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StPO II: „Gefahr im Verzug“ im Ermittlungsverfahren, oder: „Berührt, geführt“.

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Die zweite Entscheidung, der LG Kiel, Beschl. v. 12.10.2023 – 10 Qs 48/23 – behandelt eine Problematik aus dem Ermittlungsverfahren. In dem waren nach einer Durchsuchung ein Mobiltelefon und ein Tablet(computer) sicher gestellt worden. Dagegen das Rechtsmittel des Beschuldigten, das beim LG Erfolg hatte:

„Auch in der Sache hat die sofortige Beschwerde Erfolg.

Bei der verfahrensgegenständlichen Ermittlungsmaßnahme handelt es sich entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Kiel nicht um eine vorläufige Sicherstellung nach § 110 StPO, sondern um eine Beschlagnahme im Sinne des § 94 Abs. 2 StPO (vgl. dazu unten Abschnitt II 1), welche unter Verstoß gegen den in § 98 Abs. 1 S. 1 StPO statuierten Richtervorbehalt durch die Staatsanwaltschaft angeordnet worden ist (vgl. dazu unten Abschnitt II 2).

1. Das Amtsgericht Kiel hat die verfahrensgegenständliche Maßnahme als vorläufige Sicherstellung im Sinne des § 110 StPO qualifiziert. Für diese Sichtweise spricht, dass die Strafverfolgungsbehörden sich nicht für die beiden technischen Geräte als solche interessieren, sondern lediglich für die darauf gespeicherten Daten, welche zudem im nächsten Schritt auf ihre potentielle Beweisbedeutung gesichtet werden sollen. Allerdings kann ein Sichtungsverfahren nach § 110 StPO, wie bereits dessen Regelungsstandort, aber auch der Wortlaut von § 110 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1 StPO zeigen, immer nur im Zusammenhang mit einer Durchsuchung stattfinden. Und eine Durchsuchungsmaßnahme hat es vorliegend zu keinem Zeitpunkt gegeben, so dass zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit alleine und unmittelbar die §§ 94ff. StPO heranzuziehen sind.

2. Dass die Beschlagnahme der beiden technischen Geräte durch die Staatsanwaltschaft angeordnet worden ist und nicht durch das Gericht, verstieß gegen § 98 Abs. 1 S. 1 StPO. Nach dieser Vorschrift dürfen Beschlagnahmen nämlich nur durch das Gericht, allenfalls bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen, angeordnet werden.

Gefahr im Verzug war vorliegend nicht gegeben. Die Beschlagnahme erfolgte an einem Freitag-mittag, also zu einem Zeitpunkt, an welchem sich ein Ermittlungsrichter im Dienst befindet. Dem-entsprechend ist von den beiden eingesetzten Polizeibeamten auf Anordnung der diensthabenden Staatsanwältin denn auch fernmündlich Kontakt zur zuständigen Ermittlungsrichterin aufgenommen worden. Nachdem diese erklärt hatte, eine Entscheidung erst nach Vorlage der Ermittlungsakte treffen zu können bzw. zu wollen, erging sodann eine mündliche Eilbeschlagnahmeanordnung durch die diensthabende Staatsanwältin. Hierzu war letztere jedoch nicht (mehr) befugt. Denn wenn die Strafverfolgungsbehörden den zuständigen Ermittlungsrichter mit einer Sache befasst haben, ist für ihre Eilkompetenz kein Raum mehr (vgl. dazu und zum folgenden BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016, Az. 2 StR 46/15, RN. 20f. (zitiert nach juris)). Mit der Befassung des Ermittlungsrichters endet grundsätzlich die Eilzuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden; es ist nunmehr Sache des Ermittlungsrichters, über den beantragten Eingriff zu entscheiden. Auch soweit während des durch den Ermittlungsrichter in Anspruch genommenen Entscheidungszeit-raums nach dessen Befassung die Gefahr eines Beweismittelverlusts eintritt, etwa weil dieser auf ein mündlich gestelltes Durchsuchungsbegehren hin die Vorlage schriftlicher Antragsunterlagen oder einer Ermittlungsakte fordert, Nachermittlungen anordnet oder schlicht bis zum Eintritt der Gefahr eines Beweismittelverlusts noch nicht entschieden hat, lebt die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden nicht wieder auf. Dies gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen die richterliche Entscheidung über den Durchsuchungsantrag unterbleibt.“

Warum das allerdings eine „sofortige Beschwerde“ gewesen sein soll, leuchtet mir nicht ein.

StPO III: Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme, oder: Beschlagnahme eines Mobiltelefons nach 4 Monaten

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Am Anfang der Woche hatte ich ja schon über den AG Bad Kreuznach, Beschl. v. 17.5.2022 -43 Gs 734/22 – berichtet, und zwar in Zusammenhang mit der materiellen Frage der so. Impfpassfälschung. Ich komme jetzt auf die Entscheidung noch einmal wegen der Frage der Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme, um die es in dem Beschluss geht, zurück.

Ich erinnere: Das Handy ist am 29.12.2021 sicher gestellt worden. Der Verteidiger beantragt dann mit Schriftsatz vom 02.02.2022 u.a. die Freigabe des sichergestellten IPhones und wiederholt diesen Antrag mit Schriftsatz vom 25.04.2022. Daraufhin beantragt die Staatsanwaltschaft gemäß § 98 StPO die Beschlagnahme des Iphones, da es als Beweismittel benötigt werde. Die erfolgte Sicherstellung sei noch verhältnismäßig, da die Auswertung aufgrund des unbekannten Entsperrcodes (Entsperrung durch das LKA ist noch nicht erfolgt) noch nicht erfolgen konnte. Das AG entscheidet am 17.05.2022 und meint: Auch zeitlich noch verhältnismäßig:

„Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach bzw. die Kriminalinspektion Bad Kreuznach hat das IPhone bereits Anfang Januar 2022 dem LKA zur Entsperrung übersandt. Aufgrund der bekannten Auslastung des LKA nimmt dieser Vorgang entsprechend viel Zeit in Anspruch.

Die Entsperrung erfolgt in jedem Fall und nachfolgend auch die Auswertung. Woher der Verteidiger die Erkenntnis hat, die Auswertung werde nur erfolgen, wenn der Beschuldigte die PIN mitteilt, erschließt sich dem Gericht nicht.

Die Staatsanwaltschaft übt keinen unzulässigen Druck auf den Beschuldigten aus. um sein Schweigerecht zu unterlaufen.

Die Staatsanwaltschaft hat lediglich darauf hingewiesen, dass es der Beschuldigte in der Hand hat. den Zeitraum bis zur Auswertung zu verkürzen, indem die Entsperrung durch das LKA nicht mehr erforderlich ist, weil er die PIN zur Verfügung stellt.

Bei der Prüfung. ob die Beschlagnahme noch verhältnismäßig ist, ist dieser Aspekt auch zu berücksichtigen. Der Beschuldigte hat es in der Hand den Fortgang der Ermittlungen zu beschleunigen. Wenn er dies nicht tun will, dauern die Ermittlungen eben entsprechend länger.“

M.E. – gelinde ausgedrückt – sehr dünn an der Stelle. Denn die „bekannte Auslastung des LKA“ ist m.E. kein Umstand, den man dem Beschuldigten anlasten kann. Und die Erwägung: „Der Beschuldigte hat es in der Hand den Fortgang der Ermittlungen zu beschleunigen. Wenn er dies nicht tun will, dauern die Ermittlungen eben entsprechend länger.“ halte ich schlicht für unzulässig. Jedenfalls würde sie in der Strafzumessung auffliegen.

Filmen der Polizei II: Sicherstellung des Mobiltelefons, oder: Konkrete Gefahr für „polizeiliches Schutzgut“?

Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 30.09.2021 – 1 OLG 2 Ss 33/21 –, den mir die Kollegin Hierstetter aus Mannheim geschickt hat, äußert sich zur Rechtmäßigkeit der polizeilichen Anordnung einer Herausgabe eines Mobiltelefons.

Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung verurteilt. Die Revision war insoweit beim OLG erfolgreich. Das OLG vermag auf Grund der Urteilsgründe nicht die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung feststellen:

b) Zudem begegnet der Schuldspruch insoweit durchgreifenden rechtlichen Bedenken, als sich die Rechtmäßigkeit der von den geschädigten Polizeibeamten ausgeführten Diensthandlung anhand der schriftlichen Urteilsgründe – auch in deren Gesamtheit – nicht hinreichend überprüfen lässt (vgl. §§ 114 Abs. 3, 113 Abs. 3 StGB); das Urteil leidet daher an einem durchgreifenden Darstellungsmangel (vgl. BayObLG Beschluss vom 01.06.2021 – 202 StRR 54/21, juris Rn. 14).

(a) Dass sich die mittels Tritten ausgeübte Gegenwehr des Angeklagten nicht gegen die Durchsetzung eines (im Übrigen nicht festgestellten) Platzverweises richtete, sondern zumindest vorrangig darauf ausgerichtet war, Widerstand gegen die Sicherstellung des Mobiltelefons zu leisten, liegt aufgrund der Angaben des Zeugen S. hier nahe. Denn danach hat der Zeuge die Filmaufnahmen durch den Angeklagten unterbinden und deshalb die Herausgabe des Mobiltelefons gefordert, was jener verweigert habe. Dann sei es zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf er durch Tritte am Schienbein getroffen worden sei. Auch der Zeuge V. hat ausgeführt, der Angeklagte habe sich geweigert, das Mobiltelefon herauszugeben, wonach es „in der Folge“ zu einem Gerangel um das Handy gekommen sei (UA S. 5).

(b) Die Rechtmäßigkeit der Anordnung, das Mobiltelefon herauszugeben, und von deren Durchsetzung mittels Anwendung unmittelbaren Zwangs verstehen sich hier aber nicht von selbst.

(aa) Als Ermächtigungsgrundlage für die Sicherstellung des Geräts kommt nach den festgestellten Umständen allein § 22 Nr. 1 POG RP in Betracht. Danach kann eine Sache sichergestellt werden, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Geht die Polizei präventivpolizeilich gegen die Anfertigung von Lichtbild- oder Videoaufnahmen vor, ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Stattgebender Kammerbeschluss vom 24.07.2015 – 1 BvR 2501/13, juris Rn. 14; zustimmend: Baumhöfener, K&R 2015, 760) aus den durch die Maßnahme betroffenen Grundrechten des Aufnehmenden (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) die Anforderung einer konkreten Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut. Eine solche konkrete Gefahr, welche eine mittels unmittelbarem Zwang (§ 76 POG RP) durchsetzbare Sicherstellung erlaubt hätte, hätte hier namentlich vorgelegen, wenn das Filmen mittels Mobiltelefon gem. §§ 22 S. 1, 23, 33 Abs. 1 KunstUrhG oder auch § 201a Abs. 2 StGB verboten, mithin rechtswidrig gewesen wäre. Maßgebend für die Beurteilung eines Lebenssachverhaltes im Hinblick auf die Prognose einer gegenwärtigen Gefahr sind die im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel. Es kommt darauf an, ob die Einschätzung der Lage durch den handelnden Beamten damals – ex ante gesehen – objektiv gerechtfertigt erschien (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.04.1997 – 11 A 11657/96, juris Rn. 49). Ob dies der Fall war, hat das Amtsgericht nicht erkennbar geprüft. Aufgrund dieser Lücke ist der Senat nicht in die Lage gesetzt, die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung zu überprüfen.

(bb) §§ 22, 23 KunstUrhG setzen voraus, dass die gefertigten Bildnisse ohne Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Dass hier eine solche Verbreitung oder zur Schaustellung, etwa durch alsbaldige Einstellung in das Internet, konkret zu besorgen war, ist den hierzu getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts nicht zu entnehmen. Dabei ist zu beachten, dass nicht stets davon ausgegangen werden kann, dass – im Sinne von §§ 22, 23 KunstUrhG – unzulässig gefertigte Lichtbilder auch verbreitet werden. Es bedarf vielmehr über das Filmen hinaus konkreter Anhaltspunkte dafür, dass Aufnahmen entgegen den Vorschriften des KunstUrhG unter Missachtung des Rechts der betroffenen Personen am eigenen Bild auch veröffentlicht werden (BVerwG, Urteil vom 14.07.1999 – 6 C 7/98, BVerwG, juris Rn. 27 =  BVerwGE 109, 203). Für eine solche Annahme reicht es nicht aus, dass generell derartige Aufnahmen von Polizeibeamten häufig im Internet veröffentlicht werden (VG Meiningen, Urteil vom 13.03.2012 – 2 K 373/11, juris Rn. 30). Im Hinblick auf die zivilrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen einer unrechtmäßigen Veröffentlichung ist vielmehr grundsätzlich von der Rechtstreue des Aufnehmenden auszugehen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.02.1995 – 1 S 3184/94, juris Rn. 17). Ein Anhaltspunkt für eine Veröffentlichungsabsicht des Angeklagten könnte hier zwar die konkrete Art und Weise des Filmens des Zeugen V. „direkt vor seinem Gesicht“ darstellen (zur Anfertigung einer „Porträtaufnahme“: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.04.1997 – 11 A 11657/96, juris Rn. 50). Demgegenüber kann aber nach den Gesamtumständen auch beachtlich sein, dass der Angeklagte das Motiv gehabt haben kann, einen als unrechtmäßig empfundenen Polizeieinsatz zu dokumentieren, um die Aufnahme später als Beweismittel einsetzen zu können. Ob die Annahme des Zeugen V., der Angeklagte werde „das Video, dass er von ihm aufgenommen habe, in „youtube“ veröffentlichen oder sonst wie im Internet verbreiten“ mit Blick auf die konkreten Umstände objektiv gerechtfertigt war, bedarf daher ergänzender tatrichterlicher Feststellung und Würdigung. Entsprechendes gilt für die Rechtfertigungstatbestände der §§ 201a Abs. 4, 201 Abs. 2 S. 2 StGB (vg. Baumhöfener aaO. sowie Ullenboom, NJW 2019, 3108, 3109).

(bb) Nichts Anderes würde gelten, wenn man – unbeschadet der Angabe des Zeugen V., es sei ihm um eine Verhinderung der Verbreitung von Aufnahmen gegangen – als Eingriffsgrundlage auf den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des betroffenen Polizeibeamten abstellt. Insoweit kann bereits das Herstellen von Bildnissen ohne Einwilligung des Betroffenen ein Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht beinhalten (§ 23 KunstUrhG), wobei allerdings die jeweiligen Umstände des Fertigens der Fotografien nicht unberücksichtigt bleiben dürfen (VGH Baden-Württemberg, aaO. Rn. 18). Insoweit obliegt den allgemeinen Ordnungsbehörden und der Polizei auch der Schutz privater Rechte, wenn und soweit gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne ordnungsbehördliche oder polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde (vgl. § 1 Abs. 3 POG RP). Ob auf Seiten des Angeklagten jedoch ein berechtigtes Interesse an der Anfertigung der Videoaufnahme anzuerkennen war, welches in Abwägung mit den Belangen der Persönlichkeit des betroffenen Polizeibeamten zu bringen wäre (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 26.04.2001 – 1 BvR 758/97, juris Rn. 20; VGH Baden-Württemberg, aaO. Rn. 20), hat das Amtsgericht nicht geklärt.“

StPO III: Bildaufnahmen in der HV gemacht?, oder: Darf der Vorsitzende das Handy sicher stellen?

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Und zum Tagesschluss dann noch ein Beschluss des OLG Oldenburg. Das hat im OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.03.2021 – 1 Ws 81/21 – zur Sicherstellung eines Mobiletelefons in der Hauptverhandlung Stellung genommen, und zwar wie folgt:

„Durch sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 11. Februar 2021 wurde das Mobiltelefon des Angeklagten sichergestellt, nachdem sich nach Urteilsverkündung und Erteilung der Rechtsmittelbelehrung ein Zuschauer gemeldet und mitgeteilt hatte, dass der Angeklagte zuvor mit seinem Mobiltelefon Aufnahmen im Sitzungssaal gefertigt habe. Der Vorsitzende hat seine Anordnung damit begründet, dass überprüft werden solle, ob der Angeklagte Bild-, Audio- und/oder Videoaufnahmen von der Hauptverhandlung und daran Beteiligter gefertigt habe. Der Angeklagte händigte sein Mobiltelefon aus, erklärte aber, den Entsperrcode jetzt nicht angeben zu können.

Mit Verfügung vom gleichen Tag leitete der Vorsitzende der Berufungskammer das Mobiltelefon an die Staatsanwaltschaft weiter mit der Bitte um Auswertung dahingehend, ob sich Bild-, Video- und/oder Audiodateien der Hauptverhandlung darauf befinden. Die Auswertung ist zwischenzeitlich erfolgt.

Gegen die Sicherstellung richtet sich die mit Verteidigerschriftsatz vom 15. Februar 2021 eingelegte Beschwerde des Angeklagten, auf deren Ausführungen verwiesen wird. Mit Beschluss vom 18. Februar 2021 hat der Vorsitzende der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde gegen die sitzungspolizeiliche Anordnung ist zulässig und begründet.

Zwar können sitzungspolizeiliche Maßnahmen grundsätzlich nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Ausnahmsweise ist die Beschwerde aber zulässig, wenn die Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung hinausgehende Wirkung zukommt und Grundrechte oder andere Rechtspositionen des Betroffenen beeinträchtigt werden(KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, GVG § 176 Rn. 7 m.w.N.). Dies ist hier angesichts der erst zum Ende der Hauptverhandlung nach der Urteilsverkündung erfolgten Sicherstellung des Mobiltelefons, das zur weiteren Auswertung an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurde, der Fall.

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Die sitzungspolizeiliche Gewalt des Vorsitzenden nach § 176 GVG bezweckt die Wahrung der Ordnung in der Sitzung und ermächtigt ihn zu Maßnahmen, die erforderlich sind, um den störungsfreien und gesetzmäßigen Ablauf der Sitzung zu sichern (KK-StPO/Diemer a.a.O. Rn. 1). Sie erfasst in zeitlicher Hinsicht über die eigentliche Hauptverhandlung im Sinne von § 169 GVG hinaus auch die Zeitspannen davor und danach, in denen mit der Sache zusammenhängende Angelegenheiten abgewickelt werden sowie die Verfahrensbeteiligten und Zuhörer üblicherweise den Sitzungssaal betreten oder verlassen, einschließlich der Sitzungspausen (BeckOK GVG/Allgayer, 9. Ed. 15.11.2020 Rn. 1, GVG § 176 Rn. 1).

Danach kann im Rahmen der sitzungspolizeilichen Anordnung beispielsweise einem Störer das Fotografieren untersagt und erforderlichenfalls der Fotoapparat bis zum Schluss der Sitzung weggenommen werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., GVG § 176 Rn. 7 m.w.N.). Die Sicherstellung eines Mobiltelefons über das Ende der Hauptverhandlung hinaus stellt demgegenüber keine sitzungspolizeiliche Maßnahme mehr da, da diese nicht dem Zweck dient, einen störungsfreien und gesetzmäßigen Sitzungsablauf zu gewährleisten (so auch: LG Landau, Beschluss vom 14. November 2017 – 5 Qs 19/17, juris).

So verhält es sich jedoch im vorliegenden Fall. Die Maßnahme diente erkennbar dem Zweck, das Speichermedium des Mobiltelefons nach Schluss der Hauptverhandlung daraufhin auswerten zu lassen, ob der Angeklagte verbotene und gegebenenfalls etwa nach §§ 33 Abs. 1, 22 KunstUrhG strafbare Aufnahmen gefertigt hat, und war demzufolge durch die sitzungspolizeilichen Befugnisse nicht gedeckt. Eine Beschlagnahmeanordnung nach § 94 Abs. 1 StPO kommt als Grundlage der Sicherstellung ebenfalls nicht in Betracht, da der Vorsitzende der Berufungskammer zu einer solchen nicht befugt war; die Zuständigkeit des mit der Sache befassten Gerichtes zur Beschlagnahme gemäß § 98 Abs. 1 StPO beschränkt sich auf Beweisgegenstände, die das anhängige Strafverfahren betreffen (KK-StPO/Greven, 8. Aufl. 2019, StPO § 98 Rn. 7).

Die Anordnung war daher aufzuheben.

Soweit Verdacht einer Straftat besteht, bleibt es der Staatsanwaltschaft unbenommen, einen Beschlagnahmebeschluss des zuständigen Ermittlungsrichters zu beantragen.“

„Kein Pardon für Verkehrsrowdy“, oder: Pkw-Sicherstellung bei einem „Intensivtäter des Straßenverkehrs“

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Unter der Überschrift „Kein Pardon für Verkehrsrowdy“ hat das VG Köln Anfang des Jahres über den VG Köln, Beschl. v. 06.02.2017 – 20 L 3178/16 berichtet. Den Beschluss stelle ich heute vor. Er ist auch schon etwas älter, es hat aber leider einige Zeit gedauert, bis der Beschluss veröffentlicht worden ist. Daher berichte ich erst jetzt.

Mit dem Beschluss ist der Antrag eines 18-Jährigen auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Verfügung des Polizeipräsidiums Köln, mit der seine zwei Fahrzeuge sichergestellt wurden, abgelehnt worden. Der Antragsteller war nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis. Dennoch hatte er nach den Feststellungen der Polizei seit September 2014 in mindestens 20 Fällen einen Pkw geführt. Zudem soll er nach den Erkenntnissen der Polizei zeitgleich weitere Rechtsverstöße begangen haben. Polizeilichen Kontrollen hatte er sich wiederholt durch Flucht entzogen. Bei den anschließenden Verfolgungen ist es nach den Feststellungen der Polizei zu ganz erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen und Rotlichtverstößen, zu gefährlichen Eingriffen in den Straßenverkehr, Gefährdungen des Straßenverkehrs durch rücksichtsloses Verhalten und Nötigungen gekommen. Mit Verfügung vom 25.11.2016 hat das Polizeipräsidium Köln dann einen BMW Z 4 und einen Nissan Z 350 des Antragstellers sichergestellt. Gegen diese Verfügung hat der Antragsteller Klage erhoben und zugleich einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er macht zur Begründung geltend, er halte die Sicherstellung der Fahrzeuge für unverhältnismäßig.

Das VG ist dem nicht gefolgt:

„Nach § 43 Nr. 1 PolG NRW kann die Polizei eine Sache zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr sicherstellen. Die Voraussetzungen dafür sind hier gegeben.

Die Sicherstellung der Kraftfahrzeuge dient im vorliegenden Fall der Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Konkret soll die weitere Begehung von Straftaten im Wege des Führens von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr durch den Antragsteller verhindert werden.

Unter einer polizeilichen Gefahr ist eine Lage zu verstehen, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung führen würde. Dabei sind vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit nicht nur die Individualrechtsgüter, wie Leib, Leben und Eigentum anderer erfasst, sondern auch die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung. Das bedeutet, dass sich mit jedem Verstoß gegen eine Rechtsnorm eine Gefahr realisiert hat und damit ein Schaden im vorgenannten Sinne eingetreten ist.

43 Nr. 1 PolG NRW enthält mit dem Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr eine zusätzliche Qualifizierung der Eingriffsvoraussetzungen. Der Begriff der gegenwärtigen Gefahr stellt strengere Anforderungen an die zeitliche Nähe und den Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts. Gegenwärtig ist eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht.

Aber auch bei Anwendung des qualifizierten Gefahrenbegriffs ist hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit der Gefahrenverwirklichung eine differenzierte Betrachtung geboten. Je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, umso geringer sind die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit gestellt werden können.

Vgl. dazu: BVerwG, Urteil vom 26.02.1974 – I C 31.72 -, BVerwGE 45, 51, 58 und Tegtmeyer/Vahle, PolG NRW, 10. Auflage 2011, Rn. 8 ff.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Denn es ist aufgrund der vorliegenden Erkenntnislage mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller in allernächster Zukunft erneut ein Fahrzeug ohne Fahrerlaubnis im Straßenverkehr führen wird.

Diese Annahme stützt sich auf die große Zahl der Fälle, in denen der Antragsteller ohne Fahrerlaubnis im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug geführt hat.

Der am 00.00.0000 geborene, polizeibekannte Antragsteller war zu keiner Zeit Inhaber einer Fahrerlaubnis. Es ist – auf der Grundlage der dem Gericht vorliegenden Straf- bzw. Ermittlungsakten – davon auszugehen, dass der Antragsteller seit September 2014 in mindesten 20 Fällen ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hat. Es muss zudem angenommen werden, dass der Antragsteller in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle zugleich weitere Rechtsverstöße begangen hat. Neben teils ganz erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen, Rotlichtverstößen, dem Missbrauch von Kennzeichen etc. ist nach gegenwärtiger Sachlage auch die Verwirklichung folgender Straftatbestände anzunehmen: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315 b StGB), Gefährdung des Straßenverkehrs durch grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten (§ 315 c StGB) und Nötigung (§ 240 StGB). Es sprich zudem ganz Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller Anfang Oktober 2015 anlässlich eines vorgegebenen Autokaufs ein Fahrzeug während der Probefahrt unterschlagen und mit diesem in der Folgezeit wiederholt am Straßenverkehr teilgenommen hat. In mehreren Fällen ist der Antragsteller polizeilichen Aufforderungen anzuhalten nicht nachgekommen und hat sich den Kontrollen jeweils durch eine in besonderem Maße rücksichtslose Flucht entzogen, so geschehen am 29.12.2015 und zuletzt am 26.08. und 14.09.2016. Darüber hinaus werden in zwei Fällen Verfahren wegen des Verdachts der Unfallflucht gegen den Antragsteller geführt.

Der konkreten Darstellung der Vorfälle durch den Antragsgegner ist der Antragsteller in keiner Weise substantiiert entgegengetreten. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher im Weiteren auf die detaillierten Ausführungen des Antragsgegners im Bescheid vom 25.11.2016 und in der Antragserwiderung vom 06.01.2017 Bezug genommen. Darin hat der Antragsgegner zudem zutreffend darauf hingewiesen, dass, soweit Einstellungen durch die Staatsanwaltschaft in den benannten Fällen vorgenommen worden sind, diese (vorläufig) auf der Grundlage des § 154 Abs. 1 StPO, d.h. im Hinblick auf in anderen Verfahren zu erwartende Strafen und Maßregeln, erfolgt sind. Entgegen der Annahme der Antragstellerseite ist lediglich ein einziges Verfahren wegen des Vorwurfs des Fahrens ohne Fahrerlaubnis bislang nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden und das obwohl der Antragsteller die Tat zugestanden hat.

Die vom Antragsgegner zutreffend aufgezeigte Konstanz und Selbstverständlichkeit, mit der der Antragsteller Straftaten durch und während seiner Teilnahme am Straßenverkehr begangen hat, spricht im Übrigen dafür, dass nur ein Teil seiner Taten zur Anzeige gebracht worden sein dürfte, so dass davon auszugehen ist, dass die tatsächliche Zahl der Taten um ein Vielfaches höher sein dürfte.

Allein die dokumentierten Taten belegen jedoch, dass der Antragsteller regelmäßig in ganz besonders enthemmter und rücksichtsloser Weise mit einem Kraftfahrzeug im Straßenverkehr agiert und bei dieser Fahrweise letztlich schwerste Verletzungen und auch den Tod anderer Menschen billigend in Kauf nehmen muss.

Der Antragsteller ist als Intensivtäter im Bereich der Straßenverkehrsdelikte zu bezeichnen. Er ist offenkundig in keiner Weise in der Lage, sein Verhalten eigenständig zu kontrollieren, um sich regelkonform zu verhalten. Zugleich zeigen die Vorfälle, dass Vorgaben anderer und die Versuche, von außen regulierend auf ihn einzuwirken, nicht nur ohne Erfolg geblieben sind, sondern noch zu gesteigerten Regelverstößen geführt haben.

Wiederholte polizeiliche Vorhalte, Gefährderansprachen sowie Versuche des Antragsgegners, über den Vater auf den Antragsteller einzuwirken, haben keinerlei Verhaltensänderung bewirkt. Dazu dürfte beigetragen haben, dass nach summarischer Prüfung einiges dafür spricht, dass der Vater und auch der Großvater des Antragstellers nicht nur Kenntnis von dessen strafbaren Verhalten hatten, sondern dies auch gedeckt und ihn dadurch in der Begehung von Straftaten noch bestärkt haben.“