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StPO I: Verteidiger schreit bei der Urteilsverkündung, oder: Spätester Zeitpunkt für Beweisantragstellung

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Und dann heute noch ein paar StPO-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem BGH, Urt. v. 26.10.2023 – 5 StR 257/23. Das LG hat den Angeklagten wegen schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls verurteilt. Die Urteilsverkündung wurde durch lautes Schreien des Verteidigers des Angeklagten übertönt. Mit der Revision hat der Angeklagte dann geltend gemacht, die Stellung von Beweisanträgen sei insoweit verhindert worden. Die Revision blieb insoweit erfolglos:

„1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.

a) Es bestehen bereits durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der in der Revisionsbegründungsschrift unter I. zusammengefassten Rügen, mit denen die „Verletzung von § 246 StPO, von § 268 Abs. 2 StPO sowie von Art. 101 Abs. 1 … GG“ beanstandet wird. Denn entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO trägt der Revisionsführer den zugehörigen Verfahrensstoff insgesamt als „Verfahrensgeschehen“ in einer Art und Weise vor, bei der unklar bleibt, welche Verfahrensvorgänge zur Grundlage welcher Verfahrensrüge gemacht werden sollen. Es ist aber nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich aus einem solchen ungeordneten Vortrag diejenigen Verfahrenstatsachen herauszusuchen, die zu der jeweiligen Rüge passen; stattdessen wäre es Aufgabe des Revisionsführers gewesen, bezogen auf jede konkrete Rüge (lediglich) den insoweit relevanten Verfahrensstoff mitzuteilen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2022 – 5 StR 184/22, NStZ 2023, 127 mwN).

b) Darüber hinaus gibt der Vortrag Anlass zu folgenden Hinweisen:

aa) Soweit der Revisionsführer meint, das Urteil sei deshalb nicht wirksam im Sinne von § 268 StPO verkündet worden, weil der Verteidiger die Urteilsverkündung durch lautes Schreien übertönt habe, geht eine solche Rüge schon im Ansatz fehl. Verfahrensbeteiligte haben nur dann das Wort, wenn ihnen dies durch den Vorsitzenden erteilt wird, denn diesem obliegt die Verhandlungsführung (§ 238 Abs. 1 StPO; vgl. LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 238 Rn. 3). Die gesetzlich vorgeschriebene Verkündung des Urteils durch den Vorsitzenden nach Maßgabe von § 268 Abs. 2 StPO darf weder durch lautes Schreien gestört noch durch andere Maßnahmen Verfahrensbeteiligter behindert werden. Rechtswidrige Störungen des Verfahrensablaufs durch Verfahrensbeteiligte begründen keine Rechtsfehler des Gerichts, sondern legen bei darauf gestützten Verfahrensbeanstandungen den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nahe (vgl. zur Behandlung von Verfahrensrügen, die auf rechtsmissbräuchliches Verhalten gestützt werden, auch BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2005 – 1 StR 411/05, NJW 2006, 708, 709). Einwände gegen die Verfahrensweise des Gerichts vor oder während der Urteilsverkündung müssen gegebenenfalls mit einem Rechtsmittel geltend gemacht werden, rechtfertigen aber nicht die Störung der Hauptverhandlung. Dass das Urteil ordnungsgemäß verkündet wurde, ergibt sich schließlich auch aus dem Protokoll (vgl. § 274 StPO).

bb) Die Rüge eines Verstoßes gegen § 246 StPO wäre auch unbegründet, weil das Gericht zum Zeitpunkt der Antragstellung nach dem Revisionsvortrag bereits mit der Urteilsverkündung begonnen hatte und ab diesem Zeitpunkt Beweisanträge nicht mehr entgegengenommen werden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 1985 – 5 StR 217/85, StV 1985, 398; Urteil vom 19. November 1985 – 1 StR 496/85, NStZ 1986, 182). Die Urteilsverkündung beginnt entgegen der Auffassung der Revision nicht erst mit der Verlesung des Urteilstenors, sondern bereits mit den ersten Worten der Eingangsformel „Im Namen des Volkes“, mit der alle Urteile verkündet werden (vgl. § 268 Abs. 1 StPO). Die Verkündung im Sinne von § 268 Abs. 2 Satz 1 StPO bildet mit dem Eingangssatz des § 268 Abs. 1 StPO einen einheitlichen zusammenhängenden Verfahrensvorgang (vgl. HK-StPO/Beckemper, 7. Aufl., § 268 Rn. 4), in dessen Durchführung Verfahrensbeteiligte nach seinem Beginn nicht mehr einzugreifen befugt sind (vgl. RGSt 57, 142, 143).

Soweit der Beschwerdeführer rügt, der Vorsitzende habe durch die Art und Weise der Urteilsverkündung die Stellung angekündigter Beweisanträge „vereitelt“, dringt er damit ebenfalls nicht durch. Denn dass der Verteidiger konkret die Stellung weiterer Beweisanträge für den Tag der Urteilsverkündung angekündigt hätte, lässt sich dem Vortrag nicht widerspruchsfrei entnehmen. Einerseits will er eine solche Ankündigung gemacht haben, andererseits trägt er vor, er habe vorgehabt, die Stellung von Beweisanträgen nach Bekanntgabe der Entscheidung über die Befangenheitsanträge anzukündigen (Revisionsbegründung S. 2). Der bloße Widerspruch gegen die Schließung der Beweisaufnahme reicht insoweit nicht, es bedarf vielmehr der konkreten Ankündigung bestimmter weiterer Beweisanträge.

…..“

Urteil II: Sinneswandel bei der Urteilsverkündung, oder: Dann muss man zurück auf Null

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Zu dem vorhin vorgestellten BGH-Beschluss zur Berichtigung der Urteilsformel passt ganz gut der – auch schon etwas ältere – OLG Dresden, Beschl. v. 06.11.2020 – 2 Ws 456/20 – , den mir seiner Zeit der Kollegen Stephan aus Dresden geschickt hatte.

In der Entscheidung geht es in Zusammenhang mit der Frage, ob das Rechtsmittel gegen ein Urteil des AG Chemnitz vom LG zurecht als sog. Annahmeberufung (§ 313 StPO) angesehen worden ist. Der Angeklagate hatte geltend gemacht, dass die schriftliche Urteilsausfertigung im Strafausspruch von der am Schluss der Hauptverhandlung verkündeten Urteilsformel abweiche. Der Vorsitzende habe dort als zuerkannte Rechtsfolge eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 200,- € verkündet. Erst im Verlauf der anschließenden mündlichen Urteilsbegründung habe er geäußert, dass es sich hierbei um ein Versehen handele, der Angeklagte vielmehr zu lediglich 15 Tagessätzen verurteilt sei. Eine wiederholende Verkündung der insoweit geänderten Urteilsformel und der sich anschließenden mündlichen Bekanntgabe der Urteilsgründe sei indes nicht erfolgt.

Das LG hat die Berufung nach § 313 Abs. 2 Satz 2 StPO  nicht angenommen, weil es sie als offensichtlich unbegründet bewertet hate. Dagegen das Rechtsmittel des Angeklagaten, das das OLG als zulässig – bitte selbst lesen – und auch als begründet angesehen hat:

„Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Es führt zur Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses, weil das Landgericht zu Unrecht die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 Satz 2 StPO angenommen hat, und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur Durchführung des Berufungsverfahrens.

Aus der Sachakte ergibt sich hierzu folgender Sachverhalt:

a) Der Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts vorn 22. Juni 2020 zufolge unterbrach der Vorsitzende die Verhandlung nach Abschluss der Beweisaufnahme, den Schlussantragen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung sowie nach dem Letzten Wort des Angeklagten kurz und verfasste nach Urteilsfindung die entsprechende Urteilsformel handschriftlich auf einem zu ergänzenden Vordruck mit Lückentext (81 71 d.A ).

  1. Der Angeklagte ist schuldig der Beihilfe zum Subventionsbetrug.
  2. Der Angeklagte wird deswegen zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu jeweils 200,- € verurteilt.
  3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Auf dem vorn Strafrichter unterzeichneten und zur Akte genommenen Vordruck ist die Zahl ,.20″ durchgestrichen und oberhalb von ihr handschriftlich die Zahl ,,15″ vermerkt.

b) Das Verhandlungsprotokoll wurde am 03. Juli 2020 fertiggestellt. Es weist als verkündeten Urteilsspruch aus

  1. Der Angeklagte ist schuldig der Beihilfe zum Subventionsbetrug.
  2. Der Angeklagte wird deswegen zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu jeweils 200,- € verurteilt.
  3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

c) In seiner vom Landgericht hierzu eingeholten dienstlichen Stellungnahme legt der Strafrichter zum Ablauf seiner Urteilsverkündung dar (BI. 191 d.A.):

„Ich habe das Urteil (BI. 71 d.A.) ursprünglich mit 20 Tagessätzen niedergeschrieben. Da ich aber zuvor in einem Parallelfall auch nur 15 Tagessätze verhängt habe, habe ich die 20 Tagessätze in 15 Tagessätze umgeändert. Verkündet hatte ich zunächst die 20 Tagessätze, aber ich habe noch während der Urteilsbegründung meinen Fehler bemerkt und die tatsächlich gewollten 15 Tagessätze auch verkündet. Ich habe während der Urteilsbegründung 2 oder 3 mal darauf hingewiesen, dass es sich bei den ursprünglich genannten 20 Tagessätzen um einen Fehler gehandelt hat und tatsächlich 15 Tagessätze gewollt waren.

Auch die schriftliche Korrektur des Fehlers fand am Ende der Urteilsverkündung statt.“

2. Bei dieser Sachlage liegt ein Fall der Annahmeberufung im Sinne des § 313 StPO nicht vor. Zu Unrecht geht das Landgericht davon aus, dass der Amtsrichter zu einer „Berichtigung“ des Urteilstenors berechtigt gewesen sei, weil ein offensichtlicher Fehler insoweit nicht vorliegt. Denn es handelt sich – abweichend von der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft und durch die dienstliche Stellungnahme des betroffenen Richters glaubhaft gemacht und bestätigt – nicht um ein in geheimer Beratung gefundenes – „eigentlich gewolltes“ – Urteil (lautend auf 15 Tagessätze), dessen Urteilsformel lediglich sodann infolge eines Fassungsversehens bei ihrer schriftlichen Abfassung fehlerhaft in der Hauptverhandlung verkündet wurde (so der Fall BGHSt 5, 5ff.). Vielmehr wurde die in der Urteilsberatung für tat- und schuldangemessen erachtete – und zu diesem Zeitpunkt tatsächlich auch so gewollte – Rechtsfolge (20 Tagessätze) sowohl korrekt niedergeschrieben als auch und zutreffend anschließend verkündet. Ihre erst später aufgrund einer erneuten Überlegung des Strafrichters (Vergleich mit einem Parallelfall) erfolgte Änderung in 15 Tagessätze während seiner mündlichen Urteilsbegründung stellt, wie der Angeklagte zutreffend meint, lediglich einen Sinneswandel des Amtsrichters dar und ist als nachträgliche sachliche Änderung unzulässig (vgl. RGSt 56, 233ff.). Hier hätte es des Abbruchs der begonnenen und des Eintritts in eine neue Urteilsverkündung durch Verlesung der geänderten Urteilsformel und der vollständigen mündlichen Urteilsbegründung bedurft (vgl. auch BGH, Urteil vom 29. Januar 1975 – Az.: 2 StR 634/74); solches ist nach dem Vortrag des Beschwerdeführers in Übereinstimmung mit der dienstlichen Stellungnahme des Amtsrichters nicht geschehen.

Der Senat hat klarstellend die in erster Instanz verhängte Tagessatzanzahl festgestellt. Die am 03. Juli 2020 fertiggestellte Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts vom 22. Juni 2020 wird von Amts wegen entsprechend zu berichtigen sein.

Für die Kosten dieser Beschwerde haftet in Ermangelung eines anderen Kostenschuldners die Staatskasse. Die Auslagenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.“

StPO II: Nochmals Achtung Klappe, oder: Wann und wie darf beim BGH gefilmt werden?

entnommen openclipart.org

Ich hatte ja bereits im Frühjahr des vergangenen Jahres über die Umsetzung des “Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG)” v. 08.10.2017 (BGBl. I S. 3546) berichtet. Nach dem durch das Gesetz in das GVG eingefügten § 169 Abs. 3 Satz 1 kann der BGH seit dem 18.04.2018 für die Verkündung von Entscheidungen des BGH in besonderen Fällen Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zulassen. Dazu hatte der BGH bereits im BGH, Beschl. v. 09.05.2018 – 1 StR 159/17 – Stellung genommen (Achtung Klappe, oder: Wann und wie darf beim BGH gefilmt werden?). 

Jetzt gibt es dazu einen weiteren Beschluss des 1. Strafsenats, nämlich den BGH, Beschl. v. 09.01.2019 – 1 StR 347/18, in dem der BGH zu der Frage (noch einmal) ausführt:

„Gemäß § 169 Abs. 3 Satz 1 GVG in der Fassung des Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren (EMöGG) vom 8. Oktober 2017 werden bei der Verkündung einer Entscheidung Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts unter folgenden Auflagen zugelassen:
1. Zugelassen sind höchstens zwei TV- bzw. Filmkameras auf Stativen an festgelegten Plätzen im Sitzungssaal. Es sind geräuscharme Kameras zu verwenden.
2. Der Aufbau der Kameras ist spätestens 10 Minuten vor Beginn der Verkündung einer Entscheidung abzuschließen.
3. Während der Eröffnung der Urteilsgründe sind die Kameras an ihren Plätzen zu belassen. Soweit aus technischen Gründen eine fortwährende Bedienung der Kameras unabdingbar ist, darf je Kamera eine Person bei der Kamera verbleiben. Ein Hin- und Herlaufen dieser Person ist zu unterlassen.
4. Während der Eröffnung der Urteilsgründe sind die Kameras ausschließlich auf die Richterbank zu richten. Kameraschwenks sind nur innerhalb des Bereichs der Richterbank zulässig. Aufnahmen der Verfahrensbeteiligten und der Zuhörer sind nicht zugelassen.
5. Nach Ende der Eröffnung der Urteilsgründe sind die Kameras unverzüglich zu entfernen. Den Anweisungen des Gerichtspersonals (insbesondere Sitzungswachtmeister, Mitarbeiter der Pressestelle) ist Folge zu leisten.
Und in den Gründen heißt es dazu:
„Nach § 169 Abs. 3 Satz 1 GVG kann das Gericht für die Verkündung von Entscheidungen in besonderen Fällen Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zulassen. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen oder deren Übertragung teilweise untersagt oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig gemacht werden (§ 169 Abs. 3 Satz 2 GVG).

Die Entscheidung steht danach im Ermessen des Gerichts. Abzuwägen sind dabei das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an dem gerichtlichen Verfahren und die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten (vgl. BT-Drucks. 18/10144, S. 17). Die Abwägung und Ausübung des Ermessens unter Berücksichtigung der in den Stellungnahmen der Verteidigung vom 9. Januar 2019 und 31. Oktober 2018 genannten Einwände, führt vorliegend zu der im Tenor genannten Zulassung der Aufnahmen. Es kann dahinstehen, ob das Steuergeheimnis im Einzelfall eine Untersagung der Aufnahmen oder die Anordnung weitergehender Auflagen gebieten könnte; denn „besondere persönliche Daten“ des Angeklagten oder im Sinne des § 30 Abs. 2 AO geschützte Daten werden nicht Gegenstand bei der Verkündung der Entscheidung sein.

Für eine Gefährdung des Angeklagten infolge der Aufzeichnung oder Wiedergabe der Verkündung bestehen keine Anhaltspunkte.

II.

Foto-, Bild-, Fernseh- und Tonaufnahmen vor Beginn und außerhalb des Termins zur Verkündung einer Entscheidung (vorbehaltlich einer anderweitigen sitzungspolizeilichen oder hausrechtlichen Anordnung) bleiben unberührt.“

Bei dem Verfahren, in dem der Beschluss ergangen ist, dürfte es sich um das Steuerstrafverfahren gegen Werner Mauss gehandelt haben, in dem der BGH am 10.01.2019 das Urteil des LG Bochum wegen Steuerhinterziehung aufgehoben hat (vgl. hier die PM des BGH).

Achtung Klappe, oder: Wann und wie darf beim BGH gefilmt werden?

entnommen openclipart.org

Nach dem durch das „Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG)“ v. 08.10.2017 (BGBl. I S. 3546) in das GVG eingefügten § 169 Abs. 3 Satz 1 kann der BGH seit dem 18.04.2018 für die Verkündung von Entscheidungen des BGH in besonderen Fällen Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zulassen. Das ist Abweichung von dem ansonsten geltenden Funk- und Fernsehverbot in Hauptverhandlung.

Es hat dann nicht lange gedauert, bis der BGH im BGH, Beschl. v. 09.05.2018 – 1 StR 159/17 – die Anforderungen/Vorgaben an Funk- und Fernsehaufnahmen konkretisiert hat, und zwar wie folgt:

  1. Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts von der Verlesung der Urteilsformel – Entscheidungstenor – (§§ 268 Abs. 2 Satz 1, 356 StPO) werden nicht zugelassen. Die entsprechenden Aufnahmen dürfen erst mit der Eröffnung der Urteilsgründe durch den Vorsitzenden (§§ 268 Abs. 2 Satz 1, 356 StPO) beginnen.
  2. Zugelassen sind höchstens zwei TV- bzw. Filmkameras auf Stativen an festgelegten Plätzen im Sitzungssaal. Es sind geräuscharme Kameras zu verwenden.
  3. Es wird ein Akkreditierungsverfahren, gegebenenfalls mit der Bildung von Medienpools, angeordnet. Das Verfahren wird durch die Pressestelle des Bundesgerichtshofs durchgeführt. Es gelten die auf der Homepage des Bundesgerichtshofs veröffentlichten Akkreditierungsbedingungen.
  4. Der Aufbau der Kameras ist spätestens 10 Minuten vor Beginn der Verkündung einer Entscheidung abzuschließen.
  5. Während der Eröffnung der Urteilsgründe sind die Kameras an ihren Plätzen zu belassen. Soweit aus technischen Gründen eine fortwährende Bedienung der Kameras unabdingbar ist, darf je Kamera eine Person bei der Kamera verbleiben. Ein Hin- und Herlaufen dieser Person ist zu unterlassen.
  6. Während der Eröffnung der Urteilsgründe sind die Kameras ausschließlich auf die Richterbank zu richten. Kameraschwenks sind nur innerhalb des Bereichs der Richterbank zulässig. Aufnahmen der Verfahrensbeteiligten und der Zuhörer sind nicht zugelassen.
  7. Nach Ende der Eröffnung der Urteilsgründe sind die Kameras unverzüglich zu entfernen. Den Anweisungen des Gerichtspersonals (insbesondere Sitzungswachtmeister, Mitarbeiter der Pressestelle) ist Folge zu leisten.

Ich bin gespannt, ob sich alle Rundfunk- und Fernsehanstalten an die Vorgaben halten oder es vielleicht – weil es ja interessant sein könnte – doch mal einen kleinen Kameraschwenk durch den Gerichtssaal geben könnte.

Zur Abrundung: Bei dem Verfahren handelt es sich um ein Verfahren gegen vier Mitarbeiter der Deutschen Bank AG Frankfurt am Main wegen Steuerstraftaten. Der BGH hat deren Verurteilung mit BGH, Urt. v. 15.05.2018 – 1 StR 159/17 – teilweise aufgehoben.

Wer zu spät (wieder)kommt, den bestraft das AG

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Manchmal ist es schon kurios/bemerkenswert, wie verfahren wird. Da wird im Bußgeldverfahren die Hauptverhandlung unterbrochen, damit der Verteidiger und der Betroffene einen Beweisantrag formulieren können. Die Unterbrechungsdauer wird auf 10 Minuten festgesetzt. Danach sind Verteidiger und Betroffener noch nicht wieder erschienen. Als das nach 13 Minuten immer noch nicht der Fall, verkündet das AG in Abwesenheit des Betroffenen sein Urteil und verurteilt ihn wegen einer Ord­nungswidrigkeit der Pflichtverletzung bei der Einfuhr von Geldmitteln zu einer Geld­buße von 2.000 €. Dagegen die Rechtsbeschwerde.

Und die konnte nur Erfolg haben, wie der OLG Bamberg, Beschl. v. 30.03.2012 – 3 Ss OWi 360/12 – deutlich macht. Denn man fragt sich – und das hat das OLG auch getan: Welche Vorschrift sieht eigentlich vor, dass der Amtsrichter in Abwesenheit des Betroffenen weiterverhandeln konnte.

  • § 231 Abs. 2 StpO i.V.M. § 71 OWiG? Das OLG sagt,: Nein, die Vorschrift ist im Bußgeldverfahren nicht anwendbar.Im Übrigen dürfet es wohl an der erforderlichen „Eigenmacht“ fehlen.
  • Das OLG untersucht dann die Verwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG? Da sieht das OLG die von der Rechtsprechung geforderte Wartefrist, die vor einer Verwerfungsentscheidung einzuhalten ist, nicht gewahrt. Frage: Ist es überhaupt ein Fall des § 74 Abs. 2 OWiG? Denn verworfen worden ist ja nicht.
  • Also bleibt nur § 74 Abs. 1 OWiG, – Verfahren in Abwesenheit. Da liegen die Voraussetzungen aber wohl nicht vor, weil der Betroffene ja nicht vom persönlichen Erscheinen entbunden war. Und „nicht erschienen“ sein muss er auch. Ist er das nach einer Verspätung von 3 Minuten schon.

Woran hat es nun gelegen, dass es zu der Entscheidung gekommen ist? Nun vielleicht an der frühen Terminsstunde. Die Hauptverhandlung wurde immerhin „um 08.42 Uhr“ unterbrochen: Vielleicht war der Amtsrichter noch nicht ganz wach. 🙂