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Vollstreckung II: Auswirkungen einer Pfändung, oder: Taschengeld in der Sicherungsverwahrung

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Das zweite Posting des Tages hat den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.10.2023 – 2 Ws 282/23 – zum Gegenstand. Er befasst sich mit den Voraussetzungen des Taschengeldanspruchs in der Sicherungsverwahrung.

Der Antragsteller ist im Vollzug der Maßregel der Sicherungsverwahrung untergebracht. Im Mai 2023 konnte er krankheitsbedingt keiner Beschäftigung nachgehen. Von der am 04.05.2023 erhaltenen Vergütung für vorher geleistete Arbeit in Höhe von 211,19 EUR buchte die Antragsgegnerin, da das Überbrückungsgeld schon vollständig angespart war, 90,51 EUR auf das Hausgeld und 120,68 EUR auf das Eigengeld. Der letztgenannte Betrag wurde umgehend aufgrund einer bestehenden Pfändung zugunsten eines Gläubigers umgebucht.

Den Antrag des Antragstellers, ihm für den Monat Mai 2023 Taschengeld zu gewähren, lehnte die JVA ab. Nach ihrer Auffassung fehlte es an der erforderlichen Bedürftigkeit des Antragstellers, da ihm auch der dem Eigengeld zugeschriebene Anteil der im Mai zugeflossenen Arbeitsvergütung zur Verfügung gestanden habe. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrte der Antragsteller die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Taschengeldberechnung für Mai 2023, die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm unter Neuberechnung für Mai 2023 40,90 EUR Taschengeld gutzuschreiben sowie die Berechnung für die Folgemonate anzupassen und ihn insoweit neu zu bescheiden.

Das LG hat diese Anträge zurückgewiesen. Dagegen die Rechtsbeschwerdedes Antragstellers, die das OLG als begründet angesehen hat:

“ ….. Voraussetzung für den Taschengeldanspruch Untergebrachter, die krankheitsbedingt keiner Beschäftigung nachgehen können (§ 49 Abs. 1 Satz 1 und 2 JVollzGB BW III), ist deren Bedürftigkeit. In Fortführung der zur Regelung in § 46 StVollzG ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung (Übersicht bei Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 46 StVollzG Rn. 4) regelt § 49 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB BW V, dass Untergebrachte bedürftig sind, soweit ihnen im laufenden Monat aus sonstigen Einkünften nicht ein Betrag bis zur Höhe des Taschengeldes zur Verfügung steht.

Danach gilt das Zuflussprinzip, d.h. bei der Bestimmung der Bedürftigkeit sind nur solche Mittel zu berücksichtigen, die dem Untergebrachten in dem Kalendermonat, für den Taschengeld beansprucht wird, bereits zugeflossen sind, nicht aber solche, die zwar in diesem Zeitraum entstehen, aber erst später ausgekehrt werden (OLG Dresden NStZ 1998, 399 [bei Matzke]; OLG Hamburg NStZ 2000, 672; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 62). Die Entscheidung über den Anspruch kann danach in der Regel erst nach dem Ende des Monats ergehen, für den Taschengeld beantragt wird, da erst dann eine vollständige Beurteilung der Bedürftigkeit möglich ist (Nr. 3.1 VV zu § 53 JVollzGB BW III i.V.m. Nr. 2 VV zu § 49 JVollzGB BW V; OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Celle NStZ-RR 2014, 339).

Noch nicht ausdrücklich entschieden ist dagegen bisher die Frage, welche Auswirkungen die Pfändung von Einkünften des Antragstellers auf die Feststellung der Bedürftigkeit hat, auch wenn zu den für die Beurteilung maßgeblichen Grundsätzen bereits Entscheidungen ergangen sind. Dazu ist zunächst darauf abzustellen, dass der Zweck des Taschengelds dem des Hausgelds (§ 49 Abs. 2 JVollzGB BW V) entspricht. Es dient damit der Befriedigung von persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens, die über die auf Existenzsicherung ausgerichtete Versorgung durch die Anstalt hinausgehen (BVerfG NJW 1996, 3146; StV 1995, 651); zugleich soll damit der besonderen Anfälligkeit von Mittellosen für behandlungsfeindliche subkulturelle Aktivitäten entgegengewirkt werden (Arloth/Krä a.a.O., § 46 StVollzG Rn. 1 m.w.N.). Von dieser Zweckbestimmung ausgehend ist die nach § 49 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB BW V maßgebliche Frage, ob dem Untergebrachten im Anspruchsmonat andere Mittel zur Verfügung stehen, danach zu beantworten, ob ihm die erforderlichen Geldmittel rein tatsächlich zu Gebote stehen (OLG Dresden a.a.O.). Das ist bei einem Zufluss von Mitteln, die – wie bei einer Pfändung – sofort für eine vom Willen des Untergebrachten unabhängigen Zweck eingesetzt werden, jedoch nicht der Fall. Erst recht gilt dies, wenn – wie dies bei Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen üblicherweise der Fall ist – bereits der Anspruch auf Lohnzahlung gepfändet ist und deshalb der von der Pfändung betroffene Lohn dem Untergebrachten von vornherein nicht zur Verfügung steht.

Bei der Bestimmung der dem Antragsteller im Mai 2023 zur Verfügung stehenden Mittel hat danach das gepfändete Eigengeld ebenso wie das zweckgebundene Überbrückungsgeld außer Betracht zu bleiben. Da ihm danach in diesem Zeitraum nur das Hausgeld in Höhe von 90,51 € im Sinn des § 49 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB BW V zur Verfügung stand, erweist sich die Rechtsbeschwerde in Höhe des geltend gemachten Taschengeldanspruchs für Mai 2023 auch als begründet. Soweit die Differenz zwischen den dem Untergebrachten zur Verfügung stehenden Mitteln und dem Taschengeldanspruch in Höhe von 131,46 € rechnerisch geringfügig höher als der vom Senat zuerkannte Betrag ist, konnte der Senat über den in erster Instanz ausdrücklich gestellten Antrag auf Gewährung von 40,90 € Taschengeld wegen des in Strafvollzugssachen geltenden Verfügungsgrundsatzes (Arloth/Krä a.a.O., § 115 StVollzG Rn. 1 m.w.N.) nicht hinausgehen.“

Vollstreckung I: Sicherungsverwahrung 10 Jahre +? oder: Nicht ohne Sachverständigengutachten

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Heute stelle ich drei Entscheidungen aus dem Bereich Strafvollstreckung/Strafvollzu vor.

Ich beginne mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.05.2022 – 1 Ws 46/22 – zur Fortdauer von Sicherverwahrung. Der Verurteilte ist durch seit dem 12.02.2009 rechtskräftige Urteil wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Außerdem ist Sicherungsverwahrung angeordnet worden.

Nach vollständiger Vollstreckung der Freiheitsstrafe ordnete die Strafvollstreckungskammer des LG mit Beschluss vom 21.11.2011 die Vollziehung der Sicherungsverwahrung an. Diese sei durch eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) zu vollstrecken, weil hierdurch die Resozialisierung des Verurteilten besser gefördert werde als durch eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.

Der Verurteilte befand sich vom 06.01.2012 bis zum 07.05.2014 im Krankenhaus des Maßregelvollzugs in Berlin und wurde dann in die Sicherungsverwahrung der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel überführt, weil sein ausgeprägtes Abwehrverhalten therapeutische Fortschritte verhindert hatte. Am 28. August 2019 wurde der Verurteilte in die Sicherungsverwahrung der JVA Brandenburg a. d. H. verlegt.

Die Strafvollstreckungskammer hat zuletzt mit Beschluss vom 21.10.2020 die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet. Unter dem 07.09.2021 beschloss sie die Einholung eines forensisch-psychiatrischen Gutachtens zu der Frage, ob die Gefahr besteht, dass der Verurteilte erhebliche Straftaten begehen werde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Anfang November 2021 teilte der Sachverständige dem Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer telefonisch mit, den Gutachtenauftrag nicht auszuführen. Am 17.12.2021 hörte die Kammer den Verurteilten mündlich an. Mit Beschluss vom selben Tag beauftragte die Kammer einen anderen Sachverständigen mit der forensisch-psychiatrischen Begutachtung des Verurteilten und ordnete zugleich die Fortdauer der Unterbringung an.

Dagegen die sofortige Beschwerde des Verurteilten, die Erfolg hatte:

„1. Die angefochtene Entscheidung ist verfahrensfehlerhaft, sie unterliegt deshalb der Aufhebung.

Die Strafvollstreckungskammer musste sich von Amts wegen vor Ablauf des 05. Januar 2022 mit der Frage nach der Fortdauer der Sicherungsverwahrung befassen und war gehalten, hierzu gemäß § 67 Abs. 3 StGB ein forensisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen. Daran fehlt es, das Gutachten liegt bis heute nicht vor. Die Entscheidung der Kammer zur Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung entbehrt deshalb der erforderlichen Tatsachengrundlage.

Nach dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB ist die Maßregel der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug zwingend für erledigt zu erklären, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Verurteilte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Die Gefahr muss positiv festgestellt sein (OLG Karlsruhe StV 2012, 228, 230). Hierzu bedarf es zwingend der Einholung eines (externen) Gutachtens (BVerfG NStZ-RR 2014, 222; StV 2009, 37).

Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG hat auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Aus ihr ergeben sich Mindesterfordernisse für eine zuverlässige Wahrheitserforschung. Deshalb ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben (BVerfG NStZ-RR 2014, 222 m. w. N.). Dieses Erfordernis wird für den vorliegenden Fall prozessual vermittels § 463 Abs. 3 S. 4 StPO umgesetzt, der zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 67 d Abs. 3 StGB zwingend die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage verlangt, ob von dem Verurteilten weiterhin erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind.

Indem die Kammer ihre Entscheidung, die Fortdauer der Unterbringung anzuordnen, getroffen hat, ohne zuvor sachverständigen Rat einzuholen, hat sie die verfahrensrechtliche Bestimmung des § 463 Abs. 3 S. 4 StPO verletzt.

Der Verfahrensfehler zwingt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Weil in Ermangelung des Vorliegens eines aktuellen forensisch-psychiatrischen Gutachtens nach wie vor keine zureichende Tatsachengrundlage für eine Sachentscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung besteht, ist dem Senat eine eigene Entscheidung im Sinne des § 309 Abs. 2 StPO verwehrt.

Die Strafvollstreckungskammer wird ihre neuerliche Entscheidung unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Begutachtung zu treffen haben. Gemäß §§ 454 Abs. 1 S. 2 und 3, 463 Abs. 3 S. 1 StPO wird es erneuter Anhörung des Verurteilten, der Staatsanwaltschaft und der Vollzugsanstalt sowie gemäß §§ 463 Abs. 3 S. 3, 454 Abs. 2 S. 3 StPO der mündlichen Anhörung des Sachverständigen bedürfen, wobei dem Verurteilten, dessen Verteidiger und der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben ist.

2. Der Verurteilte ist durch die Fristüberschreitung bei der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG verletzt.

Die Zehn-Jahres-Frist des § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB dient der Wahrung des Übermaßverbotes bei der Beschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG. Wegen des sich mit zunehmender Dauer der Unterbringung verschärfenden Grundrechtseingriffs sind Fortdauerentscheidungen mit zunehmender Verwahrungsdauer an eine steigende Wahrscheinlichkeit einer drohenden erheblichen Rechtsgutverletzung zu binden. An die Voraussetzungen einer über zehn Jahre hinaus dauernden Sicherungsverwahrung sind deshalb hohe Anforderungen zu stellen (BVerfG, Urteil vom 05. Februar 2004, 2 BvR 2029/01, Juris; OLG Hamm, Beschluss vom 28. März 2019, III-3 Ws 99/19, Rz. 22, Juris). In prozessualer Hinsicht führt dies zu einer Verpflichtung der Gerichte, vor – fristgemäßer – Entscheidung über die Fortdauer der langjährigen Unterbringung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens eine tragfähige tatsächliche Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Dieser Verpflichtung genügt die, wenn auch neuerliche, Beauftragung des Sachverständigen erst am 17. Dezember 2021 angesichts Fristablaufs am 05. Januar 2022 nicht. Vielmehr liegt hierin eine Grundrechtsverletzung begründet, die unverändert andauert, weil das Gutachten immer noch nicht vorliegt.

Zwar führt nicht jede Verzögerung des Geschäftsablaufs in Unterbringungssachen, die zu einer Überschreitung der Fristvorgaben führt, automatisch zu einer Grundrechtsverletzung, weil es zu solchen Verzögerungen auch bei sorgfältiger Führung des Verfahrens kommen kann. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass der Geschäftsgang der Strafvollstreckungskammer in der Verantwortung des Vorsitzenden oder des Berichterstatters eine Fristenkontrolle vorsieht, welche die Vorbereitung einer rechtzeitigen Entscheidung vor Ablauf der Prüffrist sicherstellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Untergebrachte in der Regel persönlich anzuhören ist und dass auch für eine sachverständige Begutachtung ausreichend Zeit verbleiben muss (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2016, 2 BvR 1103/16; OLG Hamm a. a. O.; Juris).

Diesen Vorgaben ist der Verfahrensgang vorliegend nicht gerecht geworden. Warum trotz telefonischer Information des vormaligen Sachverständigen Anfang November 2021 gegenüber dem Vorsitzenden, er werde den Gutachtenauftrag nicht erfüllen, erst am 17. Dezember 2021 ein anderer Sachverständiger mit der Begutachtung des Verurteilten beauftragt wurde, erschließt sich nicht und lässt eine unrichtige Anschauung der grundrechtssichernden Bedeutung der Zehn-Jahres-Frist des § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB befürchten.“

Pflichti III: Pflichtverteidiger für Sicherungsverwahrte, oder: Privilegierung des Sicherungsverwahrten

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Und im letzten Posting dann hier der KG, Beschl. v. 25.03.2022 – 2 Ws 2 – 7/22 Vollz – mit einer nicht alltäglichen Thematig, nämlich der Frage der Beiordnung eines Rechtsanwalts für Sicherungsverwahrte in Vollzugsverfahren.

Grundlage des Beschlusses sind Ausführungen des beschwerdeführenden Gefangenen in öffentliche Krankenhäuser aus medizinischen Gründen. Bei den Ausführungen trug der Gefangene gemäß der Anordnung der Justizvollzugsanstalt jeweils Fesseln und Anstaltskleidung und wurde von zwei uniformierten Justizvollzugsbediensteten begleitet. Der Gefangener wendet sich mit seinen Anträgen gegen diese Sicherungsmaßnahmen und macht im Wesentlichen geltend, dass eine Begleitung durch (nicht uniformierte) Beamte ausreichend gewesen wäre. In all diesen Verfahren hatte der Gefangene jeweils beantragt, ihm (s)eine Rechtsanwältin B. gemäß § 109 Abs. 3 Satz 1 StVollzG beizuordnen. Die Strafvollstreckungskammer hatte diese Anträge abgelehnt. Hiergegen richten sich die Beschwerden des Gefangenen, die beim KG keinen Erfolg hatten:

„b) Die Beschwerden sind jedoch unbegründet, da die im Streit stehenden Ausführungen keine „Maßnahmen“ im Sinne des § 109 Abs. 3 Satz 1 StVollzG sind.

aa) Anlass für die Regelung in § 109 Abs. 3 StVollzG und der damit einhergehenden Privilegierung von Sicherungsverwahrten und Strafgefangenen, bei denen die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung ansteht oder zumindest möglich ist, war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 – (NJW 2011, 1931). In diesem führte das Bundesverfassungsgericht u.a. aus, dass Untergebrachten ein effektiv durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Durchführung der Maßnahmen eingeräumt werden müsse, die zur Reduktion ihrer Gefährlichkeit geboten seien. Das von Verfassungs wegen geltende „Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot“ erfordere, dem Untergebrachten einen geeigneten Beistand beizuordnen, der ihn in der Wahrnehmung seiner Rechte und Interessen unterstütze (BVerfG a.a.O. S. 1939). Diese Ausführungen hat sich der Gesetzgeber zu Eigen gemacht (vgl. BT-Drucks. 17/9874 S. 27) und mit § 109 Abs. 3 StVollzG eine Regelung getroffen, die es erlaubt, bestimmten Antragstellern unter privilegierten Voraussetzungen einen Rechtsanwalt beizuordnen. Nach dem Willen des Gesetzgebers stellt die Beiordnung – bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen sowie bei einem Streit über die dort genannten Maßnahmen dann – den Regelfall dar (vgl. BT-Drucks. 17/9874 S. 27).

bb) Eine Beiordnung nach § 109 Abs. 3 Satz 1 StVollzG ist dabei allein im Hinblick auf eine „Maßnahme“ möglich, „die der Umsetzung des § 66c Abs. 1 des Strafgesetzbuches“ dient. Denn die Beiordnung soll nur für solche Streitigkeiten erfolgen, die eine den Leitlinien des § 66c StGB konforme Umsetzung des Abstandsgebotes betreffen (vgl. Senat NStZ 2017, 115). Das ist hier nicht der Fall. Denn es handelt sich vorliegend um keine Maßnahme im Sinne des § 66c Abs. 1 StGB. Im Einzelnen:

Bei den hier konkret im Streit stehenden Ausführungen handelt es sich um keine spezifische „Betreuung“ im Sinne des § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB, insbesondere auch nicht um eine „psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlung“. Die Ausführungen waren allein bewilligt worden, um dem Gefangenen medizinische Hilfe außerhalb der Justizvollzugsanstalt, nämlich in der Charité zukommen zu lassen. Diese allgemeine Gesundheitsfürsorge an sich ist aber in aller Regel keine spezifische „Betreuung“ im Sinne der genannten Vorschrift (so schon Senat, Beschluss vom 22. Juli 2021 – 2 Ws 37/21 Vollz –). Nichts Anderes kann für die bloße Ausführung dorthin gelten. Denn ihr Zweck erschöpft sich allein darin, dem Gefangenen dann vor Ort externe ärztliche Hilfe zukommen zu lassen. Entsprechendes hatte der Senat auch schon für die Ausführung von Sicherungsverwahrten zu Gerichtsterminen entschieden (Beschluss vom 5. Dezember 2016 – 2 Ws 242/16 Vollz –). Ebenso wenig betreffen die hier streitigen Einzelmodalitäten der Ausführungen die in § 66c Abs. 1 Nr. 2 StGB beschriebenen grundsätzlichen Anforderungen an die Unterbringung. Dies gilt insbesondere auch für das in lit. b der Vorschrift beschriebene (räumliche) Trennungsgebot. Schließlich handelte es sich auch nicht um eine Maßnahme im Sinne des § 66c Abs. 1 Nr. 3 StGB. Zwar kann auch eine Ausführung grundsätzlich eine „vollzugsöffnende Maßnahme“ im Sinne von lit. a) der Vorschrift sein. Doch dienten die hier bewilligten Maßnahmen gerade nicht der (für Nr. 3 erforderlichen) „Erreichung des in Nummer 1 Buchstabe b genannten Ziels“, nämlich die Gefährlichkeit des Gefangenen zu mindern, sondern galten allein der allgemeinen Gesundheitsfürsorge (§§ 70 ff. StVollzG Bln). Schon aus diesem Grund liegt auch keine Maßnahme im Sinne des § 66c Abs. 1 Nr. 3 lit. b) StGB vor, zumal es sich hier nicht um eine „nachsorgende Betreuung“ handelte.“

Zwangsmedikation, oder: Der in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Sicherungsverwahrte

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Im Angebot dann heute drei Entscheidung aus Vollstreckung und/oder Vollzug.

Ich eröffne mit dem KG, Beschl. v. 20.08.2018 – 2 Ws 137, 138/18 Vollz, einer „vollzugsrechtlichen“ Entscheidung, und zwar zur der Frage: Ist ggf. die Zwangsmedikation von Sicherungsverwahrten, die in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, erlaubt? Das KG verneint die Frage und führt dazu aus:

„Etwas anderes gilt jedoch für den Vollzug der Maßregel. Dieser gestaltet die Maßregel inhaltlich und berührt den materiell-rechtlichen Status des Untergebrachten nicht. Es gelten die auf die inhaltliche Ausgestaltung der jeweils vollzogenen Maßregel zugeschnittenen Vorschriften (vgl. Veh in Münchener Kommentar, StGB 3. Aufl., § 67a Rn. 27; Rissing-van Saan/Peglau in LK aaO, § 67a, Rn. 66; Jehle in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB 3. Aufl., § 67a, Rn. 15; Ziegler in von Heintschel-Heinegg, StGB 2. Aufl., § 67a, Rn 7; a.A. Pollähne in NK, StGB 4. Aufl., § 67a, Rn. 35; Volckhart/Grünebaum, Maßregelvollzug 8. Aufl., II. Teil, Rn. 49).

b) Eine weitergehende Rechtsgrundlage für einzelne therapeutische Maßnahmen, Eingriffe oder Lockerungen folgt aus § 67a StGB hingegen nicht. Derartige Maßnahmen setzen eine konkrete gesetzliche Regelung in dem zur Anwendung gelangenden Vollzugsrecht der aufnehmenden Maßregel – hier dem PsychKG Berlin – voraus.

Trotz der grundsätzlichen Geltung des PsychKG Berlin als Vollzugsrecht der aufnehmenden Maßregel, kommt seine (unmittelbare) Anwendung in der vorliegenden Fallkonstellation nicht in Betracht. Das Gesetz erstreckt seinen Anwendungsbereich nicht auf die Überweisung von Sicherungsverwahrten in das Krankenhaus des Maßregelvollzuges nach § 67a Abs. 2 StGB. § 42 PsychKG, der die strafrechts- und strafprozessrechtsbezogene Unterbringung regelt, erfasst ausschließlich Personen, die nach § 63, § 64 oder § 67h des Strafgesetzbuches, § 7 des Jugendgerichtsgesetzes oder § 81 oder § 126a der Strafprozessordnung, soweit die Durchführung der Unterbringung am jeweiligen Ziel nach der Strafprozessordnung ausgerichtet ist, in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt untergebracht sind. Die Unterbringung des Beschwerdeführers im Krankenhaus des Maßregelvollzuges beruht jedoch auf den im Gesetz nicht angeführten §§ 66, 67a StGB.

Es liegt insoweit eine planwidrige Regelungslücke vor. Weder dem Gesetzestext noch den Gesetzesmaterialien (vgl. Drucksache 17/2696 des Abgeordnetenhauses von Berlin) lassen sich Hinweise entnehmen, dass der Gesetzgeber die Fallkonstellation der Überweisung eines Sicherungsverwahrten in das Krankenhaus des Maßregelvollzuges bewusst von der gesetzlichen Regelung ausgenommen hat. Vielmehr spricht bereits die einschränkungslose Überschrift des Teil 4 PsychKG Berlin („Strafrechtsbezogene Unterbringung“) dafür, dass sämtliche hierauf bezogenen Konstellationen erfasst werden sollten.

Diese Gesetzeslücke kann nicht durch eine analoge Anwendung des § 57 PsychKG Berlin geschlossen werden, weil diese Vorschrift keine begünstigenden, sondern belastenden Regelungen enthält. Dabei kommt es nicht darauf an, dass eine Zwangsmedikation, die vorliegend durchaus sinnvoll erscheint, bei einem Behandlungserfolg günstige Auswirkungen auf den Betroffenen haben kann.  Denn zunächst stellt die zwangsweise Medikation einen belastenden Eingriff dar, für den es an einer gesetzlichen Grundlage fehlt. Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ist es erforderlich, dass Ermächtigungen der Exekutive zur Vornahme belastender Verwaltungsakte durch das ermächtigende Gesetz nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sind, so dass die Eingriffe messbar und in gewissem Umfang für den einzelnen voraussehbar und berechenbar werden (vgl. BVerfGE 8, 274 [325]; 13, 153 [160]; 52, 1 [41]). Hoheitliche Eingriffe in die Rechtssphäre des Einzelnen bedürfen insofern nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung stets einer gesetzlichen Grundlage, die durch eine analoge Anwendung anderer Vorschriften nicht ersetzt werden kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. August 1996 – 2 BvR 2088/93 –, juris, Rn. 10). Infolge dieses Analogieverbotes besteht für belastende Maßnahmen, die über die „Nulllinie“ der durch die materielle Unterbringungsentscheidung gerechtfertigten Freiheitsentziehung hinaus in Rechte einer nach § 67a Abs. 2 StGB im Krankenhaus des Maßregelvollzuges untergebrachten Person eingreifen (wie etwa die besonderen Sicherungsmaßnahmen im Sinne des § 72 PsychKG) derzeit keine gesetzliche Grundlage. Diese zu schaffen (etwa durch eine Ergänzung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 und § 42 PsychKG) ist indes allein Aufgabe des Gesetzgebers.

Ein Rückgriff auf das SVVollzG-Berlin kommt wegen der vorrangigen Anwendbarkeit des Vollzugsrechts der aufnehmenden Maßregel bereits systematisch nicht in Betracht. Zudem findet sich auch hier keine auf die vorliegende Fallkonstellation zugeschnittene gesetzliche Regelung. Denn nach § 1 SVVollzGBerlin gilt das Gesetz nur für den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Einrichtungen der Landesjustizverwaltung. Das Krankenhaus des Maßregelvollzuges gehört jedoch zum Geschäftsbereich der Gesundheitsverwaltung.“

Sicherungsverwahrung, oder: Therapieunwilligkeit bei Sprachstörungen?

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Die dritte Entscheidung aus dem Vollstreckungsbereich kommt heute vom KG. Der KG, Beschl. v. 06.02.2018 – 2 Ws 2/18 – befasst sich in einem Verfahren nach § 119a StVollzG mit der Frage der „Therapieunwilligkeit“ eines/des Gefangenen. Besonderheit war, dass dieser aufgrund eines Schlaganfalls sprachgestört war. Das LG hatte „Therapiewilligkeit“ verneint.

Das KG beanstandet das in seiner Entscheidung, die u.a. folgende Leitsätze hat.

1. Die Annahme der Vollzugseinrichtung, ein durch einen Schlaganfall in seinem Sprachvermögen ganz erheblich eingeschränkter vornotierter Strafgefangener sei „therapieunwillig“, bedarf eingehender gerichtlicher Aufklärung, dies insbesondere auch dann, wenn dem Gericht aufgrund der beschriebenen Störung die Kommunikation mit dem Sicherungsverwahrten im Anhörungstermin nicht möglich war.

2. Der „Betreuungsauftrag“ des § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB schließt medizinische Behandlungen jedenfalls dann ein, wenn sie zur Durchführung von psychiatrischen Behandlungen, insbesondere von Therapiegesprächen erforderlich sind.

Das KG war – so scheint es mir – wegen der Argumentation des LG „ein wenig“ angefressen zu sein. Im Beschluss heißt es u.a.

„Soweit im Beschluss weiter ausgeführt wird, „rein medizinische Maßnahmen“ seien vom Betreuungsauftrag des § 66c StGB nicht umfasst, hat bereits die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend auf Folgendes hingewiesen:

„Es geht im vorliegenden Fall auch nicht um eine Prüfung der medizinischen Versorgung in der Haftanstalt im allgemeinen, sondern um medizinische Maßnahmen als Voraussetzung einer (anschließenden) therapeutischen Behandlung zur Reduzierung der Gefährlichkeit des Verurteilten und damit konkret auf eine solche vom Gesetzeszweck gedeckte Behandlung bezogene (besondere) Maßnahmen. Der Gesetzgeber hatte bei der Einführung von § 66c StGB erkennbar nicht den körperlich eingeschränkten Verurteilten, gegen den eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verhängt wird, vor Augen. Einer Einbeziehung medizinischer Maßnahmen mit dem Ziel der Wiederherstellung oder Verbesserung der Behandlungsfähigkeit und -bereitschaft steht daher systematisch nichts entgegen.“

Nach § 66c Abs. 1, 2 StGB ist Sicherungsverwahrten und vornotierten Strafgefangenen eine „Betreuung“ anzubieten, die zum Ziel hat, die Gefährlichkeit des Inhaftierten maßgeblich zu mindern. Dies muss „individuell und intensiv“ sein (vgl. BT-Drucks. 17/9874 S. 18). Diese Vorgaben beruhen auf den in den Gesetzesmaterialien sogar ausdrücklich zitierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum „ultima-ratio-Prinzip“. Die in den Materialien wiedergegebene Passage aus dem Urteil vom 4. Mai 2011 lautet (BVerfGE 128, 361, 379):

„Die Sicherungsverwahrung darf nur als letztes Mittel angeordnet werden, wenn andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht ausreichen, um dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit Rechnung zu tragen. Diesem ultima-ratio-Prinzip bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung folgt der Gedanke, dass auch der Vollzug diesem Prinzip entsprechen muss. Kommt Sicherungsverwahrung in Betracht, müssen schon während des Strafvollzugs alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Gefährlichkeit des Verurteilten zu reduzieren. Insbesondere muss gewährleistet sein, dass etwa erforderliche psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlungen, die oftmals auch bei günstigem Verlauf mehrere Jahre in Anspruch nehmen, zeitig beginnen, mit der gebotenen hohen Intensität durchgeführt und möglichst vor dem Strafende abgeschlossen werden“ [Hervorhebung durch den Senat].

Angesichts des Hinweises darauf, dass es schon von Verfassung wegen geboten ist, „alle Möglichkeiten“ auszuschöpfen, kann keinen Zweifel daran bestehen, das damit jedwede erfolgsversprechende Chance genutzt werden muss. Dass dabei einzelne, in der Praxis besonders bedeutsame Behandlungen aufgeführt werden, hat ersichtlich nur beispielhaften Charakter, ist aber keinesfalls abschließend zu verstehen, was durch den Gebrauch des Wortes „insbesondere“ nochmals deutlich hervorgehoben wird. Der Wortlaut, vor allem aber die Historie und der Sinn und Zweck des § 66c StGB weisen daher eindeutig darauf hin, dass die „Betreuung“ im Sinne dieser Norm als umfassender Behandlungsauftrag verstanden werden muss. Dieser schließt medizinische Behandlungen jedenfalls dann ein, wenn sie – wie hier die Rehabilitation, insbesondere der Wiederherstellung des Sprachvermögens – zur Durchführung von psychiatrischen Behandlungen, insbesondere von Therapiegesprächen erforderlich sind.

Die Erwägung des Landgerichts, dass die hier in Rede stehenden medizinischen Maßnahmen dazu führen würden, dass der Verurteilte wieder gefährlich werden könne (so etwa BA S. 25, 26) und schon aus diesem Grund nicht Teil einer „Betreuung“ im Sinne des § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB sein könne, da diese die Minderung der Gefährlichkeit bezwecken würde, liegt neben der Sache. Sie steht zu dem Leitbild eines modernen Strafvollzugs, der anders als ein bloßer „Verwahrvollzug“ den Gefangenen befähigen soll, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (so etwa § 2 Satz 1 StVollzG Bund und § 2 Satz 1 StVollzG Bln), in einem unauflösbaren Widerspruch.“