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Seitenschneider beim Diebstahl, oder: Diebstahl mit Waffen?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um das OLG Nürnberg, Urt. v. 15.10.2018 – 1 OLG 8 Ss 183/18 -, das mir der Kollege Franz aus Nürnberg übersandt hat. Es behandelt und entscheidet die Frage,ob ein von einem Angeklagten bei einem Diebstahl mitgeführter Seitenschneider als Waffe angesehen werden kann und der Angeklagte deshalb wegen Diebstahls mit Waffen zu verurteilen ist/war. Das LG hatte das abgelehnt, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen:

„Am 11.11.2017 gegen 14.30 Uhr entwendete der Angeklagte in den Geschäftsräumen der Firma TK MAXX, pp. ein Paar Turnschuhe sowie eine Damenuhr im Gesamtwert von 54,98 E, um die Waren ohne zu bezahlen für sich zu behalten. Mittels eines mitgeführten Seitenschneiders entfernte der Angeklagte die Warensicherung von den Turnschuhen. Der Seitenschneider ist 73 Gramm schwer und hat eine Gesamtlänge von ca. 11,5 cm, wovon 8,5 cm auf die leicht gebogenen mit Gummigriffen überzogenen Griffe entfallen. Das eigentliche Schneidwerkzeug hat eine Klingenlänge von 14 mm. Aufgrund einer zwischen den Zangenschenkeln angebrachten Feder befinden sich diese Klingen stets im teilweise geöffneten Zustand (Spannweite ca. 1 cm). Werden die Zangenschenkel auseinander gedrückt, ergibt sich eine maximale Spannweite von 2 cm, zum Schließen der Klingen müssen die Zangenschenkel zusammen gedrückt werden. Im geöffneten Zustand sind die Klingen an der vorderen Spitze nicht abgerundet, wird der Seitenschneider in der Hand gehalten und dabei die Klingen geschlossen, bilden sie eine abgerundete Spitze.“

Das OLG sagt mit dem LG: Reicht nicht:

„Dem Angeklagten kann ein Diebstahl mit Waffen nicht zur Last gelegt werden.

1. Ein Diebstahl mit Waffen nach § 244 Abs. 1 Nr. la StGB setzt voraus, dass der Angeklagte ein gefährliches Werkzeug bei sich führt. Darunter versteht die h.M. ein Werkzeug, das generell geeignet ist, erhebliche Verletzungen des Opfers herbeizuführen, wobei die Gefährlichkeit ab-strakt-objektiv – also unabhängig von einer konkreten Verwendungsabsicht des Täters – zu bestimmen ist (BGHSt 52, 257; vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl. § 244 Rn. 15 und Rn. 22).

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat in seinem Beschluss vom 11.12.2017 (Az.: 16 KLs 412 Js 64048/17) die Eigenschaft eines 13 cm langen und ca. 180 Gramm schweren Seitenschneiders mit einer Spannweite von maximal 2 cm und ca. 1,7 cm langen Schneidkanten als gefährliches Werkzeug verneint Es führt zur Begründung an:

„Dass dieser Seitenschneider dadurch objektiv geeignet wäre erhebliche Verletzungen eines Menschen herbeizuführen, kann nicht festgestellt werden. Eine solche Eignung des Seiten-schneiders bei einem Einsatz als Schlagwerkzeug, etwa durch Beeinträchtigung auch innerer Organe durch die Einwirkung stumpfer Gewalt, kann schon aufgrund seiner Größe und seines Gewichts sowie seiner Unhandlichkeit ausgeschlossen werden. Auch ist er bei Verwendung als Schneidwerkzeug aufgrund der kleinen, stumpfen Schneidkanten hierzu nicht geeignet. Ebenso wenig kann objektiv eine entsprechende Eignung des Seitenschneiders als Stichwerkzeug angenommen werden. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Zangenenden durchaus spitz sind, allerdings nur soweit sich die Zange in geöffnetem Zustand befindet. In diesem Zustand erscheint jedoch aufgrund der lockeren Verbindung der beiden Zangenschenkel und dem damit verbundenen Schlingern ein Zustechen nur schwer möglich.“

2.Die Strafkammer hat sich diesen überzeugenden Ausführungen angeschlossen und ebenfalls die Eigenschaft des Seitenschneiders als gefährliches Werkzeug verneint.

Auch der Senat schließt sich dieser Beurteilung an; unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten ist sie nicht zu beanstanden. Die Strafkammer hat die objektive Gefährlichkeit des Seitenschneiders unter allen relevanten Gesichtspunkten beleuchtet. Sie hatte sowohl die konkrete Beschaffenheit des Seitenschneiders (Gesamtgröße und Gesamtgewicht, Länge und Beschaffenheit der Schneidkanten und maximale Spannweite der Zangenschenkel) als auch dessen unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten als Schlag-, Schneid- und Stichwerkzeug im Blick. Die Strafkammer hat nachvollziehbar dargelegt, dass in keiner Alternative erhebliche Verletzungen herbeigeführt werden können.

Die Argumente der Staatsanwaltschaft führen zu keiner anderen Beurteilung. Taschenmesser mit einer feststehenden Klinge oder Schraubenzieher verfügen nämlich über eine über eine Schneidkante von lediglich 14 mm weit hinausgehende Stichlänge und liegen immer so gut in der Hand, dass der Täter mit ihnen sofort gezielt und mit Wucht auf sein Opfer einstechen kann, während beim Seitenschneider die Zangenschenkel zugleich vollständig geöffnet werden müssten – was unhandlich und zudem durch die maximale Spannweite der Zangenschenkel von nur 2 cm ohnehin stark eingeschränkt ist -, damit die Schneidkanten überhaupt wirkungsvoll zum Einsatz kommen können. Angesichts der konkreten Beschaffenheit des Seitenschneiders mit einer Gesamtgröße von lediglich 11,5 cm und mit einem Gesamtgewicht von gerade einmal 73 Gramm liegt es schließlich fern, von einer „robusten Ausführung“ bzw. von einer „Beschaffenheit aus schwerem Metall“ zu sprechen, mit der bei Schlägen auf den Kopf oder auf Knochen erhebliche Verletzungen herbeigeführt werden könnten.“

Der Seitenschneider in der Hosentasche, oder: Ist er ein „gefährliches Werkzeug“

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Heute werde ich dann drei landgerichtliche Entscheidungen vorstellen, und zwar „quer Beet“. Ich eröffne mit dem LG Nürnberg, Beschl. v. 11.12.2107 – 16 KLs 412 Js 64048/17, der in einem Verfahren mit dem Vorwurf u.a. der schweren räuberischen Erpressung ergangen ist. Das übliche Muster: Diebstahl(sversuch) in einem Drogeriemarkt. Der Angeschuldigte flüchtet und soll von Angestellten festgehatlten werden. Dagegen dann sein Widerstand. Und weil der Angeschuldigtein seiner Hosentasche „zugriffsbereit einen Seitenschneider mit sich“ führte, soll es dann ein Fall des § 250 Abs. 1 Nr. 1a, 252, StGB sein. Das LG macht daraus aber nur einen Fall gemäß §§ 249 Abs. 1, 252 StGB. Der Seitenschneider sei nicht in jedem Fall Fall ein gefährliches Werkzeug i. S. des § 250 Abs.1 Nr.1a StGB.

„…… Bei der Bestimmung des Tatbestandsmerkmals „anderes gefährliches Werkzeug” i.S. der §§ 244 Abs. 1 Nr. 1a, 250 Abs. 2 Nr. 1a StGB muss somit allein auf objektive Kriterien zurückgegriffen werden (BGH, NJW 2008, 2861).

2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe handelt es sich bei dem von dem Angeklagten mitgeführten  – und möglicherweise zur Entfernung der Sicherungs- und Preisetiketten benutzten – Seitenschneider nicht um einen, nach seiner Beschaffenheit objektiv gefährlichen Gegenstand.

a) Der vom Angeklagten mitgeführte Seitenschneider ist als Gebrauchsgegenstand nicht von vornherein zur Verwendung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel bestimmt und daher keine Waffe im Sinne der genannten Vorschrift. Auch aus seiner bloßen Werkzeugeigenschaft ergibt sich nicht, dass er zur Herbeiführung erheblicher Körperverletzungen objektiv geeignet wäre. Denn Seitenschneider werden bestimmungsgemäß – anders als etwa ein (Taschen-)Messer – nicht zum Stechen eingesetzt und auch nicht als Schlagwerkzeug (wie etwa ein Hammer oder Fäustel) gebraucht. Vielmehr dienen sie regelmäßig zum Durchtrennen von (zwischen die Kneifflächen gelegten) Metalldrähten oder Werkstücken geringerer Dicke sowie auch oftmals von Warensicherungen. Ob der Seitenschneider darüber hinaus geeignet ist, als Stich-, Schneid- oder Schlagwerkzeug gegen eine Person eingesetzt zu werden und dabei erhebliche Verletzungen herbeizuführen, ist Frage seiner konkreten Beschaffenheit.

b) Der vorliegend beim Angeklagten sichergestellte Seitenschneider (Bl. 48, 135-137) wurde von der Kammer sowohl anhand der Lichtbilder als auch durch Beiziehung des Assverats in Augenschein genommen. Er besitzt eine Gesamtlänge von 13 cm und wiegt ca. 180 Gramm. Er ist in der Bauform des aufgelegten Gewerbes ausgestaltet, d.h. die Zangenschenkel sind übereinandergelegt und – hier recht locker – mit einem Gelenkbolzen verbunden. Er verfügt über zwei, im geschlossenen Zustand elipsenartig zulaufende, 2,5 cm lange Zangenenden, die an den Innenseiten jeweils ca. 1,7 cm lange Schneidkanten aufweisen, die jedoch zahlreiche Einkerbungen besitzen. In geöffnetem Zustand bildet jedes der beiden Enden eine gerade Spitze und die Spannweite beträgt am weitesten Punkt ca. 2 cm, welche sich zum Gelenkbolzen hin auf knapp 1 cm verkleinert. Aufgrund einer zwischen beiden Zangenschenkeln locker angebrachten Feder befindet sich der Seitenschneider grundsätzlich im geöffneten Zustand und bedarf zur Schneidbewegung eines Zusammendrückens der beiden Zangenschenkel.

Dass dieser Seitenschneider dadurch objektiv geeignet wäre erhebliche Verletzungen eines Menschen herbeizuführen, kann nicht festgestellt werden. Eine solche Eignung des Seitenschneiders bei einem Einsatz als Schlagwerkzeug, etwa durch Beeinträchtigung auch innerer Organe durch die Einwirkung stumpfer Gewalt, kann schon aufgrund seiner Größe und seines Gewichts sowie seiner Unhandlichkeit ausgeschlossen werden. Auch ist er bei Verwendung als Schneidwerkzeug aufgrund der kleinen, stumpfen Schneidkanten hierzu nicht geeignet. Ebensowenig kann objektiv eine entsprechende Eignung des Seitenschneiders als Stichwerkzeug angenommen werden. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Zangenenden durchaus spitz sind, allerdings nur soweit sich die Zange in geöffnetem Zustand befindet. In diesem Zustand erscheint jedoch aufgrund der lockeren Verbindung der beiden Zangenschenkel und dem damit verbundenen Schlingern ein Zustechen nur schwer möglich.

Infolgedessen ist der im konkreten Fall mitgeführte Seitenschneider nicht gefährlich im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB.“