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Zur Erstreckung nach altem Recht – fragwürdig, oder: Zur Einziehungsgebühr Nr. 4142 VV – Vortrag fehlt

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Die zweite Entscheidung kommt vom LG Detmold. Der dortige LG Detmold, Beschl. v. 21.02.2023 – 23 Qs 121/22 – behandelt zwei Themenbereiche, und zwar einmal die Frage der Erstreckung (§ 48 RVG) und dann den Anfall der Nr. 4142 VV RVG.

Wegen des Sachverhalts, der wie immer bei den „Erstreckungssachen“ etwas länger ist, verweise ich auf den verlinkten Volltext. Das LG hat dann mit dem AG die Erstreckung abgelehnt und die Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG nicht festgesetzt.

Zur Erstreckung ist anzumerken, dass sich das Verfahren noch nach altem Recht richtet. Das LG verwendet dazu viel Worte darauf, warum in Altfällen, wie dem vorliegenden, eine Erstreckungsentscheidung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG getroffen werden müsse und sich danach die festzusetzenden Rechtsanwaltsgebühren bemessen. Die Frage sei umstritten (gewesen). Das LG schließt sich insoweit der Auffassung an, wonach die Vorschrift des § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG a.F. für alle Fälle der Verfahrensverbindung, ungeachtet der zeitlichen Reihenfolge von Verbindung und Beiordnung, gelte. Hiernach führe die Beiordnungsentscheidung nach § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG gerade nicht dazu, dass sich automatisch eine Rückwirkung auch für getrennte Verfahren vor einer Verbindung und anschließender Beiordnung ergebe.

Dazu ist anzumerken: Das Problem hat sich inzwischen erledigt. Denn der Gesetzgeber hat sich mit der Neufassung des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG anders entschieden, als das LG entschieden hat. Die Rechtsprechung, auf die sich das LG bezieht, ist m.E. im Hinblick auf den in dieser Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers auch nicht mehr haltbar. Daher erscheint es schon ein wenig fragwürdig, wenn das LG sich noch auf diese Rechtsprechung bezieht und gegen den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, der in der Gesetzesänderung zum Ausdruck gekommen ist, entscheidet.

Hinzu kommt, dass die Ausführungen des LG zur Erstreckung – zumindest teilweise – überflüssig sein dürften. Denn der Rechtsanwalt hatte gegen die teilweise Ablehnung der von ihm beantragten Erstreckung nicht Beschwerde eingelegt, diese Entscheidung ist somit in Rechtskraft erwachsen (vgl. nur OLG Celle, Beschl. v. 26.1.2022 – 2 Ws 19/22, AGS 2022, 206, LG Leipzig, Beschl. v. 19.1.2021 – 13 Qs 8/21, AGS 2021, 73 = JurBüro 2021, 522), so dass schon von daher insoweit eine Vergütungsfestsetzung für die von der Erstreckungsentscheidung nicht erfassten Verfahren nicht (mehr) in Betracht kam. In Verfahren über eine (weitere) Beschwerde wird die Richtigkeit der Erstreckungsentscheidung auch nicht mehr überprüft (vgl. nur OLG Braunschweig, NStZ-RR 2014, 232; OLG Celle, a.a.O.).

Zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG führt das LG aus:

„Das Amtsgericht hat ferner zu Recht eine Erstattung der geltend gemachten Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG abgelehnt.

Bei der Gebühr nach Nr. 4142 RVG handelt es sich um eine besondere, als Wertgebühr ausgestaltete Verfahrensgebühr. Sie entsteht (zusätzlich) für Tätigkeiten des Rechtsanwaltes bei Einziehung oder verwandten Maßnahmen, hier also solchen nach § 73 ff. StGB. Die Gebühr entsteht bereits, wenn sich die Tätigkeit des Rechtsanwaltes auf eine Einziehung „bezieht“ (vgl. insoweit OLG Braunschweig, Beschluss vom 01.03.2022 – 1 Ws 38/22). Besondere Tätigkeiten des Rechtsanwaltes sind dabei nicht erforderlich, da ihm die Gebühr als reine Wertgebühr – unabhängig vom Umfang der Tätigkeit – zusteht. Indes ist zwar eine Einziehung von Wertersatz mit der Anklageschrift beantragt worden, eine wie auch immer beratende Tätigkeit des Beschwerdeführers ist nicht erkennbar. Eine solche hat er mit seinem Kostenfestsetzungsantrag nicht anwaltlich versichert. Zudem lässt sich weder aus seinen zahlreichen Schriftsätzen noch aus seinem Kostenfestsetzungsantrag eine Tätigkeit im Sinne „einer Beratung hinsichtlich einer Einziehung“ erkennen. Auch aus den drei Hauptverhandlungsprotokollen ergibt sich weder, dass die mit der Anklage beantragte Einziehung von den Verfahrensbeteiligten erörtert wurde noch, dass der Beschwerdeführer insoweit Anträge gestellt oder Stellung dazu im Ganzen bzw. zu Einzelpositionen genommen hätte. Letztlich ergibt sich auch nicht anderes aus dem Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 07.06.2022 (Bl. 553 d.A.). Allein dass der Beschwerdeführer „bei einer Verständigung im HVT vor dem AG Lemgo auch die Einziehungsposition der Anklageschrift für seinen Mandanten verstärkt mit im rechtlichen Auge hatte“ und „über gestaltete Verfahrenseinstellungen des Weges über § 154 StPO natürlich um die Reduzierung des Wertersatzes weiß“, reicht nicht für die Annahme einer beratenden Tätigkeit im Sinne der Gebührenentstehung nach Nr. 4142 VV RVG aus (vgl. nur OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2007, 391).

Entsprechend war auch insoweit die vom Beschwerdeführer unter Punkt II. 12) geltend gemachte Gebühr zu Recht nicht festgesetzt worden.“

Dazu ist anzumerken: Zur Nr. 4142 VV RVG ist sich die Rechtsprechung einig, dass für das Entstehen der Gebühr auch eine bloß beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausreicht, die sich – wie bei jeder Verfahrensgebühr – nicht unbedingt aus der Akte ergeben muss. Ausreichend ist, dass die Tätigkeit „nahe liegt“, was hier, da mit der Anklage Wertersatz beantragt worden ist, sicherlich der Fall war. Allerdings: Das LG dürfte Recht haben, wenn es letztlich darauf abstellt, dass allein der Umstand, dass der Verteidiger an die Einziehung denkt, für das Entstehen der Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG nicht ausreicht. So lange sich das „Darandenken“ nicht in einer zumindest beratenden Tätigkeit für den Mandanten nieder geschlagen hat, reicht es für das Entstehen der Gebühr nicht. Dazu muss man dann aber auch vortragen, da diese Beratung zwar nahe liegt, für das Gericht aber nicht ohne weiteres erkennbar ist. Wahrscheinlich hat der Rechtsanwalt hier beraten. Dass die Gebühr aber dennoch nicht festgesetzt worden ist, hat er sich selbst zu zuschreiben.

Sollte an sich nicht so schwer sein, oder: Die Negativtatsache in der Revision

© Dan Race Fotolia .com

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Ebenso wie Verstöße gegen §§ 258 Abs. 2 und 3 StPO (vgl. dazu gerade den BGH, Beschl. v. 16.09.2015 – 5 StR 289/15 – und dazu Mal wieder letztes Wort nicht gewährt, aber: Ausnahmsweise kein Beruhen) sind Verstöße gegen die Hinweispflicht des § 265 StPO meist „Selbstläufer“ in der Revision. Das setzt aber voraus, dass die insoweit zu erhebenden Verfahrensrüge ausreichend begründet wird. Es gilt § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass dies eine der Stellen ist, in denen sog. Negativtatsachen vorgetragen werden müssen. Das zeigt – für den Angeklagten „schmerzhaft“, weil seine Revision an der Stelle nicht ausreichend begründet war – der BGH, Beschl. v. 21.10.2015 – 4 StR 332/15:

„Die Verfahrensrüge, mit welcher der Beschwerdeführer beanstandet, das Landgericht habe der Verurteilung eine von der Anklage abweichende Tatzeit zugrunde gelegt, ohne in der Hauptverhandlung einen entsprechenden Hinweis zu erteilen, ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die Revision verschweigt, dass in der Hauptverhandlung am 16. Dezember 2014 ein Haftfortdauerbeschluss verkündet worden ist, in dessen Gründen die Strafkammer bei der Darle-gung des dringenden Tatverdachts einen gegenüber dem Anklagevorwurf erweiterten, die im Urteil festgestellte Tatzeit umfassenden Tatzeitraum angenommen hat. Dieser Mitteilung hätte es bedurft, um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob der Beschwerdeführer über die Veränderung der Sachlage hinsichtlich der Tatzeit durch den Gang der Hauptverhandlung unterrichtet worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2014 – 4 StR 234/14, NStZ 2015, 233; Beschluss vom 8. November 2005 – 2 StR 296/05, StV 2006, 121; Urteile vom 17. November 1998 – 1 StR 450/98, NJW 1999, 802; vom 22. Januar 1991 – 5 StR 498/90, BGHR StPO § 265 Abs. 4 Hinweispflicht 12).“

Sollte an sich nicht so schwer sein.

„Not amused“ Herr Verteidiger, oder: „Verfehlt“

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Als ich den mir vom Kollegen Hanschke vom KG übersandten KG, Beschl. v. 27.01.2014 – (4) 161 Ss 2/14 (11/14) – gelesen habe, war ich dann doch erstaunt – na, eher: not amused. Aber nicht über den Beschluss, der die Frage behandelt, inwieweit im Rahmen einer Akupunkturbehandlung ein Anvertrautsein i.S. des 174c Abs. 1 StGB vorliegen kann, sondern über den Vortrag und die Rechtsansicht des Verteidigers. Im Rahmen einer Akupunkturbehandlung ist es zu sexuellen Handlungen des Angeklagten an einer Patientin gekommen. Und der Senat des KG war offenbar auch „not amused“; das zeigt sich m.E. deutlich an der Wortwahl, denn mit „verfehlt“ wird nun doch nicht so häufig von den Revisionsgerichten formuliert. Da heißt es:

„Der Senat bemerkt zu den Ausführungen der Verteidigung lediglich das Folgende: Es besteht kein Zweifel daran, dass der Angeklagte die auf dem Behandlungsverhältnis beruhende spezifische Vertrauenssituation bewusst ausgenutzt hat, wobei nach den Feststellungen darüber hinaus einiges dafür spricht, dass der Angeklagte den Zustand ungewohnter Müdigkeit der Nebenklägerin, der ersichtlich auf der neuen, in den vorangegangenen Sitzungen nicht vorgenommenen Behandlungsmethode des Setzens zweier Nadeln im Nackenbereich beruhte, gezielt herbeigeführt hat, um die sexuellen Handlungen zu ermöglichen oder zu erleichtern.

Die Bezeichnung dieser Handlungen – u.a. das Kneten des Gesäßes, das (unter dem Vorgaukeln einer Behandlung gegen Brustkrebs vorgenommene) Massieren der unbedeckten Brüste und Manipulieren an den Brustwarzen, jeweils verbunden mit der Frage, ob dies „schön“ sei, das Saugen an beiden Brustwarzen mit dem Mund, die Frage an die Geschädigte, ob sie „feucht“ sei, der Griff in den Slip mit dem Eindringen eines Fingers in die Vagina und gezielter Manipulation der Klitoris bei gleichzeitigem Spielen an einer Brustwarze, verbunden mit der Mitteilung, seine Frau trenne sich gerade von ihm, und der Ankündigung, „beim nächsten Mal“ werde es „noch schöner“, der erneute Griff an das Gesäß, als die Nebenklägerin sich bereits anzog – als reine Gefälligkeit oder Freundschaftsdienst zugunsten der (fast 20 Jahre jüngeren) Geschädigten erscheint dem Senat genauso verfehlt, wie die vom Verteidiger geäußerte Rechtsansicht.“

M.E. wirklich „verfehlt“, was da vorgetragen worden ist.

Inbegriffsrüge im Revisionsverfahren. Achtung! Falle!

Wer kennt sie nicht? Die Inbegriffsrüge im Revisionsverfahren, mit der ein Verstoß gegen § 261 StPO geltend gemacht wird. Sie ist z.B. immer dann zu erheben, wenn eine Urkunde, die in der Hauptverhandlung nicht verlesen worden ist, zur Grundlage des Urteils gemacht worden ist. Dann wird gerügt, dass das Urteil nicht auf dem „Inbegriff der Hauptverhandlung“ beruht. Aber, Achtung!!!! Es reicht nicht aus, nur zu rügen/vorzutragen, dass die Urkunde nicht verlesen worden ist. Vielmehr muss auch noch vorgetragen werden, dass die Urkunde auch sonst nicht, z.B. im Wege des Vorhalts, in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist. Das wird häufig übersehen und dann ist die formelle Rüge unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Wer es nachlesen  will, kann es im Beschluss des OLG Hamm vom 24.11.2009 – 3 Ss OWi 882/09 – tun. Klassischer Fall. Der Verteidiger wusste es aber. Ergebnis: Aufhebung.