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„Unaufmerksamkeit“ und „Besorgungsfahrten für den herzkranken Vater“, oder: Abkürzung vom Fahrverbot?

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Urheber Sebastian Rittau

Und als zweite Entscheidung zum Wochenstart dann gleich noch eine aus dem Bereich Fahrverbot, und zwar den OLG Bamberg, Beschl. v. 04.05.2017 -3 ss OWi 550/17. Der ein oder andere Leser wird, wenn er „OLG Bamberg“ liest, stöhnen und denken: Kann nichts Gutes sein. Nun, ist es auch nicht. Denn das OLg hat die vom AG angenommene Verkürzung eines Regelfahrverbotes nicht „gehalten“, sondern attestiert dem AG einen Erörterungsmangel zugunsten des Betroffenen:

„b) Ebenso wie von der Verhängung eines Regelfahrverbots nur dann gänzlich abgesehen werden kann, wenn wesentliche Besonderheiten in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betr. anzunehmen sind und deshalb der vom BKat erfasste Normalfall nicht vorliegt, ist der Tatrichter vor einer Verkürzung der im BKat vorgesehenen Regeldauer des Fahrverbots gehalten zu prüfen, ob der jeweilige Einzelfall Besonderheiten aufweist, die ausnahmsweise die Abkürzung rechtfertigen können und daneben eine angemessene Erhöhung der Regelbuße als ausreichend erscheinen lassen. Hier wie dort können dabei sowohl außergewöhnliche Härten als auch eine Vielzahl minderer Erschwernisse bzw. entlastender Umstände genügen, um eine Ausnahme zu rechtfertigen (OLG Bamberg a.a.O. m.w.N.). Auch die Frage der Dauer eines zu verhängenden Fahrverbots liegt hierbei grundsätzlich im Verantwortungsbereich des Tatrichters, der innerhalb des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums die Wertungen nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen hat. Seine Entscheidung kann vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft werden, ob er sein Ermessen deshalb fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat (st.Rspr. des Senats, vgl. zuletzt OLG Bamberg, Beschl. v. 22.07.2016 – 3 Ss OWi 804/16 [bei juris]).

c) Diesen Maßstäben genügt das angefochtene Urteil nicht. Einen Ausnahmefall für ein Absehen vom Fahrverbot können zwar Härten ganz außergewöhnlicher Art wie z.B. drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust der sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage begründen (vgl. hierzu zuletzt OLG Bamberg, Beschl. v. 17.01.2017 – 3 Ss OWi 1620/16 = ZfS 2017, 233). Derartige Umstände zeigt das angefochtene Urteil aber gerade nicht auf.

aa) Der Hinweis des AG, bei der Tat handle sich um eine „Unaufmerksamkeit“ des Betr., ist von vornherein nicht tragfähig, weil es darauf abstellt, dass dem Betr. lediglich fahrlässiges Verhalten zur Last fällt, dabei aber übersieht, dass die Regelgeldbuße und das Regelfahrverbot gerade für fahrlässiges Verhalten vorgesehen sind. Der Umstand, dass eine „Unaufmerksamkeit“ vorliegt, ist Prämisse des zweimonatigen Fahrverbots und kann deshalb nicht gleichzeitig dazu führen, dieses auf einen Monat herabzusetzen (vgl. hierzu schon OLG Bamberg, Beschl. v. 27.01.2017 – 3 Ss OWi 50/17 [bei juris]).

bb) Ebenso wenig stellt die vom AG angesprochene „Schuldeinsicht“ einen ausschlaggebenden Grund dar, die Regelfahrverbotsdauer auf einen Monat abzukürzen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den bereits erwähnten Grundsatz der Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer. Einen außergewöhnlichen Umstand, der eine Abweichung von der Regelrechtsfolge rechtfertigen könnte, stellt dieser Gesichtspunkt gerade nicht dar.

cc) Soweit das AG darauf abhebt, der Betr. leiste „Besorgungsfahrten für seinen herzkranken Vater“, leidet das Urteil an grundlegenden Darstellungsmängeln. Zu einen wird bereits die genaue Erkrankung des Vaters nicht mitgeteilt und auch nicht aufgezeigt, ob und welche Fahrten überhaupt erforderlich sind. Zum anderen stellt das AG auch nicht im Ansatz fest, ob die „Besorgungsfahrten“ durch andere Personen oder notfalls mittels öffentlicher Verkehrsmittel und dergleichen durchgeführt werden können.

dd) Schließlich werden die aus den dargelegten Gründen nur gänzlich unzulänglich festgestellten Umstände zu der Herzerkrankung und den „Besorgungsfahrten“ auch nicht belegt. Nachdem das AG hierzu jede Beweiswürdigung vermissen lässt, kann der Senat nur erahnen, dass es seine Erkenntnisse aus der Einlassung des Betr. erlangt hat. Es entspricht allerdings gefestigter Rechtsprechung des Senats, dass die Einlassung eines Betr. kritisch zu hinterfragen ist (vgl. hierzu zuletzt OLG Bamberg, Beschl. v. 17.01.2017 – 3 Ss OWi 1620/16 = ZfS 2017, 233 und v. 08.12.2015 – 3 Ss OWi 1450/15 = BA 53, 192 = ZfS 2016, 290). Das Unterlassen entsprechender Aufklärung ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil es bei einer derartigen Vorgehensweise in der Hand des Betr. läge, durch Schilderung entsprechender Fakten, die der Tatrichter ungeprüft übernimmt, die Rechtsfolgenentscheidung zu seinen Gunsten zu beeinflussen.“

Also noch einmal. Wenn der Amtsrichter gut ist 🙂 , begründet er das zweite Urteil so, dass das OLG nicht „dran kommt“.

Absehen vom Fahrverbot: Den Betroffenen trifft keine „Beweislast“…..

© helmutvogler - Fotolia.com

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Ich hatte vorhin über den OLG Bamberg, Beschl. v. 28. 12. 2015 – 3 Ss OWi 1450/15 und die dort vom OLG als nicht ausreichend gerügten Feststellungen berichtet. Das hatte zur Folge, dass das OLG Bamberg die Absehensentscheidung des AG aufgehoben und selbst ein Fahrverbot festgesetzt hat. Zu der Problematik mangelnde Aufklärung passt dann ganz gut der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 02.11.2015 – 3 (5) SsBs 575/15, den mir der Kollege S. Kabus, Bad Saulgau, übersandt hat. Das spielt auch mangelnde Aufklärung eine Rolle. Aber mit einem für den Betroffenen positiven Ausgang. Das OLG hat nämlich die amtsgerichtliche Fahrverbotsentscheidung aufgehoben, weil das AG nicht alle für die Entscheidung zur Ablehnung vom Absehen vom Fahrverbot erforderlichen Feststellungen getroffen hatte und auch wohl nicht treffen wollte, weil es den Betroffenen offenbar insoweit als „beweispflichtig“ angesehen hat:

„Jedoch hält die Begründung, mit der das Amtsgericht die vom Betroffenen für den Fall der Verhängung eines Fahrverbots vorgetragene Existenzgefährdung verneint, der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie erweist sich als lückenhaft.

Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass berufliche oder wirtschaftliche Schwierigkeiten, die bei einer Vielzahl von Berufen regelmäßig Folge des Fahrverbotes sind, für ein Absehen hiervon nicht genügen, sondern als selbstverschuldet hinzunehmen sind. Auch hat das Amtsgericht nicht verkannt, dass bei drohendem Verlust des Arbeitsplatzes oder der wirtschaftlichen Existenz durch das Fahrverbot eine Ausnahme – wenn auch nicht zwingend – gerechtfertigt sein wird. In solchen Fällen bedarf die Verhängung des Fahrverbots – auch in den Regelfällen – näherer Begründung (Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 25 StVG Rdn. 25).

Vorliegend hat das Amtsgericht die Verhängung des Fahrverbots damit begründet, dass aussagekräftige Unterlagen über die wirtschaftliche Situation des Betroffenen nicht vorgelegt worden seien sowie dessen Einkommensverhältnisse ebenso wie die Lage der Einsatzorte und eventuell bestehende Hilfsmöglichkeiten durch Verwandte bzw. Freunde unklar geblieben seien. Diese Ausführungen – auch in Verbindung mit der Feststellung, dass angesichts der Entbindung des Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen keine näheren Einzelheiten über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen bekannt geworden seien, – lassen aber besorgen, dass das Amtsgericht dem Betroffenen, den, es von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden hat, insoweit eine Beweislast auferlegt hat.

Nach § 77 Abs. 1 OWiG hat das Gericht von Amts wegen die Wahrheit zu erforschen. Die Aufklärungspflicht erstreckt sich auf alle Tatsachen, die für die Anwendung des sachlichen Rechts, auch in Bezug auf Art und Maß der Rechtsfolgen, erheblich sind, soweit die dem Gericht aus den Akten, durch Anträge oder Beweisanregungen oder auf sonstige Weise bekannt gewordenen Tatsachen Ermittlungen nahelegen. Daher bedarf es in Fällen, in denen der Bußgeldkatalog ein Regelfahrverbot vorsieht, im Hinblick auf eine möglicherweise vorliegende Härte in Gestalt einer drohenden Arbeitsplatz- oder Existenzgefährdung umfassender Aufklärung durch das Tatgericht, sofern der Betroffene Anknüpfungstatsachen vorbringt. Dabei muss auch für den Betroffen klar sein, welche konkrete Angaben das Gericht für seine Entscheidung für erheblich hält. Vorliegend hätte das Amtsgericht sich die Einkommensteuerbescheide für den Betroffenen – nicht für die Fa. L. GmbH – vorlegen lassen können, notfalls nach Entbindung von der Schweigepflicht auch den Steuerberater des Betroffenen als Zeugen anhören können. Falls der Betroffene Angaben machen will und sein Verteidiger nicht zu vollständigen Angaben in Vertretung des Betroffenen in der Lage ist, dürfte die Anordnung seines persönlichen Erscheinens naheliegen. Falls der Betroffene eine Schweigepflichtsentbindung nicht abgeben und auch Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen und sonstigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht machen will, wird das Gericht zu prüfen haben, ob aus diesem Teilschweigen im Rahmen der Beweiswürdigung Schlüsse gezogen werden können (BGHSt 20, 298).“

Sollte man als Verteidiger im Auge haben 🙂 .

Bei „maximal 3,9 Promille“ kein § 21 StGB – ganz schön mutig

Oktoberfest_1Manchmal bin ich über den Mut von Strafkammern dann doch erstaunt. So über ein Urteil des LG Marburg, das in einem Verfahren u.a. wegen Raubes ergangen ist. Da hat das – sachverständig beratene – LG unter Rückrechnung einer etwa 7 ½ Stunden nach der Tat entnommenen Blutprobe mit einer BAK von 2,14 Promille festgestellt, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt eine „Blutalkoholkonzentration von maximal 3,9 Promille“ aufgewiesen habe. Auf der Grundlage der Trinkmengenangaben des Angeklagten ist das LG unter Anwendung der Widmark-Formel zu einer maximalen BAK von 3,03 Promille gekommen. Ausgehend von einer Alkoholisierung von maximal 3,9 Promille hat es aber gleichwohl die Voraussetzungen des § 21 StGB, nicht die des § 20 StGB (!!!) verneint.

Das passt dem BGH nun gar nicht, der dazu zunächst noch einmal allgemein im BGH, Beschl. v. 02.07.2015 – 2 StR 146/15 – ausführt:

b) Diese Begründung hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Eine Blutalkoholkonzentration von maximal 3,9 Promille legt die Annahme einer erheblichen Herabsetzung der Hemmungsfähigkeit sehr nahe, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schon ab einer Blutalkoholkonzentration von 2,0 Promille in Betracht zu ziehen ist (BGH, Urteil vom 22. November 1990- 4 StR 117/90, BGHSt 37, 231, 235; Urteil vom 12. Januar 1994 – 3 StR 633/93, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 27; Beschluss vom 25. Februar 1998 – 2 StR 16/98, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 34; BGH, Beschluss vom 26. November 1997 – 2 StR 553/97, NStZ-RR 1998, 107; BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 – 5 StR 545/11, NStZ 2012, 261).

Auch wenn davon auszugehen ist, dass es keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz darüber gibt, dass ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit in aller Regel vom Vorliegen einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden muss, ist der festgestellte Wert ein gewichtiges Beweisanzeichen für die Stärke der alkoholischen Beeinflussung. Je höher dieser Wert ist, um so näher liegt die Annahme einer zumindest erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit. Maßgeblich für die Frage, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, ist dementsprechend eine Gesamtwürdigung, in die sowohl die Höhe der Blutalkoholkonzentration als auch psychodiagnostische Kriterien einzustellen sind. Bei einer starken Alkoholisierung lässt sich erheblich verminderte Schuldfähigkeit nur ausschließen, wenn gewichtige Anzeichen für den Erhalt der Hemmungsfähigkeit sprechen (BGH, Beschluss vom 26. November 1997 – 2 StR 553/97, NStZ-RR 1998, 107).

Und dann wird es konkret und der BGH zeigt auf, was ihm im Einzelnen nicht gefällt:

bb) Zum anderen erweist sich die vom Landgericht vorgenommene Würdigung als nicht tragfähig. Als gegen die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit sprechende psychodiagnostische Beurteilungskriterien kommen dabei nur solche Umstände in Betracht, die verlässliche Hinweise darauf geben können, ob das Steuerungsvermögen des Täters trotz der erheblichen Alkoholisierung voll erhalten geblieben ist (BGH, Beschluss vom 30. Juli 1997 – 3 StR 144/97, NStZ 1997, 592). Wesentlichen vom Landgericht herangezogenen Umständen kommt eine solche Bedeutung nicht oder nur in eingeschränktem Umfang zu. Dass der Angeklagte zielgerichtet nach Wertgegenständen gesucht und dem Mitangeklagten K. beim Einpacken des Fernsehers geholfen hat, stellt sich lediglich als bloße Verwirklichung des Tatvorsatzes dar, Wertgegenstände aus der Wohnung zu entwenden; daraus lassen sich regelmäßig keine tragfähigen Schlüsse in bezug auf die Steuerungsfähigkeit des Täters gewinnen (Fischer, StGB, 62. Aufl., § 20 Rn. 25). Insoweit ist auch der vom Landgericht erwähnte Umstand, der Angeklagte M. habe genau gewusst, was er getan habe, ebenso ohne jede Aussagekraft wie die Einschätzung, er sei „laut“ und „aggressiv“ gewesen (was eher noch ein Umstand für eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit sein könnte). Das Fehlen von Ausfallerscheinungen oder alkoholbedingten Einschränkungen, das die Strafkammer in verschiedener Weise heranzieht, kann zwar grundsätzlich gegen eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit sprechen; doch ist bei – wie hier – alkoholgewöhnten Tätern zu berücksichtigen, dass äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit durchaus weit auseinander fallen können (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2007 – 4 StR 187/07, NStZ 2007, 696; Beschluss vom 30. April 2015 – 2 StR 444/14) und sich gerade bei Alkoholikern oft eine durch „Übung“ erworbene erstaunliche Kompensationsfähigkeit im Bereich grobmotorischer Auffälligkeiten zeigt (Fischer, aaO, § 20 Rn. 23a). Dass dies selbst bei extrem hoher Blutalkoholkonzentration zu äußerer Unauffälligkeit führen kann, hat das Landgericht, das an anderer Stelle lediglich ohne nähere Erläuterung anführt, es sei auch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte trinkgewohnt sei, nicht erkennbar bedacht oder erwogen. Hinzu kommt, dass der Angeklagte nach dem Eindruck der Zeugin P. – was die Strafkammer an dieser Stelle nicht erwähnt – „leichte Gleichgewichtsprobleme“ hatte und damit jedenfalls gewisse Anhaltspunkte für eine alkoholbedingte Einschränkung im Raum stehen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die bloße Selbsteinschätzung des Angeklagten M. , er sei nur angetrunken, aber nicht betrunken gewesen, ebenso wenig wie die Angaben des ebenfalls hochgradig alkoholisierten Mitangeklagten K. , er habe keinerlei alkoholbedingte Auffälligkeiten beim Angeklagten M. bemerkt, ohne relevanten Beweiswert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 – 5 StR 57/09, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 41).

Darüber hinaus zeigt das Tatbild Besonderheiten, die sogar positiv auf eine alkoholbedingte erhebliche Herabsetzung der Hemmungsfähigkeit des Angeklagten schließen lassen können und die von der Jugendkammer in diesem Zusammenhang nicht erörtert werden…..“

Eine sehr schöne Zusammenstellung und Würdigung der Umstände durch den BGH, die man als Verteidiger gut gebrauchen können sollte. Denn viele der vom LG angeführten Umstände spielen in dem Zusammenhang „verminderte Schuldfähigkeit“ immer wieder eine Rolle.

Alles in allem: Ganz schön mutig die Strafkammer, hier den § 20 StGB zu verneinen. Denn an sich befinden wir uns schon in einem Bereich, in dem man ganz gut auch den § 20 StGB diskutieren könnte.

Absehen von der Regelentziehung – auch bei 1,75 Promille BAK

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Ich habe in der Vergangenheit ja schon häufiger über Verfahren/Fälle berichtet, in den von der so. Regelentziehung der Fahrerlaubnis nach einer Trunkenheitsfahrt oder einer „Unfallflucht“ abgesehen worden ist. Hier ist dann mal wieder einer, nämlich das LG Kaiserslautern, Urt. v. 07.04.2014 – 6070 Js 8485/13 3 Ns. Da hatte schon das AG von der Regelentziehung nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB abgesehen, die Staatsanwaltschaft hatte dagegen Berufung eingelegt. Und das LG hat das amtsgerichtliche Urteil bestätigt. Dabei wird auf folgende Umstände abgestellt:

  • Zwar höhere BAK von 1,75 Promille, aber das allein steht dem Absehen nicht entgegen,
  • kurze Fahrstrecke,
  • Anhalten, als sich ein anderer Pkw nähert, den der Angeklagte in dem Moment noch nicht als Polizeifahrzeug ausmachen könnte,
  • drei Monate vorläufige Entziehung,
  • inzwischen wieder acht Monate beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen,
  • glaubhaft Alkoholabstinenz in der Hauptverhandlung versichert und
  • Nachschulung beim TÜV Süd in der Zeit vom 02.02.bis zum 10.03.2014 mit umfangreicher Befassung mit den Hintergründen der zu ahndenden Straftat und der Erarbeitung einer kritischen Problemsicht.

Da reichte auch dem LG ein Fahrverbot von drei Monaten. Damit liegt das LG auf der Linie einiger anderer LG- und AG-Entscheidungen zum Absehen von der Regelentziehung aus der letzten Zeit (vgl. auch VRR 2014, 208). Die Entscheidung zeigt noch einmal anschaulich, auf welche Punkte es ankommt, was man also als Verteidiger vortragen sollte und wozu man dem Mandanten raten sollte. Eine Nachschulung ist sicherlich von Vorteil. Und die Entscheidung zeigt auch: Selbst bei einer hohen BAK – hier von 1,75 Promille – ist ein Absehen von der Regelentziehung zu erreichen.

Strafzumessungsfehlerklassiker, oder: Anfängerfehler

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Strafzumessungsfehler bei den LG findet der BGH, wenn man seine Rechtsprechung auf seiner Homepage verfolgt, häufig(er). Der ein oder andere Fehler ist seltener, der vom BGH im BGH, Beschl. v. 17.04.2012 – 2 StR 73/12 – gerügte ist in meinen Augen hingegen ein Klassiker, man könnte auch sagen: ein Anfängerfehler:

„Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat im Strafausspruch Erfolg. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die Strafkammer hat in ihrer Gesamtabwägung zur Ablehnung eines minder schweren Falles Umstände angeführt, an deren Berücksichtigung sie von Rechts wegen gehindert war.

Das Landgericht durfte zu Lasten des Angeklagten weder in Rechnung stellen, dass „keine spontane Tat ohne Anlass“ vorliege, noch anführen, dass der Angeklagte „ohne Druck oder Beeinflussung Dritter“ und auch nicht „aus einer Notsituation heraus“ gehandelt habe. Nachvollziehbare, verständliche Motive für eine Tatbegehung wie ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse oder auch eine Suchterkrankung können ebenso wie die Tatverstrickung durch Dritte strafmildernd zu Buche schlagen; ihr Fehlen berechtigt allerdings nicht, dies zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 23. März 2011 – 2 StR 35/11). Soweit die Kammer darüber hinaus in ihren Erwägungen darauf abgestellt hat, es seien „primär finanzielle Erwägungen, die Aussicht auf eine lukrative Einnahmequelle“ Anlass für die Tatbegehung gewesen, verstößt sie damit gegen das Verbot der Doppelverwertung von Strafzumessungserwägungen (§ 46 Abs. 3 StGB), da Gewinnstreben zum Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gehört und von einem besonders verwerflichen, den Rahmen des Tatbestandsmäßigen erheblich übersteigenden Gewinnstreben nach den Feststellungen nicht gesprochen werden kann.

Solche Fehler erstaunen dann doch, zumindest ein wenig.