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Schilderwald im Straßenverkehr – Absehen vom Fahrverbot?

© Gooseman - Fotolia.com

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„Schilderwälder“ kennen wir alle. Sie machen die Einhaltung der darin liegenden straßenverkehrsrechtlichen Anordungen nicht unbedingte leicht(er). So war es in Bayern auch einem Betroffenen gegangen. Der hatte aber bei „seinem“ AG Glück. Das hat ihn zwar wegen einer (fahrlässigen) Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt, von einem an sich verwirkten Fahrverbot jedoch unter Erhöhung der Geldbuße abgesehen. Begründung: Es liege ein gegenüber dem Regelfall geringes Verschulden wegen eines Irrtums der Betroffenen vor, da unter dem Zeichen 274 (Beschränkung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit) das Verkehrszeichen „Überholverbot“ (Zeichen 277) angebracht war, darunter in einem rechteckigen Rahmen die Bezeichnung „2,8 t“ und darunter in einem rechteckigen Rahmen die Symbole für Omnibusse und PKW mit Anhänger. Das OLG Bamberg hat das im – ziemlich umfangreichen – OLG Bamberg, Beschl. v. 01. 12. 2015 – 3 Ss OWi 834/15 – nicht gelten lassen und aufgehoben. Wenn man die Leitsätze liest, dann weiß man, was im Beschluss steht, denn die sind im Grunde ein Inhaltsangabe 🙂 .

  1. Ist das verkehrsordnungswidrige Verhalten auf einen aufgrund mangelnder präsenter Kenntnis der Straßenverkehrsvorschriften beruhenden Wertungs- bzw. Interpretationsirrtum des Betroffenen über die rechtliche Bedeutung der von ihm optisch richtig und vollständig wahrgenommenen Beschilderung zurückzuführen, ist von einem regelmäßig vermeidbaren, den Tatvorsatz unberührt lassenden Verbotsirrtum i.S.d. § 11 II OWiG und nicht von einem Tatbestandsirrtum i.S.v. § 11 I 1 OWiG auszugehen (Anschluss u.a. an BayObLGSt 2003, 61 = NJW 2003, 193 = ZfS 2003, 430 = OLGSt OWiG § 11 Nr. 3 = DAR 2003, 426 = VRS 105 [2003], 309 = VerkMitt 2003 Nr. 75 und OLG Bamberg NJW 2007, 3081 = VD 2007, 294 = NZV 2007, 633 = OLGSt StVG § 25 Nr. 37).
  2. Ein vermeidbarer Verbotsirrtum i.S.d. § 11 II OWiG kann dazu führen, dass die Wertung des Pflichtenverstoßes als ‚grob‘ i.S.v. § 25 I 1 [1. Alt.] StVG als nicht gerechtfertigt anzusehen ist mit der Folge, dass die Anordnung eines an sich nach § 4 I 1 BKatV verwirkten Regelfahrverbots nicht (mehr) angezeigt ist (u.a. Anschluss an BayObLG und OLG Bamberg a.a.O.). Scheidet ein Wegfall des Fahrverbots aus, kann die Abkürzung der an sich nach § 4 I 2 BKatV vorgesehen Fahrverbotsdauer oder eine Fahrverbotsbeschränkung (§ 25 I 1 a.E. StVG) in Betracht kommen. Insoweit ist ohne Belang, dass § 11 II OWiG im Unterschied zu § 17 S. 2 StGB keine ausdrückliche fakultative Milderung des Sanktionsrahmens vorsieht.
  3. Rechtfertigt der vermeidbare Verbotsirrtum die Wertung, dass ungeachtet des Vorliegens eines Regelfalls nicht von einem groben Pflichtenverstoß auszugehen ist, scheidet auch eine Kompensation des in Wegfall geratenen Fahrverbots durch Anhebung der Regelgeldbuße nach § 4 IV BKatV aus (Anschluss u.a. an OLG Hamm DAR 1998, 322; OLG Hamm NZV 1999, 92 und OLG Karlsruhe NJW 2003, 3719).
  4. Nicht jeder vermeidbare Verbotsirrtum führt ‚automatisch‘ dazu, von einem Regelfahrverbot Ausnahmen zuzulassen. Erforderlich ist stets eine umfassende einzelfallbezogene Abwägung und Gewichtung sämtlicher erkennbarer Umstände und eine hierauf aufbauende Gesamtschau. Denn ein vermeidbarer Verbotsirrtum kann, muss aber den Schuldvorwurf nicht unter allen Umständen mindern. Nur soweit er ihn im Einzelfall wirklich mindert, ist eine entsprechende Milderung geboten.
  5. Die Anerkennung einer Privilegierungswirkung und ihr möglicher Umfang hängen im Falle des vermeidbaren Verbotsirrtums mit Blick auf ein bußgeldrechtliches Fahrverbot entscheidend vom Grad der Vermeidbarkeit für den Betroffenen ab. Die Anerkennung einer Privilegierung hinsichtlich eines an sich verwirkten Fahrverbots, seiner Dauer oder seines Umfangs bedarf daher auch in den Fällen des vermeidbaren Verbotsirrtums regelmäßig ergänzender, dem Tatrichter vorbehaltener Wertungen und demgemäß korrespondierender tatsächlicher Feststellungen, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung der Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen (Anschluss an OLG Karlsruhe NZV 2005, 380 und OLG Stuttgart BeckRS 2012, 09299). Die in Abschnitt I des BKat vorgesehenen Regelahndungen gehen von fahr­lässiger Begehung, gewöhnlichen Tatumständen und fehlenden Vorahndungen des Betroffenen aus (§§ 1 II, 3 I BKatV).
  6. Dass ein Betroffener bislang straßenverkehrsrechtlich unauffällig geblieben oder so zu behandeln ist, rechtfertigt ein Abweichen von der Regelahndung deshalb auch in Verbindung mit einer geständigen Einlassung oder einem etwaigen in der Hauptverhandlung hinterlassenen günstigen Eindruck und einer positiven Prog­nose hinsichtlich des zukünftigen Verkehrsverhaltens grundsätzlich nicht (Anschluss u.a. an BayObLGSt 1994, 156; OLG Hamm OLGSt BKatV § 4 Nr. 4 = NZV 2007, 100; OLG Hamm DAR 2006, 521; OLG Jena VRS 111, 52).

Ich meine, dass das OLG Bamberg schon mal großzügiger war (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 6. 6. 2012 – 2 Ss OWi 563/12).

Kann man sich in einem Sportwettbüro erholen?

Die „Überschriftsfrage“ hätte ich auch anders stellen können, nämlich: Ist ein Sportwettbüro eine Freizeiteinrichtung? Ist letztlich in beiden Fällen kein großer Unterschied und der ein oder andere wird sich in beiden Fällen fragen: Warum muss man das wissen?

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Nun die Antwort ist entscheidend für die Frage, ob dann der Nichtraucherschutz gilt. Denn handelt es sich um eine Freizeiteinrichtung oder eine Gaststätte, dann gilt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 NiSchG NRW bzw. § 4 Abs. 1 Satz 1 NiSchG NRW der Nichtraucherschutz bzw. das Rauchverbot.

Dazu das OLG Hamm, Beschl. v. 22.03.2012 – 3 RBs 81/12:

1) Bei dem vom Betroffenen betriebenen Sportwettbüro handelt es sich um sowohl um eine Freizeiteinrichtung im Sinne von § 2 Nr. 5 NiSchG NRW als auch um eine Gaststätte im Sinne von § 2 Nr. 7 NiSchG NRW und unterliegt demnach dem Rauchverbot nach § 3 Abs. 1 Satz 1 NiSchG NRW bzw. § 4 Abs. 1 Satz 1 NiSchG NRW.

a) Nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 5. NiSchG NRW sind Kultur- und Freizeiteinrichtungen Einrichtungen, die der Bewahrung, Vermittlung, Aufführung und Ausstellung künstlerischer, unterhaltender, Freizeit gestaltender oder historischer Inhalte oder Werke dienen, unabhängig von ihrer Trägerschaft. Wie sich bereits aus dem Wortlaut ergibt („oder“) müssen die genannten Abgrenzungsmerkmale für eine Freizeiteinrichtung nicht kumulativ, sondern lediglich alternativ vorliegen. Zudem kann der allmeinen Begründung des Gesetzentwurfes, wonach Ziel des Gesetzes der wirksame Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor den erheblichen Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen in der Öffentlichkeit ist (vgl. LT-Drucks 14/4834, S. 15), entnommen werden, dass sämtliche öffentlichen Freizeiteinrichtungen in Gebäuden und sonstigen umschlossenen Räumen (§ 1 Abs. 1 NiSchG) dem Schutzzweck des Gesetzes unterliegen und nicht nur – wie die Rechtsbeschwerde anführt –, wenn sie einen Kulturbezug haben. Für diese Wertung spricht im Übrigen auch die konkrete Begründung des Gesetzes, wonach die Nummer 5. deutlich mache, dass auch Spielbanken zu den vom Gesetz erfassten Einrichtungen gehören (LT-Drucks. 14/4834, S. 18).

Das Sportwettbüro des Betroffenen ist bereits aufgrund der Einrichtung darauf ausgelegt, nicht nur Sportwetten zu vermitteln, sondern den Besuchern auch Gelegenheit zu geben, sich einige Zeit in den Räumlichkeiten aufzuhalten, um beispielsweise den Ablauf der Sportveranstaltungen, auf die sie gewettet haben, zu verfolgen. Anders ist die Größe der Lokalität mit Sitzgelegenheiten, Bildschirmen und aufgestellten Getränkeautomaten nicht zu erklären. Es ist also darauf ausgerichtet, den Kunden eine Form der Freizeitgestaltung zu bieten. Das vom Betroffenen betriebenen Sportwettbüro ist daher nicht – wie die Rechtsbeschwerdebegründung den Eindruck vermitteln will – mit einer privatrechtlichen Oddset-/Lottoannahmestelle zu vergleichen.

b) Nach der Legaldefinition von § 3 Nr. 7. NiSchG NRW sind Gaststätten im Sinne dieses Gesetzes Schank- und Speisewirtschaften, unabhängig von der Betriebsart, Größe und Anzahl der Raume. Eine Schankwirtschaft betreibt nach der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 Nr. 1 GastG, wer im stehenden Gewerbe Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht. „Verabreichen“ in diesem Sinne liegt auch beim Verkauf durch Automaten vor (vgl. Metzner, Gaststättengesetz, 6. Auflage, § 1, Rdnr. 44). Da das Sportwettbüro des Betroffenen über Getränkeautomaten und Sitzgelegenheiten zum Verzehr der Getränke an Ort und Stelle verfügt, handelt es sich zweifellos auch um eine Schankwirtschaft und damit um eine Gaststätte im Sinne von § 3 Nr. 7. NiSchG.

Ausländische Fahrerlaubnis und Wohnsitz in Deutschland

Immer mal wieder gibt es Entscheidungen zum Fahren ohne Fahrerlaubnis mit einer ausländischen Fahrerlaubnis. Hier dazu dann auch das OLG Oldenburg im Beschl. v. 06.04.2010 – 1 ss 25/10.

Der Leitsatz:

Ein in Tschechien nach Ablauf der in Deutschland verhängten Sperrfrist ausgestellter EU-Führerschein berechtigt jedenfalls dann nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutsch-land, wenn in dem Führerschein als Wohnsitz ein Ort in Deutschland angegeben ist. Macht der Angeklagte insoweit einen Verbotsirrtum geltend, so muss in den Urteilsgründen neben seinem konkreten Vorbringen hierzu auch mitgeteilt werden, welches Ergebnis eine dem An-geklagten zugemutete Erkundigung bei einer deutschen Führerscheinbehörden gehabt hätte“.

Der Volltext hier.

Fahren ohne Fahrerlaubnis: Verbotsirrtum nach Rat/Auskunft durch den Rechtsanwalt

Die Geltendmachung eines Verbotsirrtums ist ja nicht immer einfach und führt meist auch nicht zum Erfolg. Hier ist aber mal ein schönes Beispiel, in dem es doch „geklappt“ hat. Das AG Hamburg hat einem Beschuldigten, der auf Auskünfte seines Rechtsanwalts vertraut hatte, den Verbotsirrtum zugebilligt. Sicherlich nicht zu verallgemeinern, aber ……