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Erkennungsdienstliche Maßnahme beim Beschuldigten, oder: Erweiterung des § 81b StPO seit 01.10.2022

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Urheber Fotografie: Frank C. Müller, Baden-Baden

Zum Start in diese neue Woche weise ich heute zunächst auf eine gesetzliche Neuregelung bei § 81b StPO hin. Der regelt erkennungsdienstliche Maßnahmen beim Beschuldigten. Die Regelung ist durch das „Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/816 sowie zur Änderung weiterer Vorschriften (VO2019/816-DG)“ v. 10.08.2021 (BGBl. I S. 3420) erweitert worden. Die Änderung/Erweiterung ist am 01.10.2022 in Kraft getreten.

Die u.a. Erweiterung der Vorschrift um mehrere Absätze muss man im Auge haben. Übersichtlicher ist die Vorschrift allerdings nicht geworden. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf die der Erweiterung zugrundeliegende BR-Drucksache 149/21.

Und hier dann die „Synopse“:

 

§ 81b StPO a.F. § 81b StPO n.F.
§ 81b Erkennungsdienstliche Maßnahmen bei dem Beschuldigten
Soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden. (1) Soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden.
 

 

(2) 1 Über die Fälle des Absatzes 1 hinaus sind die Fingerabdrücke des Beschuldigten für die Erstellung eines Datensatzes gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EU) 2019/816 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Einrichtung eines zentralisierten Systems für die Ermittlung der Mitgliedstaaten, in denen Informationen zu Verurteilungen von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen (ECRIS-TCN) vorliegen, zur Ergänzung des Europäischen Strafregisterinformationssystems und zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1726 (ABl. L 135 vom 22.5.2019, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2019/818 (ABl. L 135 vom 22.5.2019, S. 85) geändert worden ist, auch gegen dessen Willen aufzunehmen, sofern

1. es sich bei dem Beschuldigten um einen Drittstaatsangehörigen im Sinne des Artikels 3 Nummer 7 der Verordnung (EU) 2019/816 handelt,

2. der Beschuldigte rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe verurteilt oder gegen ihn rechtskräftig allein eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,

3. keine Fingerabdrücke des Beschuldigten vorhanden sind, die im Rahmen eines Strafverfahrens aufgenommen worden sind, und

4. die entsprechende Eintragung im Bundeszentralregister noch nicht getilgt ist.

2 Wenn auf Grund bestimmter Tatsachen und bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte sich dieser Maßnahme entziehen werde, dann dürfen die Fingerabdrücke abweichend von Satz 1 Nummer 2 bereits vor der Rechtskraft der Entscheidung aufgenommen werden.

(3) Für die Erstellung eines Datensatzes gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EU) 2019/816 sind die nach Absatz 1 für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens, die nach Absatz 2 oder die nach § 163b Absatz 1 Satz 3 aufgenommenen Fingerabdrücke an das Bundeskriminalamt zu übermitteln.

(4) 1 Für die Erstellung eines Datensatzes gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EU) 2019/816 darf das Bundeskriminalamt die nach den Absätzen 1 und 2 sowie die nach § 163b Absatz 1 Satz 3 aufgenommenen und ihm übermittelten Fingerabdrücke verarbeiten. 2 Bei den nach Absatz 1 für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens, den nach Absatz 2 Satz 2 und den nach § 163b Absatz 1 Satz 3 aufgenommenen Fingerabdrücken ist eine über die Speicherung hinausgehende Verarbeitung nach Satz 1 unzulässig, solange die Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist. 3 Die Verarbeitung nach Satz 1 ist ferner unzulässig, wenn

1. der Beschuldigte rechtskräftig freigesprochen wurde,

2. das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wurde oder

3. die alleinige Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung gegen den Beschuldigten rechtskräftig unterbleibt.

4 Satz 3 gilt entsprechend in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2, wenn der Beschuldigte rechtskräftig zu einer anderen Strafe als Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe verurteilt wurde. 5 Ist die Verarbeitung der Fingerabdrücke nach Satz 3 oder 4 unzulässig, so sind die Fingerabdrücke zu löschen.

(5) 1 Für die Verarbeitung für andere Zwecke als die Erstellung eines Datensatzes gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EU) 2019/816 gelten die §§ 481 bis 485. 2 Die Verarbeitung der nach Absatz 2 Satz 2 aufgenommenen Fingerabdrücke ist jedoch erst zulässig, wenn die Entscheidung rechtskräftig und die Verarbeitung für die Erstellung eines Datensatzes nicht nach Absatz 4 Satz 3 oder 4 unzulässig ist. 3 Die übrigen Bestimmungen über die Verarbeitung der nach Absatz 1 oder 2 oder nach § 163b aufgenommenen Fingerabdrücke bleiben unberührt.

 

StPO III: Befangenheit im Strafvollstreckungsverfahren, oder: Ist die StVK „erkennendes Gericht“?

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Und als letzte Entscheidung am „Hitzetag“ dann noch der OLG Celle, Beschl. v. 02.05.2022 – 1 Ws 27/22. Die Entscheidung stammt aus dem Strafvollstreckungsverfahren. Der Verurteilte hatte dort eine Richterin als befangen abgelehnt. Den Antrag hat die Strafvollstreckungskammer als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen die sofortige Beschwerde, die das OLG zwar als zulässig angesehen hat, dann aber ale unbegründet verworfen hat. Zur Zulässigkeit führt das OLG aus:

„2. Näherer Erörterung bedarf lediglich, ob der Senat derzeit überhaupt zu einer Entscheidung in der Sache berufen war oder ob nicht die sofortige Beschwerde bereits unzulässig ist.

Denn die Rechtsfrage, ob im Strafvollstreckungsverfahren gegen einen ein Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluss die sofortige Beschwerde zulässig ist, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur umstritten (vgl. zuletzt bejahend OLG München, Beschluss vom 21. September 2020 – 1 Ws 685/20 –, juris m.w.N.; verneinend Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 07. Januar 2019 – 1 Ws 116/18 –, juris m.w.N.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. September 2017 – 2 Ws 294/17 –, juris; OLG Braunschweig Beschl. v. 13.7.2012 – Ws 199/12, BeckRS 2012, 24967; verneinend Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Auflage 2021 § 28 Rn. 6a; KK-StPO/Scheuten, 8. Aufl. 2019, StPO § 28 Rn. 5; Siolek in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2016, § 28 Rn. 46; BeckOK StPO/Cirener StPO § 28 Rn. 9.3; bejahend MüKoStPO/Conen/Tsambikakis, 1. Aufl. 2014, StPO § 28 Rn. 17).

Verbreitet wird die Auffassung vertreten, dass die Vorschrift des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO im Strafvollstreckungsverfahren entsprechend anzuwenden sei mit der Folge, dass die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nur zusammen mit der Endentscheidung – vorliegend also nur zusammen mit dem noch ausstehenden Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe – angefochten werden kann. Begründet wird diese Auffassung u. a. mit den Gesichtspunkten der Verfahrensbeschleunigung und der Verfahrenskonzentration. Zudem vermeide diese Auslegung eine Zersplitterung des Rechtswegs unabhängig davon, ob die Strafvollstreckungskammern nach § 454 StPO, § 463 StPO oder nach dem Strafvollzugsgesetz entschieden.

Der Senat schließt sich hingegen der zuletzt etwa vom Oberlandesgericht München (a.a.O.) vertretenen Auffassung an, wonach die an Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern nach § 454 StPO, § 57 StGB beteiligten Richter keine „erkennenden Richter“ im Sinne der Ausnahmevorschrift des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO sind, sodass die sofortige Beschwerde gegen ihre Entscheidungen statthaft ist.

a) Für dieses Ergebnis spricht schon der Wortlaut des § 28 Abs. 2 S. 2 StPO, wonach eine isolierte Anfechtung nur gegenüber der Entscheidung eines erkennenden Richters – also eines zur Mitwirkung in der Hauptverhandlung berufenen Richters (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Auflage 2021 § 28 Rn. 6 m.w.N.) – nicht statthaft ist. Denn § 28 Abs. 2 S. 2 StPO spricht ausdrücklich davon, dass die Entscheidung über die Befangenheit eines erkennenden Richters nur zusammen mit dem „Urteil“ angefochten werden kann. In Strafvollstreckungssachen wird indes nicht durch Urteil entschieden.

b) Die von der Gegenmeinung vertretene, über den Wortlaut hinausgehende analoge Auslegung kommt indes nur in Betracht, wenn dafür ein zwingendes Bedürfnis besteht. Daran fehlt es hier.

aa) In Strafvollstreckungsverfahren findet gerade keine Hauptverhandlung mit nur eng begrenzten Unterbrechungsmöglichkeiten statt, bei der die Gefahr erheblicher Verfahrensverzögerungen durch die Eröffnung des Beschwerdeweges gegen Entscheidungen über Befangenheitsgesuche besteht (vgl. OLG München a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 2 Ws 172/09 –, Rn. 9, juris). Sofern in Strafvollstreckungsverfahren mündlich angehört wird, handelt es sich regelmäßig um kurze Termine, die an einem Sitzungstag erledigt sind, was mit Hauptverhandlungen in strafrechtlichen Erkenntnisverfahren nicht vergleichbar ist.

bb) Soweit die analoge Anwendung des § 28 Abs. 2 S. 2 StPO damit begründet wird, dass hierdurch verfahrensmissbräuchlichen Verzögerungen begegnet werden kann, wird verkannt, dass es in der überwiegenden Zahl der Fälle im Interesse des Verurteilten liegt, eine zügige Entscheidung des Gerichts herbeizuführen. In den in Betracht kommenden abweichenden Konstellationen wie beispielsweise bei Verfahren über einen Bewährungswiderruf kann der Missbrauchsgefahr regelmäßig mit der beschleunigten Durchführung des Beschwerdeverfahren Rechnung getragen werden kann, sodass das Verzögerungspotential von vornherein begrenzt ist.

cc) Dass in Strafvollzugssachen die Strafvollstreckungskammer nach überwiegender Auffassung als erkennendes Gericht angesehen wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Auflage 2021 § 28 Rn. 6a m.w.N.), rechtfertigt die analoge Anwendung des § 28 Abs. 2 S. 2 StPO in Strafvollstreckungssachen ebenfalls nicht. Denn das Strafvollzugsverfahren ist – wie insbesondere die der Regelung des § 352 Abs. 1 StPO nachgebildete Vorschrift des § 119 Abs. 2 StVollzG zeigt – revisionsähnlich ausgestaltet und daher mit dem Beschwerdeverfahren in Strafvollstreckungssachen nicht vergleichbar.

dd) Gegen eine entsprechende Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 28 Abs. 2 S. 2 StPO im Vollstreckungsverfahren spricht zudem, dass im Falle der von der Gegenmeinung vertretenen Ausdehnung des Anwendungsbereichs von § 28 Abs. 2 S. 2 StPO kaum Konstellationen verblieben, in denen die selbständige Anfechtung von Ablehnungsentscheidungen überhaupt noch möglich wäre. Diese wären weitgehend auf Entscheidungen im Vor- bzw. Ermittlungsverfahren begrenzt, wo eine gesonderte Anfechtung schon wegen regelmäßig vor einer Entscheidung nicht gewährten rechtliches Gehör nicht in Betracht kommt (vgl. OLG München a.a.O.). Das vom Gesetzgeber gewollte Regel-Ausnahme-Verhältnis würde in sein Gegenteil verkehrt.

Im Ergebnis sieht der Senat daher keine Veranlassung für eine vom Wortlaut des § 28 Abs. 2 S. 2 StPO abweichende Auslegung. Ergänzend wird auf die ausführliche Begründung der Entscheidung des OLG München vom 21. September 2020 (a.a.O.) Bezug genommen.“

Kleiner Lesetipp/Service vom BOB zum Wochenende, oder: Der (neue) § 32d StPO, elektronisches Dokument

Nachdem gerade der Beitrag Aktive Nutzungspflicht des beA in laufenden Verfahren, oder: Fax zur Fristwahrung reicht nicht mehr zu zwei Entscheidungen betreffend das elektronische DoKument im ZPO- bzw. VwGO-Verfahren online gegangen ist, schiebe ich dann hier schnell einen Beitrag des Kollegen Dr. Deutscher aus dem StRR 2/2022 nach. Er behandelt den § 32d StPO – also das Strafverfahren.

Den Beitrag mit dem Titel:

Vorsicht Falle: Pflicht zur elektronischen Übermittlung seit 1.1.2022 (§ 32d StPO)

findet man hier im Volltext.

Kleiner Lesetipp und Service zum Wochenende 🙂 .

„Unsere“ StPO nach der 18/19. Legislaturperiode, oder: Ist die StPO effektiver, moderner, fortentwickelt?

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Ich hatte ja heute morgen über die letzte Bundesratssitzung und das dort beschlossene Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung – Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO und zur Änderung der zivilrechtlichen Verjährung (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit). berichtet (vgl. hier: News I: Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochen kommt, oder: Materielle Gerechtigkeit?).

Das und das nahende Ende der 19. Legislaturperiode ist Anlass zu einer kleinen Rückschau. Denn das o.a. Gesetz ist m.E. der Schlusspunkt in einer unheilvollen Geschichte der Änderungsgesetze zur StPO in der 18. und der ablaufenden 19. Legislaturperiode, denn: Man hat

  • (noch in der 18. Legislaturperiode) durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.8.2017 (BGBl I, S. 3202)“ die StPO effektiver und praxistauglicher gestalten wollen.

Frage: Hat man wirklich oder hat man nicht nur im Interesse einer schnelleren Justiz Angeklagtenrechte beschnitten? (dazu hier: Sondermeldung: Die Änderungen der StPO 2017 sind da – und dazu gleich ein Ebook),

  • dann durch das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens“ v. 10.12.2019“ (BGBl I, S. 2121) die StPO „modernisiert“.

Frage auch hier: Hat man wirklich oder hat man auch mit diesem Gesetz nicht nur im Interesse einer schnelleren Justiz Angeklagtenrechte beschnitten? (vgl. dazu auch hier: News, News, News: “Modernisierung der StPO” und “Änderung der Pflichtverteidigung” morgen in Kraft, oder: Hier gibt es schon ein Ebook) m.w.N.

  • und schließlich durch das „„Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.“ v. 25.6.2021 (BGBl. I, S. 2099) die StPO „fortentwickelt.

Frage hier nochmals: Hat man wirklich fortentwickelt, oder hat man……..? (vgl. dazu hier Das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens, oder: Ein Überblick – 10 Punkte).

Die drei Fragen nach der Beschneidung der Rechte des Beschuldigten muss man m.E. eindeutig mit Ja beantworten. Vieles/manches ist eben auf dem Altar der schnelleren Erledigung von Verfahren geopfert worden, ich erinnere an den Richtrevorbehalt, die Änderungen im Ablehnungsrecht und bei der Besetzungsrüge. Wenn man das mit „effektiver und praxistauglicher“, „moderner“ und „fortentwickeln“ meint, dann stimmen die Namen der Gesetze. Ansonsten sind sie „Augenwischerei“, wie wir sie häufig aus dem BMJV lesen können in Gesetzesbezeichnungen, die nichts anderes tun (wollen), als die wahren Absicht zu kaschieren. Leider.

Nun, die Praxis (der Verteidigung) muss mit diesen effektiveren, praxistauglicheren, moderneren und fortentwickelten Verfahrensregelungen leben. Richter und Staatsanwälte übrigens auch. Man wird das Beste darauf machen müssen.

Wenn man sich fragt: Wie wird es in der 20. Legislaturperiode weitergehen? Man weiß es nicht. Aber: Egal, wer ins Kanzleramt mit wem einzieht. Man sollte nichts Gutes erwarten. Wohl klingende Namen wird er sicherlich noch genug geben. Wie wäre es mit „Gesetz zur Vereinfachung des Ablaufs des Strafverfahrens“ oder mit „Gesetz zur Herstellung der Opfergerechtigkeit“ oder auch – aber dann wäre man ehrlich -: „Gesetz zu effektiveren und praxistauglichen Beschleunigung des Strafverfahrens“?

Abschließend: Und nun soll mir niemand damit kommen, dass man aber für Rechtsanwälte und Verteidiger mit dem KostRÄG 2021 v. 21.12.2020 (BGBl I, S. 3229) ja einiges getan habe (vgl. dazu hier Sondermeldung: KostRÄG heute im BGBl., oder: Inkrafttreten am 01.01.2021 sicher m.w.N.). Denn das interessiert den Beschuldigten wahrscheinlich wenig und ist zudem m.E. falsch. Denn die lineare Erhöhung der anwaltlichen Gebühren um 10 % nach mehr als 10 Jahren ist lächerlich. Das mag der DAV als Erfolg feiern, ich nicht.

Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen kommt, oder: Ist das „materielle Gerechtigkeit“?

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Gestern hat im Bundesrat die wohl letzte Sitzung dieser Legislaturperiode stattgefunden. Ich weiß, die Formulierung ist nicht ganz richtig, da es ja im Bundesrat keine Legislaturperioden gibt. Gemeint ist: Die letzte Sitzung des Bundesrates in der nun bald ablaufenden 19. Legislaturperiode der Bundestages.

Auch gestern wieder eine umfangreiche Tagesordnung für die 1008 Sitzung (vgl. hier). Davon interessiert mich als vornehmlich straf- und owirechtlich orinetierter Betrachter vor allem bzw. derzeit nur der TOP 5, nämlich die Drucksache 662/21 Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung – Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO und zur Änderung der zivilrechtlichen Verjährung (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit).

„Gesetz zur Herstellung der materiellen Gerechtigkeit“, wenn ich das schon lese. Da waren im BMJV mal wieder die Namensfinder am Werk, die unter mehr oder weniger wohlklingenden Namen verstecken, worum es eigentlich geht. Nämlich um eine Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten rechtskräftiger Freigesprochener, was in meinen Augen wenig mit „materieller Gerechtigkeit“, aber viel mit Verfassungsrecht zu tun. Das Gesetz hatte der Bundestag in einer  seiner vielen Nachsitzungen am 24.06.2021 beschlossen – man beachte die BT-Drucks. 19/30399 datiert vom 08.06.2021.

Um die Änderungen hatte es viel Hin und Her gegeben, aber alles Sturmlaufen von Verbänden usw. hat nichts genutzt. Man hat es eben – ohne viel und lange Diskussionen – beschlossen. Und wer seine Hoffnung auf den Bundesrat gesetzt hat – es handelt sich um ein Einspruchsgesetz, der ist dann jetzt auch enttäuscht worden. Zwar hatte es wohl einen Antrag aus Thüringen, Sachsen, Berlin und Hamburg gegeben, der im Vermittlungsausschuss eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzes verlangt hat; auch andere Bundesländer hatten Bedenken. Aber der Rechtsausschuss hatte dann nicht den „A…… in der Hose“ gehabt, die Anrufung des Vermittlungsausschusse zu empfehlen, sondern hat empfohlen (vgl. hier), den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen. Man hat sich mit eine (wahrscheinlich ungehörten) Empfehlung an den Bundestag zum Wegfall der zivilrechtlichen
Verjährung von Ansprüchen aus nicht verjährbaren Verbrechen begnügt.

Damit wird das „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ seinen Weg (leider) gehen; ich glaube nicht, dass der Bundespräsident es so kurz vor der BT-Wahl stoppen wird. Das wird dann wahrscheinlich erst Karlsruhe tun.

Welche Änderungen gibt es nun?

  • Geändert/Ergänzt worden ist § 362 StPO – Wiederaufnahme zu ungunsten des Verurteilten, und zwar um eine Nr. 5, die lautet:

„wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes (§ 211 des Strafgesetzbuches), Völkermordes (§ 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches), des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechens gegen eine Person (§ 8 Absatz 1 Nummer 1 des Völkerstrafgesetzbuches) verurteilt wird.“

  • Außerdem hat man die §§ 194 ff. BGB so geändert, dass zivilrechtliche Ansprüche der Opfer gegen Täter schwerster, nicht verjährbarer Verbrechen nicht mehr wie bisher nach 30 Jahren verjähren.

Nun man wird sehen, was das BVerfG, das m.E. mit Sicherheit angerufen werden wird, aus der Geschichte macht. Ich könnte mir vorstellen, dass man sie „beanstandet“.

Dieses war m.E. der Schlusspunkt in einer unheilvollen Geschichte der Änderungsgesetze zur StPO in der ablaufenden Legislaturperiode. Dazu heute Nachmittag mehr.