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EV I: BVerfG zur Haft in Reichsbürgerverfahren, oder: Enge Auslegung von § 148 StPO

Heute dann drei Entscheidungen aus dem Ermittlungsverfahren, dabei zwei Haftentscheidungen.

Ich starte mit dem BVerfG, Beschl. v. 16.08.2023 – 2 BvR 1330/23. Das ist der (Teil)Endpunkt zu der  „Reichs­bür­ger“-Raz­zia aus 2022. Die Bundesanwaltschaft hatte bei der Anfang Dezember 2022 über 20 Verdächtige in Deutschland, Österreich und Italien festnehmen lassen, darunter eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete, Ex-Offiziere und Polizeibeamte. Einige sind zwischenzeitlich aus der U-Haft entlassen. Die Einsatzkräfte stellten damals u.a. zahlreiche Waffen sicher. Nach den vorliegenden Entscheidungen des BGH (vgl. die im Volltext zitierten beschlüsse) soll die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß als einen der mutmaßlichen Rädelsführer vorgehabt haben, das politische System in Deutschland mit Waffengewalt zu stürzen und eine neue Regierung zu installieren. Die Beteiligten hätten auch Tote in Kauf genommen.

Der BGH ist von eine terroristischen Vereinigung ausgegangen, die Pläne für einen gewaltsamen Sturm auf den Bundestag gehabt haben soll.

Einer der Festgenommenen hatte sich mit sei­nem Ver­tei­di­ger mit ei­ner Ver­fas­sungs­be­schwer­de gegen Be­schrän­kun­gen in der Un­ter­su­chungs­haft gewandt, und zwar ging es um die rich­ter­li­che Kon­trol­le ihres Schrift­ver­kehrs. Der Beschuldigte beschwerte sich auch darüber, dass ihm – abgesehen von Wechselwäsche – keine Gegenstände übergeben werden dürfen.

Das BVerfG hat die Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Ich stelle hier nur die Leitsätze zu der Entscheidung aus. Rest dann bitte selbst lesen:

  1. Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar oder mittelbar gegen ein Gesetz, muss der Beschwerdeführer hinsichtlich jeder angegriffenen Norm konkret darzulegen, aus welchen Gründen die jeweilige Bestimmung gegen die als verletzt gerügten Grundrechte verstoßen soll.

  2. Maßnahmen, die den freien Kontakt zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger behindern, berühren das Recht auf ein faires Verfahren. Werden die das Recht auf ein faires Verfahren ausgestaltenden Vorschriften der StPO missachtet oder berücksichtigen die Gerichte bei ihrer Auslegung und Anwendung nicht hinreichend die Tragweite des Rechtsstaatsgebots, so ist das Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

  3. Der Gesetzgeber hat aber das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren mit § 148 Abs. 1 StPO dahingehend konkretisiert, dass auch dem inhaftierten Beschuldigten schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet ist. Die auf der Grundlage von § 148 Abs. 2 S. 1 StPO mögliche Überwachung des Schriftverkehrs durch den Leserichter und die in § 148 Abs. 2 s. 3 StPO vorgesehene Trennscheibenanordnung stellen einen gewichtigen Eingriff in dieses Recht dar. Zu berücksichtigen ist insofern auch ein etwaiger von der Anordnung der Kontrolle durch den Leserichter ausgehender abschreckender Effekt auf den freien Meinungs- und Informationsaustausch zwischen dem betroffenen Beschuldigten und seinem Verteidiger. Vor diesem Hintergrund ist eine enge Auslegung der Vorschrift verfassungsrechtlich geboten.

Kein Rechtsschutzbedürfnis für Wertfestsetzung, oder: Hilfe, Hilfe, ich brauche RVG-Entscheidungen

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Heute am „Brückenarbeitsfreitag“ gibt es hier auch wieder RVG-Entscheidungen. Aber zunächst eine „Verlegenheitsentscheidung“. Das ist eine nach der ich konkret gesucht habe, um sie einstellen zu können. Denn mein Kontingent ist leider erschöpft. Ich hatte noch eine Entscheidung, die ich heute Mittag vorstelle, aber dann ist der Ordner leer. Daher hier dann die „gesuchte“ Entscheidung mit dem Aufruf: Bitte RVG-Entscheidungen für meine Berichterstattung schicken. Ich stelle sie hier vor und auch im AGS, StRR/VRR oder RVGprofessionell. Und egal, ob positiv oder negativ, ich nehme alles.

Und hier kommt dann die „Verlegenheitsentscheidung“, der BVerfG, Beschl. v. 14.02.2023 – 2 BvR 2226/20, der sich noch einmal kurz und knapp – ja die können auch kurz beim BVerfG – zur Festsetzung des Gegenstandswertes für eine (nicht angenommene) Verfassungsbeschwerde äußert:

„3. Der Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts ist unzulässig. Für die gerichtliche Festsetzung des Gegenstandswerts besteht kein Rechtsschutzbedürfnis.

Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG beträgt der Mindestgegenstandswert im Verfahren der Verfassungsbeschwerde 5.000 €. Ein höherer Gegenstandswert kommt in Fällen, in denen eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen worden ist, regelmäßig nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 79, 365 <369>). Umstände, die hier ausnahmsweise einen höheren Gegenstandswert rechtfertigen könnten, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Ist deshalb vom Mindestgegenstandswert auszugehen, so besteht für die gerichtliche Festsetzung des Gegenstandswerts kein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25. Mai 1999 – 2 BvR 1790/94 -).“

Wie gesagt: Kurz und knapp.

 

BVerfG II: Erledigung der Verfassungsbeschwerde, oder: Auslagenerstattung verneint

Und dann als zweite Entscheidung der BVerfG, Beschl. v. 29.12.2022 – 2 BvR 1216/21 – ebenfalls zur Problematik der Auslagenerstattung nach Erledigung der Verfassungsbeschwerde. Hier hat das BVerfG die Auslagenerstattung verneint:

„2. Der sinngemäße Antrag auf Erstattung der notwendigen Auslagen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens ist unbegründet.

a) Nach Erledigung der Verfassungsbeschwerde ist über die Auslagenerstattung gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden. Die Erstattung der Auslagen nach dieser Vorschrift stellt im Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens (§ 34 Abs. 1 BVerfGG), den fehlenden Anwaltszwang und das Fehlen eines bei Unterliegen des Beschwerdeführers erstattungsberechtigten Gegners die Ausnahme von dem Grundsatz des Selbstbehalts der eigenen Auslagen (vgl. BVerfGE 49, 70 <89>) dar (vgl. BVerfGE 66, 152 <154>). Im Hinblick auf die Funktion und die Tragweite der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts findet eine überschlägige Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde im Rahmen der Entscheidung über die Auslagenerstattung nicht statt (vgl. BVerfGE 33, 247 <264 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Mai 2018 – 2 BvR 2767/17 -, Rn. 13). Bei der Entscheidung über die Auslagenerstattung kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen. So ist es billig, einem Beschwerdeführer die Erstattung seiner Auslagen zuzuerkennen, wenn die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abhilft, weil in diesem Fall – falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind – davon ausgegangen werden kann, dass sie deren Begehren selbst für berechtigt erachtet hat (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 ff.>; 87, 394 <397 f.>).

b) Nach diesen Maßstäben entspricht es nicht der Billigkeit, der Beschwerdeführerin die Auslagenerstattung anzuordnen. Zwar hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Begehren der Beschwerdeführerin entsprochen, indem es ihr mit Bescheid vom 20. Juli 2022 eine Aufenthaltszusage erteilt hat. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass das Bundesamt der Beschwer – der vorigen Ablehnung des Antrags – deshalb abgeholfen hat, weil es das verfassungsrechtliche Vorbringen der Beschwerdeführerin für durchgreifend erachtet hätte.

Den verfahrensgegenständlichen ablehnenden Bescheid vom 25. Juli 2019 hatte das Bundesamt darauf gestützt, dass eine erneute Antragstellung im Fall der Beschwerdeführerin nicht zulässig sei und ein Wiederaufgreifen des vorherigen Antragsverfahrens nicht in Betracht komme. Ihr ursprünglicher Antrag sei im Jahr 2017 abgelehnt worden, weil der Nachweis nicht erbracht worden sei, dass die Möglichkeit zu einer Aufnahme in einer jüdischen Gemeinde im Bundesgebiet bestehe (Nr. I 2. Buchst. e der Anordnung des Bundesministeriums des Innern vom 24. Mai 2007 in der Fassung vom 21. Mai 2015 – im Folgenden: Aufnahmeanordnung). Daher sei eine erneute Antragstellung unzulässig, weil eine solche Möglichkeit nach Nr. II 7. Satz 2 Aufnahmeanordnung nur bei einer Ablehnung aufgrund fehlenden Nachweises der jüdischen Nationalität beziehungsweise Abstammung (Nr. I 2. Buchst. a Aufnahmeanordnung) bestehe.

In seinem nunmehr stattgebenden Bescheid vom 20. Juli 2022 hat das Bundesamt die Zulässigkeit des Antrags damit begründet, dass die Aufnahmeanordnung durch das Bundesministerium des Innern im März 2022 geändert worden sei und seitdem für Antragstellerinnen und Antragsteller aus der Ukraine die Möglichkeit einer einmaligen erneuten Antragstellung unabhängig vom Ergebnis des vorausgegangenen Verfahrens bestehe. Die Stattgabe des Antrags stellt sich demnach als Reaktion auf die Änderung der Aufnahmeanordnung anlässlich des Überfalls der Russischen Föderation auf die Ukraine am 24. Februar 2022 dar. Sie erlaubt nicht den Rückschluss, dass das Bundesamt das verfassungsrechtliche Vorbringen der Beschwerdeführerin gegen die restriktive Ausgestaltung der erneuten Antragstellung gemäß Nr. II 7. Aufnahmeanordnung für zutreffend hielt.“

BVerfG I: „Uns fehlen Klimaschutzmaßnahmen“, oder: Keine Verfassungsbeschwerde „für“ ein Tempolimit?

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So, und dann starten wir in die 4. KW, und zwar mit zwei Entscheidungen des BVerfG. Die stelle ich jeweils zur Abrundung und/oder wegen der Vollständigkeit vor.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 15.12.2022 – 1 BvR 2146/22. Das ist der „Tempolimitbeschluss“ des BVerG, über den ja auch schon in der Tagespresse berichtet worden ist. der passt ganz gut zu meiner verkehrsrechtlichen Thematik.

Der Entscheidung liegt eine Verfassungsbeschwerde gegen aus Sicht der Beschwerdeführe unzureichende Klimaschutzmaßnahmen der Bundesrepublik Deutschland. Einen Verstoß gegen das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG und gegen Freiheitsrechte leiten sie „exemplarisch“ daraus ab, dass der Gesetzgeber im Verkehrsrecht durch das Unterlassen eines Tempolimits keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende Abwägungsentscheidung getroffen habe. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass die bislang zur Senkung des CO2-Ausstoßes im Verkehrsbereich ergriffenen Maßnahmen ausreichten, um die im Klimaschutzgesetz für den Verkehrssektor bis 2030 geregelte Emissionsmenge einzuhalten. Die Beschwerdeführenden halten es für erforderlich, die Freiheit, heute auf Autobahnen ohne Tempolimit fahren zu können, mit dem Klimaschutzpotenzial eines Tempolimits und mit künftigen, vermutlich härteren Freiheitseinbußen abzuwägen, die durch eine Verschiebung von Treibhausgasminderungsanstrengungen im Verkehrsbereich auf das Ende dieses Jahrzehnts entstünden. Die aktuellen Freiheitseinbußen eines jetzt einzuführenden Tempolimits seien gegenüber den damit zu erreichenden CO2-Einsparungen gering.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen:

„2. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie genügt den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Begründungsanforderungen nicht.

Die Beschwerdeführenden haben die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht hinreichend dargelegt. Zwar gewinnt das im Klimaschutzgebot des Art. 20a GG enthaltene Ziel der Herstellung von Klimaneutralität bei fortschreitendem Klimawandel in allen Abwägungsentscheidungen des Staates weiter an relativem Gewicht (vgl. BVerfGE 157, 30 <139 Rn. 198>). Dies gilt nicht nur für Verwaltungsentscheidungen über klimaschutzrelevante Vorhaben, Planungen et cetera, sondern auch für den Gesetzgeber, dem die Beschwerdeführenden hier im Kern vorwerfen, Maßnahmen, die im Verkehrsbereich alsbald die emittierte CO2-Menge senken könnten, in Abwägung mit anderen Belangen kein hinreichendes Gewicht beigemessen zu haben.

Zwar kann mit der Verfassungsbeschwerde unter bestimmten Voraussetzungen auch mittelbar ein Verstoß gegen Art. 20a GG gerügt werden. Das ist denkbar, wenn sich Beschwerdeführende gegen einen Eingriff in Grundrechte wenden, weil dieser verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt werden könnte, wenn die zugrunde liegenden Regelungen den elementaren Grundentscheidungen und allgemeinen Verfassungsgrundsätzen des Grundgesetzes entsprechen, zu denen auch das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG zählt (vgl. BVerfGE 157, 30 <133 f. Rn. 189 f.>).

Die Beschwerdeführenden haben jedoch die Möglichkeit eines Grundrechtseingriffs nicht aufgezeigt. Sie legen insbesondere nicht substantiiert dar, dass gesetzliche Regelungen oder gesetzgeberisches Unterlassen im Verkehrssektor, hier das Fehlen eines Tempolimits, eingriffsähnliche Vorwirkung auf ihre Freiheitsgrundrechte entfalten könnten, indem sie zu einem späteren Zeitpunkt unausweichlich zu aus heutiger Sicht unverhältnismäßigen staatlichen Beschränkungen grundrechtlich geschützter Freiheit führten (vgl. dazu BVerfGE 157, 30 <98 ff. Rn. 118 ff.; 131 ff. Rn. 184 ff.>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Januar 2022 – 1 BvR 1565/21 u.a. -, Rn. 4, 9, 12). Dafür muss sich die Verfassungsbeschwerde grundsätzlich gegen die Gesamtheit der zugelassenen Emissionen richten, weil regelmäßig nur diese, nicht aber punktuelles Tun oder Unterlassen des Staates die Reduktionlasten insgesamt unverhältnismäßig auf die Zukunft verschieben könnte (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Januar 2022 – 1 BvR 1565/21 u.a. -, Rn. 12 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Auch der Vortrag der Beschwerdeführenden, im Verkehrssektor werde es am Ende dieses Jahrzehnts zu erheblichen Freiheitsbeschränkungen kommen, weil die im Klimaschutzgesetz bis zum Jahr 2030 dem Verkehrssektor zugewiesene Emissionsmenge aktuell zu schnell aufgezehrt werde, vermag eine eingriffsähnliche Vorwirkung des Unterlassens eines Tempolimits nicht zu begründen. Sie haben schon ihre Annahme, das dem Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 zugewiesene Emissionsbudget werde überschritten, nicht näher belegt. Außerdem haben sie weder dargelegt, dass am Ende dieses Jahrzehnts Treibhausgasminderungen in der von ihnen unterstellten Höhe auch von Verfassungs wegen unausweichlich gerade im Verkehrssektor erbracht sein müssen, noch dass weitergehende aktuelle Einsparungen gerade durch ein Tempolimit erzielt werden müssten.“

BVerfG I: Keine Beschlagnahme nach 5 Jahren, oder: Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde

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Und dann der Start in die 51. KW, an deren Ende wir dann das Weihnachtsfest einläuten. Zum Start stelle ich dann mal wieder zwei BVerfG-Entscheidungen vor und beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 17.11.2022 – 2 BvR 827/21.

Es geht um eine Verfassungsbeschwerde, die sich sich gegen die Anordnung der Beschlagnahme zahlreicher Unterlagen und Ordner im Rahmen eines Strafverfahrens wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung richtet. Dem waren im April 2013, Juni 2014 und Dezember 2014 richterlich angeordnete Durchsuchungen vorausgegangen. In Vollzug dieser Durchsuchungsbeschlüsse wurden die später beschlagnahmten Gegenstände zur Durchsicht mitgenommen. Die Steuerfahndungsstelle ersuchte erst am 27.01.2020 die zuständige Staatsanwaltschaft, einen Antrag auf Beschlagnahme der Gegenstände zu stellen. Das AG ordnete daraufhin die Beschlagnahme mit Beschluss vom 31.01.2020 an, das LG wies die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschuldigten im April 2021 zurück.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, was aber auf formellen Gründen beruht. Denn:

„Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzulässig. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende allgemeine Grundsatz der Subsidiarität entgegen.

1. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität soll der gerügte Grundrechtsverstoß nach Möglichkeit schon im fachgerichtlichen Verfahren beseitigt werden (vgl. BVerfGE 63, 77 <78>). Danach hat ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinn hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 81, 22 <27 m.w.N.>). Die Verweisung auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde steht unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit einer anderweitigen prozessualen Möglichkeit zur Abhilfe (vgl. BVerfGE 134, 106 <115 f. Rn. 28 m.w.N.>).

2. Soweit der Beschwerdeführer seinen Einwand, dass die Sicherstellung (§ 110 StPO) unzumutbar lang angedauert habe, erstmals gegen die Beschlagnahmebeschlüsse vorgebracht hat, hat er nicht alle nach Lage des Verfahrens zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten genutzt, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken und die Grundrechtsverletzung zu verhindern. Denn ihm wäre es möglich und zumutbar gewesen, die Dauer der Sicherstellung im Wege eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO einer fachgerichtlichen Prüfung zu unterziehen (vgl. BVerfGK 1, 126 <133 f.>; 15, 225 <236 f.>).

Ein derartiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung erschiene nicht offenkundig aussichtslos. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die Durchsicht zügig durchgeführt wird, um abhängig von der Menge des vorläufig sichergestellten Materials und der Schwierigkeit seiner Auswertung in angemessener Zeit zu einer Entscheidung darüber zu gelangen, was als potentiell beweiserheblich dem Gericht zur Beschlagnahme angetragen und was an den Beschuldigten herausgegeben werden soll (BGH, Beschluss vom 5. August 2003 – StB 7/03 -, juris, Rn. 16; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2002 – 2 BvR 2248/00 -, Rn. 11).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Verfahrensweise der Ermittlungsbehörden erheblichen Bedenken ausgesetzt. Die Mitnahme der Gegenstände zur Durchsicht dauerte ohne einen erkennbaren sachlichen Grund mehr als fünf Jahre lang an. Das Fehlen eines sachlichen Grundes offenbart sich darin, dass die Staatsanwaltschaft und das Landgericht die Verfahrensweise offen als „bedauerliches Versehen“ bezeichnet haben. Eine solche Verfahrensweise dürfte mit dem Schutzzweck des § 110 StPO, eine übermäßige und auf Dauer angelegte Datenerhebung zu verhindern (vgl. BVerfGE 113, 29 <58>), kaum zu vereinbaren sein. Einen ebenso nicht unerheblichen Verfahrensverstoß dürfte es darstellen, dass die Steuerfahndung allem Anschein nach bereits Beweismittel ausgewertet hat. Dies ist ihr erst nach richterlicher Anordnung der Beschlagnahme gemäß § 94 Abs. 2 in Verbindung mit § 98 Abs. 1 Satz 1 StPO gestattet (vgl. Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 110 Rn. 2 m.w.N.). Dieser Umstand deutet darauf hin, dass grundlegende Verfahrensvorschriften verkannt wurden. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht fernliegend, dass ein mit der Prüfung befasstes Gericht die Dauer der Sicherstellung für unverhältnismäßig gehalten und diese aufgehoben hätte.“

Die Entscheidung bestätigt mal wieder: Der Weg nach Karlsruhe ist der letzte Schritt, der erst begangen werden kann/darf, wenn zuvor alle prozessualen Schritte im fachgerichtlichen Verfahren gegangen worden sind und nicht zum Erfolg geführt haben. Und dazu gehört dann eben bei einem Vorgehen gegen eine Beschlagnahme von Unterlagen nicht nur die Beschwerde zum LG sondern ggf. auch noch der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Sicherstellung (§ 98 Abs. 2 Satz 2 StPO). Das gilt vor allem, wenn, was m.E. aus Entscheidung des BVerfG deutlich wird, die (vorläufige) Sicherstellung eindeutig zu lange – mehr als fünf Jahre () – gedauert und damit das Rechtsmittel wohl Erfolg gehabt hätte. Der Beschuldigte vergibt sich mit diesem Vorgehen ja auch nichts, denn: Denn sieht auch/schon das Fachgericht die Sicherstellung als zu lang und damit unverhältnismäßig an, hat er bereits auf dem Weg sein Ziel erreicht. Sieht das Fachgericht das nicht so, ist der Weg nach Karlsruhe ja nicht versperrt, sondern die Tür für eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde weit geöffnet