Schlagwort-Archive: Vorfahrt

„Vorfahrtsunfall“ auf Fahrgasse auf einem Parkplatz ?, oder: Gegenseitige Rücksichtnahme

Bild von Thilo Becker auf Pixabay

Und dann hier noch die zweite verkehrszivilrechtliche Entscheidung, und zwar das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 22.06.2022 – 17 U 21/22 – zur Vorfahrt8sregelung) auf einem Parkplatz.

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

„Am XX.XX.2020 befuhr X mit dem Fahrzeug des Klägers den Parkplatz eines Baumarktes in Stadt1, dessen Betreiber für den Parkplatz die Geltung der StVO angeordnet hatte. Die von Herrn X benutzte Fahrgasse führt zur Ausfahrt des Parkplatzgeländes. In diese Fahrgasse münden von rechts mehrere Fahrgassen ein. Eine dieser Fahrgassen befuhr der Beklagte zu 1 mit seinem Fahrzeug, als es im Einmündungsbereich zum Zusammenstoß der Fahrzeuge der Parteien kam. In Fahrtrichtung links neben der von Herrn X benutzten Fahrgasse sind im rechten Winkel Parkboxen angeordnet. Rechts und links der einmündenden Fahrgassen befinden sich ebenfalls im rechten Winkel angeordnete Parkboxen.“

Das LG ist von einer Haftung der Beklagten in Höhe von 25 % ausgegagen. Dagegen die Berufung, die teilweise Erfolg hatte. Das OLG, das von Haftung halbe/halbe ausgegangen ist, gibt seiner Entscheidung folgende Leitsätze:

  1. Fahrgassen auf Parkplätzen sind grundsätzlich keine dem fließenden Verkehr dienenden Straßen und gewähren deshalb keine Vorfahrt. Kreuzen sich zwei dem Parkplatzsuchverkehr dienende Fahrgassen eines Parkplatzes bzw. eines Parkhauses, gilt für die herannahenden Fahrzeugführer das Prinzip der gegenseitige Rücksichtnahme (§ 1 StVO), d. h. jeder Fahrzeugführer ist verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem jeweils anderen Fahrzeugführer zu suchen.
  2. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die angelegten Fahrspuren eindeutig und unmissverständlich Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht der Suche von freien Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge. Für den Straßencharakter können eine für den Begegnungsverkehr ausreichende Breite der Fahrgassen und andere leicht fassbare bauliche Merkmale einer Straße wie Bürgersteige, Randstreifen oder Gräben sprechen. Fehlt es an solchen baulichen Merkmalen, muss die Ausgestaltung umso klarer durch die Fahrbahnführung und -markierung sein. Maßgeblich ist jedoch, dass die Funktion des § 8 Abs. 1 StVO, nämlich die Schaffung und Aufrechterhaltung eines (quasi) fließenden Verkehrs, auf der fraglichen Verkehrsfläche deutlich im Vordergrund steht. Eine Fahrgasse zwischen markierten Parkreihen ist daher keine Fahrbahn mit Straßencharakter, wenn die Abwicklung des ein- und ausparkenden Rangierverkehrs zumindestens auch zweckbestimmend ist.

Im Übrigen: Selbstleseverfahren 🙂 .

Das geschobene Fahrrad und die Vorfahrt, und/oder: Was ist ein Waldweg?

Nach einem tollen Aufenthalt in Indien – Urlaub i.e.S war es nicht 🙂 – bin ich wieder vor Ort und kann die Reihe „Kessel Buntes“ am heutigen Samstag fortsetzen.

Ich starte mit der Entscheidung des OLG Bremen zum Vorfahrt des Fahrradfahrers, der nicht auf seinem Fahrrad fährt, sondern dieses schiebt – getreu dem Spruch: „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt“. Das OLG ist im Berufungsverfahren im OLG Bremen, Urt. v.14.02.2018 – 1 U 37/17 -von folgendem Sachverhalt ausgegangen:

„Die Klägerin macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen den Beklagten aus einem Unfall geltend, der sich am 23.09.2015 gegen 15.40 Uhr auf dem Y-Wanderweg in Bremen im Bereich der Einmündung des Verbindungsweges zum X-Weg ereignete. Der Beklagte befuhr den Y-Wanderweg mit seinem Fahrrad (Rennrad) in nördlicher Richtung (stadtauswärts). Die Klägerin kam aus diesem Verbindungsweg, der aus Sicht des Beklagten auf der rechten Seite in den Y-Wanderweg mündete. Zwischen den Parteien ist dabei streitig, ob die Klägerin bereits vor dem Kreuzungsbereich von ihrem Fahrrad abgestiegen war und ihr Fahrrad schob oder mit dem Fahrrad in den Kreuzungsbereich hineinfuhr. Es kam zur Kollision beider Radfahrer im Einmündungsbereich. Die Klägerin zog sich durch den Unfall erhebliche Verletzungen zu, vor allem im Schädelbereich.“

Das LG war von einer grundsätzlichen Haftung des Beklagten ausgegangen, hatte der Klägering aber ein Mitverschulden von 2/3 angerechnet. Dagegen die Berufung der Klägerin, die Erfolg hatte

„Zu Recht macht aber die Klägerin geltend, dass ihr Mitverschulden an dem streitgegenständlichen Unfall entgegen der Ansicht des Landgerichts nach Gewicht und unfallursächlicher Bedeutung den Verschuldensanteil des Beklagten nicht so weit überwiegt, dass die Haftung des Beklagten auf 1/3 zu beschränken ist.

Den Beklagten trifft ein so erhebliches Verschulden an dem streitgegenständlichen Unfall, dass die Haftungsquote abzuändern ist. Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls, nämlich wegen der äußerst ungünstigen Sichtverhältnisse im Einmündungsbereich sowie auch der unklaren baulichen Situation der beiden Wege war auch der Beklagte, unabhängig davon, ob die Klägerin ihr Fahrrad fuhr oder es rechts neben sich schob, gehalten, sich vorsichtig und mit angepasster Geschwindigkeit dem Einmündungsbereich zu nähern. Diesen Sorgfaltsanforderungen ist er schon nach seinem eigenen Vortrag nicht nachgekommen, weil er sich gegenüber dem Verkehr aus dem einmündenden Weg für grundsätzlich vorfahrtsberechtigt hielt.

Ob auch ein Verschulden der Klägerin vorliegt, kann nach deren in der Berufung auf 1/3 der Schäden begrenztem Klagantrag dahinstehen. Jedenfalls trifft die Klägerin gegenüber dem Verschulden des Beklagten kein Mitverschuldensanteil, der mit mehr als 1/3 zu bewerten wäre. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sie ihr Fahrrad schob oder fuhr. Aus den Lichtbildern der Unfallstelle und ausweislich der polizeilichen Ermittlungsskizze (Bl. 8 der Ermittlungsakten) ergibt sich, dass der Unfall sich jedenfalls nicht im direkten Einmündungsbereich, sondern in der Mitte des Y-Wanderwegs ereignete. Damit war die Klägerin bereits zu einem großen Teil in den Weg hineingelangt, als es zur Kollision kam. Angesichts dieser besonderen Umstände ist die Eigenhaftungsquote der Klägerin nicht mit mehr als 1/3 anzusetzen.

Im Einzelnen:

Soweit das Landgericht zu der Feststellung gelangt ist, die Klägerin habe in der Unfallsituation die Vorfahrt des von links kommenden Beklagten nicht beachtet, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Entgegen der Annahme des Landgerichts war vielmehr der Beklagte der Klägerin gegenüber wartepflichtig. Auf die Vorfahrtsituation an der Einmündung des „Stichwegs“ zur X-Weg in den Y-Wanderweg findet die Ausnahmevorschrift des § 8 Abs.1 Satz 2 Ziff.2 StVO, die den Grundsatz „rechts vor links“ für Fahrzeuge aufhebt, welche aus einem Feld- oder Waldweg auf eine andere Straße kommen, keine Anwendung. Die Klägern hat sich der Unfallstelle nicht auf einem Feld- oder Waldweg im Sinne des § 8 Abs.1 Satz 2 Ziff.2 StVO genähert. Vielmehr galt im Einmündungsbereich die allgemeine Vorfahrtregelung „rechts vor links“ gemäß § 8 Abs.1 Satz Ziff.1 StVO. Da die Vorfahrtregelung somit im Vergleich zu der Feststellung des Landgerichts einen genau umgekehrten Inhalt hat, kann der Klägerin auch nicht der überwiegende Verursachungs- und Verschuldensanteil an der Entstehung des Schadensereignisses zugewiesen werden.

Die Frage, wann ein Weg als Feld- oder Waldweg im Sinne der vorgenannten Vorschrift einzuordnen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert……“

Aufffahren auf die Autobahn, oder Vorfahrt gilt auch bei Stop-and-Go

© digitalstock – Fotolia.com

Und als dritte OWi-Entscheidung dann der OLG Hamm, Beschl. v. 03.05.2018 – 4 RBs 117/18 –  betreffend die Vorfahrtsregel des § 18 Abs. 3 StVO, nach der der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn Vorfahrt vor Fahrzeugen hat, die auf die Fahrbahn auffahren wollen. Die – so das OLG – gilt auch bei sog. „Stop-and-Go-Verkehr“. Erst wenn der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn in der Weise zum Stehen gekommen ist, dass mit einer erneuten Fahrbewegung in kürzerer Frist nicht zu rechnen ist, findet diese Vorfahrtsregelung keine Anwendung mehr. Fahrzeugführer, die in dieser Situation auf die Fahrbahn einer Autobahn auffahren, haben aber das Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 StVO zu beachten:

Ausgangspunkt der Entscheidung sind folgende Feststellungen:

„Am pp. .2017 gegen 17:10 Uhr bestand auf der zweispurigen Bundesautobahn App. in Fahrtrichtung A Stau. Der Zeuge X befuhr mit einer Sattelzugmaschine den rechten Fahrstreifen. Der Betroffene wollte bei km pp. vom Beschleunigungsstreifen auf den rechten Fahrstreifen der App. mit dem PKW, Marke BMW 3C mit dem amtlichen Kennzeichen pp. auffahren. Der Betroffene war Führer des PKWs und wollte dieses zum Halter überführen. Unmittelbar vor ihm fuhr der Zeuge C, der vollständig auf den rechten Fahrstreifen gewechselt hat und aufgrund eines vor ihm stehenden Sattelzugs stehen bleiben musste. Aufgrund der Verkehrslage konnte der Betroffene nicht vollständig die Fahrspur wechseln und blieb schräg zwischen dem Beschleunigungsstreifen und der rechten Fahrspur stehen. Dabei stand das Fahrzeug auf dem Markierungsstreifen mit dem vorderen rechten und dem hinteren linken Rad.

Der Zeuge X fuhr an und übersah den Betroffenen. Es kam zu einer Kollision beider Fahrzeuge, wobei die Sattelzugmaschine des Zeugen X vorne rechts und das Fahrzeug des Betroffenen zwischen den Rädern an der linken Seite eingedrückt wurde. Es gab keinen Personenschaden.“

Dazu das OLG:

„Die bisherigen Feststellungen ergeben keinen Verstoß gegen § 18 Abs. 3 StVO. Zutreffend geht das Amtsgericht zwar davon aus, dass der auf eine Autobahn Auffahrende das Vorfahrtsrecht des fließenden Verkehrs zu beachten hat (OLG Hamm VersR 1994, 952), und zwar auch dann, wenn zähfließender Verkehr und staubedingt „Stop-and-Go-Verkehr“ herrscht (LG Essen, Beschl. v. 08.04.2013 – 1 5 S 48/13 – juris). Wie schon die Formulierung im Gesetz „Vorfahrt“ zeigt, muss aller-dings ein Mindestmaß an Bewegung im Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn der Autobahn geherrscht haben, da ansonsten nicht von „Fahrt“ gesprochen werden kann. Steht der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn hingegen, so gibt es keine „Vorfahrt“, die Vorrang haben könnte. Bei stehendem Verkehr auf der durch-gehenden Fahrbahn würde es auch keinen Sinn machen, den Auffahrenden dazu zwingen zu wollen, eine bestehende – hinreichend große – Lücke zwischen zwei stehenden Fahrzeugen nicht zu nutzen.

Das bedeutet allerdings nicht, dass schon bei jeglichem verkehrsbedingten Halt auf der durchgehenden Fahrbahn – und sei er auch zeitlich noch so kurz – bereits die Vorfahrtsregelung des § 18 Abs. 3 StVO keine Geltung mehr beanspruchen könnte. Erst wenn der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn in einer Weise zum Stehen gekommen ist, dass mit einer erneuten Fahrbewegung in kürzerer Frist nicht zu rechnen ist, ist das der Fall. Ansonsten würde die Regelung ausgehebelt. Der Senat bestätigt daher ausdrücklich die Rechtsprechung, dass § 18 Abs. 3 StVO auch bei sog. „Stop-and-Go-Verkehr“ gilt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts stand hier aber der LKW des Zeugen X. Konkrete Feststellungen zur Dauer dieser Standzeit enthält das Urteil nicht. Aus der Beweiswürdigung in der angefochtenen Entscheidung ergibt sich allerdings, dass der Zeuge X bekundet hatte, dass er etwa drei bis vier Minuten gestanden habe. Sollte tatsächlich eine solch lange Standzeit geherrscht haben, so konnte der Betroffene dessen Vorfahrt unter Zugrundelegung der o.g. Grundsätze nicht missachten. Vielmehr musste der Zeuge X beim Anfahren den vor ihm liegenden Fahrweg auf etwaige Hindernisse kontrollieren. Dabei macht es für § 18 Abs. 3 StVO keinen Unterschied, ob der Betroffene bereits ganz oder nur teilweise auf der Fahrbahn eingefädelt war.

Der neue Tatrichter wird aufzuklären haben, inwieweit sich das Fahrzeug des Zeugen X in einer Fahrbewegung befand, als der Betroffene mit seinem Fahrzeug von der Beschleunigungsspur auf die rechte durchgehende Fahrbahn wechselte. Die Angabe des Zeugen X, sein Abstandsmessgerät habe – als er stand – eine Entfernung von acht Metern zum vor ihm befindlichen LKW angezeigt, dürfte darauf hindeuten, dass der Betroffene sich in einer Fahrbewegung beider Fahrzeug in diese Lücke hat einfädeln wollen. Hätten beide Fahrzeuge zunächst gestanden, so wäre womöglich eine kürzere Abstandsmessung, nämlich vom Fahrzeug des Zeugen X zu dem des Betroffenen zu erwarten gewesen.

Der neuen Hauptverhandlung vorbehalten bleibt auch die Klärung, ob der Betroffene jedenfalls gegen § 1 Abs. 2 OWiG dadurch verstoßen hat, dass er so dicht vor dem (stehenden) Fahrzeug des Zeugen X auf den rechten Fahrstreifen auffuhr, dass dieser ihn wegen des sog. „toten Winkels“ eines LKW-Fahrers nicht ohne Weiteres wahrnehmen konnte.“

Wenn der vorfahrtsberechtigte Linksabbieger die Kurve schneidet, oder: Welche Haftungsquote?

© psdesign1 – Fotolia.com

Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner das LG Saarbrücken, Urt. v. 12.05.2017 – 13 S 137/16 – mit einer wahrscheinlich gar nicht so seltenen Konstellation. Es geht um die Haftung nach einem Verkehrsunfal in Zusammenhnag mit einem Abbiegevorgang. Die Tochter war mit dem Pkw der klagenden Mutter unterwegs. Sie will von der Straße, die sie befährt, nach links in eine andere Straße einbiegen. Verkehrszeichen gibt es an der Einmündung nicht. Es kommt im Einmündungsbereich zum Zusammenstoß mit dem Pkw der Beklagten.

Das AG hat die Klage – nach Beweisaufnahme – abgewiesen. Das LG hat weiter Beweis erhoben und danach der Klage teilweise stattgegeben. Es geht von Folgendem aus:

  • Der Unfall hat sich, was steritig war, im von § 8 StVO geschützten Bereich ereignet. Daher fällt der Beklagten eine Vorfahrtsverletzung nach § 8 Abs. 1 StVO zur Last. Damit „spricht grundsätzlich ein Anscheinsbeweis für eine unfallursächliche Vorfahrtsverletzung durch den Wartepflichtigen (BGH, st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 15.06.1982 – VI ZR 119/81, VersR 1982, 903 m.w.N.; vgl. auch Kammerurteile vom 28.03.2014 – 13 S 196/13, Zfs 2014, 446, vom 29.04.2016 – 13 S 3/16, Zfs 2016, 679 und vom 07.10.2016, 13 S 35/16, juris, jeweils m.w.N.). Auf einen Stillstand des Wartepflichtigen kommt es dabei grundsätzlich nicht an, wenn – wie hier der Fall – ein längerer Stillstand nicht nachgewiesen ist (Kammer, vgl. Urteil vom 07.10.2016 – 13 S 35/16, juris m.w.N.).“
  • Die Zeugin pp. – die Tochter – hat ihr Vorfahrtsrecht „nicht dadurch verloren, dass sie nach links abgebogen ist. Durch § 8 Abs. 2 Satz 4 StVO ist klargestellt, dass das Vorfahrtsrecht durch ein Abbiegen des Berechtigten nicht verloren geht. Der Vorfahrtsberechtigte darf deshalb auch beim Abbiegen auf die Beachtung dieses Vorfahrtsrechts grundsätzlich vertrauen (BGHSt 34, 127; OLG Hamm, VersR 1998, 1260; OLG Zweibrücken, Urteil vom 02.05.2007 – 1 U 28/07, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.02.2012 – I-1 U 243/10, juris; OLG Koblenz, NZV 2015, 385).“
  • Aber: Auch die Tochter hat den Unfall mitverschuldet. Und zwar: Die Zeugin trifft ein Mitverschulden, weil sie die Kurve geschnitten hat (§ 1 Abs. 2 StVO).“

Und damit kommt es zu folgender Abwägung:

Die Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge im Rahmen des § 17 Abs. 1, 2 StVG führt zur überwiegenden Haftung der Beklagten. Der Verstoß gegen § 8 StVO wiegt bei typischen Zusammenstößen im eigentlichen Kreuzungs- und Einmündungsbereich schwer, weswegen die Verantwortung des Wartepflichtigen grundsätzlich im Vordergrund steht (vgl. nur Freymann in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27 Rn. 259). Diese Beurteilung folgt aus der besonderen Bedeutung der Vorfahrtsregelung, die dem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer die Pflicht zu erhöhter Sorgfalt auferlegt (vgl. BGH, Urteile vom 18.09.1964 – VI ZR 132/63, VersR 1964, 1195 und vom 23.06.1987 – VI ZR 296/86, VersR 1988, 79; Kammer, st. Rspr.; vgl. Urteil vom 29.04.2016 – 13 S 3/16, Zfs 2016, 679). Allerdings führt dies hier nicht zur Alleinhaftung der Beklagten. Denn ein mitursächliches Schneiden der Kurve durch den Vorfahrtsberechtigten unter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO führt regelmäßig zu dessen Mithaftung (vgl. BGH, Urteil vom 07.01.1966 – VI ZR 164/64, VersR 1966, 294; OLG Hamm, VersR 1998, 1260; OLG Frankfurt, NZV 1990, 472; OLG Koblenz, NZV 2015, 385). Hiervon ausgehend hält die Kammer eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zulasten der Beklagten für angemessen. Dabei berücksichtigt die Kammer einerseits, dass der Einmündungsbereich gut einsehbar war und die Zeugin pp. allenfalls mit einer sehr langsamen Geschwindigkeit fuhr, so dass sich der Wartepflichtige hierauf besser einstellen konnte als bei unübersichtlichen Einmündungs- bzw. Kreuzungsbereichen (vgl. zur Haftungserschwerung bei eingeschränkten Sichtverhältnissen OLG Koblenz, NZV 2015, 385; OLG Frankfurt, NZV 1990, 472). Andererseits fällt zulasten der Zeugin pp. ins Gewicht, dass sie relativ weit links gefahren ist, wie sich aus den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen ergibt.“

Vertrauen auf Blinklicht oder Wartepflicht? – Haftungsverteilung?

entnommen wikimedia.org Urheber Thirunavukkarasye-Raveendran

entnommen wikimedia.org
Urheber Thirunavukkarasye-Raveendran

Das OLG Dresden berichtet in einer PM vom 21.08.2014 über das OLG Dresden, ‌Urt. v. 20‌.‌08‌.‌2014‌ – 7 U ‌1876‌/‌13‌, das eine häufig auftretende Straßenverkehrssituation zum Gegegnstand hatte.. Ein grundsätzlich wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer hatte auf das Blinklicht des Vorfahrtberechtigten vertraut und war auf die Vorfahrtstraße eingebogen. Beim Einbiegen in die vorfahrtberechtigte Straße kam es zum Zusammenstoß mit dem blinkenden Fahrzeug. Die Frage, die sich stellte: Wie wird die Haftung verteilt? Dazu aus der PM:

Der Senat ist nach Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge zu dem Ergebnis gelangt, dass derjenige, dem ein Vorfahrtsverstoß zur Last fällt, gegenüber dem demjenigen, dem ein missverständliches Verhalten vorzuwerfen ist, die Hauptverantwortung an dem Unfall, die hier zu einer Haftungsquote von 70 : 30 führt, trägt.

In Übereinstimmung mit der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung geht auch das Oberlandesgericht Dresden davon aus, dass der Wartepflichtige nur dann auf ein Abbiegen des Vorfahrtberechtigten vertrauen darf, wenn über das bloße Betätigen des Blinkers hinaus in Würdigung der Gesamtumstände, sei es durch eine eindeutige Herabsetzung der Geschwindigkeit oder aber dem Beginn des Abbiegemanövers, eine zusätzliche Vertrauensgrundlage geschaffen worden ist, die es im Einzelfall rechtfertigt, davon auszugehen, das Vorrecht werde nicht mehr ausgeübt. Nach Ansicht des Senats sei neben dem Blinken zumindest ein weiteres deutliches Anzeichen erforderlich, um darauf zu vertrauen, dass der Vorfahrtberechtigte tatsächlich vor dem Wartepflichtigen abbiegt, mithin kein Vorfahrtrecht mehr zu beachten ist.

Im vorliegend zu entscheidenden Fall konnte der Senat im Ergebnis der Beweisaufnahme die Überzeugung davon, dass neben dem irreführenden Blinken ein weiterer Umstand, insbesondere eine deutliche Reduzierung der Geschwindigkeit, dem Wartepflichtigen den Verzicht auf das Vorfahrtsrecht signalisiert hat, gewinnen. Dies führte zu der ausgewiesenen Haftungsquote.“