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FABS, oder: Absolutes Verwertungsverbot überlagert das Tattagprinzip

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Der zweite Beitrag ist dann der Hinweis auf das BVerwG, Urt. v. 18.06.2020 – 3 C 14/19. Also schon etwas älter und inzwischen ja auch schon an vielen Stellen veröffentlicht. Ich hatte erst nur die PM des BVerwG und wollte warten, bis der Volltext vorliegt. Dabei ist mir das Urteil aus den Augen geraten. Dann aber heute doch noch – der Vollständigkeit halber.

Und dann nehme ich jetzt auch die PM 🙂 :

„Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass das Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG das für die Berechnung des Punktestandes maßgebliche Tattagprinzip des Fahreignungs-Bewertungssystems (§ 4 Abs. 5 Satz 5 bis 7 StVG) überlagert und begrenzt. Die Löschung einer Eintragung im Fahreignungsregister, die ein Jahr nach Tilgungsreife erfolgt (sog. Überliegefrist), hat auch in den Fällen, in denen der Zeitpunkt der Löschung zwar nach dem maßgeblichen Tattag, aber vor dem der Ergreifen einer Maßnahme liegt, zur Folge, dass diese Eintragung nicht mehr zum Nachteil des Betroffenen verwertet werden darf.

Der Kläger wandte sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis auf der Grundlage des Fahreignungs-Bewertungssystems (§ 4 StVG). Mit der Begehung einer weiteren rechtskräftig geahndeten Verkehrsordnungswidrigkeit am 19. Juli 2015 hatte er einen Stand von acht Punkten im Fahreignungsregister erreicht. Bei einem solchen Punktestand gilt der Betroffene gemäß § § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Daraufhin entzog ihm die Beklagte mit Bescheid vom 24. November 2016 die Fahrerlaubnis.

Seine Klage hat das Verwaltungsgericht München abgewiesen. Die Fahrerlaubnisentziehung sei nicht deshalb rechtswidrig, weil die Eintragungen zu mit insgesamt vier Punkten zu bewertenden Ordnungswidrigkeiten zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses bereits zu löschen gewesen seien. Nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG sei für den Punktestand auf den maßgeblichen Tattag abzustellen; das sei hier der 19. Juli 2015. Zu diesem Zeitpunkt seien diese Eintragungen noch nicht zu tilgen gewesen. Auf die Berufung des Klägers hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung geändert und den Bescheid insoweit aufgehoben. Die Beklagte habe beim Erlass des Bescheides Ordnungswidrigkeiten berücksichtigt, die dem Kläger gemäß § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG zu diesem Zeitpunkt wegen ihrer Löschung nicht mehr zur Beurteilung seiner Fahreignung hätten vorgehalten und zu seinem Nachteil verwertet werden dürfen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat das Berufungsurteil bestätigt. Das Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG greift auch bei Eintragungen zu punktebewehrten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr, die im Fahreignungsregister zwar nicht bis zu dem nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG maßgeblichen Tattag, aber vor dem Ergreifen der nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem vorgesehenen Maßnahme zu löschen sind. Nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG hat die Löschung einer Eintragung, die gemäß § 29 Abs. 6 Satz 2 StVG nach Ablauf der Überliegefrist von einem Jahr nach Eintritt der Tilgungsreife erfolgt, ein absolutes Verwertungsverbot zur Folge. Dieses Verwertungsverbot überlagert und begrenzt das für die Berechnung des Punktestandes nach § 4 Abs. 5 Satz 5 bis 7 StVG maßgebliche Tattagprinzip. Die entsprechenden Punkte müssen daher unberücksichtigt bleiben.“

Der Leitsatz der Entscheidung lautet:

Das absolute Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG überlagert und begrenzt das Tattagprinzip nach § 4 Abs. 5 Satz 5 bis 7 StVG.

Punktereform: Tattagprinzip auch bei Tilgungsfristen?

FAERDie Punktereform ist nun mehr als ein Jahr alt und man trifft derzeit vornehmlich (noch) auf Entscheidungen, die sich mit der Übergangsregelung befassen bzw. „in deren Dunstkreis tätig sind. So auch der VGH Bayern, Urt. v. 15.04.2015, 11 BV 134/15, der sich u.a. auch mit dem (neu eingeführten) Tattagsprinzip befasst. Der Beschluss lässt sich in etwa wie folgt zusammenfassen:

Für die Tilgungsfristen für Ordnungswidrigkeiten findet das (neue) Tattagprinzip keine Anwendung. Der Beginn der Tilgungsfrist ist in § 29 Abs. 4 StVG so geregelt, dass diese erst mit Rechtskraft zu laufen beginnt. Das Tattagprinzip findet demgegenüber nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG nur auf die Berechnung des Punktestands Anwendung. Wird eine vor der Rechtsänderung zum 01.05.2014, aber erst danach im Fahreignungsregister eingetragenen Zuwiderhandlung begangen, erfolgt die Berechnung des Punktestands am Tattag durch Umrechnung des nach altem Recht bestehenden Punktestands nach der Tabelle des § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG und Addition der nach neuem Recht neu hinzukommenden Punkte.

Ist alles nicht so ganz einfach und man kann schnell den Überblick verlieren.

P.S. Ausnahmsweise mal ein Link zu open.jur, da meine Homepage derzeit nicht erreichbar ist 🙁 . Nachdem die HP dann wieder erreichbar, geht der Link auch zu meiner HP. Vielen Dank open.jur für das Asyl. 🙂

Wenn Verwaltungsgerichte zweifeln – hier an der Übergangsregelung der „Punktereform“

FAERDie zum 01.05.2014 in Kraft getretene Punktereform kommt allmählich in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte an. Ich war dazu schon vor einigen Tagen auf den VG Freiburg, Beschl. v. 20.06.2014 – 5 K 1143/14 – gestoßen, zu dem ich bloggen wollte. Hat sich erledigt. Ich kann besser gleich die inzwischen dazu vorliegende Rechtsmittelentscheidung des VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 02.09.2014, Az.: 10 S 1302/14 nehmen, der die Entscheidung des VG Freiburg bestätigt hat.

In der Sache geht es um eine interessante Frage aus dem Übergangsrecht, nämlich: Kann das das Erreichen bzw. Überschreiten der 18 Punkte-Schwelle nach altem Recht mit der Bewertung von 5 Punkten für eine Verwarnung unter Strafvorbehalt wegen fahrlässiger Körperverletzung begründet werden? Denn die Übergangsregelung in § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG ordnet die Löschung von Eintragungen ab dem 01.05. 2014 an, wenn diese nach dem neuen Recht nicht mehr zu speichern wären.

Das Verhältnis dieser Löschungsregelung zum Tattag-Prinzip, welches besagt, dass spätere Tilgungen wegen Zeitablauf, nicht mehr zu berücksichtigen sind, wenn einmal 18 Punkte nach altem Recht erreicht waren bzw. 8 Punkte nach neuem Recht erreicht werden, erscheint sowohl dem VGH als auch dem VG unklar und in den Übergangsregelungen in § 65 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 StVG n.F. möglicherweise nicht bedacht. Im Unterschied zur Tilgung früherer Verkehrsverstöße erfolge eine Löschung nach § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG nicht wegen eines Zeitablaufs, sondern wegen der Wertung des Gesetzgebers, dass bestimmte früher eintragungspflichtige Verkehrsverstöße nicht mehr für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen erheblich sein sollen. Dies könnte – so die beiden Entscheidungen –  dafür sprechen, eine solche Löschung gem. § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG n.F. abweichend vom Tattagprinzip zu berücksichtigen. Denn es leuchtet nicht ohne weiteres ein, dass ein nicht mehr eintragungswürdiger Verkehrsverstoß letztlich den Ausschlag für eine Entziehung der Fahrerlaubnis geben können soll.

Deshalb – so der VGH:

„Nach alldem bestehen Zweifel, ob das materielle Recht gebietet, bei der Widerspruchsentscheidung auch in der vorliegenden Konstellation auf den Zeitpunkt der Tatbegehung abzustellen. Die aufgeworfenen Rechtsfragen sind jedenfalls nicht ohne weiteres zu Lasten des Antragstellers zu beantworten und bedürfen einer Klärung im Verfahren der Hauptsache (ebenso für die Prozesskostenhilfe: Sächs.OVG, Beschluss vom 31.07.2014 – 3 B 152/14 – juris; für die Anwendung des im Zeitpunkt der Entziehungsverfügung geltenden Rechts, aber wohl nur aufgrund des Wegfalls des Widerspruchsverfahrens: OVG NRW, Beschluss vom 28.07.2014 – 16 B 752/14 – juris).“