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Aufklärung II: Vernehmung der früheren Berufsrichter, oder: Was haben die Zeugen früher gesagt?

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Bei der zweiten Entscheidung betreffend Aufklärung(spflicht) handelt es sich um das BGH, Urt. v. 30.03.2023 – 4 StR 318/22.

Folgender Sachverhalt: Das LG hatte im ersten Rechtsgang die Angeklagten mit Urteil v. 09.01.2019 vom Vorwurf der schweren Misshandlung von Schutzbefohlenen freigesprochen. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft hat der BGH mit Urteil vom 30. 07.2020 das LG-Urteil mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG zurückverwiesen.

Im zweiten Rechtsgang hat das LG die Angeklagten dann erneut aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Dagegen die Revision der StA, die hinsichtlich der Angeklagten T. H. mit der Verfahrensrüge Erfolg hatte. Die Revision betreffend den Angeklagten M. H. war unbegründet.

Der Verfahrensrüge ders StA liegt folgendes Geschehen zugrunde: Im ersten Rechtsgang hatten sich beide Angeklagte zur Sache eingelassen. Die Eltern der beiden Angeklagten und die Ehefrau des Bruders des Angeklagten M. H. hatten als Zeugen Angaben gemacht. Im zweiten Rechtsgang haben beide Angeklagte weitgehend von ihrem Schweigerecht Gebrauch gebracht. Lediglich die Angeklagte T. H. hat sich über eine Verteidigererklärung dahin eingelassen, dass sie die Hebamme bzw. die Kinderärztin auf die Schwellung an L. s Brustkorb aufmerksam gemacht habe und nicht umgekehrt. Die mit den Angeklagten verwandten Zeugen haben sich im zweiten Rechtsgang auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen.

Der BGH moniert, dass die Berufsrichter aus dem ersten Rechtsgang nicht als Zeugen vernommen worden sind:

„2. Die Aufklärungsrüge die Angeklagte T.H. betreffend ist zulässig erhoben. Die Rüge genügt der durch § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Form. Insbesondere hat die Beschwerdeführerin die Beweismittel, deren Verwertung sie vermisst, und die zu erwartenden Beweisergebnisse jeweils konkret bezeichnet (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2021 – 6 StR 214/20 Rn. 3), indem sie mit dem Ziel, eine Aktivtäterschaft der Angeklagten T.H. zu beweisen, im Einzelnen vorgetragen hat, welche Bekundungen der namentlich benannten Berufsrichter über die Einlassungen der beiden Angeklagten und über die Angaben der Zeugen (Eltern der beiden Angeklagten, Ehefrau des Bruders des Angeklagten) in der Hauptverhandlung im ersten Rechtsgang zu erwarten waren.

3. Die Aufklärungsrüge ist begründet, denn das Landgericht hätte sich zu der Vernehmung der Berufsrichter des ersten Rechtsgangs gedrängt sehen müssen (§ 244 Abs. 2 StPO).

a) § 244 Abs. 2 StPO gebietet es, von Amts wegen Beweis zu erheben, wenn aus den Akten oder aus dem Stoff der Verhandlung Umstände und Möglichkeiten bekannt oder erkennbar sind, die bei verständiger Würdigung der Sachlage begründete Zweifel an der Richtigkeit der – auf Grund der bisherigen Beweisaufnahme erlangten – Überzeugung wecken müssen bzw. geeignet sind, noch vorhandene Zweifel, die einer Überzeugungsbildung entgegenstehen, auszuräumen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 – 4 StR 208/14 Rn. 7 mwN). Ergibt die Beweisaufnahme weder den Nachweis noch die Widerlegung eines entscheidungserheblichen Umstands, so muss das Gericht, bevor es zu dem fraglichen Punkt zugunsten des Angeklagten entscheidet, von Amts wegen nach eventuellen weiteren Aufklärungsmöglichkeiten forschen und anordnen, dass bekannte oder erkennbare weitere, bisher nicht genutzte Beweismittel, die eine Aufklärung erwarten lassen, herbeigeschafft und gebraucht werden (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1959 – 1 StR 488/59, BGHSt 13, 326 Rn. 5 f.; Becker in Löwe-Rosenberg, 27. Aufl., § 244 Rn. 61).

b) Hieran gemessen war die Strafkammer gehalten, die aus dem Urteil im ersten Rechtsgang ersichtlichen Einlassungen der Angeklagten und Angaben der Zeugen durch Vernehmung der Berufsrichter zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. Die Vernehmung der Berufsrichter drängte sich auf, da für das Gericht im zweiten Rechtsgang das abweichende Einlassungs- bzw. Aussageverhalten der Angeklagten und Zeugen aus dem Urteil im ersten Rechtsgang erkennbar war und die unterbliebene Beweiserhebung zu einer anderen Sachverhaltsfeststellung hätte führen können. Denn die in das Wissen der benannten Zeugen gestellten früheren Äußerungen der Angeklagten und Zeugen können Feststellungen ermöglichen, die im Rahmen der Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse wesentliche indizielle Bedeutung für eine (Aktiv-)Täterschaft der Angeklagten T. H. haben……..“

Der BGH hat dann an ein anderes LG zurückverwiesen. Ist vielleicht auch besser.

Beweis II: Wann liegt denn nun eine Vernehmung vor?, oder: Was ist eine Durchsuchung?

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt aus Bayern. Das BayOBlG hat im BayObLG, Beschl. v. 13.9.2021 – 202 StRR 105/21 – zur Abgrenzung der „Vernehmung“ zur „informatorischen Befragung“ und zu der Frage Stellung genommen, wann eine Durchsuchung i.S. des § 102 StPO vorliegt.

Das AG hat den Angeklagten unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt. Die dagegen eingelegte Berufung hat das LG verworfen. Hiergegen richtet sich dann die u.a. auf die Verfahrensrüge gestützte Revision des Angeklagten. Die hatte keinen Erfolg.

Das LG hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte bewahrte am 08.03.2019 in seiner Wohnung 7,49 g Marihuana sowie 0,42 g Cannabis-Tabakgemisch und 0,34 g Amphetamin auf. Nachdem Polizeibeamte, denen mitgeteilt worden war, dass aus der Wohnung des Angeklagten starker Marihuanageruch wahrzunehmen sei, gegen 9:10 Uhr den Angeklagten an der Wohnungstür hierauf angesprochen hatten, habe dieser sofort gestanden, dass er soeben einen „Joint“ geraucht habe. Auf Aufforderung durch die Beamten habe er die in der Wohnung befindlichen Betäubungsmittel an diese herausgegeben.

Der Angeklagte hat mit seinen Verfahrensrügen Verwertungsverbote hinsichtlich der sichergestellten Betäubungsmittel und seines Geständnisses vor der Polizei geltend gemacht. Wie gesagt: Ohne Erfolg:

„b) Die erhobenen Verfahrensrügen sind indes bereits unzulässig, weil sie den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht gerecht werden. Hiernach ist der Beschwerdeführer gehalten, die den Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen so vollständig und genau wiederzugeben, dass das Revisionsgericht allein anhand der Begründungsschrift beurteilen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (st.Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 28.02.2019 – 1 StR 604/17 = StV 2019, 808 = BGHR StPO § 244 Abs. 3 S. 2 Ungeeignetheit 26 = StraFo 2019, 243; 27.09.2018 – 4 StR 135/18 = NStZ-RR 2019, 26; 20.09.2018 – 3 StR 195/18 = NStZ-RR 2019, 190; Beschluss vom 01.12.2020 – 4 StR 519/19 = NStZ-RR 2021, 116 = Blutalkohol 58, 159 (2021); 29.09.2020 – 5 StR 123/20 = JR 2021, 231; 13.05.2020 – 4 StR 533/19 = medstra 2021, 42 = NStZ 2021, 178; 17.07.2019 – 5 StR 195/19, bei juris; 09.08.2016 – 1 StR 334/16 = NStZ 2017, 299 = StraFo 2017, 24 = StV 2017, 791; 19.05.2015 – 1 StR 128/15 = BGHSt 60, 238 = NStZ 2015, 541 = StraFo 2015, 381 = StV 2016, 78 = JR 2016, 78; 11.03.2014 – 1 StR 711/13 = NStZ 2014, 532 = BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 29 = StV 2015, 87; BayObLG, Beschluss vom 09.08.2021 – 202 ObOWi 860/21, bei juris). Dem entspricht die Rechtfertigungsschrift nicht.

aa) In Bezug auf das vor der Polizei abgelegte Geständnis, das der Beschwerdeführer wegen Verstoßes gegen die Belehrungspflicht für unverwertbar hält, fehlt es in mehrfacher Hinsicht an erforderlichem Sachvortrag, der dem Senat die Überprüfung ermöglichen würde, ob gegen die Belehrungspflicht nach § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO verstoßen wurde.

(1) Die Revision legt schon nicht dar, dass gegen den Angeklagten im Zeitpunkt des Erscheinens der Polizeibeamten an seiner Wohnungstür überhaupt ein Anfangsverdacht bestanden hatte. Die Pflicht zur Belehrung einer Person als Beschuldigten nach § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO wird erst dann ausgelöst, wenn sich der Verdacht gegen sie so verdichtet hat, dass sie ernstlich als Täter einer Straftat in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 07.09.2017 – 1 StR 186/17 = wistra 2018, 91). Aus den in der Revisionsbegründungsschrift wiedergegebenen Passagen des Berufungsurteils lässt sich dies gerade nicht ableiten. Hiernach sei laut Aussage des als Zeuge vernommenen Polizeibeamten der Polizeidienststelle mitgeteilt worden, dass aus der Wohnung des Angeklagten starker Marihuanageruch wahrzunehmen gewesen sei, und der Polizeibeamte habe dann im Treppenhaus des Wohnanwesens des Angeklagten ebenfalls Marihuanageruch wahrgenommen. Hieraus resultiert indes noch keineswegs ein konkreter Anfangsverdacht gerade in Bezug auf den Angeklagten hinsichtlich eines Betäubungsmitteldelikts. Denn die Inhaberschaft einer Wohnung ist ebenso wenig strafrechtlich relevant (vgl. BGH, Urt. v. 25.04.2017 – 5 StR 106/17 = NStZ-RR 2017, 219 = StraFo 2017, 257 = StV 2018, 503) wie der bloße etwaige Konsum von Betäubungsmitteln (vgl. nur OLG Bamberg, Beschluss vom 14.10.2013 – 3 Ss 102/13 = StV 2014, 621 = OLGSt BtMG § 29 Nr. 21 m.w.N.). Dass die Polizeibeamten gerade den Angeklagten als Täter eines Betäubungsmitteldelikts konkret in Verdacht hatten, ergibt sich auch sonst aus der Rechtfertigungsschrift nicht.

(2) Zudem unterbleibt jeglicher Vortrag dazu, ob überhaupt eine die Belehrungspflicht erst auslösende „Vernehmung“ vorlag, als das Geständnis vor der Polizei abgelegt wurde. Hiervon kann nur dann gesprochen werden, wenn der Angeklagte zum damaligen Zeitpunkt bereits den Beschuldigtenstatus eingenommen hatte, was sich aber aus der Rechtfertigungsschrift ebenfalls nicht ergibt. Ungeachtet dessen ist die im Berufungsurteil erwähnte, durch die Revisionsbegründung nicht weiter untermauerte bloße „Ansprache“ des Angeklagten auf den Marihuanageruch noch keineswegs als Vernehmung im Sinne einer gezielten Befragung eines Tatverdächtigen zu werten. Vielmehr liegt mangels ausreichenden weiteren Vortrags der Revision nicht fern, dass es lediglich um eine informatorische Befragung einer zum Kreis der potentiellen Tatverdächtigen gehörenden Person zum Zwecke der Klärung ging, ob oder gegen wen gegebenenfalls förmlich als Beschuldigter zu ermitteln ist, durch die die Belehrungspflicht § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 bis 6 StPO noch nicht ausgelöst wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 06.06.2019 – StB 14/19 = BGHSt 64, 89 = NJW 2019, 2627 = NStZ 2019, 539 = StraFo 2019, 376 = JR 2020, 81; 27.10.1982 – 3 StR 364/82 = NStZ 1983, 86; BayObLG, Beschluss vom 02.11.2004 – 1St RR 109/04 = VD 2005, 101 = NStZ-RR 2005, 175 = wistra 2005, 239 = StV 2005, 430 = NZV 2005, 494 = Blutalkohol 43, 312 (2006); KK-StPO/Diemer 8. Aufl. § 136 Rn 4).

(3) Darüber hinaus unterbleibt ein Vortrag dazu, ob dem Angeklagten seine Rechte aus § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 bis 6 StPO zum damaligen Zeitpunkt nicht ohnehin bereits bekannt waren. Ausführungen hierzu waren umso mehr erforderlich, als er vielfach und massiv vorbestraft ist, sodass es naheliegt, dass ihm schon aufgrund seiner Kontakte zu Ermittlungsbehörden und Gerichten seine Rechte bekannt waren. Sollte dies der Fall gewesen sein, durfte der Inhalt der Angaben, die er ohne Belehrung vor der Polizei gemacht hat, bei der Urteilsfindung verwertet werden (BGH, Beschluss vom 27.02.1992 – 5 StR 190/91 = BGHSt 38, 214).

(4) Schließlich scheitert die Zulässigkeit der Verfahrensrüge daran, dass der bereits in erster Instanz verteidigte Beschwerdeführer der Verwertung seines vor der Polizei abgelegten Geständnisses nicht rechtzeitig, d. h. bis zu dem in § 257 StPO vorgesehenen Zeitpunkt, mit einer konkreten Stoßrichtung widersprochen hat (vgl. grundlegend: BGH a.a.O.), was zur Rügepräklusion führt (vgl. nur BGH, Urt. v. 09.05.2018 – 5 StR 17/18 = NSW StPO § 105 (BGHintern) = NJW 2018, 2279 = StraFo 2018, 385 = StV 2018, 772 = NStZ 2018, 737 = BGHR StPO § 105 Abs. 1 Verwertungsverbot 1 m.w.N.).

bb) Soweit die Revision geltend macht, die Erkenntnisse aus der Sicherstellung der Betäubungsmittel unterlägen einem Beweisverwertungsverbot, weil sie aufgrund einer gegen den Richtervorbehalt (§ 105 StPO) verstoßenden Durchsuchung erlangt worden seien, versagt auch diese Verfahrensrüge.

(1) Da der auch für die Rüge unzulässiger Verwertung von Durchsuchungsfunden erforderliche Verwertungswiderspruch (vgl. nur BGH a.a.O.) in erster Instanz nicht erhoben wurde, ist diese Verfahrensrüge ebenfalls präkludiert und deswegen bereits unzulässig.

(2) Ungeachtet dessen kam es weder nach dem Vortrag der Revision noch nach den Gründen des Berufungsurteils zu einer Durchsuchung. Kennzeichnend für eine Durchsuchung im Sinne des § 102 StPO ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen und Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.05.1987 – 1 BvR 1113/85 = BVerfGE 75, 318 = NJW 1987, 2500 = WuM 1987, 303 = DVBl 1987, 1062 = Rbeistand 1987, 120 = MDR 1987, 903 = JuS 1988, 149; Löwe-Rosenberg/Tsambikakis StPO 27. Aufl. § 102 Rn. 1). Hiervon kann schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil der Angeklagte die Betäubungsmittel auf die „Ansprache“ durch die Polizei an der Wohnungstür sofort freiwillig herausgegeben hat, so dass es zu einer Durchsuchung deshalb gar nicht kam.

(3) Für das Vorliegen eines Verwertungsverbots nach § 136a Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 StPO aufgrund einer etwaigen Ankündigung einer Durchsuchung unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt ergeben sich nach dem Revisionsvortrag schon keine Anhaltspunkte.“

M.E. eine dieser typischen bayerischen Fleißarbeiten, die von Zitaten strotzen, obwohl das alls gar nicht nötig gewesen wäre. Denn:

Man kann nur den Kopf schütteln über den Verteidiger. Dem scheinen die Grundkenntnisse im Recht der Beweisverwertungsverbote zu fehlen. Denn inzwischen sollte bei jedem Verteidiger angekommen sein, dass – wenn ein Beweisverwertungsverbot geltend gemacht wird – in der Hauptverhandlung widersprochen werden muss und dass der Umstand, dass widersprochen worden ist, dann auch in der Revision im Rahmen der Begründung der Verfahrensrüge vorgetragen werden muss. Und damit wäre es m.E. gut gewesen. Denn aus dem Grund ist die Entscheidung – im Ergebnis – zutreffend.

Aber: Das BayObLG muss natürlich einer staunenden (?) Fachwelt mitteilen, was es im Übrigen von der Sache hält. Und da ist die Entscheidung m.E. falsch. Denn der Angeklagte hätte als Beschuldigter belehrt werden müssen und seine ohne Belehrung gemachten Angaben wären damit, wenn widersprochen worden wäre, unverwertbar gewesen. Denn der Verdacht gegen ihn im Hinblick auf ein BtM-Delikt hatte sich zum Zeitpunkt der Befragung bereits so verdichtet, dass er als Täter einer Straftat in Betracht kam (zur Beschuldigteneigenschaft Burhoff in. Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 1041 ff.). Ich halte fest: Der Polizeidienststelle wird mitgeteilt worden, dass aus der Wohnung des Angeklagten starker Marihuanageruch wahrzunehmen ist, Polizeibeamte nehmen dann im Treppenhaus des Wohnanwesens des Angeklagten ebenfalls Marihuanageruch wahr, der Angeklagte öffnet die Wohnungstür. Bei den Umständen soll der Angeklagte dann nicht als Täter einer Straftat – eines BtM-Delikts, und zwar zumindest Besitz von BtM – in Betracht. Man fragt sich, was eigentlich noch passieren muss, bis man in Bayern als Beschuldigter angesehen wird? Für mich unverständlich, aber: Bayern eben.

OWi I: Vernehmung eines „gestellten“ Zeugen, oder: Wer A sagt, muss auch mit einem Dolmetscher B sagen

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Nachdem ich Montag nur einen kleinen „OWi-Tag“ hatte, heute dann ein vollständiger. Es liegt im Moment aber auch nicht so viel an Rechtsprechung, über die man berichten könnte vor. Also: Ich kann Material gebrauchen.

Ich starte mit dem OLG Celle, Beschl. v. 21.09.2021 – 3 Ss (OWi) 220/21. Der Beschluss ist im Bußgeldverfahren ergangen, die verfahrensrechtliche Konstellation kann sich aber auch im Strafverfahren ergeben. Es geht um die unterbliebene Hinzuziehung eines Dolmetschers bei der Vernehmung eines Zeugen (§ 185 GVG, § 338 Nr. 5 StPO) Erfolg. Die Einzelheiten ergeben sich aus der Begründung des Beschlusses, mit dem das OLG aufgehoben hat:

„1. Das Rechtsbeschwerdevorbringen genügt den Begründungsanforderungen an eine solche Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG).

Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, dass die Vorsitzende „seinen Beifahrer“ als Zeugen gefragt habe, ob er sicher sei, dass der Betroffene sein Handy nicht benutzt habe. Diese Frage habe er – der Beschwerdeführer – dem „k. Zeugen, der nur über sehr lückenhafte Deutschkenntnisse verfüge, übersetzt“. Das habe die Vorsitzende unterbunden. Sie habe sodann den Zeugen gefragt, ob er sich erinnern könne, wo die Verkehrskontrolle war, worauf der Zeuge nur „S.“ geantwortet habe. Daraufhin sei die Vernehmung beendet worden. Da der Beschwerdeführer den Zeugen „nicht als sprachunkundig angemeldet“ habe, sei ein Dolmetscher nicht anwesend gewesen.

Im Übrigen ergibt sich der maßgebliche Verfahrensgang aus den Urteilsgründen selbst (UA S. 4 unten, S. 5 oben). Danach hat der „vom Betroffenen mitgebrachte Zeuge R. J.“ mitgeteilt, dass er Beifahrer gewesen sei. Konkrete Erinnerungen an die Örtlichkeiten habe der Zeuge jedoch nicht mitteilen können. Ob es sich bei dem Zeugen tatsächlich um den Beifahrer gehandelt habe, habe auch nach Vernehmung der Polizeibeamten „nicht eindeutig verifiziert werden“ können. Aufgrund der „erheblichen Verständigungsprobleme“ sei auf eine „weitere Vernehmung verzichtet“ worden. Der Betroffene habe „keinen Beweisantrag“ gestellt.

2. Das Urteil unterliegt gemäß § 338 Nr. 5 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG der Aufhebung, weil entgegen § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG, § 46 Abs. 1 OWiG an der Hauptverhandlung kein Dolmetscher für den Zeugen J. teilgenommen hat.

a) Nach § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG, der auch im gerichtlichen Bußgeldverfahren gilt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 22. Juli 2015 – 1 Ss (OWi) 118/15, NStZ 2015, 720), ist ein Dolmetscher hinzuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Beteiligt in diesem Sinn sind alle Personen, mit denen eine Verständigung mittels der Sprache notwendig ist, dazu gehören auch Zeugen (BayObLG, Beschluss vom 24. September 2004 – 1 St RR 143/04, NStZ-RR 2005, 178 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 185 GVG Rn. 1).

Ausweislich des Protokolls war in der Hauptverhandlung ein Dolmetscher für den Zeugen J. nicht anwesend, obwohl sich nach den Urteilsfeststellungen während der Vernehmung des Zeugen „erhebliche Verständigungsprobleme“ zeigten, die das Gericht dazu veranlassten, auf eine „weitere Vernehmung“ zu verzichten. Unter derartigen Umständen ist gemäß § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG die Hinzuziehung eines Dolmetschers geboten, auch wenn sich deren Notwendigkeit erst im Verlauf der Vernehmung herausstellt (BayObLG aaO).

b) Eine andere Bewertung der Verfahrensweise ergibt sich auch nicht daraus, dass es sich um einen mitgebrachten („sistierten“) Zeugen handelte und ein Beweisantrag nicht gestellt wurde.

Zwar gelten die besonderen Regeln für präsente Beweispersonen nach § 245 Abs. 2 StPO nur, wenn diese vom Betroffenen förmlich nach § 38 StPO unter Einschaltung eines Gerichtsvollziehers zur Hauptverhandlung geladen werden und zudem ein förmlicher Beweisantrag gestellt wird. Die Aufklärungspflicht des Gerichts (§ 77 Abs. 1 OWiG) wird durch § 245 Abs. 2 StPO indes nicht eingeschränkt. Wenn es der Sachaufklärung dient, muss das Gericht von Amts wegen jedes erreichbare Beweismittel ausschöpfen, auch wenn ein förmlicher Beweisantrag nicht gestellt wird oder die Anwesenheit der Beweisperson nicht in der gesetzlich geforderten Form bewirkt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 1981 – 1 StR 385/81, NStZ 1981, 401; Becker in: Löwe-Rosenberg StPO 27. Aufl. § 245 Rn. 7).

Hier hat das Amtsgericht der Beweisanregung des Betroffenen stattgegeben und den von ihm mitgebrachten Zeugen J. vernommen. Es hat damit zu erkennen gegeben, dass es die Vernehmung des Zeugen für sachdienlich erachtet. Die Annahme, dass die Vernehmung des Zeugen der gebotenen Sachaufklärung dient, hat sich auch spätestens in dem Moment bestätigt, als der Zeuge bekundet hat, er sei Beifahrer des Betroffenen – mithin unmittelbarer Tatzeuge – gewesen. Vor diesem Hintergrund war es rechtlich geboten, die Vernehmung des Zeugen ordnungsgemäß und vollständig durchzuführen. Dass sich das Amtsgericht daran aufgrund erheblicher Verständigungsprobleme gehindert sah, rechtfertigt es nicht, die Vernehmung abzubrechen und den möglichen Entlastungsbeweis nicht weiter zu erheben. Die Pflicht zur umfassenden Sachaufklärung gebietet auch die erschöpfende Nutzung der zugezogenen Beweismittel; gehörte Beweispersonen müssen so vernommen werden, dass sie ihr ganzes verfahrenserhebliches Wissen offenbaren (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1997 – 4 StR 23/97, BGHSt 43, 63, 64; BayObLG aaO; Becker aaO § 244 Rn. 64 mwN). Das Unterbleiben einer erschöpfenden Vernehmung des Zeugen ergibt sich im vorliegenden Fall aus den Urteilsgründen selbst und ist deshalb der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht ohne eine – regelmäßig unzulässige – Rekonstruktion der Beweisaufnahme zugänglich. Soweit das Gericht auf eine weitere Vernehmung verzichtet hat, nachdem der Zeuge „konkrete Erinnerungen an die Örtlichkeiten“ nicht habe mitteilen können, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, ob und auf welche Weise das Gericht mit Blick auf die festgestellten erheblichen Verständigungsprobleme sichergestellt hat, dass der Zeuge die Frage richtig verstanden hat.

c) Da die Hauptverhandlung somit in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz (§ 185 Abs. 1 Satz 1 GVG) vorschreibt, stattgefunden hat, besteht der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO (BayObLG aaO; Wickern in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. § 185 GVG Rn. 37). Dieser gilt nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG auch im Rechtsbeschwerdeverfahren (vgl. KK/OWiG-Hadamitzky § 79 Rn. 109 mwN).“

M.E. zutreffend. Denn „Wer A sagt, muss auch B“ sagen = wen sich das Gericht entschieden hat, den „gestellten“ Zeugen zu vernehmen, dann ist es an diese Entscheidung gebunden und kann dan nicht – ohne Gründe – davon abweichen, hier weil es ohne Dolmetscher zu schwierig wurde.

BVV III: Kein rechtliches Gehör im Ermittlungsverfahren, oder: Dann gibt es keinen Strafbefehl

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Bei der dritten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den AG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 03.12.2019 – 412 Cs 166/19. Er hat nicht direkt ein Beweisverwertungsverbot zum Gegenstand, aber: Der Beschluss nimmt Stellung zu der Frage, wie (im Strafbefehlsverfahren) damit umzugehen ist, wenn der Angeschuldigte entgegen § 163a StPO im Ermittlungsverfahren nicht angehört worden ist.

Das AG sagt: Dann lehne ich den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wegen Versagung des rechtlichen Gehörs ab:

„Der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls war abzulehnen, weil dem Angeschuldigten im Ermittlungsverfahren kein rechtliches Gehör gewährt worden ist.

Das beschließende Gericht ist von Rechts wegen jedenfalls berechtigt, den Antrag aus den in Rede stehenden Gründen abzulehnen. Die Vorschrift des § 408 Abs. 2 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO) sieht dies zwar ausdrücklich nur für den Fall vor, dass der hinreichende Tatverdacht verneint wird. Indessen können auch sonstige Gründe, die von einem eng verstandenen Begriff des hinreichenden Tatverdachts nicht erfasst werden, zur Ablehnung des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls berechtigen, wobei es sich auch um Erlasshindernisse handeln kann, die sich aus Umständen ergeben, die abgelöst von der Prüfung des hinreichenden Tatverdachtes bewertet werden können (vergleiche Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2009, § 408, Randnummer 15). Ein Grund der letztgenannten Art besteht in aller Regel, wenn dem Angeschuldigten im Ermittlungsverfahren das rechtliche Gehör versagt wird.

Gemäß § 163a Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Beschuldigte spätestens vor dem Abschluss der Ermittlungen zu vernehmen, es sei denn, dass, was vorliegend nicht der Fall ist, das Verfahren zur Einstellung führt. In einfachen Sachen genügt es nach § 163a Abs. 1 Satz 3 StPO, dass ihm Gelegenheit gegeben wird, sich schriftlich zu äußern.

Die zitierte Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut nicht nur für den Fall der Anklageerhebung einschlägig, sondern auch für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft den Erlass eines Strafbefehls beantragt. Eine Ausnahme für den letztgenannten Fall ist gesetzlich nicht vorgesehen. Die Regelung des § 407 Abs. 3 StPO, wonach es der vorherigen Anhörung des Angeschuldigten durch das Gericht (§ 33 Abs. 3) nicht bedarf, bezieht sich nur darauf, dass im gerichtlichen Verfahren vor Erlass eines Strafbefehls keine gesonderte Anhörung erforderlich ist, für die Vernehmung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren gilt, wie auch sonst, § 163a Abs. 1 StPO, eine Ausnahme für das Strafbefehlsverfahren ist in keiner Vorschrift des Strafprozessrechts vorgesehen (vergleiche Brauer in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Kommentar zur StPO, 6. Auflage 2019, § 407 StPO, Randnummer 28; Gössel in: Löwe-Rosenberg, Kommentar zur StPO, 26. Auflage 2009, § 407 StPO, Randnummer 65).

Das dem Beschuldigten nach § 163a StPO eingeräumte Recht auf Vernehmung im Ermittlungsverfahren findet seine Basis nicht nur im einfachen Gesetzesrecht, sondern die Vorschrift erfüllt aus verfassungsrechtlicher Sicht eine wichtige rechtsstaatliche Funktion zur effektiven Wahrung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes – im Folgenden: GG). Sie stärkt und konkretisiert ferner die Subjektstellung des Beschuldigten (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) schon im Ermittlungsverfahren. Sie erkennt seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und seinen Beweiserhebungsanspruch schon in diesem Verfahrensabschnitt an (vergleiche Erb in: Löwe-Rosenberg, Kommentar zur StPO, 27. Auflage 2018, § 163a StPO, Randnummer 1).

Die von der Staatsanwaltschaft angeführte Möglichkeit des Einspruchs gegen den Strafbefehl kann die bei unterbliebener Anhörung im Ermittlungsverfahren gegebene Verkürzung der Beschuldigtenrechte nicht ausgleichen. Denn der Beschuldigte müsste den Einspruch erst einmal in zulässigerweise einlegen, um erstmals in der Sache Gehör zu finden, und zur Vermeidung der Verwerfung seines Einspruchs an der Hauptverhandlung teilnehmen; beides ist, wie die gerichtliche Praxis zeigt, nicht ohne Weiteres und erst recht nicht bei, wie hier, ausländischen Beschuldigten zu erwarten (vergleiche dazu Amtsgericht Kehl, Beschluss vom 23.08.2018, 2 Cs 504 Js 5348/18, Randnummer 6, zitiert nach juris), insbesondere nicht bei, wie hier, Asylsuchenden aus dem Iran, bei denen erfahrungsgemäß eine Verfolgung im Herkunftsland in Ansehung der (allgemeinkundigen) dortigen Verhältnisse, auch mit Folgen für die psychische Verfassung dieses Personenkreises, durchaus geschehen sein kann.

Die von der Staatsanwaltschaft zitierte Literaturstelle steht nicht im Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung. Der Umstand, dass ein in Fällen der vorliegenden erlassener Strafbefehl für nicht unwirksam erachtet wird, beantwortet nicht die hier in Rede stehende Frage, wie das Gericht den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls zu behandeln hat oder jedenfalls behandeln darf, sondern betrifft die Situation, dass eine Strafbefehl bereits ergangen ist. Vor Erlass eines Strafbefehls ist das Gericht, wie bereits erläutert, jedenfalls berechtigt, wenn nicht gar verpflichtet, auch eine ungeschmälerte Wahrung aller Beschuldigtenrechte hinzuwirken.“

Teilnahme an Durchsuchung + Vernehmung = Terminsgebühr, oder: Die Summe stimmt

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Und dann der erste richtige Beitrag des Tages – weit ab von DSGVO. Es geht um den AG Bad Kreuznach, Beschl. v.  23.04.2018 – 400 Cs 1023 Js 7986/16, den der Kollege T. Scheffler aus Bad Kreuznach in „mühevoller Kleinarbeit“ erstritten hat.

Geltend gemacht hatte der Kollege nach Beendigung des Verfahrens gegen seinen Mandanten im Rahmen der Kostenfestsetzung auch eine Terminsgebühr gemäß Nr. 4102 VV RVG für seine Teilnahme an einer Durchsuchungsmaßnahme in dem wegen Betruges gegen den ehemaligen Angeklagten geführten Verfahren. Der Rechtspfleger hat die – nach entsprechender Stellungnahme des Bezirksrevisors – wen wundert das? – nicht festgesetzt. Dagegen richtete sich die Erinnerung des Kollegen, die er damit begründet hat, dass anlässlich der Durchsuchung auch konkrete Fragen an den Beschuldigten gerichtet worden seien. Die Polizeibeamten hätten Nachfragen zu einzelnen Konten gestellt, die auf den Namen des Sohnes des Angeklagten liefen. Auch Fragen nach Mietzahlungen für die Wohnung und nach einer Beteiligung der Lebensgefährtin des Angeklagten an den Wohnkosten seien gestellt worden. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten seien erörtert worden. Vor der Beantwortung einzelner Fragen habe er, der Verteidiger, sich mit seinem Mandanten in einem Nebenraum besprochen. Aus dem Durchsuchungsbericht ergebe sich zudem, dass der Beschuldigte belehrt und der Durchsuchungsbeschluss eröffnet worden seien.

Das AG hat das anders gesehen als die Vertreter/Hüter der Staatskasse:

„Für die Teilnahme des Verteidigers an der Durchsuchung ist eine Gebühr gemäß Nr. 4102 Ziffer 2 VV RVG entstanden.

Die Gebühr entsteht für die Teilnahme des Rechtsanwalts an Vernehmungen durch Staatsanwaltschaft, Polizei, oder Zoll- und Finanzbehörden, wobei es nicht darauf ankommt, ob der teilnehmende Rechtsanwalt für den Beschuldigten oder für einen anderen Beteiligten tätig wird (BeckOK RVG/Knaudt RVG Rn. 7, beck-online m.w.N.).

Es gilt der formelle Vernehmungsbegriff der Strafprozessordnung.

Zentrales Merkmale einer Vernehmung im Sinne der StPO ist es, dass der Vernehmende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr eine Auskunft verlangt (BGH, Beschluss vom 31. März 2011 — 3 StR 400/10 Rn. 8, juris). Die Frage, ob es sich um spontane Äußerung der Auskunftsperson, um deren informatorische Befragung oder bereits um ihre Vernehmung durch die Ermittlungsperson handelt, ist vor dem Hintergrund der bestehenden Belehrungspflichten aus §§ 163a Abs. 4, 136a StPO und 52 ff StPO von zentraler Bedeutung für die Verwertbarkeit einer Aussage.

Dem späteren Angeklagten wurde von den ermittelnden Polizeibeamten bei Durchführung der Durchsuchung zutreffend der Status eines Beschuldigten zuerkannt. Entsprechend wurde er ausweislich des Durchsuchungsberichts vom 28.092016 auch über bestehende prozessuale Rechte belehrt. Obwohl die entsprechende Formulierung sehr allgemein gehalten ist, ist davon auszugehen, dass der Beschuldigte dabei insbesondere auch über sein Schweigerecht belehrt worden ist. Schon dies spricht für eine Vernehmungssituation.

Das Gericht glaubt dem Verteidiger aufgrund seiner anwaltlichen Versicherung und der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung seiner Mitarbeiterin zudem, dass im Rahmen der Durchsuchung die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten erörtert wurden und dass die Polizeibeamten konkrete Fragen zu einzelnen Beweisstücken an den Beschuldigten richteten.

Unter diesen Voraussetzungen handelt es sich bei den vom Beschuldigten gemachten Angaben weder um spontane Äußerungen noch um Auskünfte im Rahmen einer bloßen informatorischen Befragung sondern um Aussagen anlässlich einer förmlichen Vernehmung.“

Die Entscheidung ist zutreffend. Aber bitte beachten: Sie ändert nichts daran, dass für eine „normale Durchsuchung“ eine Gebühr nach Nr. 4102 VV RVG nicht entsteht. Hier handelte es sich aber eben um eine Durchsuchung mit „intergrierter Vernehmung“ 🙂 und für die ist zu Recht die Gebühr Nr. 4102 Ziff. 2 VV RVG festgesetzt worden.