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Verkehrsrecht I: Fahren ohne Fahrerlaubnis, oder: Geschehnisse am Tatort/Fahrt zum bzw. vom Tatort

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Heute stelle ich dann seit längerem man wieder Entscheidungen mit verkehrsrechtlichem Einschlag vor.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 23.09.2020 – 2 StR 606/19. Der BGH behandelt den Umfang der Anklage beim Fahren ohne Fahrerlaubnis.

Das LG hatte in einem ersten Durchgang den Mitangeklagten D. wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung  zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Den Angeklagten und einen weiteren Mitangeklagten hatte es vom Vorwurf, durch dieselbe Handlung gemeinschaftlich mit D. und dem gesondert verfolgten R. eine besonders schwere räuberische Erpressung und gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers begangen zu haben, freigesprochen. Dagegen dann die Revision. Der BGH hatte den Freispruch aufgehoben

Das LG hat den Angeklagten dann im zweiten Durchgang wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung sowie vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten. Und die Hat insoweit Erfolg, als der Angeklagte wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden ist. Der BGH hat eingestellt. Grund: Keine Anklage:

„1. Das Verfahren ist gemäß § 206a Abs. 1, § 354 Abs. 1 analog StPO auf Kosten der Staatskasse (§ 467 Abs. 1 StPO) einzustellen, soweit das Landgericht den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen verurteilt hat. Insofern besteht ein Verfahrenshindernis, weil die Taten nicht Gegenstand der Anklage sind und eine Nachtragsanklage (§ 266 Abs. 2 StPO) nicht erhoben worden ist.

a) Die Urteilsfindung hat die Tat im verfahrensrechtlichen Sinne zum Gegenstand (§ 264 Abs. 1 StPO). Diese bestimmt sich nach dem von der zugelassenen Anklage umschriebenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Sie erstreckt sich auf das gesamte Verhalten des Täters, das nach natürlicher Auffassung ein mit diesem geschichtlichen Vorgang einheitliches Geschehen bildet (BGH, Beschluss vom 27. November 2011 – 3 StR 255/11, NStZ 2012, 168, 169 mwN). Liegen nach dieser Maßgabe verschiedene Lebenssachverhalte und mithin mehrere selbständige prozessuale Taten vor, so sind diese nur dann voll umfänglich Gegenstand der Urteilsfindung, wenn sich nach dem aus der Anklageschrift erkennbaren Willen der Staatsanwaltschaft ergibt, dass sie sämtlich einer Aburteilung zugeführt werden sollen (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 3 StR 407/12, juris Rn. 10 mwN; vgl. auch BeckOK-StPO/Eschelbach, 37. Ed., § 264 Rn. 16 f.).

b) Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hat dem Angeklagten zur Last gelegt, am 28. Juni 2017 gemeinsam mit dem Mitangeklagten D. tateinheitlich eine besonders schwere räuberische Erpressung sowie eine gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers in einer Gartenlaubenkolonie in D. begangen zu haben. Der Vorwurf, der Angeklagte habe auf der Hin- und Rückfahrt zur Kleingartenanlage vorsätzlich ein Fahrzeug ohne die erforderliche Fahrerlaubnis geführt, wird in der Anklage nicht thematisiert. Diese führt im Anklagesatz (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO) lediglich aus, beide Angeklagten hätten sich auf der Grundlage des gemeinsamen Tatplanes, den Nebenkläger auszurauben, mit weiteren Tatgenossen zum Tatort begeben. Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird als Einlassung des Angeklagten geschildert, D. und er seien mit zwei weiteren Personen zu der Gartenlaube hin- gefahren. In der Darstellung der Aussage eines weiteren Zeugen findet sich der Hinweis, dieser habe vor der Gartenkolonie einen goldfarbenen Pkw Mercedes Benz wahrgenommen, der dem Angeklagten zuzuordnen sei. Wie der Angeklagte und seine Tatgenossen den Tatort verließen, wird in der Anklage nicht ausgeführt.

c) Danach stellen die Geschehnisse auf der Gartenparzelle mit der Fahrt zur bzw. von der Kleingartenanlage weder eine einheitliche prozessuale Tat dar, noch wird deutlich, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft auch auf die An- bzw. Abreise des Angeklagten zum Tatort erstreckte.

aa) Die An- bzw. Abfahrt vom Tatort verbindet mit dem Tatgeschehen auf der Gartenparzelle kein einheitlicher Lebenssachverhalt; es besteht keine prozessuale Tatidentität i.S.d. § 264 Abs. 1 StPO.

(1) Von prozessualer Tatidentität kann ohne Weiteres ausgegangen werden, wenn mehrere Taten materiellrechtlich zueinander im Verhältnis der Tateinheit nach § 52 Abs. 1 StGB stehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 1977 – 2 BvR 674/77, juris Rn. 4). Mehrere sachlichrechtlich selbständige Handlungen im Sinne von § 53 Abs. 1 StGB bilden nur dann eine einheitliche prozessuale Tat im Sinne von § 264 Abs. 1 StPO, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zugrunde liegenden Vorkommnisse unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 2. April 2015 – 3 StR 642/14, juris Rn. 6; Beschluss vom 24. November 2004 – 5 StR 206/04, BGHSt 49, 359, 362 f. mwN).

(2) Es kann danach offenbleiben, ob der Ansicht der Strafkammer zu folgen ist und das Geschehen auf der Gartenparzelle sowie die An- bzw. Abfahrt des Angeklagten zur Gartenkolonie als tatmehrheitliche Taten zu werten sind (vgl. zum Konkurrenzverhältnis bei Fahren ohne Fahrerlaubnis BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2018 – 4 StR 149/18, juris Rn. 6; SSW-StGB/Ernemann, 4. Aufl., § 316 Rn. 40, jeweils mwN). Die dafür erforderliche Zäsur im Geschehensablauf wird bei der Begehung eines Dauerdelikts insbesondere dann angenommen, wenn der Täter während des Dauerdelikts den Entschluss zur Begehung einer schweren Tat fasst (vgl. SSW-StGB/Eschelbach, 4. Aufl., § 52 Rn. 44 mwN). Jedenfalls besteht im vorliegenden Fall mangels einheitlichen Lebenssachverhalts keine prozessuale Tatidentität, wie sie § 264 Abs. 1 StPO voraussetzt.

bb) Ein einheitliches Verfolgungsinteresse der unterschiedlichen Lebenssachverhalte lässt sich den Akten nicht entnehmen.

(1) Die Entscheidung darüber, ob eine gesonderte Tat angeklagt wird, obliegt der Staatsanwaltschaft, die ihre Entscheidung durch die Prozesserklärung in der Anklageschrift kundtun muss. Erforderlich ist, dass die Anklageschrift den Verfolgungswillen hinsichtlich selbständiger Taten klar erkennen lässt (BeckOK-StPO/Eschelbach, aaO, Rn. 17). Hieran fehlt es.

(2) Der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hat sich auf das Geschehen auf der Gartenparzelle gerichtet, auf der die besonders schwere räuberische Erpressung und die gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers nach dem Anklagevorwurf stattfanden. Der gesamte Anklagesatz hat ausschließlich die Tathandlungen zum Nachteil des Nebenklägers zum Gegenstand und beschreibt lediglich einleitend, der Angeklagte habe sich mit seinen Tatgenossen zu der Gartenlaubenkolonie begeben. Die An- und Abfahrt zum bzw. vom Tatort finden hingegen keine Erwähnung. Aus der Darstellung im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, der Angeklagte sei mit D. und zwei weiteren Per- sonen zur Gartenlaube „hingefahren“, kann kein Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Vorwurfs des Fahrens ohne Fahrerlaubnis abgeleitet werden. Es wird weder dargestellt, dass der Angeklagte das Fahrzeug steuerte noch, dass dieser nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis gewesen sei. Die Anklage beschreibt damit an dieser Stelle lediglich die Vorgeschichte zur Tat, ohne dass die Staatsanwaltschaft die Fahrt zur Gartenkolonie zur Anklage bringen wollte. Gleiches gilt für den Umstand, dass bei der Darstellung eines Zeugen geschildert wird, dieser habe vor der Gartenkolonie einen goldfarbenen Pkw Mercedes Benz wahrgenommen, der dem Angeklagten zuzuordnen war. Dieser Hinweis diente erkennbar dem Zweck, die Identifikation des Angeklagten als einen der Mittäter zu belegen, nicht aber, ihn wegen der An- bzw. Abfahrt zur Gartenkolonie zu verfolgen.“

Mobiltelefon und Beleidigung ==> Tatidentität, oder: Strafklageverbrauch

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Die zweite Entscheidung kommt heute vom KG. Das behandelt im KG, Beschl. v. 12.10.2018 – 3 Ws (B) 250/18 – die Frage von „ne bis in idem“, also Strafklageverbrauch, bei Zusammentreffen von Straftat und Ordnungswidrigkeit. Eine Frage, die in der Praxis immer wieder von Bedeutung sein kann.

Gegenstand des Verfahrens beim KG war der Vorwurf, der Betroffene habe entgegen § 23 Abs. 1a StVO als Führer eines Kraftfahrzeugs während einer Fahrt auf der Rudower Straße/Johannisthaler Chaussee am 16.11.2017 um 23.40 Uhr wissentlich auf ein in seiner rechten Hand gehaltenes, eingeschaltetes Mobiltelefon geschaut. Der Betroffene wurde in der Folge durch Polizeibeamte, die den vorgeworfenen Verkehrsverstoß beobachtet haben wollen, wegen des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit angehalten. Während dieser polizeilichen Überprüfung in der Rudower Straße, Höhe Hausnummer 135, äußerte der Betroffene um 23.45 Uhr zu dem Polizeibeamten POM X in ehrverletzender Absicht die Worte „Halts Maul, schrei nicht so und verpiss Dich!“ Insoweit hat die Staatsanwaltschaft ein gesondertes Verfahren wegen des Vorwurfs der Beleidigung (§ 185 StGB) eingeleitet, in dem der Betroffene durch Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 16.08.2018, rechtskräftig seit 06.09.2018, zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen verurteilt wurde.

Das KG hat im Zulassungsverfahren das Verfahren wegen des Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO eingestellt. Es geht von Tatidentität und damit von „Strafklageverbrauch“ durch den rechtskräftigen Strafbefehl aus:

„c) Vorliegend ist gleichfalls Tatidentität anzunehmen, da das im Strafbefehlsverfahren geahndete Vergehen dieselbe Tat im prozessualen Sinne wie die im angegriffenen Urteil betrifft. Der motivische Anlass der Beleidigung des Polizeibeamten war das Anhalten und die Überprüfung des Betroffenen unter Eröffnung des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit. Der vorgeworfene Verkehrsverstoß und das Vergehen sind mithin nicht nur sachlich eng verknüpft. Da der Betroffene unmittelbar – wie sich aus den jeweiligen Tatzeiten und Örtlichkeiten ergibt – nach dem Verdacht einer Ordnungswidrigkeit angehalten wurde, besteht zudem ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang. Es kann folglich auch nicht darauf ankommen, dass der vom Amtsgericht festgestellten Ordnungswidrigkeit und der anschließenden Straftat verschiedene innere Vorgänge des Betroffenen zu Grunde lagen. Denn diese inneren Vorgänge traten in einem so engen zeitlichen Zusammenhang auf, dass diese sich nach der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise nicht trennen lassen, sondern einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang darstellen. Es ist daher auch ohne Bedeutung, dass materiell-rechtlich die Ordnungswidrigkeit bereits beendet war, als die Beleidigung geäußert wurde.“

Geht natürlich auch „andersherum“.

Zwei Fliegen mit einer Klappe bzw. zwei auf einen Streich

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Im Straf-/Verkehrsrecht ist folgende Konstellation häufiger anzutreffen. Dem Angeklagten wird ein Verstoß gegen das BtM-Gesetz zur Last gelegt, in Zusammenhang damit kommt es zu einer Fahrt mit einem Pkw. So auch im BGH, Beschl. v. 3. 5. 2012 – 3 StR 109/12: Da war es bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; die Betäubungsmittel hatte der Angeklagte in einem Wald versteckt. Von dort holt er sie ab. Nach der Abholung gerät der Angeklagte mit seinem Pkw in eine Polizeikontrolle. Eine  Blutprobe ergibt eine BAK von 1,43 Promille sowie Hinweise auf Cannabiskonsum. Insoweit leiteten die Strafverfolgungsbehörden ein gesondertes Verfahren wegen des Vorwurfs der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) ein, in dem der Angeklagte durch Strafbefehl rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Außerdem liegt gegen ihn ein davor ergangenes Urteil des LG vor, das den Angeklagten wegen des BtM-Handels verurteilt. Damit hat es der BGh zu tun.

Auf die Revision hin stellt der BGH ein:

„Dem weiteren Verfahren steht ein dauerndes Verfahrenshindernis entgegen, weil durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Neuss, der in seinen Wirkungen einem rechtskräftigen Urteil gleichsteht (§ 410 Abs. 3 StPO), Strafklageverbrauch eingetreten ist.
Der Strafbefehl betrifft dieselbe Tat wie das vorliegende Verfahren. Der Begriff der Tat im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG, § 264 Abs. 1 StPO bezeichnet dabei den geschichtlichen und dadurch zeitlich wie sachverhaltlich begrenzten Vorgang, auf den Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2009 – 3 StR 566/08, BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 47). Danach stehen die vom Angeklagten begangene Trunkenheitsfahrt (§ 316 Abs. 1, Abs. 2 StGB) und der von ihm gleichzeitig verwirklichte Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Verhältnis der prozessualen Tatidentität. Denn die Fahrt diente … gerade dem Transport der Betäubungsmittel, so dass das Mitführen der Betäubungsmittel nicht nur in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang, sondern – darüber hinaus – in einem inneren Beziehungs- oder Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang stand (vgl. dazu BGH aaO.; Beschluss vom 27. April 2004 – 1 StR 466/03, BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 41).

Da der Besitz der für den Weiterverkauf bestimmten hälftigen Menge der Betäubungsmittel in nicht geringer Menge wiederum einen unselbständigen Teilakt des beabsichtigten Handeltreibens mit dieser hälftigen Menge darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2011 [richtigerweise 2010] – 4 StR 521/10, NStZ-RR 2011, 90), kann der Angeklagte wegen … bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) insgesamt nicht bestraft werden. Dies gilt mit Blick auf den hierzu in Tateinheit stehenden Besitz der zum Eigenverbrauch bestimmten hälftigen Menge der Betäubungsmittel in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) und den hiervon als subsidiär verdrängten Erwerb dieser Menge (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 9 BtMG) in entsprechender Weise.“

Dass dem BGH das Ergebnis nicht passt, kann man deutlich merken. denn wie anders soll man sonst folgende Formulierung verstehen:

„Der Vorgang belegt erneut, dass die oft geübte Praxis, Verkehrsdelikte auch dann gesonderter Bearbeitung zuzuführen, wenn sie im Zusammenhang mit Delikten der allgemeinen Kriminalität begangen wurden, nicht unproblematisch ist.“

AG/LG – Deckungsgleiche Taten?

Die Tat, über die das LG im Berufungsverfahren entscheidet sollte schon die sein, die auch Gegenstand des amtsgerichtlichen Urteils gewesen ist. Zu Abweichungen ist es da beim AG Hameln/LG Hannover gekommen:

  • Das AG geht von einem Führen ohne Fahrerlaubnis am 26.10.2010 aus.
  • Das LG geht von einem Führen ohne Fahrerlaubnis am 27.102.2010 aus.

Ergebnis des Revisionsverfahrens beim OLG Celle: Einstellung des Verfahrens wegen der Tat vom 27.10.2010 und Zurückverweisung an das LG. Der OLG Celle, Beschl. v. 28.03.2012 – 32 Ss 36/12 – geht von fehlender Tatidentität aus:

Gemäß § 264 Abs. 1 StPO ist Gegenstand der Urteilsverkündung allein die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. Wenn sich das Urteil nicht auf die Tat erstreckt, die Gegenstand der Anklage gewesen ist, so führt dies zu einem absoluten Verfahrenshindernis, das vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten ist (vgl. OLG Hamm, NStZ?RR 1997, 139 m. w. N.).

Dies ist hier der Fall. Es fehlt an der Identität der Tat, die Gegenstand des angefochtenen Urteils war, mit derjenigen, die durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Hameln vom 10.06.2010 und dem erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts Hameln vom 27.07.2010 bezeichnet ist. Im Strafbefehl wird der Tatort mit „H.“ und die Tatzeit mit dem 26.01.2010 angegeben, im Berufungsurteil bleibt der Tatort offen („der Angeklagte wollte das Fahrzeug nach H. zurückführen“), die Tatzeit wird auf den 27.01.2010 datiert.

Die Gründe des angefochtenen Urteils lassen damit nicht erkennen, ob es sich bei der dort festgestellten Tat um diejenige handelt, die Gegenstand des Strafbefehls und des erstinstanzlichen Urteils war. Zwar kann im Einzelfall auch bei einer Abweichung  der Angaben von Anklageschrift und Urteil zur Tatzeit und/oder zum Tatort die prozessuale Tat noch hinreichend individualisiert werden, dies setzt aber voraus, dass jedenfalls bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges unverwechselbares Geschehen kennzeichnen und trotz der Abweichungen deutlich wird, dass es sich um dasselbe Geschehen handelt (vgl. BGH NStZ 2002, 659, Rdnr. 6 nach juris; Senat, Urteil vom 12.06.1997, 22 Ss 110/97, NStZ?RR 1997, 367). Jedoch liefern die Feststellungen des angefochtenen Urteils abgesehen vom Tattag, dem Kennzeichen des Kleintransporters sowie der Tatsache, dass der Angeklagte beim Führen dieses Fahrzeugs von der Polizei angehalten wurde, keine weiteren Details. Weder teilt das Urteil mit, ob das Fahrzeug die F. Straße in H. befahren hat, noch, an welcher Stelle der Angeklagte angehalten wurde, als er das Fahrzeug nach H. zurückführen wollte.

Somit bleibt es allein bei dem Kennzeichen des benutzten Fahrzeuges als übereinstimmende Angabe zur Tat im Strafbefehl, im erstinstanzlichen Urteil und im Berufungsurteil. Aus der Angabe dieses Kennzeichens lässt sich unter den konkreten Umständen die Tat aber nicht hinreichend individualisieren. Der Angeklagte ist tätig als Auslieferungsfahrer und bei dieser Gelegenheit soll er die ihm vorgeworfene Tat begangen haben. Ohne nähere Feststellungen liegt deshalb die Annahme fern, er habe das Tatfahrzeug nur ein einziges Mal, nämlich bei der konkreten Tat, benutzt.

Die Argumentation zum Aushilfsfahrer kann mann ggf. auch in anderen Fällen nutzen.

Opfer kann Kronzeuge sein

Der BGH hat jetzt in seinem für BGHSt bestimmten Urteil v. 19.05.2010 – 5 StR 182/10 zum neuen § 46b StGB – Kronzeugenregelung – Stellung genommen. Danach kann auch das Tatopfer “Kronzeuge” sein, da § 46b StGB auch auf das Opfer einer in § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 100a Abs. 2 StPO bezeichneten Tat anwendbar ist. Der BGH geht davon aus, dass die Tat, wegen der der Angeklagte angeklagt ist, nicht mit der Tat identisch sein muss, über die er Erkenntnisse geliefert hat.

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