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Verkehrsrecht II: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, oder: 260 m von Unfallstelle entfernt nicht „Unfallort“

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Author Harald Wolfgang Schmidt at de.wikipedia

Die zweite Entscheidung grieft noch einmal eine Problematik der „Unfallflucht“ auf, nämlich Die Frage: War das (noch) der „Unfallort“, von dem sich der Beschuldigte entfernt hat. Dazu der LG Lübeck, Beschl. v. 07.09.2021 – 4 Qs 164/21, den mir der Kollege T. Frings aus Itzehoe geschickt hat:

„Aus den bisherigen Ermittlungen ergibt sich, dass die Beschuldigte pp. am pp. 2021 ein Fahrzeuggespann, bestehend aus einem Audi Q7 und einem Anhänger, der Platz für zwei hintereinander stehende Pkw bot, führte. Sie befuhr die Kolberger Straße in Lübeck und wollte nach links in die Stargardstraße einbiegen. Sie musste warten, da dichter Verkehr herrschte. Der Fahrer eines ihr entgegenkommenden Taxis bremste ab, um ihr das Abbiegen zu ermöglichen. Bei dem Abbiegevorgang streifte ihr Anhänger einen gegenüber des Einmündungsbereiches der Stargardstraße geparkten Pkw Fiat Panda und verursachte daran auf einer Länge von 190 cm starke Schrammen, starke Dellen und Schmutzrückstände. Der Anhänger selbst wurde dabei nicht beschädigt. Die Beschuldigte setzte ihre Fahrt in die Stargardstraße fort. Der Taxifahrer sowie die Fahrerin des Fahrzeuges, das sich hinter der Beschuldigten auf der Kolberger Straße befand, hatten den Unfall wahrgenommen und sprachen darüber. Der Taxifahrer bog sodann ebenfalls in die Stargardstraße ein, wo er auf die Beschuldigte und ihren Beifahrer pp. traf und sie auf den Unfall ansprach. Zudem informierte er die Polizei.

Bei dem Taxifahrer handelt es sich um den Zeugen pp. Er hat bekundet, er sei durch das Geräusch und die weitere Zeugin auf den Unfall aufmerksam geworden. Die Beschuldigte sei etwa 100 Meter in die Stargardstraße hineingefahren. Er habe ihr und ihrem Begleiter gesagt, dass sie einen Unfall verursacht hätten. Diese hätten geantwortet, dass sie sich darum kümmern würden.

Mit Beschluss vom 14.06.2021 hat das Amtsgericht Lübeck der Beschuldigten pp. gemäß §§ 111a StPO, 69 StGB vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen und ihren Führerschein beschlagnahmt. ….

Hiergegen hat die Beschuldigte mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 1.8.06.2021 Beschwerde eingelegt. Sie hat sich dahingehend eingelassen, den Unfall nicht bemerkt zu haben. Sie sei die Stargardstraße bis zum Ende durchgefahren, habe gewendet und einige Meter vor dem Parkplatz in Höhe der Hausnummer 3 angehalten. Auf dem Parkplatz habe sie ein Fahrzeug gekauft und auf ihren Anhänger geladen. Etwa 20 Minuten nach dem Einbiegen in die Stargardstaße sei der Taxifahrer erschienen und habe sie über den Unfall informiert. Er habe gesagt, dass er bereits die Polizei informiert habe und sie sich um nichts weiter kümmern müsse. Mit ihrem Einverständnis habe er den Anhänger fotografiert. Sie und ihr Begleiter hätten in der Folgezeit den Einmündungsbereich Stargardstraße/Kolbergerstraße aufgesucht, wo sich jedoch keine Personen befunden hätten. Daraufhin hätten sie ihre Fahrt fortgesetzt.

Die Beschuldigte hat ein von pp. unterzeichnetes Schriftstück vorgelegt. Darin heißt es, die Beschuldigte habe das andere Fahrzeug unbemerkt gestreift. Das Ziel ihrer Fahrt habe sich etwa 500 Meter von der Unfallstelle befunden. Nach etwa 15 Minuten sei der Taxifahrer erschienen und habe sie über den Unfall informiert. Er habe Fotos von den Kennzeichen des Zugfahrzeuges und des Anhängers gemacht und gesagt, dass Zeugen den Unfall schon bei der Polizei gemeldet hätten. Einige Minuten später sei die Beschuldigte mit ihm zur Unfallstelle gefahren, wo weder der Halter des beschädigten Fahrzeuges noch Zeugen gewesen seien. Etwa zehn Minuten später seien sie nach Hause gefahren.

II.

Die Beschwerde der Beschuldigten ist zulässig und begründet.

Aus Sicht der Kammer besteht kein dringender Tatverdacht dahingehend, dass die Beschuldigte pp. den Unfall unmittelbar wahrnahm. Es erscheint nachvollziehbar, dass sie inmitten des starken Verkehrs und mit einem Beifahrer im Fahrzeug nicht bemerkt haben könnte, dass ihr sehr langer Anhänger ein geparktes Fahrzeug streifte. Auch wenn der Fahrer des ihr entgegenkommenden Taxis ein Geräusch wahrnahm, muss dies nicht auch auf die Beschuldigte zutreffen. So könnte der Taxifahrer mit offenem Fenster gefahren sein, die Beschuldigte aber nicht.

Soweit die Beschuldigte von dem Zeugen pp. auf den Unfall angesprochen wurde, kann dies geschehen sein, nachdem sie sich bereits vom Unfallort entfernt hatte. Das Entfernen nicht vom Unfallort selbst, sondern von einem anderen Ort, an welchem der Täter erstmals von dem Unfall erfuhr, erfüllt nicht den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB (BGH NStZ 2011, 209). Wenn die Beschuldigte, ihrer Einlassung entsprechend, die Stargardstraße bis zum Ende fuhr, um dort zu wenden, entfernte sie sich laut „Google Maps“ rund 260 Meter von der Unfallstelle, wobei sie sich infolge einer Kurve auch nicht mehr in Sichtweite befand. Hier bestand kein unmittelbarer räumlicher Bezug zu dem Unfallgeschehen mehr. Für feststellungsbereite Personen wäre sie hier nicht als warte- und auskunftspflichtig zu erkennen gewesen. „

Der Beweiswert der Erklärung am Unfallort, oder: Ein alter Hut

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Und als zweite Entscheidung bringe ich am heutigen Samstag dann den KG, (Hinweis)Beschl. v. 30.11.2017 – 22 U 34/17. Udn es geht noch einmal – insofern also ein „alter Hut“ um die Beweisbedeutung von Erklärungen, die am Unfallort abgegeben werden. Der Beklagte hatte Angaben zum Unfallgeschehen gemacht, das LG und ihm folgend das KG sehen die aber nicht als „bindend“ an:

„Dass das Landgericht trotz der in der Unfallaufnahme der Polizei notierten Angaben des Beklagten zu 1) davon ausgegangen ist, dass  sich der Unfall in räumlich- und zeitlichem Zusammenhang mit einem Fahrspurwechsel ereignet und der Wagen der Klägerin nicht bereits 10 sec. gestanden habe, ist nicht zu beanstanden. Die zeitlichen Erklärungen des klägerischen Fahrers finden sich im Unfallaufnahmeprotokoll nicht. Der Zeuge weist vielmehr selbst auf einen Fahrspurwechsel hin. Soweit die Klägerin sich darauf beruft, dass der Beklagte zu 1) den Verkehrsverstoß gegenüber der Polizei zugegeben habe, so ergibt sich dies tatsächlich aus der entsprechenden OWi-Akte mit der Wirkung des § 418 Abs. 1 ZPO, d.h. eine entsprechende Erklärung des Beklagten zu 1) ist als bewiesen anzunehmen (vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. März 2004 – 11 LA 380/03 –, juris Rdn. 5; VG Mainz, Urteil vom 20. Januar 2016 – 3 K 509/15.MZ –, juris Rdn. 21).  Dass allein die Polizei eine Schuldzuweisung vorgenommen hat, wie das Landgericht zu meinen scheint, lässt das durch ein Ankreuzen festgehaltene Zugeständnis nicht zu. Dies zwingt aber nicht zu der Annahme, jedenfalls die weiteren Angaben des klägerischen Fahrers, er habe sich bereits vollständig in dem linken Fahrstreifen befunden und sein Auto habe gestanden, zutreffend sind. Dass der Beklagte zu 1) einen Verkehrsverstoß zugegeben hat, ist lediglich ein Schuldindiz, das im Rahmen der nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorzunehmenden Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung der weiteren Umstände zu bewerten ist. Ein bestimmter Ablauf des Unfalls ist damit nicht bestätigt. Insoweit ist etwa zu berücksichtigen, dass ………………“

Wie gesagt, alter Hut. Aber immer mal wieder schön zu lesen 🙂 .

400-500 m vom Unfallort weg – Unfallflucht?

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Derzeit ist – ich habe es schon mehrfach „beklagt“ – im Verkehrsrecht Flaute. Daher bin ich dann immer froh, wenn ich auf eine Entscheidung stoße, die man hier vorstellen kann. Und das ist bei dem LG Arnsberg, Beschl. v. 11.09.2014 – 6 Qs 81/14 – der Fall. Der behandelt ein (potentielles) unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) und ist aus zwei Gründen interessant:

Einmal geht es um die Frage, wann = ab welcher Entfernung denn nun ein „Entfernen vom Unfallort“ vorliegt. Dazu das LG:

„Für ein tatbestandsmäßiges Entfernen genügt eine Absetzbewegung derart, dass der räumliche Zusammenhang zwischen dem Beteiligten und dem Unfallort aufgehoben und seine Verbindung mit dem Unfall nicht mehr ohne Weiteres erkennbar ist, sodass der Beteiligte nicht mehr uneingeschränkt zu sofortigen Feststellungen an Ort und Stelle zur Verfügung steht, sondern erst durch Umfragen ermittelt werden muss (vgl. Burmann, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Auflage 2014, § 142 StGB Rn. 10 m. w. N.). Der Unfallbeteiligte darf sich nicht schon so weit von der Unfallstelle entfernt haben und es darf noch nicht so viel Zeit verstrichen sein, dass an dem inzwischen erreichten Ort feststellungsbereite Personen ohne Weiteres nicht mehr zu erwarten sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1.10.2007 – III-2 Ss 142/07-69/07 III; eingrenzend BGH, Beschluss vom 15.11.2010 – 4 StR 413/10).

Hier hielt der Beschuldigte ausweislich der Aussage des Zeugen C. erst „ca. 400 – 500 Meter nach der eigentlichen Unfallstelle“ (Bl. 43 d. A.) an. Ausweislich der Aussage der Geschädigten hat sie das beteiligte Unfallfahrzeug nach dem Unfallgeschehen lediglich „in einiger Entfernung“ wahrgenommen (Bl. 35 d. A.). Da ihr die Feststellung, ob das Fahrzeug fuhr oder stand, nicht möglich war, bestand jedenfalls kein eine sofortige Feststellung ermöglichender Sicht- und Rufkontakt fort. Ausweislich der Aussage der Zeugin N. war der Unfallbeteiligte „wohl schon über den Berg“ (Bl. 51 d. A.).“

Der zweite Punkt ist die Frage, ob man sich eigentlich (noch einmal) unerlaubte vom Unfallort entfernen kann, wenn man zurückkehrt und dann wieder wegfährt. Dazu das LG: Nein, denn…

„4. Nach Aktenlage ist auch unerheblich, dass der Beschuldigte anlässlich seiner Rückkehr zu dem Unfallort keine Feststellungen ermöglicht hat und erneut weggefahren ist.

a) Das erneute Wegfahren ist nicht tatbestandsmäßig. § 142 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass sich ein Unfallbeteiligter „nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt“. Der danach erforderliche zeitliche und sachliche Zusammenhang zwischen dem Sich-Entfernen und dem Unfallereignis war hier bereits durch das erstmalige Sich-Entfernen unterbrochen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 15.11.2010 – 4 StR 413/10; Mitsch, JuS 2009, 341).“

Ach so: Fahrerlaubnis ist dann aber doch nicht vorläufig entzogen worden. Das LG konnte nämlich nicht feststellen, dass der Beschuldigte den Unfall bemerkt hatte.

Behindern der Polizei – Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort?

© Deyan Georgiev - Fotolia.com

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Mit einem sicherlich nicht alltäglichen Fall hatte ich vor einiger Zeit das AG Essen zu befassen, nämlich mit der Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB). Wenn man es so liest, fragt man sich zunächst: Geht das überhaupt? Nun, natürlich geht das, aber so ganz „einfach“ ist das nicht, wie das AG Essen, Urt. v. 10.10.2013 – Cs-43 Js 211/13-292/13 – zeigt. Da ist die Verurteilung des Angeklagten nämlich an den subjektiven Voraussetzungen einer Beihilfe „gescheitert“ und der Angeklagte frei gesprochen worden.

Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten Essen dem Angeklagten zur Last gelegt, dass dieser sich einer Polizeibeamtin, die nach einem Verkehrsunfall einen flüchtenden Fahrzeugführer verfolgte, in den Weg gestellt und sie daran gehindert hatte, dem Fahrzeugführer weiter zu folgen.

Das AG spricht frei, da es einen „Beihilfevorsatz“ nicht feststellen kann.

„Erforderlich ist dafür jedoch ein Vorsatz des Angeklagten dahingehend, einem anderen Hilfe zu dessen rechtswidriger Vortat zu leisten. Diesen konnte das Gericht nicht feststellen. Erforderlich ist, dass der Angeklagte bereits bei Beginn seiner Handlung den Vorsatz gehabt hat, einen anderen bei dessen vorsätzlicher rechtswidriger Tat Hilfe zu leisten. Dies kann vorliegend allein dann der Fall sein, wenn er in dem Moment, in dem er sich der Polizeibeamtin erstmals in den Weg stellt, bereits von der Tat weiß und diese unterstützen will. Dies konnte das Gericht jedoch nicht feststellen. Die Polizeibeamtin, die Zeugin M. hat bekundet, dass sie dem Angeklagten, als dieser sich in den Weg gestellt hat, nochmals erklärt habe, dass sie einen flüchtigen Fahrzeugteilnehmer verfolgt. Sie erklärte jedoch auch, dass sie nicht wisse wo genau der Angeklagte hergekommen sei. Sie könne daher auch nicht ausschließen, dass er sie nicht sofort als Polizeibeamtin erkannt hat, zumal sie in zivil unterwegs gewesen sei. In dubio pro reo muss das Gericht davon ausgehen, dass der Angeklagte erstmals in dem Moment, als er bereits vor der Zeugin stand und sie an der weiteren Verfolgung gehindert hat, erfahren hat, warum diese in seinen Garten möchte. Zu diesem Zeitpunkt hat der Angeklagte jedoch bereits den wesentlichen Teil seiner Handlung, das kurzfristige Aufhalten der Zeugin, begonnen. Erst danach hat er von dem Unfall und von der möglichen Vortat des Fliehenden erfahren. Erforderlich für ein vorsätzliches Hilfe leisten ist jedoch, dass der Angeklagte bei Beginn seiner Handlung diesen Vorsatz hat. Eine begangene Handlung, die zwar objektiv eine Beihilfe darstellt, nicht jedoch vorsätzlich geschah, kann nicht durch spätere Kenntnis der Haupttat und möglicherweise Billigung derselben zu einer Beihilfe werden.

Soweit die Tat möglicherweise eine Strafvereitelung darstellen könnte, da der Angeklagte jedenfalls erkannt haben könnte, dass es sich hier um eine Verfolgung einer Person durch die Polizei geht, unabhängig von der Frage, warum und was diesem zur Last gelegt wird, ist jedoch In dubio pro reo davon auszugehen, dass es sich bei der flüchtigen Person um einen Angehörigen des Angeklagten handelt. Die Zeugen geht davon aus, es handele sich um den Sohn, in dem Haus wohnt ein Großteil der „Sippe“, der der Angeklagte angehört. Er selber hat sich als „Sippenchef“ bezeichnet.“