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Mal wieder: Vertretungsvollmacht, oder: Vollmachten (über)prüfen!!!!

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Ich eröffne dann heute mal wieder mit einer „Vollmachtsentscheidung, und zwar zu § 329 StPO, also Verwerfung der Berufung wegen Ausbleiben des Angeklagten. Im KG, Beschl. v. 01.03.2018 – (5) 121 Ss 15/18 (11/18) – geht es aber nicht um die Frage, ob sich der Verteidiger eine nicht vorhandene schriftliche Vollmacht selbst ausstellen kann – auch ein Dauerbrenner – , sondern es geht um die grundsätzlichen Anforderungen an eine schriftliche Vollmacht zur Vertretung des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung. Das KG sagt:

„Die allgemeine Verteidigervollmacht reicht insoweit nicht aus. Erforderlich ist eine besondere Vertretungsvollmacht im Sinne einer spezifischen Ermächtigung des Verteidigers, für den Angeklagten verbindlich Erklärungen abgeben und wirksam für ihn Erklärungen annehmen zu können, also die Rechtsmacht, den Angeklagten im Prozess in Erklärung und Willen zu vertreten (vgl. Frisch in SK-StPO 5. Aufl., § 329 Rdn. 51a m.w.N.; näher zum Inhalt der Vollmacht Spitzer, StV 2016, 49). Wie in der Begründung zum Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe (BT-Drucks. 18/3562, S. 68) ausdrücklich ausgeführt wird, kann diese schriftliche Vollmacht in derselben Urkunde wie die Verteidigungsvollmacht enthalten sein; die Entwurfsbegründung enthält allerdings keine Ausführungen zu der Frage, ob sich die Vertretungsvollmacht ausdrücklich auf die Berufungshauptverhandlung beziehen muss.

b) Allein die Formulierung in der Vollmacht, der Verteidiger werde zur „Verteidigung und Vertretung in allen Instanzen“ ermächtigt, kann – anders als im Strafbefehlsverfahren (vgl. BGH NJW 1956, 1727; Gössel in LR-StPO 26. Aufl., § 411 Rdn. 31 m.w.N. zu § 411 Abs. 2 StPO) – für die Vertretungsvollmacht bezogen auf die Berufungshauptverhandlung nicht ausreichen (so aber OLG Oldenburg, Beschluss vom 20. Dezember 2016 – 1 Ss 178/16 – juris Rdn. 18). Mit der Erteilung einer Vertretungsvollmacht für den Fall einer Abwesenheitsverhandlung überträgt der Angeklagte wichtige Verfahrensrechte wie Anwesenheit und rechtliches Gehört vollständig auf seinen Verteidiger (vgl. BGH a.a.O.). Er muss sich fortan an dessen inhaltlichen Erklärungen festhalten lassen, als wenn es seine eigenen wären. Diese Konsequenzen der Bevollmächtigung wiegen bezogen auf die Berufungshauptverhandlung besonders schwer, da sie den Abschluss der letzten Tatsacheninstanz bildet. Angesichts dieser weitreichenden Folgen ist erforderlich, dass sich die Vollmacht ausdrücklich auch auf die Abwesenheitsverhandlung in der Berufungshauptverhandlung bezieht (vgl. bereits Senat, Beschlüsse vom 12. Dezember 2017 – [5] 121 Ss 171/17 [82/17] – und 8. November 2016 – [5] 161 Ss 186/16 [53/16] -; OLG Hamm, Beschluss vom 24. November 2016 – 5 RVs 82/16 – juris Rdn. 28 ff.; so auch Eschelbach in BeckOK StPO, 28. Ed. 1.1.2018, § 329 Rdn. 32; Halbritter in Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht 4. Aufl., § 329 StPO Rdn. 7; ebenso bereits zu der vor dem 25. Juli 2015 geltenden Fassung des § 329 StPO KG, Beschluss vom 16. September 2015 – [2] 121 Ss 141/15 [51/15] – NStZ 2016, 234 mit zustimmender Anmerkung Mosbacher und Beschluss vom 16. Mai 2014 – [4] 161 Ss 71/14 [106/14] – juris Rdn. 16; a.A.: OLG Oldenburg a.a.O; offen gelassen in KG, Beschluss vom 23. November 2017 – [4] 161 Ss 158/17 [213/17] – juris Rdn. 3 f.; OLG München, Beschluss vom 6. Dezember 2016 – 5 OLG 15 Ss 543/16 – juris Rdn. 14).

c) Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Vollmacht nicht. Obgleich sie deutlich nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 329 StPO erteilt wurde, findet die Berufungshauptverhandlung darin keine besondere Erwähnung. Ihr Wortlaut spricht sogar dafür, dass diese gerade nicht von der Vertretungsvollmacht umfasst sein sollte. Im Hinblick auf Abwesenheitsvertretungen bezieht sich die Vollmacht explizit nur auf das Strafbefehlsverfahren (§ 411 Abs. 2 StPO) sowie die Vorschriften der §§ 233 Abs. 1, 234 StPO, wobei sie keinen Hinweis enthält, dass es sich bei den erwähnten Vorschriften nur um beispielhafte Anwendungsfälle halten soll. Vielmehr legt die Aufzählung der Normen das Verständnis nahe, im Hinblick auf Abwesenheitsvertretungen beschränke sich die Vollmacht auf die in den darin genannten Vorschriften geregelten Fälle (anders wohl OLG Hamm, Beschluss vom 6. September 2016 – 4 RVs 96/16 – juris Rdn. 7).

d) Auch der Verweis auf § 234 StPO verhilft der erteilten Vertretungsvollmacht nicht zur Erstreckung auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung. Bereits nach der früheren Rechtsprechung, die die vor dem Inkrafttreten der Neufassung des § 329 StPO am 25. Juli 2015 bestehende Rechtslage betraf, reichte ein derartiger Verweis nicht aus, sondern es wurde für erforderlich erachtet, dass die Vertretungsvollmacht sich ausdrücklich auf die – damals nicht gesetzlich vorgesehene, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aber zulässige – Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung erstreckte (vgl. etwa KG, Beschlüsse vom 16. September 2015 und 16. Mai 2014, jeweils a.a.O.). Obgleich die Strafprozessordnung nunmehr die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung ermöglicht, handelt es sich bei § 329 Abs. 2 StPO auch weiterhin um keinen Fall, der dem Anwendungsbereich des § 234 StPO unterfiele. Hierfür sprechen bereits gesetzessystematische Erwägungen: § 234 StPO befindet sich im zweiten Buch der Strafprozessordnung, das das Verfahren im ersten Rechtszug regelt. Inhaltlich knüpft die Vorschrift an die in §§ 231 Abs. 2, 231a Abs. 1, 231b, 232 Abs. 1 und 233 Abs. 1 StPO geregelten Fälle der Abwesenheitsverhandlung an. Ihr Anwendungsbereich beschränkt sich auf die dort genannten Verfahrenskonstellationen (vgl. Becker in LR-StPO 26. Aufl., § 234 Rdn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 60. Aufl., § 234 Rdn. 1; Gorf in BeckOK StPO, 28. Ed. 1.1.2018, § 234 Rdn. 2; Pfeiffer, StPO 5. Aufl., § 234 Rdn. 1; a.A.: Arnoldi in MüKo-StPO 1. Aufl., § 234 Rdn. 2, der auch § 329 Abs. 2 StPO als von dem Anwendungsbereich der Norm umfasst sieht). Soweit das Gesetz spezielle Vorschriften etwa für das Strafbefehlsverfahren (§ 411 Abs. 2 StPO), das Revisionsverfahren (§ 350 Abs. 2 StPO) und nunmehr auch das Berufungsverfahren kennt, bedarf es des Rückgriffs auf § 234 StPO dagegen nicht. So enthält die letztgenannte Vorschrift keinerlei Regelung, die sich für das Berufungsverfahren nicht bereits aus § 329 Abs. 1 und 2 StPO ergäbe. Der in § 332 für die Berufungshauptverhandlung enthaltene Verweis auf die Vorschriften über die erstinstanzliche Hauptverhandlung gilt nur, soweit nicht Spezialregelungen vorgehen. So sind die §§ 230 ff. StPO im Berufungsverfahren nur anwendbar, soweit nicht § 329 und § 330 StPO speziellere Regelungen enthalten (vgl. Gorf in BeckOK StPO, 28. Ed. 1.7.2017, § 332 Rdn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 332 Rdn. 1 m.w.N.), was für die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung in § 329 Abs. 1 und 2 StPO aber der Fall ist.“

Ich kann dann nur das wiederholen,w as ich schon ein paar Mal geschrieben habe: Bitte einen Blick in die eigenen Vollmachtsformulare werden und schauen, ob die Formulierungen stimmen = in dem obigen Sinn ausreichend sind.

Pflichtverteidiger aufgepasst: Immer schön selbst unterschreiben…..

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Pflichtverteidiger aufgepasst. Das ist das Fazit aus dem BGH, Beschl. v. 16.12.2015 – 4 StR 473/15, mit dem der BGH die Revision gegen die Verurteilung wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verworfen hat. Und zwar Verwerfung als unzulässig, weil nicht fristgerecht begründet:

„Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unzulässig, weil es nicht fristgerecht begründet worden ist (§§ 344, 345 StPO). Die Revisionsbegründung vom 9. September 2015 ist entgegen § 345 Abs. 2 StPO nicht vom Pflichtverteidiger, sondern von einem in derselben Kanzlei tätigen Rechtsanwalt unterzeichnet; auf diesen konnte der Pflichtverteidiger des Angeklagten seine Befugnisse indes nicht wirksam übertragen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Dezember 2011 – 4 StR 430/11, NStZ 2012, 276, 277 mwN; vom 7. Mai 2014 – 4 StR 109/14). Anhaltspunkte dafür, dass der Unterzeichner als allgemeiner Vertreter des Pflichtverteidigers gemäß § 53 Abs. 2 BRAO tätig geworden war, sind nicht ersichtlich. Hierauf hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 5. Oktober 2015 hingewiesen. Dem ist der Angeklagte nicht entgegengetreten.“

Kleiner Trost für den Angeklagten: Im Übrigen wäre die Revision des Angeklagten auch unbegründet gewesen, und zwar „ou“ i.S.  des § 349 Abs. 2 StPO.

Die Entscheidung muss ich mir dann mal in meinen gebührenrechtlichen Ordner heften….. da geht es ja immer um die „Vertretung“ des Pflichtverteidigers beim „Terminsvertreter“, was m.E. nicht geht. Aber einige OLG sehen das ja anders…..

Auch wenn der Verteidiger stumm bleibt, spricht das allein nicht gegen seinen Vertretungswillen…

Wir hatten vor einigen Tagen über die Vertretung des ausgebliebenen Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung im  Strafbefehlverfahren und die dafür erforderliche Vertretungsvollmacht des (Pflicht)Verteidigers berichtet (vgl. hier und hier).

Dazu passt ganz gut die mir jetzt übersandte Entscheidung des KG vom 07.07.2010 – (1) 1 Ss 233/10 (17/10), in der das KG zur Art und Weise der Vertretung des Angeklagten Stellung genommen hat. Danach reicht zur Vertretung des Angeklagten im Hauptverhandlungstermin die Anwesenheit des bevollmächtigten Verteidigers aus. Aus dessen bloßem Schweigen und dem Absehen von einer Antragstellung darf nicht geschlossen werden, er sei vertretungsunwillig. Hierfür bedarf es vielmehr eindeutiger Indizien.