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Self-Service, oder: Das abgeschnallte Kleinkind – ordnungswidrig?

entnommen wikimedia org Author Cschirp

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Jeder Mutter bzw. jeder Vater, der mit seinen lieben Kleinen unterwegs ist, kennt das: Man setzt den Kleinen/die Kleine in den Kindersitz und schnallt sie/ihn an. Bei Beginn der Fahrt ist das Kind also angeschnallt. Dann löst es jedoch während der Fahrt selbst den Sicherheitsgurt, schnallt sich also alleine ab. Und dann wird durch die Polizei kontrolliert. Frage: Ordnungswidrig, ja oder nein?

Die Frage – bezogen auf einen 4-Jährigen – beantwortet das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 05.11.2013 – 5 RBs 153/13 – mit einem klaren: Ja. Die Leitsätze des umfangreich begründeten Beschlusses:

1. Zum Schutz von Kindern sowie der allgemeinen Verkehrssicherheit ist die strikte Einhaltung von Sicherungsvorschriften von Kindern erforderlich. Jeder Fahrer ist verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass ein mitfahrendes Kind während der gesamten Fahrt ausreichend gesichert ist und es auch bleibt.

2. Einem Kind im Alter von 4 Jahren kann man in der Regel verständlich machen, welche Gefahren und welche Folgen eintreten können, wenn es sich während einer Fahrt abschnallt. Ebenfalls ist ein Kind in dem Alter in der Lage, das deshalb ausgesprochende Verbot, sich während der gesamten Fahrt abzuschnallen und die Ankündigung ernstzunehmender Konsequenzen bei Missachtung dieses Verbots zu verstehen, zu akzeptieren und zu befolgen. Der Fahrer muss ein solches Verbot mit Nachdruck aussprechen.

3. Die Pflicht des Kfz-Führers, während der gesamten Fahrt dafür Sorge zu tragen, dass ein im Kfz befördertes Kind vorschriftsmäßig gesichert ist und es auch bleibt, ergibt sich aus § 23 Abs. 1 Sat 2 StVO i.V.m. § 3 Abs. 2a StVO.

4. Im Einzelfall kann ein Kfz-Führer sogar gehalten sein, seine Route derart zu wählen, dass er ausschließlich Straßen befährt, auf denen ein regelmäßiges Umsehen nach dem Kind und ein sofortiges Anhalten möglich ist. Ausnahmsweise kann er sogar gehalten sein, die ständige Kontrolle des beförderten Kindes durch Mitnahme einer Begleitperson zu gewährleisten.

Also: Augen auf und nach hinten schauen 🙂

 

Sicherheitsgurt beim Busfahren anlegen – sonst kann es teuer werden

© M. Schuppich – Fotolia.com

Das OLG Hamm hatte vor einiger Zeit in einem Zivilverfahren mit der Frage des Mitverschuldens eines Fahrgastes einer Busreise bei Schädigungen wegen des Nichtanlegens eines Sitzgurtes zu tun. Der Fahrgast hatte den Sitzgurt nicht angelegt. Dadurch war es beim Überfahren von Bahngleisen zu einer Lendenwirbelfraktur gekommen. Das OLG Hamm, Urt. v. 14.05.2012 – 6 U 187/11 geht von einem Mitverschulden von 30 % aus.

„…Gemäß §§ 21 a Abs. 1 StVO, 35 a Abs. 2, 4, 7 StVZO war die Klägerin verpflichtet, den an ihren Sitzplatz vorhandenen Sitzgurt anzulegen. Dass die Klägerin gegen diese Verpflichtung verstoßen und dadurch ursächlich zu ihrer Verletzung bei­getrage hat, steht im Berufungsverfahren zwischen den Parteien außer Streit. Gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB muss sich die Klägerin daher anspruchskürzendes Mit­verschulde entgegenhalten lassen.

Im Rahmen der Abwägung der Schadensverursachungsanteile steht dem Verstoß der Klägerin gegen die Gurtpflicht auf Seiten der Beklagten die Betriebsgefahr des Reisebusses gegenüber. Diese Betriebsgefahr war zunächst einmal dadurch gestei­gert, dass der Beklagte zu 1) beim Überqueren der Bahngleise nicht die erforderliche Sorgfalt beachtet hat. Ein Verstoß gegen § 3 StVO wegen Überschreitens der zuläs­sige Höchstgeschwindigkeit liegt zwar nicht vor. Denn am 20.05.2007 war die zu­lässig Höchstgeschwindigkeit im Bereich des Bahnüberganges noch nicht auf unter 50 km/h reduziert. Der Beklagte zu 1) war aber verpflichtet, seine Fahrweise so ein­zurichte, dass die Gesundheit der Passagiere im Bus, also auch die Gesundheit der Klägerin, nicht mehr als den Umständen nach vermeidbar gefährdet wurde. Diesen Anforderungen ist der Beklagte zu 1) nicht gerecht geworden. Darüber, dass im Be­reich des Bahnüberganges mit besonderer Vorsicht gefahren werden musste, war der Beklagte zu 1) durch das Verkehrszeichen Nr. 112 informiert. Dieses Verkehrs­zeiche, das vor dem Bahnübergang aufgestellt war, wird dann aufgestellt, wenn Unebenheiten bei schneller Fahrt gefährlich werden können. Für den Beklagten zu 1) war auch vorhersehbar, dass die Unebenheit der Fahrbahn Auswirkungen auf die Sitzposition und den Halt der Passagiere im Bus haben konnte. Zudem musste er damit rechnen, dass sich zumindest einige der Fahrgäste nicht unter Verwendung des Sitzgurtes angeschnallt hatten. Vor diesem Hintergrund wäre der Beklagte zu 1) verpflichtet gewesen, im Bereich des Bahnüberganges deutlich langsamer als 38 km/h zu fahren.

Als ein die Betriebsgefahr des Reisebusses erhöhender Umstand war ferner zu be­rücksichtigen, dass es sich um einen Omnibus gehandelt hat, bei dem die Fahrbahn­unebenhei im Bereich des Bahnüberganges zu einer besonders hohen und über­raschende Krafteinwirkung auf die die letzte Sitzbank benutzenden Passagiere führte. Dies haben die Versuchsfahrten gezeigt, die zur VorDas OLG Hamm hatte vor einiger Zeit ein Zivilverfahren zu entscheiden, in dem es u.a. auch um die Frage des Mitverschuldens des Fahrgastes bei einer Busreise bei Schädigungen wegen des Nichtanlegens eines Sitzgurtes  ging. Es war bei dem Fahrgast beim Überfahren von Bahngleisen zu einer Lendenwirbelfraktur gekommen. Das OLG Hamm, Urt. v. 14.05.2012 – 6 U 187/11 ist von einem Mitverursachungsanteil von 30 % ausgegangen:bereitung des tech­nischen Gutachtens durchgeführt worden sind.

Bei der Bewertung des Eigenverschuldens der Klägerin war von Bedeutung, dass sie es bewusst unterlassen hat, von der gesetzlich vorgeschriebenen Sicherung Ge­brauch zu machen. Dennoch erachtet der Senat das Maß des Verschuldens auf Seiten der Klägerin ebenso wie auf Seiten des Beklagten zu 1) nur als gering.

Im Übrigen kann dahinstehen, ob der Beklagte zu 1) bei Fahrtantritt auf die Pflicht zur Benutzung der Sicherheitsgurte hingewiesen hat, wie die Beklagten behaupten, oder ob ein solcher Hinweis unterblieben ist, wie die Klägerin behauptet. Einer Ver­nehmung der hierzu benannten Zeugen bedarf es nicht. Denn dass es geboten war, sich anzugurten, ist generell bekannt und ergab sich für die Klägerin auch schon aus der Tatsache, dass die Gurte an den Sitzen sichtbar vorhanden waren. Andererseits würde es den Schadenverursachungsbeitrag der Beklagten nicht erhöhen, wenn der Beklagte zu 1. von einem entsprechenden Hinweis an die Businsassen abgesehen haben sollte. Denn dass sich ein solches Unterlassen ggf. ursächlich ausgewirkt hat, würde sich nicht feststellen lassen.

Die Bemessung einer Mithaftungsquote hängt stets von den Umständen des Einzel­fall ab (vgl. dazu Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 22 Rn. 82; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., StVO, § 21 a Rn. 25). In der vor­liegende Sache trifft weder den Beklagten zu 1. noch die Klägerin ein besonders schwerwiegender Schuldvorwurf. Die spezielle Gefahr, die sich hier zum Schaden der Klägerin ausgewirkt hat, war vielmehr angelegt in der technischen Konstruktion des Omnibusses und der nur begrenzten Eignung dieses Fahrzeugs, die Auswirkun­ge von Fahrbahnunebenheiten auf die Fahrzeuginsassen zu mildern. Die Nähe dieser Gefahr musste sich weder der Klägerin noch dem Beklagten zu 1. in besonderer Weise aufdrängen. Mit dem Landgericht erachtet der Senat daher eine überwiegende Haftung der Beklagten bei Mithaftung der Klägerin im Umfange von 30 % für sachgerecht.

Entgegen der Auffassung der Klägerin vermag es deren Verursachungsanteil nicht zu verringern, wenn in Reisebussen oftmals gegen die Gurtpflicht verstoßen wird. Denn auf die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Verstoß gegen die Gurtpflicht zum Schadenseintritt beiträgt, hat dies keinen Einfluss.

Der Senat folgt auch nicht der Ansicht der Beklagten, die meinen, ähnlich wie bei Fahrgästen in Linienbussen sei es in erster Linie Sache der Klägerin gewesen, sich sicheren Halt zu verschaffen, so dass die Klägerin ihren Schaden vollständig oder zumindest überwiegend selbst tragen müsse. Denn die Notwendigkeit, in Linien­busse ständig auf sicheren Halt bedacht zu sein, resultiert primär aus der Häufigkeit des Fahrgastwechsels und der Haltestopps sowie der Notwendigkeit, dass sich Benutzer von Linienbussen während der Fahrt zwischen Tür und Sitzgelegenheit fortbewegen müssen. Sobald Fahrgäste ihren Sitzplatz eingenommen haben, er­scheinen sie hingegen weniger stark gefährdet, weil der Kontakt zur Sitzfläche als solcher schon eine gewisse Sicherheit bietet.“

Also: Ganz schön teuer bei einem zuerkannten Schmerzensgeld von 100.000 €

Sicherheitsgurt – lieber anlegen…..

Noch immer nicht als Volltext liegt das BGH, Urt. v. 28.02.2012 – VI ZR 10/11 vor, in dem der BGH zur Haftungskürzung wegen Mitverschuldens bei Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes Stellung genommen hat. Da bleibt da also nach wie vor nur der Verweis auf die PM des BGH, in der es heißt:

Die Klägerin befuhr mit ihrem Pkw nachts gegen 3:10 Uhr eine Bundesautobahn und verlor aus ungeklärten Gründen die Kontrolle über ihr Fahrzeug. Dieses geriet ins Schleudern, stieß gegen die Mittelplanke und kam auf der linken Fahrspur unbeleuchtet zum Stehen. Kurz darauf prallte der Beklagte zu 1, der mit einer Geschwindigkeit von 130 km/h und eingeschaltetem Abblendlicht gefahren war, mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw auf das Fahrzeug der Klägerin. Diese wurde schwer verletzt. Sie hat Schadensersatz unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 1/3 begehrt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Haftungsquote grundsätzlich auf 60 % abgesenkt. Da die Klägerin bei dem Zweitunfall nicht angeschnallt war, hat es hinsichtlich des der Klägerin infolge ihrer Körperverletzung entstandenen Schadens einen höheren Mitverursachungsanteil angenommen und insoweit eine Haftungsquote von nur 40 % angeordnet. Mit der Revision wollte die Klägerin eine Haftung der Beklagten hinsichtlich sämtlicher Schäden mit einer einheitlichen Quote von 60 % erreichen.

Die Revision hatte Erfolg. Nach § 21a Abs. 1 StVO* müssen vorgeschriebene Sicherheitsgurte während der Fahrt grundsätzlich angelegt sein. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift kann hinsichtlich unfallbedingter Körperschäden zu einer Haftungskürzung wegen Mitverursachung führen. Da die Beklagten hier nur für die Folgen des Zweitunfalls haften, ist für die Frage der Mitverursachung durch die Klägerin allein von Bedeutung, ob zum Zeitpunkt des Zweitunfalls noch eine Anschnallpflicht bestand. Das war nicht der Fall, denn der Aufprall des von dem Beklagten zu 1 gelenkten Pkw ereignete sich nicht „während der Fahrt“ ihres eigenen Pkw. Dessen Fahrt war vielmehr dadurch beendet worden, dass der Pkw unfallbedingt an der Leitplanke zum Stehen gekommen war. Nachdem es zu diesem Unfall gekommen war, war die Klägerin mithin nicht nur berechtigt, den Gurt zu lösen, um ihr Fahrzeug verlassen und sich in Sicherheit bringen zu können, sondern gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO** sogar dazu verpflichtet, nämlich um die Unfallstelle sichern zu können. Ihr kann deshalb nicht angelastet werden, unangeschnallt gewesen zu sein, als sich der Zweitunfall ereignete.

Der u.a. für das Verkehrshaftungsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil deshalb aufgehoben und die Entscheidung zugunsten der Klägerin abgeändert.“