962/20; OLG Bamberg, 1 Ws 260/21; LG Hamburg 604 Qs 6/21; LG Bochum 11-10 Qs – 36 Js 596/19 – 6/20; LG Aurich 12 Qs 78/20; unentschlossen Meyer-Goßner/Schmitt § 142, Rdr. 20; die nachträgliche Beiordnung weiterhin ablehnende Entscheidungen beziehen sich überwiegend nicht auf solche einer Beantragung nach § 141 Ab. 1 Satz 1, etwa OLG Hamburg StraFo 2020, 486; die bei Mey-er-Goßner/Schmitt benannte Entscheidung des OLG Brandenburg NStZ 2020, 625 bezieht sich zudem entgegen der dortigen Ausführungen auf die vor dem 10.12.2019 geltende Rechtslage).“

Und zum „Einwand“: Du hast ja einen Wahlanwalt führt das LG Neubrandenburg aus:

„5. Dass der Beschuldigte durch den Wahlverteidiger „ausreichend vertreten“ wurde, ist auch nach der neuen Rechtslage entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft nach dem Willen des Gesetzgebers ohne Relevanz.

Dazu BT-Drucks 19/13829, S 36: „Außerdem ist Grundvoraussetzung für die Antragstellung, dass der Beschuldigte noch keinen Verteidiger hat oder der gewählte Verteidiger bereits mit dem Antrag ankündigt, das Wahlmandat mit der Bestellung niederzulegen. Damit soll der Vorrang der Wahlverteidigung (vgl. § 141 Absatz 1 StPO-E) aufrechterhalten werden.“

Der Verteidiger hat die Niederlegung des Wahlmandates für den Beiordnungsfall zumindest im Schriftsatz vom 18.5.2021 angekündigt, es ist aber von einer dahingehenden konkludenten Erklärung bereits im Schriftsatz vom 27.4.2021 auszugehen.“

Ganz anders zum letzten Punkt dann der AG Rostock, Beschl. v. 24.08.2021 – 23 Ds 161/21, der mich – gelinde ausgedrückt – etwas ratlos zurücklässt. Am AG Rostock scheint die Rechtsprechung der letzten Zeit vorbei gegangen zu sein bzw.: Man hätte sich ja mal zur Frage der konkludenten Niederlegung äußern können:

„Vorliegend beantragte der Verteidiger zwar seine unverzügliche Beiordnung als Pflichtverteidiger, kündigte jedoch nicht an, im Fall der Bestellung das Wahlmandat niederlegen zu wollen. Da der Angeschuldigte somit im Zeitpunkt der Antragstellung am 07.05.2021 bereits einen Verteidiger hatte, war eine unverzügliche Verteidigerbestellung auf Antrag nach § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht erforderlich, da gerade nicht alle Voraussetzungen der Vorschrift vorlagen.“

Update zu: Wenn der Wahlverteidiger die Aussetzung der HV erzwingt, oder: Das kann teuer werden

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In der vergangenen Woche hatte ich in dem Posting U-Haft I: Wenn der Wahlverteidiger die Aussetzung der HV erzwingt, oder: Verhältnismäßigkeit der U-Haft über den BGH, Beschl. v. 03.05.2019 – AK 15/19 – berichtet. Dazu kann ich dann heute eine Update bringen, mit dem ich die 29. KW. eröffne.

Es handelt sich um den OLG Stuttgart, Beschl. v. 01.07.2019 – 5 – 2 StE 9/18, den mir der Terrorismusexperte des SWR H. Schmidt geschickt hat. Anstelle der von mir letztlich gewählten Überschrift für das Posting hätte man auch nehmen könne: „Das Universum/OLG schlägt zurück“ oder: „Man trifft sich im Leben immer zweimal“ 🙂 .

Jedenfalls eine interessante Entscheidung des OLG, das der Verteidigerin, die die Aussetzung der Hauptverhandlung – tja, was schreibt man: „verursacht“ oder „erzwungen“ – neutral ist „veranlasst“ hat, die durch die Aussetzung entstandenen Kosten auferlegt.

Begründung in Kurzform: Die Rechtsanwältin war als Wahlverteidigerin verpflicht, an dem HVT teilzunehmen. Eine Ausnahme sieht das OLG nicht, und zwar auch nicht in dem Umstand, dass die Rechtsanwältin nicht mit einer Vergütung rechnen konnte.

In Langform liest sich das dann so:

„1. Rechtsanwältin G. war als Wahlverteidigerin verpflichtet, an den Hauptverhandlungsterminen vom 12. und 14. März 2019 teilzunehmen.

a) Die Pflicht zur Teilnahme an der Hauptverhandlung trifft nicht nur den nach § 141 StPO bestellten Verteidiger, sondern auch den Wahlverteidiger.

Die Strafprozessordnung geht von der Verpflichtung des Wahlverteidigers aus, an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Dies ergibt sich schon daraus, dass einem Angeklagten, der einen Wahlverteidiger hat, auch im Falle der notwendigen Verteidigung nach § 140 StPO grundsätzlich kein Pflichtverteidiger beizuordnen ist; im Gegenteil führt die Wahl eines Verteidigers im Regelfall sogar zur Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung (§ 143 StPO). Wenn die Verteidigung nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch im Falle der notwendigen Verteidigung allein durch einen Wahlverteidiger geführt werden soll, versteht es sich von selbst, dass dieser nicht nach Belieben an der Hauptverhandlung teilnehmen oder ihr fernbleiben kann. Vielmehr ist er, von nachfolgend zu erörternden Ausnahmen abgesehen, zur Teilnahme an der Hauptverhandlung verpflichtet. Dass das Gesetz von dieser Pflicht des Wahlverteidigers ausgeht, ergibt sich auch aus § 145 Abs. 4 StPO, der die Kostenpflicht nicht auf den Pflichtverteidiger beschränkt, sondern auch dem Wahlverteidiger, der eine Aussetzung der Hauptverhandlung verschuldet, Kosten auferlegt (vgl. nur Julius/Schiemann in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 145 Rn. 11; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 145 Rn. 17). Ein schuldhaftes, mithin pflichtwidriges Verhalten setzt die Pflicht des Wahlverteidigers zur Teilnahme an der Hauptverhandlung als selbstverständlich voraus (zur Anwesenheitspflicht des Wahlverteidigers siehe etwa auch OLG Hamm, Beschluss vom 14. Januar 1988- 4 Ws 9/88 – juris Rn 2; Dahs in Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 8. Aufl., Rn. 511; Thomas/Kämpfer in MüKoStPO, 1. Aufl., § 145 Rn. 1) .

b) Ein Ausnahmefall, in dem Rechtsanwältin G. der Hauptverhandlung gleichwohl fernbleiben durfte, liegt nicht vor.

1)       So stand es die Verteidigerin nicht deshalb frei, zu den beiden Verhandlungsterminen vom 12. und 14. März 2019 nicht zu erscheinen, weil dem Angeklagten auch ein Pflichtverteidiger bestellt war.

Ist ein Pflichtverteidiger bestellt, darf sich der Wahlverteidiger zwar grundsätzlich darauf verlassen, dass die Verteidigung des Angeklagten durch diesen sichergestellt werde, und es trifft ihn keine unbedingte Erscheinungspflicht (OLG Köln StV 1997, 122, 123; Schmitt a.a.O.; Krause in Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2. Aufl., Teil B § 7 Rn. 28). Anders ist es aber dann, wenn der Wahlverteidiger nicht darauf vertrauen kann, dass der Pflichtverteidiger tatsächlich zur Hauptverhandlung erscheinen wird (Julius/Schiemann a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.; offengelassen von OLG Köln a.a.O.).

So lag der Fall hier. Rechtsanwältin G. war sowohl am 12. als auch am 14. März 2019 bekannt, dass Rechtsanwalt M. erkrankt war und an den jeweiligen Tagen nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen werde.

2)  Auch der Umstand, dass die Verteidigerin nach ihrem Vorbringen für ein Tätigwerden in der Hauptverhandlung nicht mit der Bezahlung einer Vergütung rechnen konnte, stellte sie nicht von der Verpflichtung frei, in der Hauptverhandlung aufzutreten.

Grundsätzlich ist ein Wahlverteidiger zwar nach der Auffassung des Senats nicht verpflichtet, zu der Hauptverhandlung zu erscheinen, wenn seine Bezahlung nicht gesichert ist und er dies dem Gericht so rechtzeitig mitteilt, dass dieses hierauf noch sachgerecht reagieren kann (vgl. für den umgekehrten Fall der verspäteten Mitteilung OLG Düsseldorf MDR 1997, 693, 694; Schmitt a.a.O. Rn. 21). Dies vermag die Weigerung von Rechtsanwältin G., an der Hauptverhandlung teilzunehmen, im vorliegenden Fall aber nicht zu rechtfertigen.

Das folgt vorliegend allerdings nicht schon daraus, dass Rechtsanwältin G. eine entsprechende Ankündigung unterlassen hatte. Vielmehr war eine solche Anzeige nach der Bewertung des Senats vorliegend entbehrlich. Denn eine entsprechende Mitteilung wird dem Verteidiger allein deshalb abverlangt, um dem Gericht die Möglichkeit zu verschaffen, auf die Verhinderung zu reagieren und etwa Termine zu verlegen oder einen Pflichtverteidiger zu bestellen (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 13. Juli 1995 – 2 Ws 358/95 – juris Rn. 7). Vorliegend hatte der Vorsitzende aber schon mehrfach ausgeführt, dass es ausreichend sei, wenn der Angeklagte durch Rechtsanwalt M. verteidigt werde und dass die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers nicht notwendig sei. Damit war klargestellt, dass der Senat auf eine Verhinderungsanzeige von Rechtsanwältin G. nicht mit ihrer Bestellung zur Verteidigerin reagieren, sondern die Hauptverhandlung allein mit dem Pflichtverteidiger fortführen würde. Der Verteidigerin wäre daher nach der Auffassung des Senats ein pflichtwidriges Verhalten nicht vorzuwerfen gewesen, wenn sie an den beiden Hauptverhandlungstagen überhaupt nicht vor Ort erschienen wäre, selbst wenn sie dies vorher nicht angekündigt hätte. Denn eine Anreise auf eigene Kosten konnte ihr nicht abverlangt werden und die nicht gesicherte Bezahlung wäre als Hinderungsgrund anzuerkennen gewesen.

Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht jedoch darin, dass Rechtsanwältin G. sowohl am 12. als auch am 14. März 2019 im Gerichtsgebäude anwesend war und sich lediglich weigerte, im Gerichtssaal an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Am 12. März 2019 hielt sie bis zum Ende der Hauptverhandlung im Gerichtsgebäude auf und tauschte sich mehrfach mit dem Vorsitzenden aus. Sämtliche für die Anreise erforderlichen Auslagen waren schon angefallen und der für das Verfahren aufgewandte Zeitaufwand blieb derselbe, gleichviel ob die Verteidigerin im Gerichtssaal auftrat oder im Verteidigerzimmer auf eine erhoffte Verteidigerbestellung wartete. Die Teilnahme an der Hauptverhandlung war für die Rechtsanwältin mithin mit keinem zusätzlichen Aufwand und keinem persönlichen Nachteil mehr verbunden. Dass sich die Verteidigerin bei dieser Sachlage trotzdem nicht in den Gerichtssaal begab, sondern vor dessen Türen zuwartete, hatte seinen Grund nach der Überzeugung des Senats deshalb nicht darin, dass ihre Bezahlung nicht gesichert war. Vielmehr ging es Rechtsanwältin G. ausschließlich darum, in Anbetracht der drohenden Aussetzung der Hauptverhandlung ihre Bestellung zur weiteren Verteidigerin zu erzwingen. Ihr Handeln ist deshalb nicht mit dem eines Verteidigers zu vergleichen, der der Hauptverhandlung mangels gesicherter Bezahlung seines Honorars insgesamt fernbleibt, sondern dem Tun eines Verteidigers gleichzusetzen, der die Verteidigung des Mandanten während der Hauptverhandlung eigenmächtig einstellt. Dabei rechtfertigte das Ziel der Verteidigerin, ihre Bestellung zu erreichen, ein solches Vorgehen nicht. Der Vorsitzende hatte seine Entscheidung in mehreren Beschlüssen eingehend begründet. Die hiergegen gerichteten Rechtsmittel des Angeklagten waren durchweg erfolglos geblieben; der Bundesgerichtshof hatte in seiner Entscheidung vom 7. Februar 2019 überdies ausgeführt, dass der angefochtene Vorsitzendenbeschluss nach vorläufiger Einschätzung Ermessensfehler nicht erkennen lasse. Zudem begründete die Vorgehensweise der Verteidigerin das Risiko einer Aussetzung der Hauptverhandlung mit der Folge einer längeren Dauer der für den Angeklagten besonders belastenden Untersuchungshaft. Mit ihrem Ziel, ihre Bestellung zur Verteidigerin zu erreichen, verfolgte Rechtsanwältin G. daher keine anerkennenswerten Interessen, die eine Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht des Wahlverteidigers zur Teilnahme an der Hauptverhandlung rechtfertigen konnten. Vielmehr war das Verhalten der Verteidigerin, die letztlich mutwillig eine Aussetzung der Hauptverhandlung provozierte, mit einer gewissenhaften Ausübung des Anwaltsberufs nicht in Einklang zu bringen (hierzu tendierend auch BGH, Beschluss vom 3. Mai 2019 – AK 15/19 – Rn. 38; vgl. ferner OLG Jena, Beschluss vom 27. Oktober 2016 – 1 Ws 439/16 – juris Rn. 35; Anwaltsgerichtshof Hamm, Urteil vom 01. Juli 2005 – (2) 6 EVY 7/04 – juris Rn. 17 f.).

Darauf, dass der Vorsitzende versuchte, der Verteidigerin durch eine Genehmigung der Vertretung noch zu einer Vergütung ihrer Tätigkeit zu verhelfen, kommt es daher schon gar nicht mehr an.

2. Dass Rechtsanwältin G. an den beiden Hauptverhandlungsterminen vom 12. und 14. März 2019 nicht teilnahm, war ursächlich dafür, dass die Hauptverhandlung mit Beschluss vom 19. März 2019 ausgesetzt werden musste…..“

Was ist von der Entscheidung halten soll, weiß ich noch nicht. Dafür ist sie zu frisch 🙂 . Aber in einem Punkt bin ich mir zeimlich sicher: Die Kollegin wird das nicht hinnehmen. Die endgültige Antwort auf die sich stellenden Fragen wird dann wahrscheinlich erst das BVerfG geben.

Die Besuchsreisen des Pflichtverteidigers

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Um die Abrechnung von Besuchsreise, die der Pflichtverteidiger für Besuche seines Mandanten in der JVA unternimmt/unternehmen muss, gibt es in der Praxis immer wieder Streit. Da geht es dann um die Fragen der „Erforderlichkeit“ i.S. des § 46 RVG. Häufig werden die Besuchsreisen im Umfnag, vor allem hinsichtlich der Anzahl der unternommenen Reisen, beanstandet. So auch in einem Verfahren in Rheinland-Pfalz. da war der Pflichtveteidiger neben einem Wahlverteidiger zur Verfahrenssicherung beigeordnet worden. Das LG meinte, er bekomme nicht alle von ihm unternommenen Reisen vergütet und hat (kurzerhand) die Hälfte der Kosten für sieben Reisen abgesetzt. Das OLG Zweibrücken hat dem Pflichtverteidiger, der sich dagegen gewehrt hat, Recht gegeben. Der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 04.06.2012 – 1 Ws 71/12 sagt, dass der Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger eben kein Verteidiger „2. Klasse“ ist. Aus der Begründung:

„Die Vergütung dieser Reisekosten bestimmt sich nach § 46 Abs. 1 RVG. Danach werden Auslagen nicht vergütet, wenn sie zur sachgemäßen Ausführung der Verteidigung nicht erforderlich waren. Dafür, dass Besuchsreisen für eine sachgemäße Ausführung der Verteidigung nicht erforderlich sind, trägt die Staatskasse die Beweislast. Auch für Auslagen gilt allerdings der Grundsatz, dass der Verteidiger die Ausgaben für seine Tätigkeit möglichst niedrig halten muss. Deshalb ist denkbar, dass bestimmte Auslagen oder die Höhe bestimmter Auslagen einen Anscheinsbeweis gegen ihre Erforderlichkeit erbringen und damit die Darlegungslast für die Erforderlichkeit auf den Verteidiger verlagert wird (Kammergericht, Beschluss vom 27. Mai 2008, 2/5 Ws 131/06).

Dies ist hier allerdings nicht der Fall. Die Strafsache betraf einen sehr schweren Tatvorwurf (versuchter Mord). Der Angeklagte war nicht vorbestraft, mithin weder mit einer Beschuldigtenstellung noch mit der Haftsituation vertraut. Die Besuchsreisen des Verteidigers verteilen sich auf einen Zeitraum von acht Monaten. Sie fanden vor und während der Hauptverhandlung statt. Der Kostenaufwand für jede einzelne Besuchsfahrt war nicht sehr hoch.

Der Umstand, dass der Verteidiger dem Angeklagten neben einem Wahlverteidiger beigeordnet worden ist, vermindert nicht zwingend den Gesprächsbedarf zwischen ihm und seinem Mandanten. Die Tätigkeit von zwei Verteidigern in derselben Strafsache bedingt nicht unbedingt eine arbeitsteilige Vorbereitung der Verteidigung oder gar die Aufteilung der Informationsgespräche. Auch wenn der Verteidiger lediglich zur Sicherung des Verfahrens beigeordnet worden sein sollte, musste ihm die Möglichkeit eingeräumt werden, seinen Mandanten effektiv zu verteidigen. Dazu muss er sich die für die Verteidigung erforderlichen Informationen in Gesprächen mit seinem Mandanten verschaffen können.“

 

Pflichtverteidiger sticht Wahlverteidiger – ggf. bei der Akteneinsicht

Eine interessante Konstellation lag dem Beschl. des OLG Naumburg v. 21.01.2011 – 1 Ws 52/11 zugrunde. Es ging um Akteneinsichtsfragen. Der Pflichtverteidiger hatte bereits Akteneinsicht gehabt. Der Wahlverteidiger noch nicht.

Das OLG leitet daraus aber keinen Verstoß ab, sondern sagt: Den durch die Akteneinsicht seines Pflichtverteidigers gewonnenen Erkenntnisstand habe sich der Beschulidgte zurechnen zu lassen. Es sei daher unter dem Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ auch ausreichend, den Wahlverteidiger darüber zu informieren, dass der Pflichtverteidiger des Beschuldigten bereits Akteneinsicht erhalten habe. Eine Aufhebung des Haftbefehls wegen einer dem Wahlverteidiger nicht rechtzeitig gewährten Akteneinsicht und eines damit einhergehenden Verstoßes gegen das Recht des Beschuldigten auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren und seinen Anspruch auf rechtliches Gehör sei dann nicht veranlasst.

Interessant, aber ob es so richtig ist, habe ich meine Zweifel.