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Das OLG Stuttgart und das VerfG Saarland-Urteil, oder: Man hört die Felsbrocken vom Herzen fallen….

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Author Hubi47

Und hier haben wir dann die erste Entscheidung eines OLG zur Frage: Was ist mit dem V VerfG Saarland, Urt. v. 05.07.2019 – LV 7/17 (vgl. dazu: OWi I: Paukenschlag II aus dem Saarland, oder: Traffistar S 350-Messungen nicht verwertbar) in der Rechtsprechung der OLG?

Dort war ein Rechtsbeschwerde-Zulassungsverfahren gegen ein Urteil des AG Reutlingen anhängig. In dem Verfahren hatte der Verteidiger sich nach Bekanntwerden des VerfG Saarland-Urteil noch auf diese Entscheidung berufen. Dazu führt der Einzelrichter dann im OLG Stuttgart, Beschl. v. 18.07.2019 – 6 Rb 28 Ss 618/19 – (nur) aus:

„Soweit sich die Betroffene im Rahmen ihrer Gegenerklärung auf eine – den Senat nicht bindende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 5. Juli 2019 (Lv 7/17) – beruft und erstmalig die Auffassung vertritt, dass das Verfahren wegen fehlender Speicherung der Rohmessdaten durch das eingesetzte Messgerät Traffistar S 350 des Unternehmens Jenoptik, was einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des fairen Verfahrens darstelle und zur Unverwertbarkeit der Messung führe, „einzustellen“ sei, greift ihr Vorbringen nicht durch.

Dieser behauptete Verstoß wäre im Rahmen einer fristgerecht und formwirksam erhobenen Verfahrensrüge (vgl. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, §§ 344, 345 StPO) geltend zu machen gewesen, was vorliegend nicht der Fall ist.

Zudem ist ein Verstoß gegen die Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht ersichtlich. Die verteidigte Betroffene hat – im Unterschied zu dem durch den Verfassungsgerichtshof des Saarlandes entschiedenen Verfahren – zu keinem Zeitpunkt die (sachverständige) Überprüfung des Messergebnisses begehrt oder das Fehlen von Rohmessdaten gerügt und dadurch den Wunsch zum Ausdruck gebracht, sich mit den tatsächlichen Grundlagen des erhobenen Vorwurfs und deren Validität auseinanderzusetzen. Somit kam ein Eingriff in die effektive Verteidigung der Betroffenen durch die Verwertung des Messergebnisses im Rahmen der amtsrichterlichen Entscheidung von vornherein nicht in Betracht.“

Ich denke, dem Einzelrichter des 6. Bußgeldsenats des OLG Stuttgart werden große Felsbrocken vom Herzen gefallen sein (soweit OLG-Senate Herzen haben 🙂 ), dass er zum VerfG-Urteil nichts sagen musste, jedenfalls nicht viel. Denn ein bisschen hat er doch gesagt – und das geht in die erwartete Richtung: Nicht bindend…..

OWi I: Paukenschlag II aus dem Saarland, oder: Traffistar S 350-Messungen nicht verwertbar

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Heute dann ein OWi-Tag. Und an dem kommt dann natürlich zuerst das VerfG Saarland, Urt. v. 05.07.2019 – LV 7/17, das die Kollegin Zimmer-Gratz aus Bous „erstritten“ hat. Auf die Entscheidung ist ja gestern auch schon an verschiedenen Stellen hingewiesen worden. Es hat auch den Weg in die überörtlichen „Gazetten“ gefunden.

Es geht mal wieder um Messverfahren, und zwar dieses Mal um eine Messung mit Traffistar S 350 der Firma Jenoptik. Im Streit war die Frage, ob die Messungen mit Traffistar S 350 verwertbar sind, da die Rohmessdaten zur nachträglichen Überprüfung einer Messung nicht zur Verfügung stehen. Das AG Saarbrücken und das OLG Saarland hatten damit kein Problem und hatten im Wesentlichen das Argument: Standardisiertes Messverfahren, hervorgeholt.

Das VerfG Saarland sieht das nun anders und hat in seinem umfassend begründeten Urteil dargelegt, dass und warum der Betroffene auch bei standardisierten Messverfahren die Möglichkeit haben muss, die dem Verfahren zugrunde gelegte Messung zu überprüfen. Ich empfehle dringend die Lektüre der Entscheidung, die folgenden Leitsatz hat:

Das Grundrecht auf wirksame Verteidigung schließt auch in einem Bußgeldverfahren über eine Geschwindigkeitsüberschreitung ein, dass die Rohmessdaten der Geschwindigkeitsmessung zur nachträglichen Plausibilitätskontrolle zur Verfügung stehen.

Man wird nun sehen, wie es weitergeht. Jedenfalls sind die Messungen mit Traffistar S 350 so nicht verwertbar. Das ist für alle noch laufenden Verfahren von Bedeutung. Bei bereits abgeschlossenen Verfahren stellt sich dann die Frage einer Wiederaufnahme. Da ist dann aber die hohe Hürde des § 85 OWiG zu überwinden. Nach dessen Abs. 2 ist die Wiederaufnahme nicht zulässig, wenn gegen den Betroffenen lediglich eine Geldbuße bis zu 250 € festgesetzt ist oder seit Rechtskraft der Bußgeldentscheidung drei Jahre verstrichen sind. Und es stellt sich die Frage. Ist der Beschluss des VerfG Saarland eine „neue Tatsache“ im Sinn des § 85 Abs. 2 OWiG? Das habe ich jetzt noch nicht geprüft.

Im Übrigen: Ich bin gespannt, wie aus den anderen Bundesländern reagiert werden wird. Wir hatten ja schon mal einen Paukenschlag aus dem Saarland, nämlich den der VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18 – (dazu Paukenschlag beim (Akten)Einsichtsrecht, oder: Der Rechtsstaat lebt…). Und darauf kam dann ja aus Bayern die Antwort im OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18 (vgl. dazu: Antwort vom OLG Bamberg: Das VerfG Saarland hat keine Ahnung, oder: Von wegen der Rechtsstaat lebt. Ich bin gespannt, ob man das VerfG Saarland wieder so von oben herab behandeln wird. So einfach ist das allerdings m.E. nicht. Denn das VerfG hat die Eigenschaft „standardisiertes Messverfahren“ nicht bestritten und setzt sich mit dem auch auseinander. Es sagt nur das, was m.E. auch der BGH sagt: Auch ein standardisiertes Messverfahren muss überprüfbar sein, und zwar auch und vor allem vom Betroffenen. Da hilft m.E. auch nicht das von der OLG-Rechtsprechung erfundene „antizipierte Sachverständigengutachten“ der PTB.

Es bleibt also spannend.

OWi I: Traffistar S 350 ist und bleibt standardisiert, oder: Die fehlende Überprüfbarkeit stört nicht

Während meines Urlaubs sind dann auch einige OWi-Entscheidungen eingegangen, von denen ich heute drei vorstelle. Ich beginne mit dem OLG Rostock, Beschl. v. 22.01.2019 – 21 Ss OWi 251/18 (B). Das OLG nimmt Stellung zur Verwertbarkeit einer Geschwindigkeitsmessung mit TraffiStar S 350 . Das AG Stralsund hatte in seinem zugrunde liegenden Urteil die Verwertbarkeit verneint, weil die Messung wegen fehlender Speicherung von Zusatz- bzw. Messdaten nicht überprüft werden könne. Das OLG sieht das – wen wundert es – anders:

„Bei dem verwendeten Geschwindigkeitsmessgerät „TraffiStar S350“ handelt es sich – entgegen der in der angegriffenen Entscheidung vertretenen Auffassung – um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der obergerichtlichen Rechtsprechung, weil die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.05.2017, Az. IV-3 Rbs 56/17 sowie Beschluss vom 31.01.2017, Az. IV-3 Rbs 20/17; OLG Hamm, Beschluss vom 09.03.2017, Az. 5 Rbs 29/17; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 11.11.2016, Az. 2 Ss OWi 161/16 (89/16); VG Düsseldorf, Urteil vom 21.11.2017, Az. 14 K 3648/17; jeweils zitiert nach Juris). Zutreffend stellt die Generalstaatsanwaltschaft in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsbeschluss vom 05.11.2018, Az. 21 Ss OWi 200/18 [B]), darauf ab, dass die Einstufung als standardisiertes Messverfahren zur Folge hat, dass sich das Tatgericht auf die Mitteilung des verwendeten Messverfahrens, welches Gegenstand der Verurteilung ist, der gefahrenen Geschwindigkeit und der gewährten Toleranz, beschränken kann (so auch KG Berlin, Beschluss vom 19.11.2018, Az. 3 Ws (B) 258/18, zitiert nach Juris). Zur weiteren Beweisaufnahme muss sich der Tatrichter nur veranlasst sehen, wenn konkrete Anhaltspunkte vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, die auf eine Fehlerhaftigkeit der konkreten Messung hinweisen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24.10.2014, Az. 2 (7) SsBs 454/14, zitiert nach Juris).

Diesen Maßstab hat das Amtsgericht nicht beachtet. Es mangelt bereits an konkreten Tatsachen, die Zweifel an der Richtigkeit des Messergebnisses wecken. Weder weckt die aktenkundige Dokumentation Zweifel an der Geschwindigkeitsmessung noch hat der Betroffene solche vorgebracht oder das Gericht festgestellt. Das Gerät war im Messzeitpunkt geeicht. Auch das Messprotokoll gibt zu Beanstandungen keinen Anlass. Der eingesetzte Messbeamte war an dem hier eingesetzten Messgerät geschult. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass das Messgerät zu dem Zeitpunkt der Messung in dem hier konkreten Einzelfall unrichtig aufgestellt war oder nicht ordnungsgemäß gemessen hat. Das Vorbringen des Betroffenen beschränkt sich auf den nicht genügenden Einwand, das Messverfahren mit dem Gerät TraffiStar S 350 sei kein standardisiertes Messverfahren.

Diese Behauptung kann jedoch keine Zweifel an der Richtigkeit des konkreten Messergebnisses aufkommen lassen.

Das Gerät und Messverfahren sind allerdings von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassen. Die PTB hat mit der Zulassung im Wege eines Behördengutachtens (antizipiertes Sachverständigengutachten) zugleich erklärt, dass bei dem zugelassenen Gerät ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren vorliegt, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (sog. „standardisierte Messverfahren“). Die Zulassung erfolgt dabei nur, wenn das Messgerät die umfangreichen Testreihen erfolgreich durchlaufen hat, bei denen die PTB das Messgerät auch unter atypischen Verkehrsszenarien auf seine Störungsresistenz prüft. Die Art der Verwendung und der zulässige Verwendungsaufbau werden von der PTB bei der Zulassung vorgegeben (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.12.2014, Az. 2 Ss-Owi 1041/14; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 11.11.2016, Az. 1 SsOWi 161/6 (89/16), jeweils zitiert nach Juris).

Ist ein Messgerät von der PTB zugelassen und ist das Messgerät im Rahmen der Zulassungsvorgaben verwendet worden, ist das Tatgericht grundsätzlich von weiteren technischen Prüfungen, insbesondere zur Funktionsweise des Messgeräts, enthoben. Die Zulassung durch die PTB ersetzt diese Prüfung. Damit soll erreicht werden, dass bei den Massenverfahren im Bußgeldbereich nicht jedes Amtsgericht bei jedem einzelnen Verfahren die technische Richtigkeit der Messung jeweils neu überprüfen muss (Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 11.11.2016, Az. 1 SsOWi 161/6 (89/16), a.a.O.).

Ist die Messung – wie hier – im Rahmen der Zulassung erfolgt, kann ein Gericht daher grundsätzliche von der Richtigkeit der Messung ausgehen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens war vorliegend wegen der lediglich allgemeinen Bedenken gegen standardisierte Messverfahren und mangels konkreter Anhaltspunkte dafür, dass von den Vorgaben des standardisierten Messverfahrens abgewichen wurde oder die durchgeführte Messung im Übrigen fehlerbehaftet sein könnte, nicht veranlasst. Zweifel an der Zuverlässigkeit der Messung können nur konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung begründen, die hier weder vom Betroffenen vorgetragen noch durch das Gericht in dem angefochtenen Beschluss festgestellt sind. Fehlt es an derartigen Anhaltspunkten, überspannt der Tatrichter die an seine Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen, wenn er dennoch an der Zuverlässigkeit der Messung zweifelt.

Also mal wieder das Totschlagargument „standardisiertes Messverfahren“. Und: Einmal standardisiert, immer standardisiert.

Traffistar S 350, oder: Keine Urteilsgrundlage

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Urheber Sebastian Rittau

Als zweite Entscheidung heute dann das AG Heidelberg, Urt. v. 18.01.2018 – 17 OWi 540 Js 21713/17, auf das der Kollege Gratz im VerkehrsRechtsblog ja schon hingewiesen hat. Auch in der Entscheidung geht es um eine Geschwindigkeitsmessung, und zwar mit TraffiStar S 350. Das AG hat den Betroffenen frei gesprochen. Begründung: Die Geschwindigkeitsmessung mit TraffiStar S 350 ist unverwertbar, weil das Gerät weder Rohmessdaten noch Zusatzdaten zu den Messungen in der Falldatei zur nachträglichen Überprüfung abspeichert und die Messung daher nicht überprüft werden kann:

Wie dem Gericht aus vorangegangenen Verfahren mit dem Messgerät TraffiStar S350 bekannt ist, beruht die Messung hierbei auf einer digitalen Geschwindigkeitsmessung mittels Laserimpuls-Laufzeitmessung. Die Messung erfolgt mittels Lichtimpulsen, die vom Gerät ausgesendet und von getroffenen Objekten reflektiert werden. Diese werden vom Gerät wieder empfangen, durch den Zeitunterschied von ausgesendetem und empfangenem Impuls wird über die konstante Lichtgeschwindigkeit der Impulse die Entfernung zum Objekt bestimmt. Bei einem sich bewegenden Objekt wird dann aus der Änderung der Entfernung die Geschwindigkeit ermittelt. Bei einer geräteintern gültigen Messung löst das Gerät gemäß der Bedienungsanleitung spätestens 5 m nach Messende ein Foto aus. Hierfür berechnet das Gerät aus der gemessenen Geschwindigkeit des jeweiligen Fahrzeugs die Fotoposition. Hierbei wird außerdem die Position einer Auswertehilfe bestimmt, die der Zuordnung des Messwerts zu einem bestimmten Fahrzeug dient und die in das Messfoto eingeblendet wird.

Das Messgerät erlaubt allerdings in der hier verwendeten Softwareversion, im Gegensatz zur Vorgängerversion, keine Plausibilitätskontrolle mehr. Sofern Rohmessdaten noch abgespeichert werden, haben Sachverständige hierauf keine Zugriffsmöglichkeit mehr. Damit ist einem unabhängigen Sachverständigen eine Rückrechnung der gefahrenen Geschwindigkeit tatsächlich nicht mehr möglich. Vielmehr ist man bei diesem Messgerät gehalten, sich auf die eingeblendete Datenleiste im Tatfoto (vgl. AS 9) blind zu verlassen. Die dort aufgeführte Geschwindigkeit lässt sich allerdings in keiner Weise nachvollziehen. Eine Weg-Zeit-Berechnung ist anhand der vorliegenden Daten nicht möglich. Ein tatsächlicher Grund, warum die entsprechenden Rohmessdaten bei dieser Version nicht mehr zur Verfügung gestellt werden, ist nicht zu erkennen und auch nicht nachvollziehbar.

Im Gegenteil, vielmehr wurde bei dem Messsystem poliscan-speed mittlerweile erreicht, dass mit der Speicherung von „nur“ 5 Messdaten in einer xmi-Datei zumindest eine Plausibilitätskontrolle ermöglicht wurde. Damit wird vor dem Gedanken des „fair-trail“ der Betroffene nicht mehr darauf verwiesen, einem Gerät zu glauben, dass es die Geschwindigkeit, mit der er gemessen wurde, richtig berechnet hat; ihm wurde die Möglichkeit eröffnet, diese Geschwindigkeitsmessung nachzuvollziehen.

Durch den Wegfall dieser Möglichkeit wurde eine Überprüfung der Messung schlicht unmöglich gemacht. Allein die Zulassung dieses Gerätes durch die PTB reicht demgegenüber nicht zur richterlichen Überzeugungsbildung, dass es sich um eine ordnungsgemäße, nicht zu beanstandende Messung handelt.

Das Amtsgericht Stralsund hat mit Urteil vom 07.11.2016 (Az. 324 OWi 554/16) bereits entschieden, das das Messgerät TraffiStar S350 von vornherein die Möglichkeit ausschließe, die Zuverlässigkeit der Messung etwa durch Sachverständigenbeweis zu überprüfen und somit die Amtsermittlungsmöglichkeit quasi standardisiert beschnitten sei, eine Anerkennung als standardisiertes Messverfahren somit nicht mehr in Betracht käme. Hierbei stützt sich das Amtsgericht auf eine Entscheidung des Amtsgerichts Kassel vom 24.08.2016, welches ebenfalls Messwerte mit diesem Messgerät als Beweismittel im standardisierten Verfahren verworfen hat, weil die eingesetzte Technik die Weg-Zeit-Berechnung nicht nachvollziehbar mache. Dementsprechend ging vom Regierungspräsidium Kassel mit Schreiben vom 29.08.2016 eine Empfehlung an alle hessischen Kommunen, keine Anzeigen mit derartigen Messungen mehr an das Regierungspräsidium weiterzuleiten, da sie vorerst keine Verfahren mehr mit diesem Messsystem einleiten werden.

Bei dieser Sachlage fehlt es nach wie vor an einem tauglichen Beweismittel, um die dem Betroffenen vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung nachvollziehen zu können.

Hier geht es zum erwähnten: AG Stralsund, Urt. v. 07.11.2016 – 324 OWi 554/16 …….

TraffiStar S 350 ist nicht toll, oder Schönen Gruß vom AG Neunkirchen, nicht alles super

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Urheber User:JENOPTIK Robot GmbH

Nach den beiden „Grußentscheidungen vom KG und vom OLG Celle (KG, Beschl. v.21.06.2017 – 3 Ws (B) 156/17 – 162 Ss 901/17 –  dazu PoliscanSpeed ist toll, oder: Schönen Gruß vom KG, alles superOLG Celle, Beschl. v. 17.05.2017 – 2 Ss OWi 93/17 – dazu Leivtec XV 3 ist auch toll, oder: Schönen Gruß vom OLG Celle, auch alles super) dann noch eine amtsgerichtliche Entscheidung zu der Problematik. Die ist zwar schon beim Kollegen Gratz gelaufen. Der hat sie mir dann aber geschickt, damit ich sie hier auch veröffentliche, um sie einem „breiten Publikum“ zugänglich zu machen.

Es handelt sich um das AG Neunkirchen, Urt. v. 15.05.2017 – 19 OWi 534/16. Es ging um eine Messung mit dem Messsystem TraffiStar S 350. Das AG hat frei gesprochen und begründet das wie folgt:  Bei dem  Messverfahren handelt es sich zwar grundsätzlich um ein sog. standardisiertes Messverfahren. Aber:

2. Aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 EMRK folgt daher im Falle der Annahme eines standardisieren Messverfahrens nach Auffassung des Gerichts, dass der Betroffene – wenn ihm schon auferlegt wird, konkrete Messfehler vorzutragen-, auch in die Lage versetzt werden muss, genau dies tun zu können. Um eine technische Messung sinnvoll angreifen zu können bedarf es daher rein denklogisch schon der Überprüfungsmöglichkeit der Messdaten.

a) In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist bereits umstritten, ob der Betroffene einen Anspruch auf Herausgabe der Rohmessdaten einer Geschwindigkeitsmessung hat, ohne konkret vorzutragen welche Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind, oder der Betroffene bereits diesbezüglich substantiiert vortragen muss, welche Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind. Während das OLG Celle, OLG Düsseldorf und das OLG Saarbrücken unter Verweis auf das Rechtsstaatsprinzip, dem allgemeinen Freiheitsrecht und dem Recht auf ein faires Verfahren dies bejahen (vgl. OLG Celle Beschluss vom 16.06.2016, 1 Ss OWi 96/16, OLG Saarbrücken, Beschluss vom 24.02.2016, Az. Ss (BS) 6/2016 (4/16 OWi), OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.07.2015 – 2 RBs 63/15, juris Rn. 17), verneint das OLG Bamberg einen Anspruch des Betroffenen auf Einsicht und Herausgabe in die Rohmessdaten ohne konkreten Vortrag des Betroffenen mit dem Verweis auf das Prinzip des standardisierten Messverfahrens (OLG Bamberg, Beschluss v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15)

b) Nach Ansicht des erkennenden Gerichts kann der Auffassung des OLG Bamberg diesbezüglich nicht gefolgt werden. Denn wenn dem Betroffenen im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens schon auferlegt wird, konkrete Anhaltspunkte für Messfehler oder eine Fehlmessung darzulegen, damit dass Gericht einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht als Ausforschungsbeweis ansehen und diesen nach § 77 Abs. 2 OWiG ohne Weiteres ablehnen kann, muss ihm diese Möglichkeit auch überhaupt erst einmal eröffnet werden. Hierzu bedarf der Betroffene aber zwingend Einsicht in die Rohmessdaten, um die Messung auf ihre Ordnungsgemäßheit zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen (vgl. OLG Celle aaO.). Anderenfalls befände sich der Betroffene in einem nicht aufzulösenden Teufelskreis, da er – sofern man der Ansicht des OLG Bambergs folgen würde – konkrete Umstände für eine fehlerhafte Messung vortragen zu müssen ohne die Messung – insbesondere die Messdaten – überhaupt zu kennen, die ihn nach Ansicht des erkennenden Gerichts erst in die Lage versetzen können, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vortragen zu können (vgl. OLG Celle aaO.).

c) Dies widerspricht nach Auffassung des Gerichts auch nicht dem Prinzip des standardisierten Messverfahrens. Sinn und Zweck des standardisierten Messverfahrens ist es, dass das Gericht gerade nicht bei jeder einzelnen Geschwindigkeitsmessung den Beweis durch Sachverständigengutachten führen muss, dass diese fehlerlos erfolgt ist. Dass dies in Anbetracht der Massenverfahren im Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten sinnvoll und notwendig ist, steht außer Frage. Werden dem Betroffenen nun sämtliche tauglichen Mittel zur Verfügung gestellt um eine Messung überprüfen zu lassen, tangiert dies den Sinn und Zweck des standardisierten Messverfahren aber nach Ansicht des Gerichts gerade nicht. Denn hierdurch wird der Betroffene lediglich in die Lage versetzt im Vorfeld der Hauptverhandlung eine Messung durch einen von ihm beauftragen Sachverständigen überprüfen zu lassen (vgl. AG St Ingbert Urteil vom 26.04.2017 Az. 2 OWI 379/16). Dies dürfte nach Ansicht des Gerichts nicht dazu führen, dass Gerichte dann auf Antrag der Verteidigung nahezu jede Messung durch einen Sachverständigen im Rahmen der Amtsermittlungspflicht auf deren Richtigkeit überprüfen lassen müssen. Vielmehr liegt die Annahme nahe, dass nach der Überprüfungsmöglichkeit durch einen Sachverständigen im Vorfeld der Hauptverhandlung die Richtigkeit der Messung bestätigt wird und der Betroffene daraufhin seinen Einspruch zurücknimmt oder auf die Rechtsfolgen beschränkt (vgl. AG St Ingbert aaO.).

3. Wenn man nun – nach den obigen Erwägungen – aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Recht auf ein faires Verfahren den Anspruch des Betroffenen auf Einsicht und Herausgabe der Rohmessdaten bejaht, damit dieser in die Lage versetzt wird, im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens konkrete Messfehler vortragen zu können, müssen diese Messdaten für den Betroffenen nach Ansicht des Gerichts auch nutzbar und dürfen nicht nahezu nutzlos sein.

a) Im vorliegenden Fall hat der Betroffene die Falldateien zwar anstandslos erhalten und diese einem von ihm beauftragten Sachverständigen übergeben, damit dieser die Messung überprüfen kann. Dies war dem vom Betroffenen beauftragten Sachverständigen jedoch nicht möglich, da – wie der gerichtliche Sachverständige festgestellt hat, weder Rohdaten noch insbesondere die Zeitdifferenzen zwischen Messstart und Messende vom Messgerät selbst nicht mehr gespeichert werden, obwohl dies technisch problemlos möglich wäre. Dadurch ist es einem vom Betroffenen bestellten – und darüber hinaus auch einem vom Gericht bestellten Sachverständigen – nicht mehr möglich, die Messung und insbesondere das Messergebnis auf seine Plausibilität zu überprüfen. Damit aber wird der Betroffene gerade nicht in die Lage versetzt, etwaige Messfehler vortragen zu können. Nach den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen ist eine Überprüfung der Messung insbesondere der vorgeworfenen Geschwindigkeit aufgrund der Nichtspeicherung der Rohdaten, insbesondere der Zeitdifferenz zwischen Messstart und Messende schlichtweg nicht möglich.

b) Dadurch wird der Betroffene aber letztlich nach Ansicht des Gerichts so massiv in seinen Verteidigungsmöglichkeiten beschränkt, dass nicht mehr von einem tauglichen Beweismittel ausgegangen werden kann. Denn wie dargelegt muss der Betroffene nach Auffassung des Gerichts bei der Annahme eines standardisierten Messverfahrens zumindest in die Lage versetzt werden, konkrete Messfehler aufzeigen zu können und hierfür die Messung – im Vorfeld der Hauptverhandlung – überprüfen zu können. Hierzu sind ihm sämtliche relevanten Messdaten zur Verfügung zu stellen, sofern dies technisch machbar ist. Denn wenn dem Betroffenen schon auferlegt wird, den Nachweis eines Messfehlers zu führen, müssen ihm dazu auch sämtliche taugliche Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Denn nach Auffassung des Gericht darf die Annahme eines standardisierten Messverfahrens schon aus Gründen des Rechtsstaatsprinzips im Hinblick auf den Grundsatz der rechtlichen Gehörs und des Rechts auf ein faires Verfahren nicht dazu führen, dass der Betroffene überhaupt keine Möglichkeit mehr hat, sich gegen den Tatvorwurf zu wehren (vgl AG St Ingbert aaO.).