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Grobe Fahrlässigkeit und StrEG-Entschädigung, oder: Billigkeitserwägungen?

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Heute Gebührentag – also RVG-Entscheidungen. Aber da mein Ordnet zu der Thematik leer ist, gibt es heute eine Entscheidung zum StrEG und eine kostenrechtliche.

Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 02.02.2022 – 2 Ws 144/21 – zum StrEG, und zwar zur Anwendung zivilrechtlicher Zurechnungsmaßstäbe im Rahmen des § 5 Abs. 2 StrEG. Dem ehemaligen Beschuldigten wurde mit dem Unterbringungsbefehl des AG eine versuchte Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 4, § 22, § 23 StGB zur Last gelegt. Er soll in einem S-Bahn-Waggon mit einem Streichholz den Stoffbezug einer Sitzbank entzündet haben, der hierdurch auf einer Fläche von 3 x 5 cm in Brand geraten sein soll und dabei die Inbrandsetzung des gesamten Wagons zumindest billigend in Kauf genommen haben. Der an einer paranoiden Schizophrenie leidende Beschuldigte ist am 14.03.2021 vorläufig festgenommen worden, seine einstweilige Unterbringung gemäß § 126a StPO wurde bis zum 08.10.2021 im Krankenhaus des Maßregelvollzugs Berlin vollzogen.

Im Sicherungsververfahren hat das LG mit Urteil vom 08.10.2021 von der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen und festgestellt, dass ein Anspruch auf eine Entschädigung für die einstweilige Unterbringung nicht bestehe. Gegen die Versagung der Entschädigung wendet sich der ehemalige Beschuldigte mit seiner sofortigen Beschwerde. Die hatte Erfolg.

Das KG führt u.a. aus:

„4) Für die vom Landgericht angenommene entsprechende Anwendung des § 829 BGB im Rahmen des § 5 Abs. 2 StrEG ist kein Raum (offen gelassen: BGH, Beschluss vom 29. November 1978 aaO). Es fehlt an der für eine analoge Anwendung vorausgesetzten Vergleichbarkeit der Interessenlage und an einer planwidrigen Regelungslücke.

a) Gemäß § 829 BGB hat – sofern der Schadensersatz nicht von einem aufsichtspflichtigen Dritten erlangt werden kann – eine nach §§ 827, 828 BGB nicht verantwortliche Person gleichwohl den von ihr verursachten Schaden insoweit zu ersetzen, als die Billigkeit nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten, eine Schadloshaltung erfordert und ihm nicht die Mittel entzogen werden, deren er zum angemessenen Unterhalt sowie zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf. Die Norm beruht auf dem schlichten Rechtsgedanken, dass der wohlhabende Täter auch dann subsidiär für die Vermögensverluste der anderen Seite einstehen soll, wenn er aufgrund fehlenden Entwicklungsstandes oder geistiger Störung für die Folgen seiner Tat nicht verantwortlich gemacht werden kann (vgl. Staudinger/Oechsler aaO § 829 Rn. 1). Der ursprünglich allgemein als „Millionärsparagraph“ bezeichnete § 829 BGB (vgl. BGH NJW 1980, 1623, 1624; BGH NJW 1958, 1630, 1632) ist als Ausfallhaftung zu verstehen, die ausnahmsweise den nicht verantwortlichen Verursacher zum Schadensersatz verpflichtet, sofern die wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen Schädiger und Geschädigtem eine Schadloshaltung des Letzteren erfordern. Seinem Zweck nach ist er als Kompensation für die nach §§ 827, 828 BGB verursachten Härten und als Ausdruck der Verteilungsgerechtigkeit zu begreifen (vgl. BeckOGK/Schneider, 1.11.2021, BGB § 829 Rn. 2). Die aufgrund der identischen Interessenlage nach ganz herrschender Meinung anerkannte „spiegelbildliche Anwendung“ des § 829 BGB im Rahmen des Mitverschuldens gemäß § 254 BGB (vgl. Staudinger aaO Rn. 66 mwN; BeckOGK/Schneider aaO Rn. 27 mwN) führt indes – anders als das Landgericht annimmt – nicht zu einer entsprechenden Anwendung auch im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG. Denn die Interessenlage ist nicht vergleichbar.

Während der primäre Zweck der entsprechenden Anwendung des § 829 BGB im Rahmen des § 254 BGB die Vermeidung unbilliger wirtschaftlicher Härten darstellt (vgl. Staudinger/Oechsler aaO Rn. 67), verfolgt der Entschädigungsausschluss des § 5 Abs. 2 StrEG einen anderen Zweck. Hier geht es um die Versagung einer Entschädigung an denjenigen, der sie nicht verdient, weil er durch sein eigenes Verhalten die Strafverfolgungsmaßnahme ausgelöst hat (vgl. Kunz aaO Rn. 40) und nicht um den Schutz des Staatshaushalts unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten.

b) Die entsprechende Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften im Rahmen des § 5 Abs. 2 StrEG beschränkt sich damit auf Fragen der Zurechnung. Raum für außerhalb des StrEG normierte Billigkeitserwägungen besteht nicht. Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, eine planwidrige Regelungslücke liegt nicht vor. Den Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass sich der Gesetzgeber der Frage von Billigkeitserwägungen im Rahmen des Entschädigungsanspruchs bewusst war. Der Rechtsausschuss hat im Gesetzgebungsverfahren „den Antrag abgelehnt, die Versagungsgründe um eine Generalklausel zu ergänzen, wonach die Entschädigung soll versagt werden können, wenn ihre Gewährung ‚angesichts der besonderen Umstände des Falles offensichtlich unbillig‘ sei. Nach Auffassung der Mehrheit würde eine solche Klausel dem Gericht einen zu weiten Ermessensspielraum einräumen, aus dem Rechtsanspruch auf Entschädigung praktisch einen Billigkeitsanspruch machen (…)“ (vgl. BT-Drucks. VI/1512 S. 3). Danach ist von einer abschließenden Regelung im StrEG auszugehen.“

StrEG III: Verfahrenseinstellung nach § 170 StPO, oder: Keine Billigkeitsentscheidung – Cannabissamen aus NL?

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Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen zum StrEG, und zwar zur Entschädigung nach Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO, und zwar:

Stellung genommen hat zunächst das LG Mainz im LG Mainz, Beschl. v. 11.01.2022 – 3 Qs 79/21 – zur Frage: Entschädigung in den Fällen der Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO nach § 2 StrEG oder nach § 3 StrEG. Das LG sagt:

„Da die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO daher nicht als Ermessensentscheidung erging (vgl. KK-StPO/Moldenhauer, 8. Aufl. 2019, S 170 Rn. 13 f.), bestimmt sich die Entschädigungspflicht insoweit nur nach § 2 StrEG — nicht auch § 3 StrEG —, so dass sie unabhängig von einer Abwägung der Umstände des Einzelfalls und von Billigkeitsgründen besteht. Entsprechendes gilt auch, soweit der angefochtene Beschluss eine Entschädigungspflicht für die stattgehabte Durchsuchung feststellte, denn diese war — rechtskräftig festgestellt — rechtswidrig, so dass die Erledigung eines daran anknüpfenden Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft einzig nach § 170 Abs. 2 StPO und wiederum ohne Ermessen, nämlich aus tatsächlichen Gründen — wegen fehlenden Anfangsverdachts (vgl. KK-StPO/Moldenhauert a.a.O. Rn. 18) — in Betracht kam.“

Und dann noch der LG Magdeburg, Beschl. v. 25.01.2022 – 21 Qs 1/22, das ebenfalls meint, dass ein Fall des § 3 StrEG, in dem eine Entschädigung lediglich nach Ermessen im Umfang der Billigkeit nach den Umständen des Falles gewährt werden kann, bei einer Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO nicht vorliegt. Zudem macht das LG ganz interessante Ausführungen zu § 5 Abs. 2 StrEG in den Fällen der Bestellung von Cannabissamen in den Niederlanden:

„Es kann dahinstehen, ob die Anwendung dieser Vorschrift nach einer Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO überhaupt darauf gestützt werden kann, dass der ehemals Beschuldigte sich aufgrund einer eigenen Würdigung des Akteninhalts durch das entscheidende Gericht in Wahrheit im Sinne des ursprünglichen Tatvorwurfs strafbar verhalten habe. Denn jedenfalls vorliegend ist ein solches Verhalten dem Akteninhalt bereits nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu entnehmen. Zwar mag einiges für die Annahme sprechen, der ehemals Beschuldigte habe sich Cannabissamen aus den Niederlanden bestellt. Anders wäre die solche enthaltende an ihn adressierte Briefsendung kaum erklärlich. Jedoch stellt der Erwerb und Besitz von Cannabissamen nicht ohne weiteres vorwerfbares Verhalten dar. Nach Anlage I zum BtMG — Spiegelstrich „Cannabis“, Spiegelstich „ausgenommen“, Buchstabe a) — ist der Samen des Cannabis von den Betäubungsmitteln ausgenommen, sofern er nicht zum unerlaubten Anbau bestimmt ist. Hieraus folgt, dass verschiedene erlaubte Formen der Verwendung von Cannabissamen denkbar sind, etwa als Tierfutter (vgl. Patzak, in: Körner/PatzakNolkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Auflage 2019, § 29, Rn. 37 <beck-online>). Da bei der Wohnungsdurchsuchung keine anderweitigen mit dem Anbau von Betäubungsmitteln in Verbindung stehenden Utensilien bei dem ehemals Beschuldigten gefunden wurden, kann eine Bestellung von Cannabissamen zu erlaubten Zwecken vorliegend auch nicht aus-geschlossen werden. Da der erlaubte Erwerb von Cannabissamen also in Betracht kommt, kann hierin auch keine grobe Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Einleitung einer Strafverfolgungsmaßnahme liegen. Zwar ist das Entstehen eines Anfangsverdachts gegen den Adressaten durch das Auffinden von Cannabissamen in einer Briefsendung nachvollziehbar, weil nach kriminalistischer Erfahrung aus den Niederlanden bestellte Cannabissamen häufig zum unerlaubten Anbau von — und in der Folge Besitz von und Handel mit — Cannabis verwendet werden. Dies kann jedoch vor dem Hintergrund der ausdrücklichen gesetzlichen Einschränkung der Einordnung von Cannabissamen als Betäubungsmittel nicht dazu führen, dass jeder Umgang mit solchen ohne weiteres bereits als grob fahrlässig in Bezug auf entsprechende Straf-verfolgungsmaßnahmen anzusehen wäre.“

StrEG II: Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO, oder: Billigkeitsentscheidung ist eine Ausnahme

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In der zweiten Entscheidung geht es um die Entschädigung für eine Durchsuchung nach Einstellung des Verfahrens. Das AG hatte eine Entschädigung abgelehnt, das LG Flensburg bestätigt die Entscheidung im LG Flensburg, Beschl. v. 11.02.2022 – I Qs 54/20 – die Entscheidung:

„2. Soweit die sofortige Beschwerde der ehemals Beschuldigten zulässig ist, hat sie jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat, richtet sich die Frage einer Entschädigung im Hinblick auf die Durchsuchungsmaßnahme nach § 3 StrEG, der im Gegensatz zu § 2 StrEG eine Entschädigung nur nach Billigkeitsgesichtspunkten gewährt.

Die ganz herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur geht davon aus, dass die Billigkeitsentscheidung nach § 3 StrEG nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist. Voraussetzung ist, dass sich der Fall von anderen Fällen auffallend abhebt, wobei eine Entschädigung regelmäßig nur dann als billig angesehen werden kann, wenn der Vollzug der vorläufigen Strafverfolgungsmaßnahmen sich zum Zeitpunkt der Einstellung in der Rückschau als grob unverhältnismäßig herausstellt (OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.11.2012, Ws 321/12, zitiert nach juris) —insbesondere bei einer Einstellung nach § 153 StPO werden Billigkeitsgründe nur dann vorliegen, wenn der bei der Einstellung bestehende Tatverdacht erheblich hinter dem Tatverdacht zurück-bleibt, der zu der Verfolgungsmaßnahme geführt hat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 3 StrEG, Rn. 2).

Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Das Amtsgericht Flensburg hat die Durchsuchung mit Beschluss vom 30.05.2016 angeordnet unter anderem auch wegen des Verdachts der Hinterziehung von Umsatz-, Gewerbe- und Körperschaftssteuer. Im Hinblick auf diese Delikte war zum Zeitpunkt der Einstellungsentscheidung zwar kein Tatverdacht mehr bezüglich einer täterschaftlichen Begehung gegeben, wohl aber ein Tatverdacht bezüglich einer Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung der Umsatzsteuer für die Jahre 2013 und 2014, der Körperschaftssteuer für das Jahr 2013 sowie bezüglich einer Beihilfe zu einer versuchten Hinterziehung der Körperschaftssteuer 2014. Der gegen die ehemals Beschuldigte bestehende Tatverdacht blieb damit zum Zeitpunkt der Einstellungsentscheidung nicht erheblich hinter dem Tatverdacht zurück, der zur Anordnung der Durchsuchungsmaßnahme geführt hat, vielmehr hätte — wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat — auch dieser Verdacht einer Bei-hilfe zum Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses führen können, § 102 StPO, denn hierfür reicht, dass aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte oder aufgrund kriminalistischer Erfahrungen angenommen werden kann, dass der Verdächtige .als Teilnehmer einer Straftat in Betracht kommt. Als Verdachtsgrad genügt damit ein Anfangsverdacht (vgl. m.w.N.: BeckOK/Hegmann, StPO, 42. Edition, § 102, Rn. 1, zitiert nach beck-online).

Diese Voraussetzung war vorliegend auch zum Zeitpunkt der Einstellung erfüllt, denn ausweislich ihrer eigenen Ausführungen hat die ehemals Beschuldigte erkannt, dass die ihr vom Geschäfts-führer der „PP UG“ übermittelten Zahlen nicht plausibel waren, dennoch hat sie auf Basis dieser Zahlen die entsprechenden Voranmeldungen getätigt (vgl. BI. 79).“

 

StrEG I: Entschädigung für Untersuchungshaft?, oder: Fluchtversuch vor der Feststellung der Personalien

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Der Tag heute ist dann der Entschädigung nach dem StrEG gewidmet. Zu der Problematik haben sich in der letzten Zeit einige Entscheidungen angesammelt.

Hier zunächst der KG, Beschl. v. 07.05.2021 – 2 Ws 25/21 – zur Anwendung und den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 StrEG. Die Angeklagte ist frei gesprochen worden. Entschädigung für Untersuchungshaft hat das LG aber nicht gewährt, weil die ehemalige Angeklagte diese selbst „verursacht“ habe. Das KG schließt sich dem an:

§ 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG enthält einen Ausnahmetatbestand. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschuldigte Anlass zu der Strafverfolgungsmaßnahme gegeben hat, ist deshalb ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BGH StraFo 2010, 87; KG StraFo 2009, 129; KG, Beschlüsse vom 18. April 2007 – 4 Ws 47/04 – und 20. Juni 2006 – 4 Ws 41/05 –). Es reicht daher nicht aus, dass sich der Freigesprochene irgendwie verdächtig gemacht hat und die gesamte – allein oder überwiegend aufgrund anderer Beweismittel bestehende – Verdachtslage die ergriffene Strafverfolgungsmaßnahme rechtfertigt (vgl. BGH StraFo 2010, 87; Senat, Beschluss vom 11. Januar 2012 – 2 Ws 351/11 –, juris). Erforderlich ist vielmehr, dass er die Maßnahme durch die Tat selbst oder sein früheres oder nachfolgendes Verhalten ganz oder überwiegend verursacht hat (vgl. BGH bei Holtz MDR 1983, 450; KG StraFo 2009, 129; KG, Beschlüsse vom 20. Juni 2006 – 4 Ws 41/05 – und vom 9. März 1999 – 4 Ws 24/99 –, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl., § 5 StrEG Rn. 7). Das Verhalten des Freigesprochenen ist nicht oder nicht mehr ursächlich, wenn die Maßnahme auch unabhängig von seinem Verhalten, welches sicher festzustellen ist (vgl. OLG Köln StraFo 2001, 146), angeordnet oder aufrechterhalten worden wäre (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 255; OLG Oldenburg StraFo 2005, 384; KG StraFo 2009, 129) oder wenn sie allein oder im Wesentlichen auf anderen Beweisen beruht (vgl. Senat aaO mwN). Im Zweifelsfall ist zu seinen Gunsten zu entscheiden (vgl. KG StraFo 2009, 129; KG, Beschlüsse vom 18. April 2007 – 4 Ws 47/04 – und 20. Juni 2006 – 4 Ws 41/05 –).

Ob eine schuldhafte Verursachung vorliegt, ist ausschließlich nach zivilrechtlichen Zurechnungsgrundsätzen (§§ 254, 276, 277, 278 BGB) zu beurteilen (vgl. BGH bei Holtz MDR 1983, 450, 451; KG StraFo 2009, 129; Senat aaO mwN). Dabei steht eine Verletzung der dem Geschädigten obliegenden Schadensminderungspflicht einer Mitverursachung gleich (vgl. KG StraFo 2009, 129). Der Freigesprochene hat die Ermittlungsmaßnahme dann zumindest grob fahrlässig verursacht, wenn er nach objektiven, abstrakten Maßstäben in ungewöhnlichem Maße die Sorgfalt außer Acht lässt, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage aufwenden würde, um sich vor Schaden durch Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen (vgl. BGH StraFo 2010, 87; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl., § 5 StrEG Rn. 9), indem er schon einfachste, naheliegende Überlegungen anzustellen versäumt oder dasjenige nicht bedenkt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsste, und so die Maßnahme „geradezu herausfordert“ (vgl. KG StraFo 2009, 129; Senat aaO mwN).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht der Freigesprochenen eine Entschädigung für die vorläufige Festnahme und die erlittene Untersuchungshaft zu Recht versagt. Diese hat ihre vorläufige Festnahme sowie die Anordnung und den Vollzug der Untersuchungshaft grob fahrlässig verursacht.

Die Strafkammer hat im Urteil festgestellt (UA S.17), dass die Freigesprochene, ihren – deshalb verurteilten – Begleiter und Mitangeklagten V. am Abend des 11. Juli 2020, in der Nähe des U-Bahnhofs Gleisdreieck in Berlin aus geringer Entfernung dabei beobachtete, wie dieser dem Zeugen M. eine täuschend echt aussehende Spielzeugpistole an den Kopf hielt, um ihm zur Duldung der Wegnahme eines 50-Euro-Scheines zu veranlassen, den er ihm zugleich aus der Hosentasche zog. Danach sah sie zu, wie der Mitangeklagte diesen Geldschein an eine unbekannt gebliebene männliche Person weitergab. Kurze Zeit später war sie dabei, als der Mitangeklagte einen weiteren Mann kurz vor dem U-Bahnhof schlug und ihm einen unbekannt gebliebenen Gegenstand entwendete. Als eine Gruppe von Passanten darauf aufmerksam wurde und einzelne aus der Gruppe versuchten, den Mitangeklagten V. festzuhalten, stießen und zogen die Freigesprochene sowie der weitere Mitangeklagte M. diese von dem Mitangeklagten V. fort. Die Freigesprochene schlug zudem mit ihrer Tasche nach ihnen und schrie sie an.

Im Zuge der anschließenden vorläufigen Festnahme der Mitangeklagten auf dem        U-Bahnhof versuchte die Beschwerdeführerin, gegenüber den eingetroffenen Polizeibeamten den Tatverdacht gegen diese zu entkräften, indem sie wider besseres Wissen behauptete, insbesondere der Angeklagte V. hätte keine strafbaren Handlungen begangen. Zudem versuchte sie, – bevor ihre Personalien aufgenommen werden konnten – den Bahnhof zu verlassen, und konnte nur durch das Eingreifen eines Polizeibeamten im letzten Moment daran gehindert werden, mit einer gerade eingefahrenen U-Bahn zu entkommen. Erst daraufhin wurde auch sie vorläufig festgenommen.

a) Das Verhalten der Freigesprochenen war kausal für die Strafverfolgungsmaßnahmen. Die Beschwerdeführerin hat die freiheitsentziehenden Maßnahmen dadurch verursacht, dass sie durch ihr den Mitangeklagten V. abschirmendes Verhalten nicht nur den dringenden Verdacht einer Beteiligung an dessen Taten erzeugt, sondern durch ihren Fluchtversuch auch den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) geschaffen hat.

b) Ein Beschuldigter kann die Anordnung von Untersuchungshaft nicht nur dadurch verursachen, dass er durch sein Verhalten maßgeblich zur Entstehung des dringenden Tatverdachts beiträgt, sondern auch dadurch, dass er in zurechenbarer Weise (vgl. KG, StraFo 2009, 129) einen wesentlichen Ursachenbeitrag zur Begründung eines Haftgrundes – auch eines weiteren Haftgrundes (vgl. OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 1998, 341; KG Rpfleger 1999, 350; Senat, Beschluss vom 11. Januar 2012 – 2 Ws 351/11 –, juris) – leistet (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 255, 256; OLG Brandenburg, Beschluss vom 5. Dezember 2007 – 1 Ws 273/07 – juris; Senat aaO mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl., § 5 StrEG Rn. 11).

c) Die Annahme von Fluchtgefahr war aufgrund der Gesamtumstände zum Zeitpunkt der vorläufigen Festnahme und des Haftbefehlserlasses naheliegend. Die Beschwerdeführerin wurde letztlich nur freigesprochen, weil die Strafkammer im Ergebnis der mehrtätigen Beweisaufnahme zu ihren Gunsten davon ausgehen musste, dass ihre den Haupttäter unterstützenden und abschirmenden Handlungen spontan und erst nach Beendigung der Haupttat sowie der bereits anderweitig erfolgten Beutesicherung einsetzten. Der aus der Straferwartung resultierende hohe Grad der Fluchtgefahr gebot auch den Vollzug der Untersuchungshaft.

d) Das für die freiheitsentziehenden Strafverfolgungsmaßnahmen ursächliche Verhalten der Beschwerdeführerin ist nach den eingangs dargelegten Maßstäben auch zweifellos als grob fahrlässig zu werten.“

StrEG II: Einstellungsverfügung nur formlos mitgeteilt, oder: Akteneinsicht ersetzt förmliche Zustellung nicht

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In der zweiten StrEG-Entscheidung, dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 24.08.2021 – 12 Qs 58/21 -, wird eine verfahrensrechtliche Frage aus dem StrEG-Verfahren behandelt.

Die StA hate gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt geführt. In dem Verfahren ließ sie am 22. April 2021 Durchsuchungen in verschiedenen Objekten durchführen. Der ursprüngliche Tatverdacht konnte im Folgenden nicht erhärtet werden. Die sachbearbeitende Staatsanwältin stellte daher das Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 16.06.2021 nach § 170 Abs. 2 StPO ein und verfügte zugleich deren formlose Mitteilung an die beiden Verteidiger des Beschuldigten. Am 21. Juni 2021 nahm die Verteidigerin des Beschuldigten Einsicht in die Ermittlungsakte.

Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2021 an das AG, dort eingegangen am selben Tag, beantragte der Verteidiger, die Verpflichtung der Staatskasse zur Entschädigung für die Durchsuchungen festzustellen. Weiterhin beantragte er, dem Beschuldigten eine Entschädigung i.H.v. 401,50 € zu gewähren.

Das AG lehnte den Antrag als verfristet ab. Die Verteidiger hätten nämlich von der Einstellungsverfügung bereits durch Akteneinsicht vom 21.06.2021 Kenntnis gehabt. Dagegen die sofortige Beschwerde, die – teilweise – Erfolg hatte:

„b) Es liegt ein Antrag des Beschuldigten vor. Nach § 9 1 Satz 4 StrEG ist der Entschädigungsantrag binnen Monatsfrist nach Zustellung der Einstellungsentscheidung zu stellen. Diese Frist ist gewahrt.

aa) Entgegen der gesetzlichen Vorgabe (§ 9 1 Satz 4 StrEG: „nach Zustellung“) und der eigenen Mitteilung in der der Einstellungsverfügung beigelegten Belehrung (vgl. Bl. 225/226 d. A.: „nach Zustellung“) hat die Staatsanwaltschaft keine (förmliche) Zustellung, sondern lediglich eine formlose Mitteilung ihrer Einstellungsverfügung veranlasst. Die Frist des § 9 Abs. 1 Satz 4 StrEG beginnt allerdings erst, wenn die Einstellung (förmlich) zugestellt worden ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 9 StrEG, Rn. 5). Daran fehlt es.

bb) Die Kammer folgt nicht der Auffassung des Amtsgerichts, wonach die Gewährung der Einsicht in die Akte an die Verteidiger am 21. Juni 2021 – in der die zuvor getroffene Einstellungsverfügung in der Urschrift enthalten war – den Zustellungsmangel nach § 37 1 StPO mit § 189 ZPO hätte heilen können, mit der Folge, dass die Monatsfrist bereits am 21. Juli 2021 abgelaufen wäre (wie hier BGH, Beschluss vom 19. Juni 2019 – IV ZR 224/18, juris Rn. 19; BayObLG, Beschluss vom 16. Juni 2004 – 2Z BR 253/03, NJW 2004, 3722; OLG Nürnberg, Urteil vom 1. August 2019 – 13 U 1667/17, juris Rn. 42 und Urteil vom 5. November 1981 – 8 U 351/81, MDR 1982, 238; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 21. März 2019 – 1 OWi 2 Ss Rs 76/18, juris Rn. 7 mit eingehender Begründung; Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Aufl., § 189 Rn. 4; Häublein/Müller in MünchKomm-ZPO, 6. Aufl., § 189 Rn. 13). Sähe man es anders, wäre der Verteidiger im Übrigen aus Gründen anwaltlicher Vorsicht genötigt, die komplette Akte durchzusehen um festzustellen, ob sich dort zuzustellende Dokumente finden. Der Sinn der Akteneinsicht liegt aber nicht darin, Haftungsfallen für den Anwalt aufzustellen, sondern allein darin, ihm die Information zu gewähren, die er braucht.

Nichts anderes folgt aus dem Beschluss des OLG Hamm vom 8. August 2017 (3 RBs 106/17, juris). Das OLG hat erwogen (aaO, Rn. 22), dass durch die Einsichtnahme des Verteidigers in die Bußgeldakte, in der sich der zuzustellende Bußgeldbescheid befindet, ein tatsächlicher oder nachweisbarer Zugang i.S.d. Heilungsvorschriften bewirkt werden kann, sofern zuvor ein auf eine förmliche Zustellung gerichteter Zustellungswille dokumentiert ist. Ob dem zu folgen ist, kann dahinstehen, denn an der genannten Voraussetzung fehlt es bereits: Die Staatsanwaltschaft hat ihre Einstellungsverfügung gerade formlos versenden wollen, sodass der Zustellungswille fehlt.

cc) Die Heilung des Zustellungsmangels trat somit erst mit dem tatsächlichen Zugang der Einstellungsverfügung beim Verteidiger ein (§ 37 1 StPO mit § 189 ZPO). Dieser gibt den Zeitpunkt ihres Zugangs in der Beschwerde mit dem 28. Juni 2021 an. Das ist nicht zu widerlegen. Der am 28. Juli 2021 beim Amtsgericht eingegangene Entschädigungsantrag erfolgte somit in der Monatsfrist.“