Schlagwort-Archive: VG Berlin

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG II, oder: „Tolle“ Angaben nach Drogenfahrt mit einem E-Scooter

Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay

Wer unter Cannabiseinfluss mit einem E-Scooter im öffentlichen Straßenverkehr fährt (§ 316 StGB), muss mit dem Entzug der Fahrerlaubnis rechnen durch das Straßenverkehrsamt rechnen. So hat das VG Berlin in einem Eilverfahren im VG Berlin, Beschl. v. 17.07.2023 –  VG 11 L 184/23) entschieden.

Das Straßenverkehrsamt hatte einem Betroffenen aufgegeben, binnen drei Monaten ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu seiner Fahreignung einzureichen. Begründet worden ist das mit einer Fahrt mit einem E-Scooter, bei der der Betroffene nach Fahrauffälligkeiten angehalten und ihm eine Blutprobe entnommen worden war. Die wies einen THC-Wert von 4,4 ng/ml auf. Gegenüber den anhaltenden Polizisten äußerte der Antragsteller, jeden Tag Cannabis zu konsumieren und jeden Tag Auto zu fahren; dies stellte er im Nachhinein als nicht ernst gemeint dar. Als der Betroffene auf die Anforderung des Gutachtens nicht reagierte, ist ihm mit sofortiger Wirkung die Fahrerlaubnis entzogen. Dagegen der Eilantrag, der keinen Erfolg hatte:

„….

(2) Die Gutachtenanordnung ist auch materiell rechtmäßig. Sie findet ihre Rechts-grundlage in § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV. Hintergrund der Gutachtenanordnung ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter einer fahrsicherheitsrelevanten Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel nicht ohne weitere Sachaufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen darf. Erforderlich für die Fahrerlaubnisentziehung ist in solchen Fällen die Prognose, dass der Betroffene auch künftig nicht zwischen einem seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen wird. Damit diese Prognose auf eine hinreichend abgesicherte Grundlage gestützt werden kann, bedarf es in der Regel eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, über dessen Einholung die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat (BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – BVerwG 3 C 14.17 –, juris Rn. 10). Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen gelegentlichen Konsumenten von Cannabis. Gelegentlicher Konsum liegt vor, wenn der Betroffene in zumindest zwei selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – BVerwG 3 C 3/13 –, juris Rn. 17 ff.). Die eigenen Angaben des Klägers legen hier einen solchen Gelegenheitskonsum nahe. Weder im Rahmen der polizeilichen Anhörung noch im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren hat der Antragsteller einen erstmaligen Konsum behauptet. Nach den unwidersprochenen Feststellungen im polizeilichen Tätigkeitsbericht vom 11. Juli 2022 gab der Antragsteller vielmehr gegenüber der Polizei an, dass er „jeden Tag rauche“, wobei er dem Kontext nach den Konsum von Cannabis gemeint hat. Hieraus kann auf einen regelmäßigen Cannabiskonsum geschlossen werden. Im Anschluss stellte er seine Aussage laut Polizeibericht zwar als Witz dar. Er widersprach indes seiner vorherigen Angabe auch nicht ernsthaft und muss sich vor diesem Hintergrund an dieser festhalten lassen.

Bei der Teilnahme am Straßenverkehr – wenn auch mit einem Elektrokleinstfahrzeug – unter Cannabiseinfluss am 11. Juli 2022 handelt es sich um eine weitere Tatsache, die Zweifel an der Fahreignung begründet.

Denn auch ein einmaliger Verstoß gegen das Trennungsgebot ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Tatsache, die Bedenken gegen die Fahreignung begründet und nach § 46 Abs. 3 FeV zur Anwendung der §§ 11 bis 14 FeV, namentlich des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV, führt (BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – BVerwG 3 C 14.17 –, juris Rn. 37). Dabei ist auch bei der Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Elektrokleinstfahrzeug das Trennungsgebot zu beachten. Auch solche Elektro-kleinstfahrzeuge wie etwa E-Scooter sind – ungeachtet des Umstands, dass sie fahrerlaubnisfrei geführt werden dürfen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a FeV) – Kraftfahrzeuge, wenn sie die in § 1 der Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung – eKFV) vom 6. Juni 2019 (BGBl I S. 756), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3091), festgelegten Voraussetzungen erfüllen. Für sie gilt daher – bezogen auf Cannabis – der Bußgeldtatbestand des § 24a Abs. 2, Abs. 3 StVG und damit auch das Trennungsgebot gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV (BayVGH, Beschluss vom 15. März 2023 – VGH 11 CS 23.59 –, juris Rn. 15).

Die Grenze hinnehmbaren Cannabiskonsums ist nicht erst dann überschritten, wenn mit Gewissheit eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit anzunehmen ist oder sich das Risiko von Beeinträchtigungen, die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben, signifikant erhöht haben, sondern bereits dann, wenn die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – BVerwG 3 C 3.13 –, juris Rn. 32 ff). Dabei fehlt schon – jedenfalls bei einem Pkw – ab einem im Blutserum festgestellten THC-Wert von 1,0 ng/ml die Fahrtüchtigkeit (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2016 – 1 B 37.14 –, juris Rn. 18). Diesen Wert hat der Antragsteller überschritten, weil er ein Elektrokleinstfahrzeug geführt hat und bei ihm eine THC-Konzentration von 4,4 ng/ml festgestellt wurde. Zweifel an der Richtigkeit des Behördengutachtens des Landeskriminalamtes vom 3. August 2022 sind weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Zwar führte der Antragsteller bei dem dokumentierten Vorfall ein Elektrokleinstfahrzeug und nicht etwa einen Pkw. Hinzu tritt indes, dass ausweislich des vorliegenden Polizeiberichtes seine Fahrweise auf eine signifikante Beeinträchtigung seiner Fahr-tüchtigkeit hindeutete und er die Sicherheit des Straßenverkehrs und das Eigentum an den in der betreffenden Straße abgestellten Fahrzeugen gefährdete, da er Schlangenlinien fuhr und mehrfach nah an geparkte Kfz geriet. Bei seiner Befragung durch die Polizei gab er zudem an, täglich sowohl Cannabis zu konsumieren als auch mit dem Auto zu fahren. Er räumte also selbst einen regelmäßigen Verstoß gegen das Trennungsgebot auch beim Autofahren ein.“

Ist natürlich „begnadet“ und wird jeden Rechtsanwalt freuen, wenn der Mandant gegenüber der Polizei nach einem Vorfall im Straßenverkehr igeäußert hat, „dass er „jeden Tag rauche“, wobei er dem Kontext nach den Konsum von Cannabis gemeint hat„. Traumhaft/toll 🙂 .

 

Entziehung der Fahrerlaubnis I: Zu viel ist zu viel, oder: Innerhalb eines Jahres 174 OWi-Verfahren sind zu viel

© bluedesign – Fotolia.com

Und heute dann der erste „Kessel Buntes 2023“. In dem „!Köcheln“ Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis, allerdings zur verwaltungsrechtlichen Entziehung nach dem StVG. Zunächst stelle ich das VG Berlin, Urt. v. 28.10.2022 – 4 K 456/21 – zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen zahlreicher Parkverstöße vor.

Folgender Sachverhalt: Der Kläger war seit 1995 Inhaber einer Fahrerlaubnis der früheren Klasse 3. Im Juli 2021 erfuhr die Fahrerlaubnisbehörde in Berlin, dass gegen den Kläger innerhalb eines Jahres 174 Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren geführt worden waren. Darunter befanden sich 159 Parkverstöße und 15 Geschwindigkeitsüberschreitungen. Die Behörde hat dem Kläger daher die Fahrerlaubnis aufgrund fehlender Kraftfahreignung entzogen. Hiergegen hat der Kläger vorgetragen, die Verstöße mit den drei auf ihn zugelassenen Fahrzeugen hätten andere Personen begangen. Er habe gegen die Entscheidungen lediglich deshalb kein Rechtsmittel eingelegt, um der Behörde Arbeit zu ersparen. Die Verhängung einer Fahrtenbuchauflage sei als milderes Mittel zuvor angezeigt gewesen. Er sei beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen.

Das VG hat die Klage abgewiesen:

„Rechtsgrundlage für die Fahrerlaubnisentziehung ist § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 Führerscheinverordnung (FeV). Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Die im Zeitraum von Juli 2020 bis Juli 2021 mindestens 174 Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren begründen die Feststellung der fehlenden Eignung.

Zwar haben die, durch die Nichterfassung im Verkehrszentralregister dem Bagatellbereich zuzurechnenden, Verkehrsordnungswidrigkeiten grundsätzlich bei der Prüfung der Fahreignung außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1973 – BVerwG VII C 12.71 – juris, Rn. 9). Davon ist jedoch dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Inhaber der Fahrerlaubnis die Rechtsordnung über den ruhenden Verkehr nicht anerkennt; so ist ein Kraftfahrer, der offensichtlich nicht willens ist, auch bloße Ordnungsvorschriften, die im Interesse eines geordneten, leichten und ungefährdeten Verkehrs geschaffen sind, einzuhalten, und der solche Vorschriften hartnäckig missachtet, wenn dies seinen persönlichen Interessen entspricht, zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. März 2007 – OVG 5 S 26.07 – juris, Rn. 3; OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. Dezember 1999 – 12 M 4307/99 – juris, Rn. 10). Dabei kommt ein solcher Ausnahmefall jedenfalls dann in Betracht, wenn über einen längeren Betrachtungszeitraum nahezu wöchentlich Verstöße dokumentiert werden. Besonderes Gewicht gewinnen diese Verstöße, wenn sie an einem bestimmten Ort gehäuft auftreten und der Fahrerlaubnisinhaber damit zu erkennen gibt, dass er seine persönlichen Interessen über das Allgemeinwohl stellt. Bei der durchzuführenden Gesamtabwägung sind ferner auch sonstige Verstöße – auch wenn sie nach dem Punktesystem zu Eintragungen im Verkehrszentralregister geführt haben – in den Blick zu nehmen, da auch sie Aufschluss über die eignungsmängelbegründende Haltung des Fahrerlaubnisinhabers geben. Bei Vorlage dieser Kriterien begründet allein die Anzahl an für sich genommenen unbedeutender Verstöße Zweifel an der Eignung (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Dezember 2007 – OVG 1 S 145.07 – juris, Rn. 5).

So verhielt es sich hier, zumal für den Zeitraum Juli 2020 bis Juli 2021 im Schnitt mehr als drei Verstöße pro Woche zu verzeichnen waren. Der Kläger lässt mit den mehr als 150 Parkverstößen binnen eines Jahres keinen Zweifel daran, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Durch dieses Verhalten dokumentierte er eine krasse Missachtung der Rechtsordnung des ruhenden Verkehrs. Die dadurch zum Ausdruck kommende Haltung steht im Widerspruch zu den Erfordernissen eines geordneten und vor allem sicheren Straßenverkehrs, der insbesondere zum Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmender die Regelbeachtung auch in Bezug auf den ruhenden Verkehr durch Fahrerlaubnisinhaber erfordert. Besonderes Gewicht gewinnen diese Verstöße, da sie vornehmlich im direkten Umfeld der Wohnung des Klägers stattgefunden haben. Der Kläger stellt mit diesem Verhalten seine Interessen über die Interessen anderer Verkehrsteilnehmender. Die Ordnungswidrigkeitenverfahren haben ihm nicht Anlass gegeben, eine dauerhaft belastbare Lösung für das Parken seiner Kraftfahrzeuge zu finden (wie z.B. die Anmietung eines Stellplatzes, Umstieg auf den ÖPNV oder das Fahrrad). Vielmehr hat er es dadurch bewusst hingenommen, dass er seine Individualinteresse über das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit stellt. Das rechtswidrige Abstellen ihres Fahrzeuges in Zonen eines absoluten Halteverbots ist darüber hinaus geeignet, andere Verkehrsteilnehmende zu gefährden. Angesichts der Intensität seines Fehlverhaltens hat die Behörde darin zutreffend eine fehlende Eignung erkannt.

Auch sein Verweis auf die mögliche Täterschaft seiner Familienangehörigen ändert nichts an dieser Bewertung. Es kann nämlich dahingestellt bleiben, ob er die Verkehrsordnungswidrigkeiten selbst begangen hat oder ein Dritter. Auch im Fall einer Täterschaft seiner Familienangehörigen wäre der Kläger zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet. Derjenige, der durch zahlreiche ihm zugehende Bußgeldbescheide erfährt, dass Personen, die sein Fahrzeug benutzen, laufend gegen Verkehrsvorschriften verstoßen, und der dagegen nichts unternimmt, weil er keine Rechtsmittel gegen die Bußgeldbescheide ergreift und auch nicht die Überlassung des Fahrzeugs an die jeweiligen Täter von Ordnungswidrigkeiten verweigert, zeigt charakterliche Mängel, die ihn selbst als einen ungeeigneten Verkehrsteilnehmer ausweisen (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1976 – BVerwG VII C 57.75 – juris, Rn. 34). Dies gilt auch für mit Verwarngeldern belegtes Verhalten.

Dass der Kläger von den diversen Verkehrsordnungswidrigkeiten Kenntnis erhalten hat, zieht er selbst nicht in Zweifel. Zu möglichen Gegenmaßnahmen äußert er sich nicht, sondern verbleibt im Vagen und spricht nur von „familieninterner Sanktion“. Der Kläger durfte es nicht dulden, dass mit auf ihn zugelassenen Kraftfahrzeugen fortgesetzt Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen werden. Er zeigt durch dieses Verhalten, dass er es nicht für erforderlich ansieht, gegen rechtswidriges und potentiell die Verkehrssicherheit gefährdendes Verhalten einzuschreiten. Dies belegt seine fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Es ist auch unerheblich, ob die Bescheide über die Verwarngelder formell in Rechtskraft erwachsen (können), denn er hat sich nämlich tatsächlich innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre nicht gegen diese gewehrt. Er muss diese daher gegen sich gelten lassen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob den als „eidesstattliche Erklärung“ überschriebenen Dokumenten überhaupt ein Beweiswert zukommt, da jedenfalls eine Erklärung von einer anderen Person verfasst wurde („V…“), als vom Kläger als Täter angegeben wurde („N…“).

Da es sich bei der Entziehungsentscheidung um eine gebundene Entscheidung handelt, verbleibt für die Berücksichtigung der – ohnehin nicht konkret vorgetragenen – beruflichen Angewiesenheit keinen Raum. Auch die Anordnung einer medizinischpsychologischen Gutachtens kommt nicht in Betracht, da die Nichteignung feststeht.“

Wie war das noch mit Krug und Brunnen 🙂 ?

(Mehrfacher) Anfall der Grundgebühr im Disziplinar- verfahren? , oder: Einmaligkeit der Grundgebühr

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

In der zweiten Entscheidung geht es auch um die Grudngebühr, aber: Etwas exotischer, nämlich nach Teil 6 VV RVG. Dort ist in Nr. 6200 VV RVG auch eine Grundgebühr vorgesehen für das Disziplinarverfahren. Das VG Berlin hat sich nun im VG Berlin, Beschl. v. 29.06.2021 – 80 KE 1/21 OL – zum (mehrfachen) Anfall der Grudngebühr geäußert, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

Beim VG war ein disziplinargerichtlichen Suspendierungsverfahren VG 8pp. anhängig. In dem hatte der von dem betroffenen Beamten beauftragte Rechtsanwalt einen Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung gestellt und der Einbehaltung von Bezügen gemäß § 63 BDG (i.V.m. § 41 DiszG) gestellt. Nachdem der Dienstherr des Beamten (Erinnerungsführer) die angefochtene Verfügung aufgehoben hat, erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Erinnerungsführer auferlegt.

Auf Antrag des Beamten setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die zu erstattenden Kosten für das Verfahren VG 8pp. auf 869,42 EUR fest, wobei auch die vom Rechtsanwalt angesetzte Grundgebühr in Disziplinarverfahren nach Nr. 6200 VV RVG in Höhe von 350,- EUR nebst 16% Mehrwertsteuer berücksichtigt wurde. Gegen die Berücksichtigung der Grundgebühr ist Erinnerung eingelegt worden. Die Erinnerung hatte Erfolg:

„Die fristgemäß eingelegte Erinnerung (Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Kostenansatz, §§ 165, 151 VwGO) gegen die Berücksichtigung der Grundgebühr, über die im Rahmen seiner Annexzuständigkeit der Berichterstatter entscheidet, ist begründet.

Das dem Kostenfestsetzungsantrag zu Grunde liegende disziplinargerichtliche Antragsverfahren gemäß § 63 BDG – VG 8… -, um das es hier ausschließlich geht, ist wie das Verfahren gemäß § 62 BDG (Antrag auf Fristsetzung) ein im Rahmen des Disziplinarverfahrens „besonderes“ gerichtliches Verfahren (vgl. die amtliche Überschrift zu Kapitel 2, Abschnitt 2 des BDG – i.V.m. § 41 DiszG -). Es ist daher kostenmäßig richtig, dass hierfür eine gesonderte Verfahrensgebühr gemäß Nr. 6203 VV RVG für das gerichtliche Verfahren anfällt (vgl. zur Parallelkonstellation bei § 62 BDG: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Januar 2021 – OVG 6 K 68/20, juris Rn. 10 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11. November 2009 – 2 AV 4/09 – juris Rn. 3). Die Grundgebühr gemäß Nr. 6200 VV RVG bezieht sich dagegen auf das Disziplinarverfahren als Ganzes; gemäß der Vorbemerkung 6.2 (1) VV RVG soll durch die jeweiligen Gebühren die gesamte Tätigkeit im Verfahren abgegolten werden. Eine Abrechnung der nur einmalig entstehenden Grundgebühr im gesonderten Antragsverfahren gemäß § 63 BDG kommt deshalb nicht in Betracht. Ihre Verteilung hat vielmehr der abschließenden Kostenentscheidung im Disziplinarverfahren selbst zu folgen (entweder im Rahmen der behördlichen Abschlussentscheidung oder durch das Gericht bei Erhebung einer Disziplinarklage oder Anfechtungsklage gegen die behördliche Abschlussverfügung). Ähnliches gilt im Übrigen für die Verfahrensgebühr im behördlichen Verfahren nach Nr. 6202 VV RVG. Auch mit dieser Gebühr wird die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts im behördlichen Disziplinarverfahren abgegolten. Die Regelungen sollten an die entsprechende Gebührenstruktur in Strafsachen angepasst werden (BTDrs. 15/1971 Bl. 231). Gemäß Nr. 6202 Anmerkung (1) VV RVG kann lediglich für ein – in Berlin nicht vorgesehenes – Widerspruchsverfahren eine zusätzliche gesonderte Verfahrensgebühr erhoben werden; für die Wahrnehmung von Terminen im behördlichen Disziplinarverfahren ist eine gesonderte Terminsgebühr vorgesehen (Nr. 6201 VV RVG). Für Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit einer vorläufigen Dienstenthebung oder teilweisen Einbehaltung von Dienstbezügen (§ 38 BDG bzw. § 38 DiszG) ist eine solche zusätzliche – behördliche – Verfahrensgebühr nach Nr. 6202 VV RVG dagegen nicht vorgesehen. Die Stellung bzw. Vorbereitung eines Antrags nach §§ 62, 63 BDG gehört daher noch zum Abgeltungsbereich der einheitlichen Verfahrensgebühr Nr. 6202 VV (Volpert in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 6202 VV Rn. 20 und Nr. 6203 VV Rn. 8). Aus dieser Systematik folgt, dass der Rechtsanwalt auch die Grundgebühr nach Nr. 6200 VV RVG nur einmalig für das gesamte Disziplinarverfahren verlangen kann; sie kann dagegen nicht – auch nicht gesondert oder zusätzlich – im Rahmen des besonderen gerichtlichen Antragsverfahrens nach § 63 BDG geltend gemacht werden.“

Nochmals: Was ist der richtige Umsatzsteuersatz?, oder: 16% oder 19%

Bild von Markus Winkler auf Pixabay

Im „RVG-Teil“ der Woche heute dann zunächst der VG Berlin, Beschl. v. 28.04.2021 – 14 KE 21/21. Der nimmt noch einmal zur Frage des „richtigen“ Umsatzsteuersatzes Stellung, nämlich 19 % oder 16 %?. Dazu das VG:

„Der Umsatzsteuersatz richtet sich nach der Rechtslage zum Zeitpunkt des Eintritts der Fälligkeit (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 24. Auflage 2019, RVG VV 7008, Rn. 46 m.w.N.). Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes wird die Vergütung fällig, wenn der Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendet ist. Ist der Rechtsanwalt in einem gerichtlichen Verfahren tätig, wird die Vergütung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 RVG auch fällig, wenn eine Kostenentscheidung ergangen oder der Rechtszug beendet ist oder wenn das Verfahren länger als drei Monate ruht. Eine Kostenentscheidung ist ergangen, sobald das Gericht in der Sache in irgendeiner Weise über Kosten erkannt hat, sei es auch nur über die Gerichtskosten. Dabei ist es gleichgültig, ob der Kostenausspruch konstitutiv wirkt oder aber nur eine bereits kraft Gesetzes eingetretene Folge bestätigt. Die Kostenentscheidung ist ergangen mit der Verkündung, anderenfalls mit der Zustellung (Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., RVG § 8 Rn. 13 f.) oder dem formlosen Zugang.

Danach ist der Vergütungsanspruch des Verfahrensbevollmächtigten der Erinnerungsführerin mit unbestrittenem Zugang des die Kostengrundentscheidung enthaltenden Beschlusses vom 3. Dezember 2020, Ab-Vermerk der Geschäftsstelle vom 6. Januar 2021, am 11. Januar 2021 fällig geworden. Zu diesem Zeitpunkt war die vorübergehende Herabsenkung des Umsatzsteuersatzes von 19 % auf 16 % für den Zeitraum vom 1. Juli 2020 bis zum 31. Dezember 2020 gemäß § 28 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes auf Grundlage von Artikel 3 Nr. 2 des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes vom 29. Juni 2020 (BGBl. I 1512) bereits wieder außer Kraft getreten.“

Neuerteilung der Fahrerlaubnis, oder: Wann wird ein (ungünstiges) Gutachten „gelöscht“?

Bild von Andreas Breitling auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung heute dann etwas Verkehrsverwaltungsrechtliches, nämlich das VG Berlin, Urt. v. 04.03.2021 – 4 K 125/20.

Gestritten wird/wurde um die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

„Er [der Kläger] war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen B, M und L, welche ihm im Mai 2005 entzogen wurde. Einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Juli 2009 lehnte die Fahrerlaubnisbehörde der Stadt Wiesbaden im November 2009 aufgrund eines ungünstigen medizinisch-psychologischen Gutachtens ab, welches künftige Verkehrszuwiderhandlungen und das künftige Führen eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss durch den Kläger für wahrscheinlich hielt. Einen weiteren Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis im September 2014 lehnte Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) mit Bescheid im Mai 2015 ab, weil der Kläger das angeforderte Gutachten nicht innerhalb der Frist vorgelegt hatte. Nach durchlaufenem Widerspruchsverfahren verfolgte dieser sein Begehren erfolglos mit Klage vor dem Verwaltungsgericht – VG 4 K 282.15 – und Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg – OVG 1 N 103.15 – weiter.

Am 1. August 2019 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Neuerteilung der Klassen B, A, A1 und L. Mit Schreiben vom 30. September 2019 wies das LABO ihn auf die bestehenden Bedenken an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen hin. Es führte das noch aktenkundige vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie das negative medizinisch-psychologischen Gutachten aus 2009 auf. Es forderte ihn zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens binnen sechs Monaten zu den Fragen auf, ob zu erwarten sei, dass er auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde, ob psycho-funktionale Beeinträchtigungen vorliegen würden und ob aufgrund der aktenkundigen Tatsachen zukünftig mit Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften zu rechnen sei. Der Kläger verweigerte die Begutachtung und bat um einen rechtsmittelfähigen Bescheid, sodass das LABO mit Bescheid vom 14. November 2019 den Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis ablehnte. Dieser habe das angeforderte Gutachten nicht innerhalb der Frist vorgelegt. Daneben sei ihm schriftlich erklärt worden, dass das Gutachten aus dem Jahr 2009 noch verwertbar und deshalb die Gutachtenanforderung rechtmäßig sei.

Hiergegen legte der Kläger am 22. November 2019 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass er seit zehn Jahren keine Verstöße gegen rechtliche Bestimmungen begangen habe, sodass die Behauptung, er würde seine individuellen Bedürfnisse über die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs stellen, widerlegt sei. Ein über zehn Jahre altes Gutachten könne insofern jedenfalls nicht als belastbare Tatsache herangezogen werden. Das Gutachten enthalte Hinweise zu bereits getätigten Eintragungen. Seine weitere Verwendung verstoße gegen die Tilgungsvorschriften. Zudem sei das Gutachten weder inhaltlich noch formal nachvollziehbar. Der Verfasser des Gutachtens aus dem Jahr 2009 sei nicht als qualifiziert in dem offiziellen Register der Fachpsychologen für Verkehrspsychologie geführt worden. Dieser habe die Inhalte des Gutachtens willkürlich manipuliert und gravierend abweichend von den Aussagen des Klägers wiedergegeben. Die jetzige Anordnung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens leide überdies daran, dass die Behörde sich nicht mit dem Vorrang des Punktesystems, der Wahl eines milderen Mittels sowie des im Einzelfall bestehenden Gefahrenpotenzial auseinandergesetzt habe. Die Gutachtenanforderung müsse insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig sein. Verwertbare Anlasstatsachen für alkoholbedingte Eignungszweifel lägen aber nicht vor. Nach psycho-funktionalen Anforderungen dürfe nicht gefragt werden. Die Frage nach zukünftigen Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung sei nicht ausreichend konkret.

Das LABO wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2020, zugestellt am 5. März 2020, zurück. Die Tilgungsvorschriften seien ordnungsgemäß angewandt worden. Das Gutachten aus dem Jahr 2009 sei deshalb verwertbar. Die darin enthaltene Aussage, dass der Kläger die körperlichen und geistigen Anforderungen an das sichere Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr nicht erfülle, sei nicht zu beanstanden und führe zu den Fragestellungen in der hier streitgegenständlichen Gutachtenanforderung. Da dieser nicht Folge geleistet worden sei, sei zutreffend auf die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr geschlossen worden.“

Dagegen die Klage, die keinen Erfolg hatte.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung des VG:

  1. Die Löschungsfrist für ein medizinisch-psychologisches Gutachten nach § 2 Abs. 9 StVG richtet sich grundsätzlich nach der Tilgungsfrist für die Entscheidung über die Fahrerlaubnis, für die es angefertigt wurde.
  2. Das Gutachten stellt insofern eine neue Tatsache dar und darf auch noch verwertet werden, wenn die Taten und Entscheidungen, die zur Fahrerlaubnisentziehung geführt haben, bereits getilgt wurden (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.04.2010 – 3 C 2.10 ).

Dann schon mal frohes Osterfest