Schlagwort-Archive: standardisiertes Messverfahren

OWI I: Informationsrechte/Informationsparität, oder: Zweimal KG zum standardisierten Messverfahren

Bild von Michael Schwarzenberger auf Pixabay

Heute dann ein OWi-Tag. Und ich stelle an dem u.a. auch wieder einige KG-Entscheidungen vor. Da habe ich vor einigen Tagen einiges bekommen, das sonst zu alt wird.

Zunächst hier im ersten Posting Entscheidungen zum standardisierten Messverfahren und was dazu gehört. Und zwar hier dann folgende Entscheidungen, jeweils nur mit dem Leitsatz:

1. Zur Ausübung der Informationsrechte bei standardisiertem Messverfahren

2. In Verkehrssachen wird es sich nie um einen Beweisantrag (im technischen Sinne) handeln, wenn ein Beweismittel dafür benannt wird, dass der Betroffene nicht Fahrer gewesen ist.

3. Die (formlose) Beweisanregung evoziert ebenso wie der (förmliche) Beweisantrag lediglich die Amtsaufklärung, so dass es einer genauen Qualifizierung des Beweisersuchens in aller Regel nicht bedarf.

4. § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG setzt nicht voraus, dass die Aussichtslosigkeit der beantragten Beweiserhebung außer Zweifel steht, sondern rechtfertigt die Ablehnung eines Beweisantrages schon dann, wenn die Beweiserhebung nicht naheliegt bzw. sich dem Gericht nicht aufdrängt.

5. Macht der Betroffene von seinem Schweigerecht Gebrauch und besteht auch anderweitig kein Hinweis darauf, ein Dritter könnte sich seines Führerscheins bemächtigt und bedient haben, wird auch das Tatgericht einen solchen Missbrauch von Ausweispapieren (§ 281 StGB) in aller Regel nicht in Rechnung stellen müssen.

 

1. Die Informationsrechte sind vom Betroffenen gegenüber der Verwaltungsbehörde proaktiv, idealerweise im Ermittlungsverfahren, jedenfalls aber substantiell vor der Hauptverhandlung, auf eigene Kosten auszuüben.

2. Konsequenz des Rechts auf Informationsparität ist, dass der Betroffene beim standardisierten Messverfahren Einfluss auf die gerichtliche Beweiserhebung nur nehmen kann, wenn er substantiierte, also auf Tatsachen gründende Einwände gegen die konkrete Messung vorbringt.

OWi I: Messung mit standardisiertem Messverfahren, oder: Wurde die Bedienungsanleitung beachtet?

entnommen wikimedia.org
Original uploader was VisualBeo at de.wikipedia

Nachdem ich gestrigen Tag mit einem Sonder-OWi-Posting beendet habe, und zwar der „Kneif-Entscheidung“ des BGH im BGH, Beschl. v. 30.03.2022 – 4 StR 181/21 (dazu Sondermeldung: Einsichtnahme in die Messreihe, oder: Keine Divergenz – “Kneift” der BGH in der Sache?) heute dann ein „normaler“ OWi-Tag.

Den eröffne ich mit einem OLG Karlsruhe-Beschluss, den mit der Kollege Hufnagel geschickt hat. In dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.04.2022 – 1 Rb 35 Ss 193/22 – geht es noch einmal/mal wieder um die Anforderungen an die Urteilsgründe bei einem standardisierten Messverfahren. Der Betroffene ist wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden. Zugrunde gelegt worden ist eine Messung mit Riegl FG 21P. Dem OLG reichen dann die Feststellung des AG und desse Beweiswürdigung nicht:

„Zwar unterliegt die Beweiswürdigung des Bußgeldrichters nur eingeschränkter Überprüfung im Rechtsbeschwerderechtszug. Gemäß § 261 StPO i.V.m. § 71 OWiG obliegt es dem Tatgericht, über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Das Ergebnis der Beweisaufnahme zu würdigen, ist allein Sache des Tatrichters. Ihm allein obliegt es, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen, ob er – an sich mögliche – Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht. Weder ist der Tatrichter gehindert, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen, noch kann ihm vorgeschrieben werden, unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten Folgerung und einer bestimmten Überzeugung kommen darf oder gar muss. Diese freie Würdigung des Bußgeldrichters darf das Rechtsbeschwerdegericht lediglich auf Rechtsfehler überprüfen, nicht aber durch seine eigene ersetzen (vgl. auch BGHSt 10, 20). Das Rechtsbeschwerdegericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24.03.2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Einen sachlich-rechtlichen und daher auf die Sachrüge im Rechtsbeschwerderechtszug beachtlichen Fehler beinhaltet die Beweiswürdigung allerdings, wenn sie in sich widersprüchlich; lückenhaft oder unklar ist, gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt oder falsche Maßstäbe für die zur Verurteilung erforderliche bzw. ausreichende Gewissheit angelegt werden.

Gemessen an diesen Maßstäben hält das angefochtene Urteil rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Urteilsausführungen sind bzgl. der ordnungsgemäßen Durchführung der Messung lückenhaft und deshalb rechtsfehlerhaft (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO iVm § 71 OWiG). Sie genügen nicht den Anforderungen, die an die Darlegung und Begründung eines ordnungsgemäß zustande gekommenen Messergebnisses zu stellen sind.

Bei der im vorliegenden Verfahren vorgenommenen Geschwindigkeitsmessung mit dem Laser-Handmessgerät Riegl FG21P handelt es sich grundsätzlich um ein sog. standardisiertes Messverfahren, bei dem der Tatrichter im Urteil nur die Messmethode und den berücksichtigten Toleranzwert anzugeben hat. Dies gilt jedoch nur dann, wenn das verwendete Messgerät von seinem Bedienungspersonal auch wirklich standardgemäß, d. h. im geeichten Zustand, seiner Bauartzulassung entsprechend und gemäß der vom Hersteller mitgegebenen Bedienungs- bzw. Gebrauchsanweisung verwendet wurde. Nur so kann mit der für eine spätere Verurteilung erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, ob das Gerät in seiner konkreten Aufstellsituation tatsächlich mit der bei standardisierten Messverfahren vorausgesetzten Präzision arbeitet und so eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage zur Verfügung stellt (OLG Koblenz DAR 2006, 101/102; OLG Bamberg Beschl. v. 2.12.2016 — 2 Ss OWi 1185/16, BeckRS 2016, 116866 Rn. 7, beck-online). Beim Vorliegen konkreter Anhaltspunkte dafür, dass Verfahrensbestimmungen nicht eingehalten wurden oder – substantiiert – Messfehler geltend gemacht werden, müssen im Urteil hierzu Ausführungen gemacht werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zur Begründung ihres Antrags auf (teilweise) Aufhebung des Urteils in ihrer Stellungnahme vom 28.03.2021 folgendes ausgeführt:

„Eine Überprüfung, ob das verwendete Messgerät von seinem Bedienungspersonal auch wirklich standardgemäß – entsprechend der vom Hersteller mitgegebenen Bedienungs- und Gebrauchsanweisung – verwendet wurde, wie seitens der Verteidigung substantiiert bestritten, ist dem Rechtsbeschwerdegericht vorliegend nicht möglich. Ausweislich der Urteilsgründe (UA, S. 3) hat das Amtsgericht ohne nähere Ausführungen festgestellt, dass das Gerät nach den Anweisungen des Herstellers getestet und bedient wurde. Weiter hat das Gericht ausgeführt, dass das Polizeifahrzeug nach Abschluss der Eingangstests auf dem Parkplatz Lächle nochmals einige Meter bis zur Ausfahrt des Parkplatzes bewegt wurde, um dort die Messung der Fahrzeuge durchzuführen. Feststellungen dazu, welche konkreten Anforderungen der Hersteller an die Durchführung der Funktionstests stellt, wie sie vom Bedienungspersonal ordnungsgemäß durchzuführen sind und ob sich der Messbeamte an die entsprechenden Herstellervorgaben tatsächlich gehalten hat (vgl. OLG Gelle, Beschluss vom 26.06.2009 – 311 SsBs 58/09, NZV 2010, 414), fehlen, obwohl seitens der Verteidigung eingewandt wurde, dass das Polizeifahrzeug mit dem Gerät nach den Eingangstests noch bewegt worden sei und auch die Abschlusstests auf einem anderen Parkplatz stattgefunden hätten. Diese Feststellungen wären jedoch erforderlich gewesen. So sind nach der Gebrauchsanweisung des eingesetzten Messgerätes ,nach jedem Transport des Messgeräts an einen neuen Einsatzort im Einsatzfahrzeug zu Beginn vier Tests durchzuführen. Dass diese Herstellerangaben beachtet wurden, ist nicht ersichtlich. Dem Urteil kann insbesondere nicht entnommen werden, dass das Messgerät händisch zur Ausfahrt des Parkplatzes Löchle gebracht wurde. Nur wenn das Gerät entsprechend der vom Hersteller mitgegebenen Bedienungs- und Gebrauchsanweisung verwendet wurde, kann davon ausgegangen werden, dass das Messgerät mit der bei standardisierten Messverfahren vorausgesetzten Präzision arbeitete. Nur in diesem Fall ist eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage gegeben. Anderenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Messergebnis verändert wurde, beispielsweise aufgrund von Erschütterungen im Einsatzfahrzeug.

Die erfolgte Messung als solche ist nicht generell unverwertbar. Vielmehr muss das Gericht – sollte die Messung nicht entsprechend der Bedienungs- und Gebrauchsanweisung erfolgt. sein – von einem individuellen Messverfahren ausgehen, das nicht mehr die Vermutung der Richtigkeit und Genauigkeit für sich in Anspruch nehmen kann (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 02.12.2016 – 2 Ss OWi 1185/16, BeckRS 2016, 116866). Die Urteilsgründe enthalten, da das Gericht von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen ist, nicht die erforderlichen. Feststellungen hinsichtlich einer individuellen Überprüfung der Messung und genügen damit nicht den Anforderungen an die Darstellung eines außerhalb eines standardisierten Messverfahrens zustande gekommenen Messergebnisses.“

Dieser zutreffenden Rechtsauffassung schließt sich der Senat an. Aufgrund des aufgezeigten Rechtsfehlers ist das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen — ausgenommen sind die Feststellungen zur Fahrereigenschaft, welche von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind — aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG iVm § 353 StPO).“

Also: Zurück auf Null.

OWi I: Prüfpflichten bei standardisierter Messung, oder: VerfG rüffelt AG Oranienburg/OLG Brandenburg

Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Heute zur Wochenmitte OWi-Entscheidungen, dazu habe ich länger nichts mehr gebracht.

Den Opener mache ich mit dem VerfG Brandenburg, Beschl. v. 18.2.2022 – VerfGBbg 54/21 – zur Prüfpflicht des Tatrichters beim standardisierten Messverfahren (hier: Poliscan Speed). Nichts weltbewegend Neues, aber: Das VerfG Brandenburg ruft noch einmal ins Gedächtnis. wie der Tatrichter mit der Einlassung des Betroffenen umzugehen hat, wenn ein standardisiertes Messverfahren vorliegt: Die dazu geltenden Grundsätze entheben ihn nicht davon, Einlassungen zur Kenntnis zu nehmen oder, soweit diese nicht von vornherein als pauschale Behauptungen unzureichend sind, in Erwägung zu ziehen:

„a) Das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 14. Dezember 2020 (13 b OWi 3423 Js-OWi 27348/20 [496/20]) verletzt den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts gewährt Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu den für diese erheblichen Sach- und Rechtsfragen zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und rechtzeitiges, möglicherweise erhebliches Vorbringen bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. ausführlich Beschluss vom 16. März 2018 – VfGBbg 56/16 -, m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das ihm unterbreitete Vorbringen zur Kenntnis nimmt und in Betracht zieht. Es ist nicht verpflichtet, sich mit jeglichem Vorbringen ausdrücklich zu befassen, sondern kann sich auf die Bescheidung der ihm wesentlich erscheinenden Punkte beschränken. Insbesondere verwehrt es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht, den Vortrag eines Verfahrensbeteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts, zum Beispiel wegen sachlicher Unerheblichkeit, ganz oder teilweise außer Betracht zu lassen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur verletzt, wenn die Nichtberücksichtigung eines Vortrags oder von Beweisanträgen im Prozessrecht keine Stütze mehr findet. Hierzu müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (vgl. Beschluss vom 20. Mai 2021 – VfGBbg 72/19 -, Rn. 36 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Solche Umstände können insbesondere dann vorliegen, wenn das Gericht das Kernvorbringen eines Beteiligten unberücksichtigt lässt. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in der Begründung der Entscheidung nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert ist. Daraus ergibt sich eine Pflicht der Gerichte, die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen zu verarbeiten (vgl. Beschluss vom 20. Mai 2021 – VfGBbg 72/19 -, Rn. 36 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 26. September 2012 – 2 BvR 938/12 -, Rn. 20, vom 16. September 2010 – 2 BvR 2394/08 -, Rn. 14, und vom 7. Dezember 2006 – 2 BvR 722/06 -, Rn. 23, www.bverfg.de).

bb) Dabei ist zu berücksichtigen, dass in Bußgeldverfahren die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens reduzierte Sachverhaltsaufklärungs- und Darlegungspflichten der Fachgerichte begründen. Die Gerichte sind nicht dazu gehalten, der Ordnungsgemäßheit des Messverfahrens nachzugehen, solange sich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. November 2020 – 2 BvR 1616/18 -, Rn. 39 ff., juris). Ermittelt der Betroffene indes konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses, hat das Gericht zu entscheiden, ob es sich dennoch von dem Geschwindigkeitsverstoß überzeugen kann. Entsprechend seiner Amtsaufklärungspflicht hat das Fachgericht die Korrektheit des Messergebnisses dann individuell – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen – zu überprüfen und seine Überzeugung im Urteil darzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. November 2020 – 2 BvR 1616/18 -, Rn. 60, juris; so wohl auch BGH, Beschluss vom 30. Oktober 1997 – 4 StR 24/97 -, BGHSt 43, 277-284, Rn. 26, juris).

cc) Nach diesen Maßstäben verletzt das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

Das Urteil lässt nicht erkennen, dass das Gericht den Tatsachenvortrag des Beschwerdeführers, mit dem er die Zuverlässigkeit des Messverfahrens in Zweifel gezogen hat, zur Kenntnis genommen und in Betracht gezogen hat. Kern des Beschwerdevorbringens war, dass die im Beweisfoto erkennbaren hellen Lichtflächen auf eine das Messverfahren beeinflussende Reflexion der Laserstrahlen durch im Messbereich befindliche reflektierende Flächen hindeuten. Ob das Amtsgericht das Vorbringen in Erwägung gezogen hat, lässt sich weder aus dem Beschluss, mit dem die Beweisanträge abgelehnt worden sind, noch aus den Urteilsgründen erkennen. Es hat in den Urteilsfeststellungen keinen Niederschlag gefunden. Dabei ist es Sache des Fachgerichts zu beurteilen, ob es die vorgetragenen Anhaltspunkte für hinreichend konkret erachtet. Die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens entheben den Tatrichter jedoch nicht davon, Einlassungen zur Kenntnis zu nehmen oder, soweit diese nicht von vornherein als pauschale Behauptungen unzureichend sind, in Erwägung zu ziehen. Als bloße allgemeine Behauptungen „ins Blaue hinein“, die insgesamt zu vernachlässigen sind, ließ sich das Vorbringen des Beschwerdeführers im Entscheidungszeitpunkt nicht ohne Weiteres qualifizieren. Dies mag inzwischen im Hinblick auf die Erkenntnisse zu feststehenden Objekten, Reflexionen und deren Einfluss auf Messungen durch die jüngste obergerichtliche Rechtsprechung anders zu betrachten sein (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13. Januar 2022 – 1 OWi 2 SsBs 58/21 -, Rn. 15 f., juris). Diesen Kenntnisstand konnte jedoch das Amtsgericht bei Bescheidung der Beweisanträge und Urteilsfällung nicht voraussetzen.

dd. Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts vom 14. Dezember 2020 beruht auf dieser Verletzung des Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV, weil nicht auszuschließen ist, dass das Amtsgericht eine andere, dem Beschwerdeführer günstige Entscheidung getroffen hätte, wenn es sein Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hätte.“

Und das OLG Brandenburg, das die Rechtsbeschwerde verworfen hatte, wird dann auch gleich mitgerüffelt:

„3. Auch der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 3. Mai 2021 (1 OLG 53 Ss-OWi 162/21) verletzt den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 2 LV. Zwar bedarf vor dem Hintergrund der einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Begründungsanforderungen nach § 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG der Beschluss über die Zulassung der Rechtsbeschwerde, die eine unanfechtbare Zwischenentscheidung ist, weder im Falle der Verwerfung noch der Zurückweisung einer ausführlichen Begründung (vgl. Bär, in: BeckOK OWiG, Stand: 1. Oktober 2021, OWiG § 80 Rn. 49 m. w. N.), eine Begründung enthält der Beschluss vom 3. Mai 2021 auch nicht.

Indes hat das Brandenburgische Oberlandesgericht in dem Beschluss vom 3. Mai 2021 durch die Bezugnahme von § 349 Abs. 2 StPO sowie die hierauf verweisenden Vorschriften des OWiG zu erkennen gegeben, dass es den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Rechtsbeschwerde für offensichtlich unbegründet erachtet. Dabei hat das Oberlandesgericht verkannt, dass § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG die Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen der hier gegebenen Versagung des rechtlichen Gehörs durch das Amtsgericht gerade gebietet. Die Vorschrift soll nach dem Willen des Gesetzgebers ein korrigierendes Eingreifen des Rechtsbeschwerdegerichts in denjenigen Fällen ermöglichen, in denen sich das Vorliegen einer Gehörsverletzung geradezu aufdrängt und es nicht zweifelhaft erscheint, dass das Urteil einer verfassungsgerichtlichen Nachprüfung nicht standhalten würde (BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1992 – 2 BvR 700/91 -, Rn. 19 m. w. N., juris). Die Anwendung des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG kann mithin dazu beitragen, Verstöße gegen den Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vor Erschöpfung des ordentlichen Rechtswegs zu beseitigen und die ansonsten erforderliche Anrufung des Verfassungsgerichts zu vermeiden. Deshalb hat das Rechtsbeschwerdegericht bereits im Zulassungsverfahren zu prüfen, ob eine Gehörsverletzung vorliegt (vgl. BVerfG, a. a. O.).

Dies ist hier erkennbar unterblieben. Das Oberlandesgericht hat die Regelung in § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG in seiner Entscheidung unerwähnt gelassen.“

Ich verstehe es nicht. es ist doch gar nicht so schwer, die Rechtsprechung des BVerfG aus 2 BvR 1616/18 umzusetzen, die ja nicht gänzlich neu ist, sondern letztlich doch auf der Rechtsprechung des BGH zum standardisierten Messverfahren aus 1997 (!!) aufbaut. Aber, wenn man nicht will……

OWi I: 2-mal zu Messungen mit Provida 2000 modular, oder: Standardisierte Messung und anlassloses Filmen

entnommen Wikimedia.org
Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

Heute dann ein OWi-Tag mit einigen Entscheidungen zu Fragen des straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahrens.

Ich starte mit zwei AG-Entscheidungen, und zwar einmal zu einem Abstandsverstoß und dann noch einmal zur (Akten)Einsicht. In beiden Fällen geht es um eine Messung mit Provida 2000.

Zum Abstandsverstoß hat sich vor einiger Zeit das AG Landstuhl geäußert, und zwar im AG Landstuhl, Urt. v. 05.02.2022 – 2 OWi 4211 Js 8338/21. Gemessen worden war in dem Vrefahren mit Porvida 2000. Das AG äußert sich zur Frage des standardisierten Messverfahrens und zur Frage der Prüfung der Messung durch einen Sachverständigen, und zwar wie folgt:

1. Das Messsystem Provida 2000 modular gilt für Geschwindigkeitsmessungen als standardisiertes Messverfahren i.S.d. Rechtsprechung des BGH. Dies gilt nicht für eine Abstandsmessung. Eine mittels Provida 2000 modular durchgeführte Abstandsmessung ist durch das Gericht vollumfänglich nachzuprüfen.

2. Je nach Auswahl der Referenzpunkte für die Ermittlung des Abstands zum vorausfahrenden Fahrzeug kann es geboten sein, die Messung sachverständig überprüfen zu lassen, um der Gefahr optischer Verzerrung durch einen Aufschlag zusätzlicher Toleranzen zu begegnen. Es unterliegt dann der tatrichterlichen Würdigung, ob zu den geräteintern zu berücksichtigenden Toleranzen, die bei Geschwindigkeitswert und Abstandswert jeweils zum Tragen kommen, und den zugunsten des Betroffenen nicht berücksichtigten Fahrzeugüberhängen noch zusätzliche Toleranzen in Form von 1 der 2 Frames hinzuzufügen sind oder nicht.

In dem von AG Bergisch-Gladbach mit dem AG Bergisch-Gladbach, Beschl. v.24.11.2021 – 46 IW 411/21 (b) – entschiedenen Fall war bei einer Geschwindigkeitsmessung ein Messgerät Provida 2000 eingesetzt worden. Der Betroffene hatte erweiterte Akteneinsicht geltend gemacht, um überprüfen zu können, on ein sog. anlassloses Filmen vorgelegen hat und insoweit ggf. verfassungsrechtliche Bedenken bestehen könnten. Das AG hat die Herausgabe einer vollständige Liste der mit dem Messfahrzeug am Tattag durchgeführten Messungen sowie der  Videomitschnitte der fünf jeweils vor und nach der den Betroffenen betreffenden Messung durchgeführten Messungen angeordnet. Begründung: Es sei dem Betroffenen sonst nicht möglich, „Anhaltspunkte dafür darlegen zu können, dass trotz der Verwendung standardisierter Messgeräte bzw. der Einhaltung einschlägiger Vorschriften für die Durchführung der Messung im konkreten Falle Fehler aufgetreten sind, die die Richtigkeit der Messung beeinflusst haben können„.

OWi III: Geschwindigkeitsmessung mit Traffistar S 330, oder: Verwertbar trotz fehlender Rohmessdaten

Bild von Michael Schwarzenberger auf Pixabay

Und auch das dritte Posting hat heute eine Entscheidung zur Geschwindigkeitsmessung zum Gegenstand. Es handelt sich um das AG St. Ingbert, Urt. v. 13.01.2022 – 25 OWi 68 Js 1597/21 (2518/21) –, das ich bei Juris gefunden habe.

Ich stelle zu der Entscheidung es geht um eine Messung mit Traffistar S 330. Zu der Entscheidung gibt es bei Juris folgende Leitsätze:

  1. Bei Messungen mit dem Geschwindigkeits-Messgerät Traffistar S 330 der Fa. Jenoptik handelt es sich um standardisierte Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
  2. Der Umstand, dass bei diesem Messgerät wie mittlerweile bei fast allen Messgeräten sog. Rohmessdaten nicht gespeichert werden bzw. nicht vorhanden sind, führt nach Auffassung des Gerichts nicht zu einem Verwertungsverbot betreffend Messung und Messdaten.
  3. Dies ergibt sich zum einen aus der Funktionsweise des Messgeräts.
  4. Für die Verwertbarkeit der Messung trotz nicht gespeicherter/vorhandener Rohmessdaten spricht auch, dass nach Stellungnahmen und Beiträgen der PTB (zusammengefasst in der Fassung vom 4. November 2021, https://doi.org/10.7795/520/20211104) eine Messung an Hand von Rohmessdaten nicht aussagekräftig überprüft bzw. plausibilisiert werden kann.
  5. Statt auf den Einzelmesswert wird die Überprüfbarkeit auf das Messgerät selbst verlagert, zusammen mit verschiedenen anderen Schutzvorschriften z. B. in Form von Verkehrsfehlergrenzen und Eichfristen. Hält das Messgerät bei der Überprüfung nach § 39 Mess- und Eichgesetz unter Berücksichtigung der Verwendungssituation alle Anforderungen bezüglich Messrichtigkeit und Messbeständigkeit ein, dann hat das Messgerät auch bei der gegenständlichen Messung korrekt gearbeitet, da die Verwendungssituation in beiden Fällen gleich war. Durch diesen Rückschluss wird die Problematik aufgelöst, dass der gegenständliche Messvorgang nicht wiederholbar ist.
  6. Nach den einleuchtenden Erläuterungen der PTB ist also nicht davon auszugehen, dass mit der Löschung/Nichtspeicherung von Rohmessdaten eine nachträgliche Überprüfung der Messung verhindert werden soll, wie es einige sog. Sachverständigenbüros suggerieren wollen. Es soll damit lediglich verhindert werden, dass der geeichte Messwert, gesetzliche Grundlage des Messwesens, mit ungeeigneten Mitteln in Frage gestellt wird.
  7. Die Einschätzung des erkennenden Gerichts zur Verwertbarkeit vom Messungen/Messergebnissen stützt sich insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (19. August 1993 – 4 StR 627/92 und 30. Oktober 1997 – 4 StR 24/97), mit welcher das Institut des standardisierten Messverfahrens geschaffen wurde. Den Entscheidungen lagen Geschwindigkeitsmessungen mit dem Lasermessgerät L TI 20/20 (Vorgängermodell des Messgeräts Riegel FG 21-P) zu Grunde, bei welchen keinerlei Daten oder Fotos gespeichert oder gefertigt werden.
  8. Diese Auffassung zur Verwertbarkeit von Messungen und Messergebnissen wird mittlerweile von nahezu allen Oberlandesgerichten in Deutschland vertreten und ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts auch konform mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2020 (2 BvR 1616/18).
  9. Der Entscheidung des BVerfG ist nämlich nicht zu entnehmen, dass Messungen und Messergebnisse nicht verwertet werden dürfen, wenn nach dem Messvorgang geräteintern (Roh-) Messdaten nicht abgespeichert werden. Im Gegenteil ist aus dem Postulat der „Waffengleichheit“ – als Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren – zwischen Verfolgungsbehörde und Betroffenem zu folgern, dass ein Betroffener nur die Daten herausverlangen kann, die auch bei der Verfolgungsbehörde vorhanden sind und dieser einen Informationsvorteil verschaffen könnten.
  10. Wenn man trotz dieser einleuchtenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und höchstrichterlichen Leitlinien fordern sollte, dass Ergebnisse von bewährten Geschwindigkeitsmessgeräten, die über eine PTB-Zulassung oder Konformitätsbescheinigung verfügen, geeicht sind und von geschultem Personal bedient oder eingesetzt werden (weltweit wohl höchster Standard), somit die Voraussetzungen für ein standardisiertes Messverfahren erfüllen, aber keine Rohmessdaten speichern, nicht verwertet werden dürfen, werden Geschwindigkeitsmessungen nicht mehr möglich sein angesichts dessen, dass die meisten Messgeräte keine Rohmessdaten – mehr – speichern. Dies hätte eine signifikante Beeinträchtigung der Sicherheit im Straßenverkehr zur Folge, da insbesondere gravierende Geschwindigkeitsüberschreitungen für die Fahrer/innen keine Konsequenzen mehr hätten, es auch keine abschreckende Wirkung mehr gäbe, wenn Geschwindigkeitsmessungen nicht mehr stattfänden oder nicht verwertbar wären. In Anbetracht des realen Verkehrsaufkommens und der Verkehrsdichte könnte der Staat das Grundrecht der Bürger und damit aller Verkehrsteilnehmer auf maximal mögliche körperliche Unversehrtheit nicht mehr in ausreichendem und leistbarem Ausmaß gewährleisten.

Ja, richtig gelesen. Ein wenig voluminös, wenn die Leitsätze, wovon ich ausgehe, vom AG kommen. Erinnern ein wenig an Entscheidungen des OLG Bamberg 🙂 .

Und 10. ist in meinen Augen falsch. Man kann doch nicht die Verwertbarkeit von Messungen trotz ggf. vorhandener Fehler damit rechnen, dass sonst die Sicherheit des Straßenverkehrs nicht mehr gewährleistet ist.