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Vollzug I: Pflichtverteidiger/Beiordnung in (Disziplinar)Vollzugssachen? – Nein

© ogressie Fotolia.cm

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Heute werde ich dann drei Entscheidungen zum/aus dem Strafvollzug vorstellen. Sicherlich für den ein oder anderen ein eher etwas abgelegenes Thema, für die Betroffenen aber von erheblicher Bedeutung. Den Auftakt mache ich mit dem KG, Beschl. v. 19.01.2016 – 2 Ws 15/16 Vollz. In dem Verfahren ging es um den Antrag eines Sicherungsverwahrten auf gerichtliche Entscheidung und einstweilige Anordnung. Begehrt wurde die Aufhebung der Verhängung eines zehntägigen Arrests durch die Justizvollzugsanstalt, die Aussetzung der sofortigen Vollziehung dieses Arrests gemäß § 114 Abs. 2 StVollzG sowie die Gewährung von „Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verteidigers gemäß § 109 Abs. 3 StVollzG“. Das KG sagt:

Die Beschwerde des Sicherungsverwahrten gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist jedenfalls unbegründet.

In Vollzugssachen, die Sicherungsverwahrte betreffen, ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach Maßgabe unterschiedlicher Rechtsgrundlagen möglich. Insoweit muss – anders als in der Antragsschrift geschehen – zwischen der Beiordnung nach § 109 Abs. 3 StVollzG und der Beiordnung nach § 120 Abs. 2 StVollzG in Verbindung mit §§ 114 ff. ZPO, also auf Grundlage eines erfolgreichen Prozesskostenhilfe-antrages, differenziert werden (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2014, 294; Senat StV 2015, 577 m. Anm. Neumann StRR 2015, 74 und Peglau jurisPR 3/2015 Anm. 3). Hingegen ist eine – wie von der Strafvollstreckungskammer grundsätzlich für möglich erachtete, letztlich aber abgelehnte – „Beiordnung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO analog“ in Verfahren nach den §§ 109 StVollzG von vornherein nicht möglich. Denn die Beiordnung von Rechtsanwälten ist im StVollzG in den § 120 Abs. 2 und § 109 Abs. 3 abschließend geregelt, so dass es an einer für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke fehlt (vgl. KG, NStZ 1994, 382 bei Bungert; Arloth, StVollzG 3. Aufl., § 120 Rdn. 4).

1. Gemäß § 109 Abs. 3 StVollzG ist dem Antragsteller grundsätzlich dann ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn die begehrte oder angefochtene Maßnahme der Umsetzung des § 66c Abs. 1 StGB im Vollzug der Sicherungsverwahrung dient. Dies ist hier nicht der Fall. § 109 Abs. 3 StVollzG wurde neu gefasst durch das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 und soll nach den Gesetzesmaterialien der Verwirklichung des Rechtsschutz- und Unterstützungsgebotes (vgl. Rn. 117 des Urteils des BVerfG vom 4. Mai 2011 [juris], BVerfGE 128, 326 [382]) dienen. Die Beiordnung soll nach dem Willen des Gesetzgebers nur für solche Streitigkeiten erfolgen, die eine den Leitlinien des § 66c StGB konforme Umsetzung des Abstandsgebotes betreffen (vgl. BT-Drs. 17/9874 S. 27). Das ist hier nicht der Fall. Der angefochtene zehntätige Arrest gründet sich auf einen Sachverhalt, der ausschließlich Umstände erfasst, die mit der spezifischen Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung oder mit der Umsetzung des Abstandsgebotes nichts zu tun haben. Denn er ist als reine Disziplinarmaßnahme aufgrund einer Mehrzahl von beleidigenden und bedrohlichen Äußerungen und aufgrund bedrohlich-aggressiven Auftretens des Beschwerdeführers gegenüber Bediensteten der Justizvollzugsanstalt verhängt und dementsprechend auf § 78 Abs. 1 und § 92 Abs. 1 Nr. 1 und 6 SVVollzG gestützt worden. Dass eine solche Disziplinarmaßnahme unabhängig von der spezifischen Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung und der Umsetzung des Abstandsgebotes verhängt werden kann, legt bereits der Umstand nahe, dass entsprechende Disziplinarmaßnahmen auch im Strafvollzug verhängt werden können (vgl. §§ 82, 102 ff. StVollzG). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers diente die Disziplinarmaßnahme nicht dem Zweck, seine Mitwirkungsbereitschaft im Sinne des § 66c Abs. 1 Nr. 1.a) StGB zu wecken und zu fördern, sondern der Ahndung vergangenen und Verhinderung zukünftigen Fehlverhaltens. Denn diesbezüglich führt der angefochtenen Bescheid aus:

„Aufgrund des von Ihnen begangenen Pflichtverstoßes, Ihres wiederholten Fehlverhaltens in Form von Bedrohungen und Beleidigungen, Ihrer derzeit nicht gegebenen Gesprächsbereitschaft und in Anbetracht Ihrer von massiven Gewalttätigkeiten gekennzeichneten früheren Delinquenz sowie früherer gewalttätiger Auseinandersetzung im Vollzug, muss auch künftig bei Ihnen davon ausgegangen werden, dass es zu vergleichbaren Vorkommnissen und einer Gefährdung für andere kommen kann.“

Ein Blick ins Gesetz, oder: Pflichtverteidiger für Sicherungsverwahrten in Vollzugssachen ist die Regel

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Manche gesetzliche Regelungen sind einem nicht präsent bzw. man registriert gesetzliche Neuregelungen nicht bzw. nicht sofort. So ist es mir mit dem § 109 Abs. 3 StVollzG ergangen, der die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in Maßregelvollzug behandelt.; eingefügt durch „Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung“ mit Wirkung vom 01.06.2013. Auf ihn bin ich jetzt erst durch den KG, Beschl. v. 30.09.2014 2 Ws 342/14 Vollz, der sich mit der Vorschrift befasst und sehr schön die Systematik der Beiordnung erläutert, und zwra wie folgt:

„Diese Ausführungen hat sich der Gesetzgeber zu Eigen gemacht (vgl. BT-Drucks. 17/9874 S. 27) und mit § 109 Abs. 3 StVollzG eine Regelung getroffen, die es erlaubt, bestimmten Antragstellern unter privilegierten Voraussetzungen einen Rechtsanwalt beizuordnen. Nach dem Willen des Gesetzgebers stellt die Beiordnung – bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen sowie bei einem Streit über die dort genannten Maßnahmen dann – den Regelfall dar (vgl. BT-Drucks. 17/9874 S. 27). Sie setzt im Einzelnen Folgendes voraus:

(1) Zunächst steht das Recht auf Beiordnung aus § 109 Abs. 3 Satz 1 StVollzG, wie sich aus dem Wortlaut und insbesondere aus der Bezugnahme auf § 66c Abs. 1 StGB ergibt, nur Sicherungsverwahrten und solchen Strafgefangenen zu, bei denen Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten ist. Da gegen den Antragsteller die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wurde und diese gegenwärtig vollzogen wird, sind die Voraussetzungen insoweit gegeben.

(2) Eine Beiordnung nach § 109 Abs. 3 Satz 1 StVollzG setzt ferner voraus, dass „die vom Antragsteller begehrte oder angefochtene Maßnahme der Umsetzung des § 66c Abs. 1 des Strafgesetzbuches“ dient. Auch das ist hier der Fall. Denn der Gegenstand des Vollzugsverfahrens betrifft die Ausgestaltung zukünftiger Ausführungen, mithin „vollzugsöffnende Maßnahmen“ im Sinne des § 66c Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a) StGB (vgl. zu diesem Begriff BT-Drucks. 17/9874 S. 17). Dass vorliegend nicht über das „Ob“, sondern allein über das „Wie“ der Ausführungen gestritten wird, ändert daran nichts.

Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist dem Antragsteller regelmäßig ein Rechtsanwalt beizuordnen. Anders als bei der Beiordnung nach den Bestimmungen über die Prozesskostenhilfe (§ 120 Abs. 2 StVollzG i.V.m. § 114 ff. ZPO) kommt es bei der Beiordnung eines Rechtsanwalts auf Grundlage des § 109 Abs. 3 Satz 1 StVollzG auch nicht auf die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung und die Bedürftigkeit des Antragstellers an (vgl. zu letzterem OLG Hamm NStZ-RR 2014, 294).

(3) Von einer Beiordnung nach § 109 Abs. 3 Satz 1 (vorletzter und letzter Halbsatz) StVollzG ist aber ausnahmsweise abzusehen, wenn

  • „wegen der Einfachheit der Sach-und Rechtslage die Mitwirkung eines Rechtsanwalts nicht geboten erscheint“ oder
  • „es ersichtlich ist, dass der Antragsteller seine Rechte selbst wahrnehmen kann“.

Beide Halbsätze stellen eine regelungstechnische Umkehrung des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO dar (vgl. BT-Drucks. 17/9874 S. 27). Die Fähigkeit, seine Rechte selbst wahrnehmen zu können, werden insbesondere juristisch vorgebildete Antragsteller besitzen. Davon wird in seltenen Fällen auch bei anderen, lediglich forensisch sehr erfahrenen Personen ausgegangen werden können, wobei zu beachten ist, dass insoweit auch ein Wechselspiel zwischen der Bedeutung der Maßnahme und dem Beiordnungsanspruch besteht. Bei bedeutsamen Maßnahmen wird einem Beiordnungsantrag grundsätzlich zu entsprechen sein.“

Tja, der berühmte Blick ins Gesetz. In der Sache ist das KG dann zwar eine Ausnahme von der Regel angenommen und einen Pflichtverteidiger nicht beigeordnet. Das kann man dann auch anders sehen….