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Selbstverteidigung, oder: Dafür geht der Rechtsanwalt leer aus

Copyright: canstockphoto

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In schöner Regelmäßigkeit oder „Alle Jahre wieder“ gibt es eine Entscheidung eines Landgerichts, die einem Rechtsanwalt „bescheinigt“:  Der sich selbst verteidigende Rechtsanwalt hat im Falle seines Freispruchs keinen Anspruch auf Erstattung einer Verteidigervergütung aus der Staatskasse. So jetzt wieder der LG Düsseldorf, Beschl. v. 16.11.2016 – 61 Qs 51/16. Da hatte der Kollege, der Rechtsanwalt ist, gegen einen Bußgeldbescheid mit eigener Unterschrift Einspruch eingelegt und den mit dem Stempel seiner Rechtsanwaltskanzlei versehen. Der Kollege ist dann freigesprochen worden, die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Staatskasse auferlegt .

Der Kollege hat dann Kostenfestsetzung beantragt, wobei er die Gebühren eines Verteidigers (Grund- , Verfahrens- und Terminsgebühr) und eine Pauschale für Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 VV RVG geltend gemacht hat. Das AG hat den Antrag zurückgewiesen, das LG Düsseldorf hat es dann bestätigt:

„Die gemäß § 464b Satz 3 StPO i.V.m. § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Amtsgericht Neuss hat den Kostenfestsetzungsantrag des Beschwerdeführers zu Recht zurückgewiesen. Auf der Grundlage der gerichtlichen Kostengrundentscheidung kann der Beschwerdeführer, der Rechtsanwalt ist, keine Gebühren wie ein Verteidiger abrechnen.

Dies gilt unabhängig davon, ob der Beschwerdeführer seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid mit dem Stempel seiner Anwaltskanzlei versehen hat und ob er im Hauptverhandlungstermin in Robe erschienen ist. Denn in jedem Fall ist er in eigener Sache in seiner Eigenschaft als Beschuldigter tätig geworden. Dies folgt bereits daraus, dass im Straf- und Bußgeldverfahren eine Vertretung in eigener Sache unzulässig ist, wenn der Anwalt selbst Betroffener ist (BVerfG NJW 1998, 363; NStZ 1988, 282; LG Berlin, NJW 2007, 1477; OLG Hamm, StraFo 2004, 170; OLG Nürnberg, Beschl. v. 30. 6. 1999 – Ws 737/99; LG Düsseldorf, Beschl. v. 25.03.2009 – 20 Qs 21/09; Laufhütte in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 138 Rn. 3). Denn der Status des Verteidigers einerseits, welcher nach seinem gesetzlichen Auftrag als Organ der Rechtspflege mit spürbarer Distanz zum Beschuldigten und grundsätzlich gleichberechtigt mit der Staatsanwaltschaft tätig wird, und die Stellung des Angeklagten andererseits sind miteinander unvereinbar (BVerfG, NStZ 1988, 282). Dies hat die Konsequenz, dass die Eigenschaft des Betroffenen als Rechtsanwalt gebührenrechtlich ohne Belang ist.“

Also: Wenn jemand an der OWi des Rechtsanwalts „verdienen“ soll, muss man eben einen anderen Kollegen beauftragen 🙂 .

Waffengleichheit

© G.G. Lattek - Fotolia.com

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Die Fähigkeit des Angeklagten, sich selbst zu verteidigen, kann auch dann erheblich beeinträchtigt sein, wenn ein Mitangeklagter einen Verteidiger hat und sich zum Beispiel die Mitangeklagten gegenseitig, Im Recht der Pflichtverteidigung sieht § 140 Abs. 2 StPO sich als Grund für die Bestellung eines Pflichtverteidigers die „Unfähigkeit der Selbstverteidigung“ vor. Als „Untergrund“  hat sich der Begriff der sog. „Waffengleichheit“ etabliert. Davon spricht die Rechtsprechung u.a. immer, wenn einer von mehreren Angeklagten einen Verteidiger hat, ein anderer aber noch nicht und ggf. die Gefahr besteht, dass diese Angeklagten sich gegenseitig belasten. So auch die Konstellation im LG Braunschweig, Beschl. v. 18.05.2015 – 3 Qs 51/15:

„Ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 bis 9 StPO liegt zwar ersichtlich nicht vor. Allerdings ist dem Angeklagten gemäß § 68 Nr. 1 JGG in Verbindung mit 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger unter anderem auch dann beizuordnen, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann. Die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten richtet sich nach seinen geistigen Fähigkeiten, seinem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen des Falles. Die Fähigkeit des Angeklagten, sich selbst zu verteidigen, kann auch dann erheblich beeinträchtigt sein, wenn ein Mitangeklagter einen Verteidiger hat und sich zum Beispiel die Mitangeklagten gegenseitig, belasten. Dahingehend bedarf es unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit einer jeweiligen, Einzelfallprüfung (vgl. Meyer- Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., 2015, § 140 Rn. 30,31; LG Verden, Beschluss vom 04.03.2014, 1 Qs 36/14). Vorliegend liegt den Anklagen der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen die Angeklagten T und S , welcher von Rechtsanwalt M verteidigt wird, derselbe tatsächliche Lebenssachverhalt zugrunde. Beide Angeklagten sollen insbesondere auf den Zeugen H. zeitgleich eingeschlagen haben. Aufgrund der räumlichen, zeitlichen und personellen Nähe der bei beiden angeklagten Tat besteht zumindest die nicht fernliegende Möglichkeit, dass der verteidigte Mitangeklagte S in einer gemeinsamen Hauptverhandlung den Tatvorwurf betreffend eine den Angeklagten T belastende Aussage machen könnte. Bislang haben die Angeklagten T und S keine Angaben zur Sache gemacht. Nicht unberücksichtigt bleiben kann auch, dass nach dem angeklagten Sachverhalt aufgrund der mehreren beteiligten Personen Änderungen des bisherigen Aussageverhaltens nicht nur der Mitangeklagten, sondern auch von Zeugen möglich erscheinen und gegebenenfalls für einzelne Handlungen Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen. Aus dem Grundsatz eines fairen Verfahrens heraus ist es daher erforderlich, dem Angeklagten T. einen Pflichtverteidiger zu bestellen, um seine Fähigkeit, sich zu verteidigen und auf eventuelle belastende Angaben insbesondere des Mitangeklagten S. angemessen reagieren zu können, sicherzustellen.“

Do it yourself? Ja, aber Gebühren gibt es nicht

© Gina Sanders - Fotolia.com

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Ein alt bekanntes Problem ruft der LG Potsdam, Beschl. v. 09.01.2014 – 24 Qs 151/13 – in Erinnerung. Nämlich die Frage: Kann der Rechtsanwalt, der sich selbst verteidigt und frei gesprochen wird bzw. bei dem das Verfahren eingestellt wird, gegenüber der Staatskasse Gebühren nach dem RVG abrechnen. Das ist früher in der Rechtsprechung vertreten worden, heute geht die h.M. in die andere Richtung, m.E. zu Recht. So auch – für das Bußgeldverfahren – der LG Potsdam-Beschl., in dem es heißt:

„a) Zu Recht hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Potsdam eine Festsetzung der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Gebühren und Auslagen abgelehnt. Denn für die Verteidigung in eigener Sache erhält der Rechtsanwalt als Betroffener eines Bußgeldverfahrens, für das gemäß §§ 46 Abs. 1, 105 Abs. 1 OWiG die Regelungen der Strafprozessordnung sinngemäß gelten, keine Gebühren erstattet.

aa) Zwar gehören zu den notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers, die nach der Auslagenentscheidung des Amtsgerichts Potsdam die Landeskasse zu tragen hat, gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, soweit sie nach § 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind. Die Verweisung in § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO auf § 91 Abs. 2 ZPO kann allerdings – entgegen einer früher teilweise vertretenen und offenbar auch vom Beschwerdeführer favorisierten Ansicht (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1973, 1991 [OLG Frankfurt am Main 08.08.1973 – 2 Ws 200/72]; LG Wuppertal, NJW 1975, 2309 [LG Wuppertal 01.07.1975 – 25 Qs 5/75]; LG Mainz, NJW 1979, 1897) – nicht dahin verstanden werden, wegen des Wortlauts der Regelung des § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO (danach sind dem Rechtsanwalt in eigener Sache die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte) stehe ein anwaltlicher Gebührenanspruch auch einem sich selbst verteidigenden Rechtsanwalt zu. Dabei wird nämlich übersehen, dass nach § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO der in eigener Sache am Straf- oder Bußgeld verfahren beteiligte Rechtsanwalt kostenrechtlich nur dann wie ein im Verfahren durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt vertretener Beteiligter behandelt werden soll, wenn er die Aufgaben, die das Verfahrensrecht einem bevollmächtigten Rechtsanwalt zuweist, aufgrund eigener Sachkunde selbst wahrgenommen hat und nach dem Strafprozessrecht auch wahrnehmen durfte (BVerfG, NJW 1980, 1677 [BVerfG 26.02.1980 – 2 BvR 752/78]; NJW 1994, 242 [BVerfG 01.04.1993 – 2 BvR 253/93]).

Dies ist jedoch bei der Selbstverteidigung in einem Straf- oder Bußgeldverfahren – anders als im Zivilprozess, in dem § 78 Abs. 4 ZPO dem Rechtsanwalt die Möglichkeit der Selbstvertretung eröffnet – nicht der Fall. Nach übereinstimmender Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum ist es nicht zulässig, dass der Rechtsanwalt in dem von der StPO und dem OWiG gebrauchten Sinne sein eigener Verteidiger sein kann (BVerfG, NJW 1980, 1677 [BVerfG 26.02.1980 – 2 BvR 752/78]; NJW 1998, 2205 [BVerfG 19.03.1998 – 2 BvR 291/98]; LG Nürnberg-Fürth, NJW 1973, 913; LG Zweibrücken, Rpfleger 1983, 330; LG Berlin, NJW 2007, 1477; Meyer-Goßner, StPO, 56. Auflage, § 138 Rdn. 6). Denn der Status des Verteidigers, der als Organ der Rechtspflege mit spürbarer Distanz zum Beschuldigten grundsätzlich gleichberechtigt mit der Staatsanwaltschaft im Prozess tätig wird, und die Stellung des Angeklagten/Betroffenen im Straf- bzw. Bußgeldverfahren sind offensichtlich miteinander unvereinbar (BVerfG, NJW 1994, 242; NJW 1998, 2205 [BVerfG 19.03.1998 – 2 BvR 291/98]).

Aus diesem Grund findet die auf den Zivilprozess zugeschnittene Regelung des § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO nach ganz herrschender und auch von der Kammer geteilter Auffassung im Straf- und Bußgeldverfahren keine Anwendung (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 464a Rdn. 14 m.w.N.; Göhler, OWiG, 16. Auflage, vor § 105 Rdn. 45). Entsprechend dieser einschränkenden Auslegung des § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, die nicht nur verfassungsrechtlich vertretbar ist, sondern nahe liegt (BVerfG, NJW 1980, 1677 [BVerfG 26.02.1980 – 2 BvR 752/78]; NJW 1994, 242 [BVerfG 01.04.1993 – 2 BvR 253/93]), steht einem Rechtsanwalt, der sich als Angeklagter/Betroffener in einem Straf- bzw. Bußgeldverfahren selbst verteidigt hat, kein anwaltlicher Gebühren- und Auslagenanspruch zu (LG Nürnberg-Fürth, NJW 1973, 913; LG Göttingen, Rpfleger 1991, 337; Meyer-Goßner, a.a.O., § 464a Rdn. 14; Göhler, a.a.O., vor § 105 Rdn. 45).“

Ganz leer geht der Betroffene/Verteidiger aber ggf. nicht aus:

„aa) Wie jeder Beteiligte, dessen notwendige Auslagen die Landeskasse zu tragen hat, kann der sich selbst verteidigende Rechtsanwalt als Betroffener gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG auch den Vermögensverlust, der durch notwendige Zeitversäumnis entstanden ist, sowie sonstige, etwa durch die Teilnahme an einem Hauptverhandlungstermin verursachte Auslagen nach den Vorschriften, die für die Entschädigung von Zeugen gelten, erstattet verlangen (BVerfG, NJW 1980, 1677 [BVerfG 26.02.1980 – 2 BvR 752/78] [1678]; LG Zweibrücken, Rpfleger 1983, 330; Meyer-Goßner, a.a.O., § 464a Rdn. 15; Göhler, a.a.O., vor § 105 Rdn. 45). Eine Entschädigung für Verdienstausfall (§ 22 JVEG), Zeitversäumnis (§ 20 JVEG) oder sonstigen Aufwand (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 und 3 JVEG i.V.m. §§ 6, 7 JVEG) setzt allerdings jeweils voraus, dass der daraufgerichtete Anspruch gemäß § 2 Abs. 1 Satz JVEG bei der heranziehenden Stelle ordnungsgemäß geltend gemacht wird.