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Pflichti II: AG kickt den Verteidiger „vorschnell“ raus, oder: Und was ist mit dem Vertrauensschutz?

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Und als zweite Entscheidung dann eine Entscheidung des LG Halle. Gestritten worden ist um die Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung durch das AG Merseburg. Das hatte im dem von der Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten ursprünglich wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Halle eingeleiteten Ermittlungsverfahren am 25.02.2022 den Kollegen Siebers aus Braunschweig, der mir die Entscheidung geschickt hat, gem. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO bei geordnet, weil dem Angeklagten ein Verbrechen zur Last gelegt wurde.

Mit Verfügung vom 27.03.2023 stellte die Halle das Verfahren dann gem. § 170 Abs. 2 StPO ein, soweit ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Betracht kam. Gleichzeitig beantragte sie beim AG Merseburg den Erlass eines Strafbefehls bezüglich des Besitzes von 1,07 Gramm Marihuana gem. §§ 1, 3 Abs. 1, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 33 BtMG.

Das AG Merseburg erließ den Strafbefehl am 05.04.2023. Hiergegen legte der Angeklagte rechtzeitig Einspruch ein. Nach erfolgter Akteneinsicht meldete der Kollege sich beim AG, wobei er u. a. auf eine Verfahrenseinstellung gemäß § 153 StPO hinzuwirken versuchte sowie Kritik an der Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft, wegen der o. g. Tat einen Strafbefehl zu beantragen („steuergeldverschwendendes Verfahren“), übte.

Mit Beschluss vom 15.12.2023 hat das AG – ohne vorherige Anhörung der Verfahrensbeteiligten – die Beiordnung auf gehoben, weil kein Fall der notwendigen Verteidigung gem. § 140 Abs. 1 StPO mehr gegeben sei. Gleichzeitig bestimmte das AG Hauütverhandlungstermin auf den 26.03.2024.

Der Kollege hat gegen den die Pflichtverteidigerbestellung aufhebendeb Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt, die Erfolg hatte. Das LG Halle mit dem LG Halle, Beschl. v. 15.02.2024 – 3 Qs 11/24 – die AG-Entscheidung aufgehoben:

„Gemäß § 143 Abs. 2 S. 1 StPO kann die Bestellung eines Pflichtverteidigers aufgehoben werden, wenn kein Fall notwendiger Verteidigung mehr vorliegt. Dies ist anzunehmen, wenn sich im Lauf des Verfahrens ergibt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen, die zur Annahme eines Falles der notwendigen Verteidigung im Sinne von § 140 Abs. 1 Nr. 1 bis 10, Abs. 2 StPO geführt haben, nicht mehr gegeben sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 66. Auflage, § 143 Rn 3).

Dies ist zwar vorliegend, nachdem die Staatsanwaltschaft der Verfahren hinsichtlich des Vorwurfs des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eingestellt hat, mittlerweile der Fall. Seit dem 27. März 2023 wird dem Angeklagten kein Verbrechen mehr vorgeworfen, sodass kein Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO mehr vorliegt.

Allerdings steht die Aufhebung der Bestellung im Ermessen des Gerichts („Kann-Bestimmung“). Dem liegt nach der Vorstellung des Gesetzgebers zugrunde, dass Aspekte des Vertrauensschutzes trotz Wegfalls der Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung die Fortdauer der Beiordnung rechtfertigen können (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S. 45; KG Berlin, Beschl. vom 15.5.2020 – 5 Ws 65/20, BeckRS 2020, 36749).

Den Gründen des angegriffenen Beschlusses ist indes nicht zu entnehmen, dass sich das Amtsgericht seines Ermessensspielraums bewusst gewesen ist. Dies folgt unter anderem aus der vom Gericht in den Gründen des Beschlusses verwendeten Formulierung, dass die Bestellung aufzuheben „ist“. Die Verwendung des Verbes „ist“ impliziert ohne nähere Begründung, dass die Aufhebung der Beiordnung als Automatismus in dem Fall, dass die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung nicht mehr vorliegen, verstanden worden ist. Ein solcher Automatismus besteht hier aber gerade nicht.

Die fehlende Ermessensausübung des Amtsgerichts zwingt im vorliegenden Fall jedoch nicht zu einer Zurückverweisung der Sache, vielmehr kann die Kammer selbst in der Sache entscheiden. Eine Zurückverweisung durch das Beschwerdegericht kommt nur in eng begrenzen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt, a.a.O., § 309 Rn 7), welche die Kammer hier nicht annimmt. Grundsätzlich hat das Beschwerdegericht gemäß § 309 Abs. 2 StPO eine eigene Sachentscheidung zu treffen, wobei an die Stelle des Ermessens des Erstgerichts das Ermessen des Beschwerdegerichts tritt (vgl. Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage, § 309 Rn 28).

Dies führt zur Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Merseburg vom 15. Dezember 2023, da der Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 143 Abs. 2 S. 1 StPO ein berechtigtes Vertrauen des Angeklagten entgegen steht.

Seit der Teileinstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft – durch die die Voraussetzung des § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO weggefallen ist – bis zur Entscheidung des Amtsgerichts, die Pflichtverteidigerbestellung aufzuheben, sind knapp acht Monate vergangen, in denen weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft den Wegfall der Voraussetzung der notwendigen Verteidigung jemals problematisiert haben. Vielmehr hat der Verteidiger des Angeklagten in dieser Zeit weiterhin Tätigkeiten für ihn im dem Verfahren entfaltet, insbesondere versucht, auf eine Einstellung gem. § 153 StPO hinzuwirken. Staatsanwaltschaft und Gericht haben auf diese Tätigkeiten jeweils – beispielsweise mit der Veranlassung der Einholung eines Substanzgutachtens – reagiert, ohne zu erkennen zu geben, dass eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung in Betracht kommen könnte. Erst im unmittelbaren Zusammenhang mit der Terminierung der Hauptverhandlung für den 26. März 2024 hat das Amtsgericht – ohne die Verfahrensbeteiligten zuvor anzuhören – die Bestellung aufgehoben. Durch das der Aufhebung vorhergehende Verhalten hat das Amtsgericht jedoch ein schutzwürdiges Vertrauen des Angeklagten dahingehend geschaffen, dass die einmal getroffene Entscheidung der Beiordnung auch unter den nach der Teileinstellung geänderten Umständen aufrechterhalten bleiben soll. Aufgrund dessen war der Aufhebungsbeschluss des Amtsgerichts aufzuheben, sodass die Pflichtverteidigerbeiordnung fortdauert.“

Na ja: Erst das Verfahren einstellen und dann nach acht (!) Monaten sagen, dass die Beiordnungsgründen weggefallen sind und dann ohne Anhörung entpflichten, geht natürlich nicht. M.E. spricht viel dafür, dass das AG den möglicherweise „unbequemen“ Verteidiger „los werden wollte, da der ja schon mit „steuergeldverschwendendes Verfahren“ gegen den Strafbefehl gewettert hatte. Das versprach „Stimmung“ in der Hauptverhandlung, auf die das AG dann wohl keinen Bock hatte. Und schwupps, war der Verteidiger entpflichtet. Aber ebenso schwupps hat das LG Halle die Entscheidung aufgehoben, was m.E. richtig ist/war. Das AG draf sich dann jetzt auf die Hauptverhandlung freuen.

Pflichti I: Auswechseln des „Pflichti“ in der Revision, oder: Begründung des Antrags und Verfahren

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Und dann heute mal wieder eine Tag mit Pflichtverteidigungsentscheidungen. So ganz viele sind es aber nicht, immerhin aber insgesamt fünf Stück.

Ich beginne hier mit zwei Entscheidungen zur Auswechselung des Pflichtverteidigers, und zwar:

Zu den Fragen der Auswechselung hat noch einmal der BGH im BGH, Beschl. v. 15.01.2024 – 2 StR 124/23 – Stellung genommen. Das LG hat die Angeklagte u.a. wegen Brandstiftung verurteilt. Der im Ermittlungsverfahren bestellte Pflichtverteidiger der Angeklagten hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt und das Rechtsmittel mit Verfahrensbeanstandungen und der allgemeinen Sachrüge begründet. dann ist um die Formwirksamkeit gestritten worden (dazu der BGH, Beschl. v. 01.08.2023 – 2 StR 124/23). Der BGH hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision gewährt. Der Beschluss ist dem Verteidiger am 13.09.2023 zugestellt worden.

Mit Schreiben vom 22.07.2023 hat die Angeklagte vorgetragen, „sie vertraue ihrem Verteidiger nicht mehr. Sie habe die Revisionsbegründungsschrift erst zwei Tage vor dem Abgabetermin zur Ansicht erhalten, ein vom Landgericht vernommener Zeuge und „eigentliche[r] Täter S. aber schon vierzehn Tage“ vor ihr. S. habe ihrem Verteidiger „am ersten Gerichtstag […] einen gut gefüllten Briefumschlag im Gerichtssaal übergeben“ wollen. Ihr Verteidiger habe erwidert, er solle „den Brief doch bitte an die Kanzlei senden“. Die Revisionsbegründungsschrift des Verteidigers beanstande „nur das zur Gefälligkeit erstellte Brandschutzgutachten […], obwohl das ganze Urteil nur aus Mutmaßungen und Spekulationen“ bestehe. Ein anderer „Strafanwalt“ habe ihr erklärt, „[s]eine Revisionsbegründung auf dieses Urteil wäre dreißig[-] bis vierzigseitig ausgefallen“. Damit konfrontiert habe ihr Verteidiger erklärt, dafür habe er als Pflichtverteidiger keine Zeit. Mit weiterem Schreiben vom 2. September 2023 hat die Angeklagte geäußert, das Vertrauensverhältnis zu ihrem Verteidiger sei „zerstört“. Sie hat gebeten, den Verteidiger „aus dem Verfahren zu entbinden“ und ihr einen „renommierten Anwalt aus L. “ beizuordnen.“ Mit Schreiben vom 30.11.2023 hat sie diese Bitte schließlich dahin präzisiert, sie beantrage nunmehr, ihr Rechtsanwalt L. aus L. beizuordnen.

Der Verteidiger der Angeklagten ist den gegen ihn erhobenen Vorwürfen entgegengetreten. Der BGH hat den Antrag abgelehnt:

„Der Antrag ist unbegründet, da die Voraussetzungen für einen Pflichtverteidigerwechsel gemäß § 143a Abs. 3 und 2 StPO nicht vorliegen.

1. § 143a Abs. 3 StPO, der eine vereinfachte Regelung für den Pflichtverteidigerwechsel im Revisionsverfahren trifft, greift nicht ein. Die Angeklagte hat den Antrag auf Verteidigerwechsel weder bei dem Gericht gestellt, dessen Urteil angefochten ist, § 143a Abs. 3 Satz 2 StPO, noch hat sie innerhalb der Wochenfrist des § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO den neu zu bestellenden Verteidiger bezeichnet (vgl. BT-Drucks. 19/13829 S. 49; LR-StPO/Jahn, 27. Aufl., § 143a Rn. 42).

2. Die Voraussetzungen für einen Wechsel des Pflichtverteidigers gemäß § 143a Abs. 2 StPO liegen ebenfalls nicht vor.

Eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zum bisherigen Pflichtverteidiger, § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Fall 1 StPO, ist nicht glaubhaft gemacht. Den von der Angeklagten erhobenen Vorwürfen ist der Verteidiger entgegengetreten. Sonstige Belege für die Behauptungen der Angeklagten sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar.

Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, der einer angemessenen Verteidigung der Angeklagten entgegenstünde und einen Wechsel in der Person des Pflichtverteidigers geböte, § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Fall 2 StPO. Eine angemessene Verteidigung der Angeklagten ist gewährleistet. Der Verteidiger hat auf den Formfehler bei der Übersendung der Revisionsschrift innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist reagiert. Ein über die Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 7 StPO hinausgehender Nachteil ist der Angeklagten durch die ursprüngliche Versäumung der Einlegungsfrist nicht entstanden.“

Und die zweite Entscheidung zu der Problematik „Auswechselung“ kommt vom KG. Das hat im KG, Beschl. v.13.12.2023 – 2 Ws 146/23 – auch noch einmal zu den Voraussetzungen Stellung genommen. Die Entscheidung stelle ich aber hier nur mit den Leitsätzen vor, das das KG die Fragen bereits (mehrfach) entschieden hat(te), und zwar:

1. Die Bezeichnung eines neuen Verteidigers ist Voraussetzung für einen Verteidigerwechsels nach § 143a Abs. 3 StPO (vgl. KG, Beschl. v. 09.052023 – 4 Ws 23/23).
2. Die pauschale Begründung des Entpflichtungsantrags eines Beschuldigten mit der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses und bereits zuvor unternommenen Versuchen der Entpflichtung des Verteidigers ist nicht geeignet, einen Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO zu rechtfertigen. Voraussetzung der Annahme eines wichtigen Grundes für die Ersetzung des Pflichtverteidigers ist vielmehr, dass konkrete Tatsachen vorgetragen und gegebenenfalls nachgewiesen werden, aus denen sich ergibt, dass eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliegt und daher zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann.

 

Pflichti III: Störung des Vertrauensverhältnisses, oder: Anhörungspflicht bei Pflichtverteidigerbestellung

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Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen, und zwar einmal Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung wegen Störung des Vertrauensverhältnisses und zum Verfahen bei der Bestellung eines (weiteren) Pflichtverteidiger, nämlich.

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Voraussetzung für die Aufhebung einer Beiordnung ist, dass konkrete Umstände vorgetragen werden, aus denen sich der endgültige Fortfall der für ein Zusammenwirken zu Verteidigungszwecken notwendigen Grundlage ergibt. Eine ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses muss der Angeklagte substantiiert darlegen. Pauschale, nicht näher belegte Vorwürfe rechtfertigen eine Entpflichtung nicht.

Bei § 142 Abs. 5 Satz 1 StPO, wonach dem Beschuldigten vor der Bestellung eines (weiteren) Pflichtverteidigers rechtliches Gehör zu gewähren ist, handelt es sich um eine zwingende Vorschrift.

Verteidiger beauftragt Dolmetscher mit Übersetzung, oder: Wer ist für die Bezahlung zuständig?

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In der zweiten Entscheidung geht es es dann um Auslagen des Verteidigers, und zwar um Auslagen für Dolmetscherleistungen. Die dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 24.02.2023 – 20 KLs 358 Js 11338/21– zugrunde liegende Konstellation ist in der Praxis gar nicht so selten, und zwar:

Das AG hat gegen den Angeklagten einen nationalen Haftbefehl sowie einen Europäischen Haftbefehl erlassen. Der Beschuldigte wurde dann im Ausland festgenommen und in der Folge ins Inland überstellt. Im Verfahren hat das AG festgestellt, „dass d. Beschuldigte nach Maßgabe des § 187 Absatz 1 bis 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes für das gesamte Strafverfahren, insbesondere für Gespräche und Schriftverkehr mit der Verteidigung sowie für die Überwachung der Besuche durch die Strafverfolgungsbehörden, die unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers oder Übersetzers auf Kosten der Staatskasse beanspruchen kann (§ 114b Absatz 2 Satz 3 StPO; Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 07.10.2003, Aktenzeichen: 2 BvR 2118/01).“

Die Staatsanwaltschaft hat Anklage zum LG erhoben. Das LG hat dann den Angeklagten mit Urteil vom 10.02.2023 wegen Verstoßes gegen das BtMG verurteilt. Im Verlauf des Verfahrens beauftragte der Wahlverteidiger eine Dolmetscherin mehrfach als Dolmetscherin sowie Übersetzerin. Diese hat ihre Rechnungen zur Begleichung an die StA adressiert. Die StA erachtet sich als nicht zuständig. Die Kostenbeamtin beim Ermittlungsrichter hat geltend gemacht, dass eine dortige Zuständigkeit nur insoweit vorliege, als vom Ermittlungsrichter selbst die Beauftragung erfolgt sei, im Übrigen vor Anklageerhebung die StA, nach Anklageerhebung das zuständige Gericht der Hauptsache zur Entscheidung berufen sei. Das LG hat auf Vorlage der Akten festgestellt, dass es zur Entscheidung über die Kostenerstattung nicht zuständig sei:

„II. Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist für die Entscheidung über die geltend gemachten Anweisungen zur etwaigen Kostenerstattung unmittelbar an die Dolmetscherin/Übersetzerin nicht zuständig.

1. Eine Auftragserteilung oder Beiordnung durch die Strafkammer lag zu keinem Zeitpunkt vor. Bereits das reicht hin, um die seitens der Staatsanwaltschaft an das Landgericht Nürnberg-Fürth herangetragene Entscheidungszuständigkeit zu verneinen.

2. Ergänzend weist die Kammer angesichts der vorhandenen Unklarheiten im Geschäftsgang auf Folgendes hin:

a) Die Anträge der Dolmetscherin/Übersetzerin an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth sind unzutreffend adressiert, da von dort aus keine Beauftragung ihrer Person stattgefunden hat.

Die Dolmetscherin/Übersetzerin muss sich an Rechtsanwalt A als ihren Auftraggeber halten. Dieser müsste sodann – strafprozessual erforderliche – Translationsleistungen als zu erstattende Aufwendungen gegen die Staatskasse geltend machen.

Es gibt letztlich mehrere Wege, wie ein Dolmetscher/Übersetzer im Strafverfahren hinzugezogen werden kann. Hiervon hängt wiederum der zu beachtende Zahlungsweg ab.

aa) Einerseits kann die Heranziehung/Beiordnung durch das zuständige Gericht erfolgen, § 187 Abs. 1 Satz 1 GVG. In diesem Falle ist der Dolmetscher/Übersetzer unmittelbar durch das Gericht beauftragt, sodass sich der Zahlungsanspruch gegen das beauftragende Gericht richtet. Eine solche Beiordnung kann von Amts wegen sowie auf Antrag des Beschuldigten respektive seines Verteidigers erfolgen.

Ein vorgeschaltetes Antragsverfahren ist dabei nicht obligatorisch (BVerfG 27.08.2003 – 2 BvR 2032/01, BVerfGK 1, 331 = NJW 2004, 50 (51); Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 23), jedoch zulässig (BVerfG 27.08.2003 – 2 BvR 2032/01, BVerfGK 1, 331 = NJW 2003, 50 (51); BGH 05.03.2018 – 5 BGs 47/18, WKRS 2018, 11620 Rn. 3). § 187 Abs. 1 GVG gewährt einen expliziten Anspruch des Beschuldigten auf staatsseitige Bestellung eines Dolmetschers/Übersetzers und nicht bloß auf Erstattung von für entsprechende Leistungen aufgewandte eigene Kosten (OLG Celle 09.03.2011 – 1 Ws 102/11, NStZ 2011, 718; LG Freiburg 23.09.2011 – 6 Qs 44/11, NStZ-RR 2012, 292; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 23). Auf diese „Beanspruchung“ zielt § 187 Abs. 1 Satz 2 GVG ab (KK-StPO/Diemer, 9. Aufl. 2023, § 187 Rn. 2), nicht hingegen auf eine voraussetzungslose Kostenerstattung für eigene Aufträge. Es handelt sich um einen informierenden Hinweis auf die geltende Rechtslage (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 11). Soll demgemäß seitens der Verteidigung ein unmittelbarer Anspruch des Dolmetschers/Übersetzers gegen die Staatskasse konstruiert werden, ist ein entsprechender vorheriger Antrag mit anschließender gerichtlicher Heranziehung/Bewilligung/Beiordnung zwingend.

Die Zuständigkeit richtet sich nach dem Verfahrensstadium. Im Ermittlungsverfahren ist der Ermittlungsrichter zuständig (BGH 05.03.2018 – 5 BGs 47/18, WKRS 2018, 11620 Rn. 5), nach Anklageerhebung das mit der Sache befasste Gericht. Eine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft wird sich nur insoweit ergeben, als ihr originär zugeordnete oder im Wege der Haftüberwachung vom Gericht nach § 119 Abs. 2 Satz 2 StPO übertragene Aufgaben betroffen sind.

Auch insofern kann und ist die Beiordnung auf diejenigen Gespräche und denjenigen Schriftverkehr zu beschränken, die zur Ausübung der strafprozessualen Rechte des Beschuldigten erforderlich sind (BGH 05.03.2018 – 5 BGs 47/18, WKRS 2018, 1…1620 T.enor; LG Freiburg 23.09.2011 – 6 Qs 44/11, NStZ-RR 2012, 292; Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Aufl. 2022, § 187 GVG Rn. 1). Denn § 187 GVG begründet nach seinem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck und seiner Entstehungsgeschichte keinen generellen Übersetzungsanspruch (BGH 18.02.2020 – 3 StR 430/19, BGHSt 64, 283 = NJW 2020, 2041 (2042) Rn. 10).

Der pauschal formulierte Beschluss des Ermittlungsrichters [pp.] stellt ersichtlich keine konkrete Beauftragung dar; er ist auch nicht als generelle, anlasslose Beiordnung misszuverstehen. Eine solche Beiordnung wäre überdies möglichst konkret vorzunehmen (BeckOK-GVG/Allgayer, 17. Ed. 2022, § 187 Rn. 5; LR-StPO/Wickern, 26. Aufl. 2010, § 187 GVG Rn. 15) und hätte die soeben bezeichnete, gebotene Beschränkung auf diejenigen Gespräche und denjenigen Schriftverkehr, die zur Ausübung der strafprozessualen Rechte erforderlich sind, zu enthalten (BGH 05.03.2018 – 5 BGs 47/18, WKRS 2018, 1…1620 T.enor).

Der Beschluss des Ermittlungsrichters [pp.] erweist sich vielmehr als standardisierter Hinweis nach § 187 Abs. 1 Satz 2 GVG. Eine Auftragsbeziehung zur Dolmetscherin/Übersetzerin sollte zu keinem Zeitpunkt begründet werden, sonst hätte der Ermittlungsrichter anders formuliert. Der ergänzende Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.10.2003 ist ebenfalls klarstellend im Hinblick auf die Besuchsüberwachung zu verstehen.

bb) Daneben kann der Dolmetscher/Übersetzer auch vom Beschuldigten oder seinem Verteidiger selbst beauftragt werden, mit nachfolgender Auslagenerstattung, wobei dann die Gefahr besteht, dass bestimmte Teile der Translationskosten wegen Sachfremdheit nicht erstattet werden (OLG Oldenburg 24.06.2011 – 1 Ws 241/11, NStZ 2011, 719 (720); Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 22 ff.; Kulhanek, Die Sprach- und Ortsfremdheit von Beschuldigten im Strafverfahren, 2019, S. 54).

Der Dolmetscher/Übersetzer erwirbt in diesen Fällen keinen unmittelbaren Anspruch gegen die Staatskasse, sondern allein gegen seinen Auftraggeber, welcher sich sodann wiederum gegenüber der Staatskasse schadlos zu halten hat (OLG Düsseldorf 20.12.2010 – 1 Ws 271/10, NStZ 2011, 719; OLG Oldenburg 24.06.2011 – 1 Ws 241/11, NStZ 2011, 719; LG Dortmund 30.11.2017 – 35 Qs 24/17, BeckRS 2017, 148602; MAH Strafverteidigung/Schulte, 3. Aufl. 2022, § 18 Rn. 26; Mayer/Kroiß/Ebert, RVG, 8. Aufl. 2021, § 46 Rn. 134). Es handelt sich um erstattungsfähige Aufwendungen, § 46 Abs. 2 Satz 3 RVG, die für den Fall ihrer Erforderlichkeit (§ 187 Abs. 1 Satz 1: „soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist“) unabhängig vom Verfahrensausgang von der Staatskasse zu tragen sind (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 24; Mayer/Kroiß/Ebert, RVG, 8. Aufl. 2021, § 46 Rn. 140). Gleiches gilt für den Wahlverteidiger (BVerfG 27.08.2003 – 2 BvR 2032/01, BVerfGK 1, 331 = NJW 2003, 50 (51); OLG Brandenburg 27.07.2005 – 1 Ws 83/05, StV 2006, 28 (29); OLG Karlsruhe 09.09.2009 – 2 Ws 305/09, StraFo 2009, 527; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 23 f.), wie sich gebühren- und auslagenrechtlich aus § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO ergibt (KMR-StPO/Bader, 103. EL 2021, § 464a Rn. 25). Es handelt sich um einen Auslagenerstattungsanspruch sui generis unabhängig von der Art der Verteidigung und der Frage einer Verurteilung.

Wann die Beiziehung insbesondere eines Übersetzers zur Ausübung der strafprozessualen Rechte des Beschuldigten erforderlich ist, lässt das Gesetz als unbestimmten Rechtsterminus hingegen im Raum stehen. Das Ergebnis ist einer abstrakt-allgemeinen Kategorisierung nicht zugänglich, sondern abhängig von den Umständen des Einzelfalls, wobei namentlich Art und Schwere des Tatvorwurfs sowie die Komplexität der zu prüfenden Beweisfragen zu berücksichtigen sind (LG Freiburg 23.09.2011 – 6 Qs 44/11, NStZ-RR 2012, 292; LR-StPO/Wickern, 26. Aufl. 2010, § 187 GVG Rn. 7; SSW-StPO/Rosenau, 5. Aufl. 2023, § 187 GVG Rn. 4).

Der Verteidiger kann, um diese Unsicherheit zu beseitigen und eine Bindungswirkung für das Feststellungsverfahren herbeizuführen, einen Antrag nach § 46 Abs. 2 Satz 1, Satz 3 RVG stellen (MAH Strafverteidigung/Schulte, 3. Aufl. 2022, § 18 Rn. 27; Mayer/Kroiß/Ebert, RVG, 8. Aufl. 2021, § 46 Rn. 136). Es handelt sich mithin um eine Absicherung der späteren Kostenerstattung. Es muss sich dabei um eine bestimmt bezeichnete Aufwendung handeln (OLG Hamm 15.11.2007 – 2 WF 239/07, BeckRS 2008, 1834 Rn. 6; Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl. 2022, § 46 RVG Rn. 37). Überdies gewährt § 47 Abs. 1 Satz 1 RVG im Rahmen des Erforderlichen und Angemessenen einen Vorschussanspruch des Verteidigers gegenüber der Staatskasse (LG Neuruppin 15.03.2021 – 11 Ks 22/20, BeckRS 2021, 11895 Rn. 8).

Ein Antrag nach § 187 Abs. 1 Satz 1 GVG bleibt ohnehin unberührt (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 23).

b) Zuständig zur – abschlägigen – Bescheidung der Anträge der Dolmetscherin/Übersetzerin ist daher vorliegend die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth als in Anspruch genommene Rechnungsadressatin (vgl. auch LG Dortmund 30.11.2017 – 35 Qs 24/17, BeckRS 2017, 148602 Rn. 4). Da die Dolmetscherin/Übersetzerin in ihren Rechnungen ausdrücklich darauf hinweist, dass sie um Mitteilung bitte, sollte die Staatsanwaltschaft nicht die richtige Rechnungsadressatin sein, dürfte allerdings auch eine formlose Mitteilung genügen.

aa) Die vorgebrachte Rechtsansicht, wonach auch ohne zugrunde liegende justizielle Beauftragung/Beiordnung bis zur Anklageerhebung stets die Staatsanwaltschaft und nach Anklageerhebung stets das mit der Sache befasste Gericht zuständig wäre, geht fehl. Für den – wie ausgeführt nicht gegebenen – Fall einer Beiordnung durch den Ermittlungsrichter im Ermittlungsverfahren wäre überdies bis zur Anklageerhebung ebenfalls nicht die Staatsanwaltschaft, sondern das Amtsgericht – Ermittlungsrichter – zuständig. Die Zuständigkeit der Anweisung von Übersetzungskosten folgte insofern der beauftragenden Hinzuziehung.

bb) Die Dolmetscherin/Übersetzerin hat sich sodann an ihren Auftraggeber Rechtsanwalt A zu halten, welcher die Kosten zu verauslagen hat (OLG Düsseldorf 20.12.2010 – 1 Ws 271/10, NStZ 2011, 719). Dieser hat sodann im Wege der Auslagenerstattung die von ihm getragenen Dolmetscher-/Übersetzerkosten anzuführen und gegenüber der Staatskasse geltend zu machen, wobei ausdrücklich zu beachten ist, dass diese nur im Rahmen der Erforderlichkeit Erstattung finden dürfen. Dass die Dolmetscherin/Übersetzerin vom Verteidiger ermächtigt worden wäre, den ihm zustehenden Auslagenerstattungsanspruch selbst gegen die Staatskasse geltend zu machen (vgl. OLG Düsseldorf 20.12.2010 – 1 Ws 271/10, NStZ 2011, 719; MAH Strafverteidigung/Schulte, 3. Aufl. 2022, § 18 Rn. 26), ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.“

Ein m.E. klarer und eindeutiger Weg, wie mit diesen Auslagen umzugehen ist und war wann zahlen muss.

Im Übrigen hat das LG auch noch zur Erforderlichkeit der geltend gemachten Leistungen Stellung genommen. Insoweit verweise ich auf dne verlinkten Volltext.

Pflichti II: Aufhebung der „Pflichti-Zweitbestellung“, oder: Auswahlrecht des Beschuldigten

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Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Saarbrücken, Beschl. v. 01.09.2022 – 4 Ws 268/22, passt ganz gut zu dem vorhin vorgestellten BGH, Beschl. v. 25.08.2022 – StB 35/22 (vgl. dazu Pflichti I: BGH zu Aufhebung der Zweitbestellung, oder: Zweitbestellung nicht zur „Verhinderungsentlastung“). Denn das OLG hat Stellung genommen zum Verfahren bei der Aufhebung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Gegen den Angeklagten ist bei einer Wirtschaftsstrafkammer des LG ein umfangreiches Verfahren wegen vorsätzlichen gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Dopingmitteln in über 1.000 Fällen, jeweils in Tateinheit mit Inverkehrbringen von bedenklichen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, anhängig. Mit Beschluss vom 13.7.2022 bestellte der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer Rechtsanwalt M. zusätzlich zu dem bereits bestellten Pflichtverteidiger Rechtsanwalt S. als weiteren Pflichtverteidiger, da dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens erforderlich sei, nachdem der bisherige Pflichtverteidiger mitgeteilt hatte, an zwei der anberaumten Hauptbehandlungstermine verhindert zu sein.

Nach Durchführung mehrerer Hauptverhandlungstermine teilte der Vorsitzende der Staatsanwaltschaft, den beiden Pflichtverteidigern und dem inhaftierten Angeklagten mit, dass das Gericht beabsichtige, die Bestellung von Rechtsanwalt M. als zusätzlichem Verteidiger gemäß § 144 Abs. 2 StPO aufzuheben und räumte eine Frist zur Stellungnahme bis zum 08.08.2022, 12 Uhr ein. Nachdem beide Pflichtverteidiger jeweils mit am 08.08.2022 eingegangenem Schriftsatz Stellung genommen und sich gegen die Entpflichtung ausgesprochen hatten, hob der Vorsitzende die Bestellung von Rechtsanwalt M. als zusätzlichem Pflichtverteidiger mit Beschluss vom 09.08.2022 gemäß § 144 Abs. 2 StPO auf. In dem Beschluss wird insbesondere ausgeführt, dass bei Aufhebung der Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers der zuletzt bestellte Rechtsanwalt zu entpflichten sei. Die Stellungnahme des Angeklagten vom 08.08.2022 ging am 09.08.2022 – laut Vermerk des Vorsitzenden erst nach der Entscheidung über die Aufhebung der Bestellung – bei Gericht ein. In der Stellungnahme machte der Angeklagte geltend, dass er von Rechtsanwalt M. erfahren habe, dass dieser entpflichtet werden solle, das Anhörungsschreiben des Gerichts sei ihm selbst erst am Abend des 08.08.2022 zugegangen. Er widersprach der Entpflichtung und begründete dies im Wesentlichen damit, dass Rechtsanwalt S. im Gegensatz zu Rechtsanwalt M. nicht an allen Verhandlungstagen anwesend gewesen sei und dass zwischen ihm und Rechtsanwalt M. ein starkes Vertrauensverhältnis bestünde. Es sei ihm völlig unverständlich, warum er seinen Pflichtverteidiger nicht aussuchen könne. Wenn das Gericht einen der beiden Pflichtverteidiger entpflichten wolle, bitte er um Entpflichtung von Rechtsanwalt S.

Gegen den dem Aufhebungsbeschluss legte der Angeklagte sofortige Beschwerde ein. Das Rechtsmittel hatte Erfolg:

„Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Vorsitzenden.

Gemäß § 144 Abs. 2 S. 1 StPO ist die Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers aufzuheben, sobald seine Mitwirkung zur zügigen Durchführung des Verfahrens nicht mehr erforderlich ist. Gemäß § 144 Abs. 2 S. 2 StPO gilt § 142 Abs. 5 bis 7 S.1 StPO entsprechend.

Nach § 142 Abs. 5 S. 1 StPO ist dem Beschuldigten vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. Nach Abs. 5 S. 3 ist der von dem Beschuldigten innerhalb der Frist bezeichnete Verteidiger zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht, wobei ein wichtiger Grund auch vorliegt, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.

Im Fall der Aufhebung der Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers nach § 144 Abs. 2 S. 1 StPO kann dies bei entsprechender Anwendung des § 142 Abs. 5 StPO nur bedeuten, dass der Beschuldigte im Hinblick darauf anzuhören ist, welcher der Pflichtverteidiger ihn fortan verteidigen soll, und dass der durch den Beschuldigten bezeichnete Verteidiger gerade nicht entpflichtet werden kann, sofern kein wichtiger Grund dies ausnahmeweise gebietet.

Nach Auffassung des Senats gilt die Verweisungsregelung wegen ihrer eindeutigen systematischen Stellung – jedenfalls auch – für die Fälle des Absatzes 2. Etwas anderes folgt weder aus den Gesetzesmaterialen (BT-Drs. 19/13829, 49 f.) noch aus der durch die Generalstaatsanwaltschaft zitierten Kommentierung (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 144 Rn. 10), da beide Quellen sich zu der Frage der in Absatz 2 geregelten Aufhebung der Bestellung nicht verhalten. Soweit der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer II ausweislich der Beschlussbegründung aus dem Wortlaut des § 144 Abs. 2 S. 1 StPO schlussfolgert, dass der zuletzt bestellte Pflichtverteidiger zu entpflichten ist, steht dies im Widerspruch zu der Regelung der §§ 144 Abs. 2 S. 2, 142 Abs. 5 S. 1 StPO, die dem Angeklagten ein Bezeichnungsrecht einräumt. Auch in der Sache ist kein Grund ersichtlich, weshalb zwingend der zuletzt bestellte Pflichtverteidiger entpflichtet werden muss, wenn das besondere Bedürfnis für die Mitwirkung eines weiteren Verteidigers zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens nachträglich weggefallen ist, insbesondere ist die Aufgabe eines zweiten Pflichtverteidigers nicht allein auf die Verfahrenssicherung beschränkt. Vielmehr muss er in gleicher Weise die sachgerechte Verteidigung des Angeklagten gewährleisten, wie der zuerst bestellte Pflichtverteidiger (OLG Hamm, NStZ 2011, 235, m. w. N.).

Die Entscheidung des Vorsitzenden entspricht daher nicht den Vorgaben der §§ 144 Abs. 2 S. 2, 142 Abs. 5 S. 1 und S. 3 StPO hinsichtlich des vor der Entscheidung einzuhaltenden Verfahrens. Zwar hat der Vorsitzende veranlasst, dass sich der Angeklagte zur beabsichtigten Entpflichtung von Rechtsanwalt M. äußern kann, faktisch hatte der Angeklagte jedoch keine Möglichkeit hierzu, da ihn das Schreiben des Gerichts erst am Abend des 08. August 2022 – also nach Fristablauf – erreicht hatte und seine Stellungahme dem Vorsitzenden nicht im Zeitpunkt der Entscheidung über die Entpflichtung vorlag. Darüber hinaus wurde dem Angeklagten auch nicht die Gelegenheit gegeben, von seinem Bezeichnungsrecht nach §§ 144 Abs. 2 S. 2, 142 Abs. 5 S. 1 StPO Gebrauch zu machen und den Pflichtverteidiger zu benennen, von dem er weiterhin verteidigt werden möchte. Anders als nach früherer Rechtslage hat die Anhörung zur Bezeichnung des Verteidigers grundsätzlich zwingend zu erfolgen (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 142 Rn. 32; BeckOK-StPO, 44. Edition, Stand: 01. Juli 2022, § 142 Rn. 17)….. „