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„Elementarer Verfahrensgrundsatz“ – auch so etwas gibt es im OWi-Verfahren

© ferkelraggae - Fotolia.com

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Mit deutlichen Worten hat das KG einem Amtsrichter ins Stammbuch geschrieben, dass es sich bei den Vorschriften über die Einführung einer schriftlichen Zeugenaussage im vereinfachten Beweisaufnahmeverfahren nach § 77a Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 OWiG i.V.m. § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO, wonach die Einführung einer schriftlichen Zeugenaussage durch Verlesung nur mit Zustimmung der in der Hauptverhandlung anwesenden Verfahrensbeteiligten und durch Gerichtsbeschluss zu erfolgen hat, um einen elementaren Verfahrensgrundsatz handelt und hat im KG, (Einzelrichter)Beschluss v. 29.08.2013 – 3 Ws (B) 438/13 -122 Ss 125/13 die Rechtsbeschwerde zugelassen und auf den Senat in Dreier-Besetzung übertragen.

Im KG, (Senats)Beschluss v. 02.09.2013 – (304 OWi) 3042 Js-OWi 11768/12 (6/13) – hat das KG das amtsgerichtliche Urteil dann aufgehoben:

2. Die dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde zu entnehmende Rüge der Verletzung des §§ 77a Abs. 4 OWiG ist in zulässiger Form erhoben und auch in der Sache begründet. Das Amtsgericht hat ausweislich des Sitzungsprotokolls und der Urteilsgründe (UA S. 3) im Rahmen der Einvernahme des Zeugen T., der sich an den Sachverhalt nicht mehr erinnern konnte (UA S. 2), „im Wege des Urkundsbeweises gemäß § 249 StPO“ die Verlesung einer schriftlichen Erklärung des Zeugen durchgeführt. Der nach §§ 77a Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 OWiG, 251 Abs. 4 Satz 1 StPO erforderliche Erlass eines entsprechenden Beschlusses in der Hauptverhandlung (Seitz in Göhler, OWiG 16. Aufl., § 77a Rdn. 18a) ist ebenso unterblieben wie die nach § 77a Abs. 4 Satz 1 OWiG erforderliche Einholung der Zustimmung des hier anwesenden Verteidigers. Dabei kann zwar die Zustimmung zu der Verlesung auch stillschweigend erklärt werden, jedoch muss sich der Verfahrensbeteiligte der Tragweite seines Schweigens bewusst sein, d. h. ihm muss klar sein, dass die Urkunde in der Entscheidung verwertet werden soll (Seitz in Göhler aaO, § 77a Rdn. 14a m. N.). Da sich hierfür weder aus den Urteilsgründen noch dem Protokoll der Hauptverhandlung hinreichende Anhaltspunkte ergeben und mit der Rechtsbeschwerde ausdrücklich ausgeführt worden ist, die Zustimmung sei weder ausdrücklich noch konkludent erteilt worden, zumal die Verlesung vorliegend gleichsam Bestandteil der Zeugenvernehmung war, kann von einer stillschweigend erteilten Zustimmung des Betroffenen bzw. seines hier nur anwesenden Verteidigers nicht ausgegangen werden.

 

Urkundsbeweis / Verlesung einer schriftlichen Erklärung / Inbegriffsrüge

Die Abgrenzung von Urkundsbeweis / Verlesung einer schriftlichen Erklärung und das Umgehen mir einer sich darauf gründenden Inbegriffsrüge ist nicht so ganz einfach. Der BGH, Beschl. v. 09.03.2011 – 3 StR 9/11 fasst es noch einmal kurz und kanpp zusammen:

Aufgrund Verlesung einer vorbereiteten schriftlichen Erklärung des Angeklagten durch diesen oder seinen Verteidiger wird nicht der Wortlaut des Schriftstücks zum Inbegriff der Hauptverhandlung, sondern allein der Inhalt des mündlichen Vortrags, dessen wesentliche Punkte das Tatgericht in den Urteilsgründen festzustellen hat. Allein diese Feststellungen sind Grundlage der revisionsgerichtlichen Prüfung (s. die Nachweise bei LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 243 Rn. 78, Fn. 261). Anders liegt es nur, wenn der Wortlaut der schriftlichen Einlassung durch das Gericht im Wege des förmlichen Urkundsbeweises (§ 249 StPO) in die Hauptverhandlung eingeführt wird, worauf der Angeklagte indessen keinen Anspruch hat. Nur in diesem Falle ist dem Revisionsgericht eine Kenntnisnahme des genauen Wortlauts des Schriftstücks und damit der Einlassung ohne unzulässige Rekonstruktion der Hauptverhandlung möglich. Danach wäre der Senat hier nur im Wege nicht statthafter Rekonstruktion der Hauptverhandlung in der Lage, die Richtigkeit des Revisionsvorbringens über Reihenfolge und Inhalt der Geständnisse der Angeklagten zu prüfen; denn deren schriftliche Einlassungen sind nicht im Wege des Urkundenbeweises in die Hauptverhandlung eingeführt worden. In den somit allein maßgeblichen Urteilsgründen findet der diesbezügliche Revisionsvortrag dagegen keine Stütze.

Also: Wenn es „richtig laufen“ soll, geht es nur über einen Beweisantrag, der aber dann an die Voraussetzungen des § 244 StPO gebunden ist.