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In Bayern: „Polizei kapituliert vor Temposündern“, oder: Zu lange Leitung

entnommen Wikimedia.org Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

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Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

Leider ein wenig verbuddelt habe ich in meinem Blogordner den Hinweis auf einen Bericht in der SZ v. 22.10.2015 unter dem Titel: „Polizei kapituliert vor Temposündern„. Ich hole den Hinweis heute nach, vielleicht hilft er ja den bayerischen Kollegen – und denen in den anderen Bundesländern auch 🙂 .

Es geht um die Einstellung von rund 450 Verfahren in Bayern (!!). Grund waren technische Fehler bei der Messung, wozu die SZ schreibt:

„Das Problem mit der Technik ist der Polizei schon seit Jahren bekannt. Anfang 2014 kam heraus, dass in die verwendeten BMW- und Mercedesmodelle zu lange Kabel eingebaut worden waren, sodass die Messergebnisse mitunter nicht korrekt waren. Man hatte statt der vorgeschriebenen drei Meter langen Signalkabel, die die Videokamera an der Frontscheibe im Polizeifahrzeug mit dem Computer im Heck verbindet, einfach fünf Meter lange Stränge verwendet.“

Die Vorgehensweise erstaunt mich schon. Aber hallo, in Bayern 🙂 . Und man verlässt sich nicht darauf, dass das OLG Bamberg es dann schon richten wird. Das hat sich nämlich gerade erst in einem anderen Zusammen zur Kabellänge zwischen Signalverstärker und Eingang zum Videonachfahrsystem geäußert und es – aus eichrechtlicher Sicht – nicht beanstandet, dass bei einem Messgerät „ProViDa 2000 Modular“ die Eichbehörde diese nicht selbst untersucht hatte (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 29.06.2015 – 3 Ss OWi 710/15 und dazu Providamessung – wer muss die „Kabellänge“ prüfen?).

3. Reparaturentscheidung (?) aus Karlsruhe – oder: 2 BvR 941/08 und (k)ein (?) Ende

Der Beschl. des BVerfG v. 11.08.2009 – 2 BvR 941/08 hat für viel Wirbel und Aufregung gesorgt, den m.E. das BVerfG hätte vermeiden können/müssen, wenn es gleich in der Entscheidung zur Frage der Ermächtigungsgrundlage für die Messungen im Straßenverkehr Stellung genommen hätte. Das hat es aber nicht – lassen wir dahingestellt, ob es musste.

Folge davon war dann ein Rechtsprechungswirrwarr und zwei „Reparaturbeschlüsse“ aus Karlsruhe, nämlich 2 BvR 759/10 und 2 BvR 1447/10, in denen dann die fachgerichtliche Ermächtigungsgrundlage § 100h StPO festgezurrt worden ist :-(.

Nun gibt es einen dritten Reparaturbeschluss, der allerdings nicht unbedingt von Karlsruhe selbst zu verantworten ist, sondern von denjenigen, die die erste Entscheidung nicht aufmerksam gelesen haben. Dort hatte das BverfG nämlich schon ausgeführt, „dass es möglich erscheint, „dass die Fachgerichte einen Rechtsverstoß annehmen, der ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht“…“. Daraus konnte man nun wahrlich nicht ableiten, dass nach Auffassung des BVerfG in all diesen Fällen von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen sei. Dazu nimmt jetzt das BVerfG, Beschl. v. 20.05.2011 – 2 BvR 2072/10 noch einmal ausdrücklich Stellung und verweist auf diese Passage.

M.E. dürfte damit die Verteidigung in diesem Bereich mit 2 BvR 941/08 – so es denn überhaupt noch geht – endgültig erledigt sein.

Mit VibrAM gefertigte Videoaufzeichnungen können verwertet werden – Senat korrigiert Einzelrichter

Nur der Vollständigkeit halber will ich auf den Beschl. des OLG Düsseldorf v. 18.01.2011 – IV-3 RBs 152/10 hinweisen, der sich mit der Verwertbarkeit von mit VibrAM gefertigten Videoaufzeichnungen befasst. Die Fragen spielen nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung ja nicht mehr die Rolle, die sie noch vor einigen Monaten gespielt haben.

Ich weise auf den Beschluss nur deshalb hin, weil der Einzelrichter des Senats die Frage anders gesehen hatte.Wir erinnern: Um seinen Beschluss hatte es einiges an Aufruhr/Aufmerksamkeit gegeben, weil behauptet wurde,  dass der Einzelrichter selbst einige Verfahren bei dem AG anhängig hatte, über dessen Beschluss er zu entscheiden hatte. Die Abfuhr im Senatsbeschluss ist deutlich.

Videomessung: Anlassbezogene Messung ja oder nein?

Wenn sich überhaupt noch mit der Rechtsprechung des BVerfG zur (unzulässigen) Videomessung in 2 BvR 941/08 verteidigen lässt, dann m.E. nach den beiden Entscheidungen des BVerfG aus dem Sommer 2010 nur noch hinsichtlich der Frage der Anfangsverdachts und/oder der Frage der Anlassbezogenheit der Messung. Alle anderen Fragen sind durch die obergerichtliche Rechtsprechung geklärt, wobei dahinstehen soll, ob zutreffend oder nicht.

Für den Verteidiger bedeutet dies, dass sich das Schwergewicht der Verteidigung verlagert bzw. auch darauf geachtet werden muss, ob das tatrichterliche Urteil Feststellungen zur Anlassbezogenheit der Messung enthält. Darauf hatte auch schon das OLG Hamm hingewiesen (VA 2010, 208 = VRR 2010, 475).

In die Richtung geht auch die Entscheidung des OLG Brandenburg v. 11.01.2011 –  (1 B) 53 Ss-OWi 585/10 (341/10), wonach das Urteil, durch das der Betroffene wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung oder einer Abstandsunterschreitung verurteilt wird, deren Feststellung auf einer Videomessung beruht, Feststellungen dazu enthalten muss, ob die Messung „anlassbezogen“ durchgeführt worden ist. Und das ist durch Befragung der Messbeamten in der HV zu klären.

Pflichtverteidiger bei unzulässiger Videomessung – jetzt nicht mehr?

Spät kommt sie, aber sie kommt. Die Entscheidung eines OLG zur Frage, ob dem Betroffenen im OWi-Verfahren, in dem es um die Fragen der unzulässigen Videomessung auf der Grundlage von 2 BvR 941/08 geht, ggf. ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden muss. Das OLG Dresden hat das jetzt in seinem Beschl. v. 30.08.2010 – Ss (OWi) 812/09 – bejaht und – weil das AG einen Pflichtverteidiger nicht beigeordnet hatte – das amtsgerichtliche Urteil auf die Rüge nach § 338 Nr. 5 StPO hin aufgehoben. Es sieht die zu lösenden Rechtsfragen als schwierig an. Nur schade, dass die Entscheidung so lange hat auf sich warten lassen. Das amtsgerichtliche Urteil ist vom 03.11.2009. Ob auch heute noch ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden muss bzw. wird/würde, wage ich nach den beiden Entscheidungen des BVerfG vom 05.07.2010 ( 2 BvR 759/10) und vom 12.08.2010 (2 BvR 1447/10) zu bezweifeln. Die Gerichte werden jetzt sicherlich argumentieren (können): Schwierig war es, jetzt ist es aber das nicht mehr. Aber: Versuchen kann man es ja mal, unter Hinweis auf die Entscheidung die Beiordnung als Pflichtverteidiger zu beantragen.