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OWi II: Wenn die Ampel nicht auf „Grün“ springt, oder: Kein Vorsatz bei irrtümlicher Annahme von „Dauerrot“

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Hamburg, Beschl. v.  11.09.2023 – 5 ORbs 25/23 – zu einem Roltichtverstoß. Der ist allerdings nicht von einem Kraftfahrer begangen worden, sondern von einem Fahrradfahrer. Die vom OLG u.a. entschiedene Frage hat aber auch beim Kraftfahrer Bedeutung.

Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Die Betroffene befuhr am 24.07.2022 gegen 20:15 Uhr als Radfahrerin die Straße A. in Richtung Süden und hielt vor der für sie Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage an der Kreuzung zur Straße R.. Vor der Lichtzeichenanlage, die nicht defekt war, aber mit einer Kontaktschleife ausgestattet ist, wartete die Betroffene mehrere Minuten lang, ohne dass die Lichtzeichenanlage auf Grün umschaltete. Wie lange die Betroffene genau wartete, konnte das Amtsgericht nicht feststellen; es ging jedoch zu Gunsten der Betroffenen davon aus, dass die Wartezeit zumindest 5 Minuten betrug. Da die Betroffene einen Defekt der Lichtzeichenanlage vermutete, überquerte sie die Kreuzung bei Rot. Zu einer Gefährdung der Betroffenen oder anderer Verkehrsteilnehmer kam es dadurch nicht. Die Betroffene hätte die Möglichkeit gehabt, abzusteigen und die Kreuzung mit Hilfe einer auf der rechten Seite befindlichen, mit einem Anfrageknopf ausgestatteten Fußgängerbedarfsampel zu überqueren.“

Das Amtsgericht hat das Tatgeschehen als vorsätzlichen, qualifizierten Rotlichtverstoß gem. §§ 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 und 6, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO i.V.m. § 24 StVG gewertet und hat gegen die Betroffene eine Geldbuße in Höhe von € 100,00 verhängt. In den Urteilsgründen hat es ausgeführt, dass der Fall nicht vergleichbar sei mit den Fällen, in denen ein Kraftfahrer bei einer defekten Lichtzeichenanlage nach minutenlangem Warten an einer nicht auf Grün umspringenden Ampel vorsichtig in die Kreuzung hineinfahren darf: Zum einen sei die Lichtzeichenanlage vorliegend nicht defekt gewesen. Aber auch wenn die Betroffene hiervon ausgegangen sei, habe sie als Radfahrerin die Kreuzung nicht bei Rot überqueren dürfen, denn anders als einem Kraftfahrer sei es ihr möglich gewesen, vom Fahrrad abzusteigen und die nur wenige Meter entfernte Fußgängerampel zu betätigen und zu benutzen.

Das hat das OLG anders gesehen und aufgehoben:

„2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Rotlichtverstoßes ist schon auf der Grundlage der amtsgerichtlichen Feststellungen ausgeschlossen, denn danach hat sich die Betroffene in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum befunden:

Nach inzwischen einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, der der Senat folgt, handelt es sich bei dem von einer Lichtzeichenanlage gezeigten Rotlicht um einen Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung, der den betroffenen Verkehrsteilnehmern gebietet, vor der Kreuzung zu halten (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO). Zeigt eine Wechsellichtzeichenanlage allerdings aufgrund einer technischen Funktionsstörung dauerhaft Rot, so ist der darin liegende Verwaltungsakt nichtig i.S.d. § 44 VwVfG, weil die Dauer des gezeigten Rotlichts in diesem Fall nicht mehr auf dem vom menschlichen Willen getragenen Schaltplan – der Programmierung durch die Verkehrsbehörde – beruht und sich die Unsinnigkeit eines „Dauerrot“-Gebotes ohne weiteres aufdrängt (OLG Köln, Beschluss vom 29.04.1980 – 1 Ss 1037 B 7/79 = VRS 59, 454; OLG Hamm, Beschluss v. 10.06.1999 – 2 Ss OWi 486/99 = MDR 1999, 1264; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., Rn. 17b zu § 37 StVO; König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., Rn. 28 zu § 37 StVO). Zu ergänzen ist aus Sicht des Senats insoweit, dass die Nichtigkeit des Verwaltungsakts in diesen Fällen nicht von der Eigenart der von der Lichtzeichenanlage betroffenen Verkehrsteilnehmer abhängt, so dass diese Rechtsprechung nicht nur auf Kraftfahrer Anwendung findet, sondern auf alle Verkehrsteilnehmer, für die das Lichtzeichen im konkreten Fall Geltung beansprucht. Geklärt ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung zudem, dass sich die irrtümliche Annahme einer zum „Dauerrot“ führenden Funktionsstörung der Lichtzeichenanlage als Fehlvorstellung im tatsächlichen Bereich darstellt, die als vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum zu qualifizieren ist (OLG Hamm a.a.O.; AG Dortmund, Beschluss vom 17.01.2017 – 729 OWi 9/17 = VRS 131, 154).

Von einer solchen Fehlvorstellung ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts auch die Betroffene ausgegangen, zumal diese aufgrund der langen, zumindest fünfminütigen rotlichtbedingten Wartezeit vermutet hatte, dass die Lichtzeichenanlage defekt sei. Soweit sich das Amtsgericht an der Anwendung der o.g. Rechtsprechung gehindert gesehen hat, weil es angesichts der für die Betroffene gegebenen Möglichkeit zum Absteigen und zur Benutzung der in der Nähe befindlichen, mit einem Anfrageknopf ausgestatteten Fußgängerbedarfsampel an der Vergleichbarkeit fehle, verkennt es, dass die Betroffene nicht als Fußgängerin, sondern als Radfahrerin am Verkehr teilgenommen hat. Für Radfahrer gelten gesonderte Bestimmungen; insbesondere gelten für sie die Lichtzeichen für den Fahrverkehr, solange sie sich nicht auf Radverkehrsführungen bewegen, die mit besonderen Lichtzeichen für den Radverkehr ausgestattet sind (§ 37 Abs. 2 Nr. 6 StVO). Da eine solche Radverkehrsführung hier nicht vorhanden war, war für die Betroffene allein das – nach ihrer Vorstellung defektbedingt „dauerrote“ – Lichtzeichen der Anlage für den Fahrverkehr maßgeblich. Radfahrende sind auch nicht etwa als „qualifizierte Fußgänger“ anzusehen, denen unabhängig von etwaigen straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen nach Belieben angesonnen werden könnte oder müsste, vom Fahrrad abzusteigen und fortan als Fußgänger am Verkehr teilzunehmen.

Zwar oblagen der Betroffenen beim Einfahren in den Kreuzungsbereich ungeachtet ihrer Fehlvorstellung erhöhte Sorgfaltsanforderungen, zumal sie damit rechnen musste, dass die Lichtzeichenanlage für den Querverkehr – ggf. sogar dauerhaft – grünes Licht zeigt (vgl. OLG Köln a.a.O.: „extremer Misstrauensgrundsatz“). Dass die Betroffene diese Anforderungen missachtet und damit gegebenenfalls gegen das allgemeine Gefährdungs- und Behinderungsverbot des § 1 Abs. 2 StVO verstoßen haben könnte, belegen die amtsgerichtlichen Feststellungen allerdings nicht, zumal es dort heißt, dass es nicht zu einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen sei.

b) Für eine Verurteilung wegen eines – gleich ob vorsätzlich oder fahrlässig begangenen – Rotlichtverstoßes konnte zudem nicht offenbleiben, ob die Kontaktschleife, mit der die Bedarfslichtzeichenanlage ausgestattet ist, durch Radfahrende überhaupt ausgelöst werden konnte.

aa) Das Amtsgericht hat hierzu keine abschließenden Feststellungen getroffen. Soweit es in den Gründen des angefochtenen Urteils heißt, dass die Lichtzeichenanlage keinen „Defekt“ aufgewiesen habe, ist damit ersichtlich nur gemeint, dass die Anlage im Tatzeitpunkt plangemäß funktionierte; dies lässt die Möglichkeit offen, dass die Anlage technisch von vornherein so ausgelegt war, dass die Kontaktschleife nur von Kraftfahrzeugen, nicht aber von Radfahrenden ausgelöst werden konnte. Andererseits ist auch nicht positiv festgestellt, dass es sich in diesem zuletzt genannten Sinne verhielt. Insoweit heißt es in den Urteilsausführungen zur Beweiswürdigung lediglich, der als Zeuge vernommene Polizeibeamte B. habe „vermutet“, dass die Betroffene die Kontaktschleife als Radfahrerin nicht habe auslösen können.

bb) Diese Frage konnte indessen nicht offenbleiben. Sollte die Beweisaufnahme ergeben, dass die Kontaktschleife zum Tatzeitpunkt plangemäß oder versehentlich so ausgelegt war, dass die Bedarfsanforderung durch Radfahrende nicht ausgelöst werden konnte, so wäre die Halteanordnung in Gestalt des Rotlichtsignals der Lichtzeichenanlage nämlich jedenfalls für Radfahrer – und damit auch für die Betroffene – als (teil-)nichtig i.S.d. § 44 Abs. 1 HmbVwVfG anzusehen:

Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, geht die Rechtsprechung zutreffend da-von aus, dass ein Rotlichtsignal, das sich aufgrund einer Funktionsstörung der Lichtzeichenanlage als „Dauerrot“ darstellt, keine Wirkung entfaltet, weil der zugrunde-liegende Verwaltungsakt i.S.d. § 44 VwVfG nichtig ist; infolgedessen darf der betroffene Verkehrsteilnehmer trotz Rotlichts – wenngleich unter Wahrung höchster Sorgfaltsanforderungen – in den Kreuzungsbereich einfahren (vgl. die obigen Nachweise unter Ziff. 2a). Entsprechendes hat allerdings auch dann zu gelten, wenn eine Lichtzeichenanlage mit einer die Bedarfsschaltung auslösenden Kontaktschleife ausgestattet ist, die jedoch von bestimmten Verkehrsteilnehmern, für die die Lichtzeichenanlage Geltung beansprucht, aus technischen Gründen nicht ausgelöst werden kann (ebenso MüKoStVR-Kettler, 1. Aufl., Rn. 14 zu § 37 StVO). Auch hier erweist sich die Halteanordnung – jedenfalls im Hinblick auf diejenigen Verkehrsteilnehmer, denen es technisch nicht möglich ist, die Bedarfsanfrage auszulösen – als (teil-)nichtig i.S.d. § 44 HmbVwVfG. In diesem Falle weist die Halteanordnung nämlich einen schwerwiegenden Fehler im Sinne dieser Vorschrift auf. Sie käme für Radfahrer faktisch einem vollständigen Durchfahrtsverbot nahe, zumal eine Verkehrsfreigabe in Gestalt des Grünlichts (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 StVO) nur dann erteilt würde, wenn sich zufällig gleichzeitig mit dem Radfahrenden ein die Anfrage auslösendes Kraftfahrzeug im Bereich der Kontaktschleife befindet. Ein solches „Regelungsprogramm“ ist mit § 37 Abs. 2 StVO unvereinbar, denn diese Vorschrift erlaubt allein die Aufstellung von Wechsel(!)lichtzeichenanlagen mit dem Zweck der Regelung des – naturgemäß wechselnden – Vorrangs der Verkehrsteilnehmer. Damit ist es unvereinbar, wenn eine Wechsellichtzeichenanlage für bestimmte Verkehrsteilnehmer „Dauerrot“ zeigt bzw. die Einräumung des Vorrangs davon abhängig macht, dass sich zufällig ein anderer, die Bedarfsanfrage auslösender Verkehrsteilnehmer der Lichtzeichenanlage in gleicher Fahrtrichtung nähert. Dieser Fehler ist auch offensichtlich i.S.d. § 44 Abs. 1 HmbVwVfG, denn die Unsinnigkeit einer vermeintlichen Vorrangregelung, die sich für bestimmte Gruppen von Verkehrsteilnehmer faktisch nahezu als Durchfahrtverbot darstellt, drängt sich ohne Weiteres auf. Auf die Erkennbarkeit dieses Fehlers für den Verkehrsteilnehmer in der konkreten Verkehrssituation kommt es für die Frage der Offensichtlichkeit i.S.d. § 44 Abs. 1 HmbVwVfG nicht an, da insoweit an das Urteil eines fiktiven verständigen Dritten anzuknüpfen ist, dem die Kenntnis aller in Betracht kommenden Umstände zu unterstellen ist (BVerwG, Beschluss vom 19.10.2015 – 5 P 11/14 = NZA-RR 2016, 166, juris Rn. 23).“

OWi I: Rotlichtmessung mit privatem Mobiltelefon, oder: Verwertbar, aber bitte genaue Feststellungen

entnommen wikimedia.org
Urheber Ulfbastel

Der ein oder andere Leser, der das Blog regelmäßig liest, wird sicherlich schon OWi-Entscheidungen vermisst haben. Stimmt, die Berichterstattung zu OWi ist im Moment mau. Das liegt aber nicht daran, dass ich an OWi keine Lust habe, sondern daran, dass es im Moment recht wenig OWi-Entscheidungen gibt. Man hat den Eindruck, dass alle gespannt auf das BVerfG warten. 🙂

Heute mache ich dann aber mal wieder einen OWi-Tag mit drei Entscheidungen. Und als erste kommt hier dann der OLG Dresden, Beschl. v. 25.05.2023 – ORbs 21 SsBs 54/23 – zu einem Rotlichverstoß. Es geht um die Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Messung, bei der die Stoppuhr eines privaten Mobiltelefons benutzt worden ist. Das OLG hat die Verurteilung des Betroffenen aufgehoben, weil die amtsgerichtlichen Feststellungen nicht ausreichend waren:

„Die Rechtsbeschwerde hat schon auf die Sachrüge (zumindest vorläufigen) Erfolg, weil sich die Urteilsgründe als lückenhaft erweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat in ihrer Antragsschrift vom 26. April 2023 Folgendes ausgeführt:

„Auch wenn im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind und sich der Begründungsaufwand auf das rechtsstaatlich unverzichtbare Maß beschränken kann, so kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten. Denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand versetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen (Göhler/Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 71 Rn 42. 43 m w.N.). Zwar muss das Rechtsbeschwerdegericht die subjektive Überzeugung des Tatrichters von dem Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts grundsätzlich hinnehmen und ist es ihm verwehrt, seine eigene Überzeugung an die Stelle der tatrichterlichen Überzeugung zu setzen. Allerdings kann und muss vom Rechtsbeschwerdegericht überprüft werden, ob die Überzeugung des Tatrichters in den getroffenen Feststellungen und der ihnen zugrundeliegenden Beweiswürdigung eine ausreichende Grundlage findet. Die Urteilsgründe des Tatgerichts müssen mithin erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatrichter gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (St. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschl. v. 22.08.2013 – 1 StR 378/13 = NStZ-RR 2013, 387, 388). Daher müssen die Urteilsgründe, wenn nicht lediglich ein sachlich und rechtlich einfach gelagerter Fall von geringer Bedeutung vorliegt, regelmäßig erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat. Nur so ist gewährleistet, dass das Rechtsbeschwerdegericht die tatrichterliche Beweiswürdigung auf Rechtsfehler überprüfen kann (KK/Senge OWiG 5. Aufl. § 71 Rn. 115; Göhler/Seitz/Bauer a.a.O. Rn. 43, 43a jeweils m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht hinreichend gerecht. Der Beweiswürdigung fehlt hinsichtlich der festgestellten Rotlichtdauer von 1,39 Sekunden eine tragfähige Grundlage.

a) Zwar ist die Messung nicht schon deshalb unverwertbar, weil die verwendete Stoppuhr des privaten Mobiltelefons – offensichtlich – nicht geeicht war (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19.08.2019 – 201 ObOWi 238/19 m.w.N., Beck-Online). Die Eichpflicht garantiert eine besondere qualitative Sicherheit der Messung. Diesem Zweck wird aber auch dann entsprochen, wenn die qualitätsmäßigen Bedenken an der Messqualität dadurch ausgeräumt werden, dass zum Ausgleich möglicher Messungenauigkeiten und sonstiger Fehlerquellen (z.B. auch Reaktionsverzögerungen beim Bedienen des Messgeräts) bestimmte Sicherheitsabschläge vorgenommen werden. Insofern ist die Rechtslage nicht anders als bei Geschwindigkeitsmessungen mit einem ungeeichten Tachometer, die von der Rechtsprechung jedenfalls dann als beweisverwertbar anerkannt werden, wenn und soweit zum Ausgleich von Messungenauigkeiten und sonstigen Fehlerquellen ein bestimmter Sicherheitsabschlag vorgenommen wird. Der Tatrichter muss aber in einem solchen Fall auch darlegen, welche mögliche geräteeigenen Fehler der Uhr (z. B. verzögerte Reaktionszeiten des Geräts, mögliche Ungenauigkeiten bei der Zeitanzeige) und welche externen Fehlerquellen (z. B. Ungenauigkeit hinsichtlich der Fahrtzeit von der Haltelinie bis zum Bedienen der Stoppuhr) er berücksichtigt hat. Bei der Prüfung interner Fehlerquellen wird auch der Typ des eingesetzten Gerätes eine Rolle spielen. Selbst bei geeichter Stoppuhr hat der Tatrichter von dem gemessenen Wert einen über den Toleranzabzug von 0,3 Sekunden hinausgehenden Sicherheitsabzug vorzunehmen, der dem Ausgleich etwaiger Gangungenauigkeiten dient (vgl. zu alledem BayObLG, a.a.O.).

b) Das Amtsgericht hat hier schon den selbst bei geeichten Stoppuhren erforderlichen Toleranzabzug von 0,3 Sekunden der gemessenen Zeit – als Ausgleich für etwaige Reaktionsverzögerungen bei der Bedienung – nicht vorgenommen. Überdies hat es auch den erforderlichen Abzug eines weiteren Sicherheitsabschlages bei ungeeichten Messgeräten unterlassen. Es fehlen auch Angaben zum Gerätetyp des verwendeten Mobiltelefons. Zudem hätte das Amtsgericht einen weiteren Zeitabschlag aufgrund der gewählten Messmethode erörtern müssen, bei der der messende Polizeibeamte die Lichtzeichenanlage offenbar nicht selbst im Blick hatte, sondern den Messvorgang erst auf ein Signal des beobachtenden Polizeibeamten auslöste. Denn damit liegt eine zweifache Reaktionsverzögerung vor, die zu weiteren Messungenauigkeiten führen dürfte. Es ist auch nicht hinreichend ersichtlich, dass diese Ungenauigkeit bei Beginn der Messung durch eine entsprechend umgesetzte Beendigung des Messvorganges wieder ausgeglichen worden ist. Zum einen fehlt eine hinreichend klare Darstellung zur Beendigung der Messung. Zum anderen können menschliche Reaktionszeiten nicht immer als identisch unterstellt werden, insbesondere wenn sich – wie hier – rechtliche Auswirkungen aus dem Größenbereich von Hundertstel- oder Zehntelsekunden ergeben können.

c) Soweit das Gericht davon ausgegangen ist, dass selbst bei – nicht erfolgtem – Abzug von 0,3 Sekunden eine Rotlichtdauer von über einer Sekunde vorgelegen habe, weil das Auto des Betroffenen von der Haltelinie vor der Lichtzeichenanlage bis zum Kreuzungsbereich noch eine weitere Strecke zurücklegen musste, liegen keine prüfbaren Feststellungen vor. Denn es fehlt an näheren Angaben zur nach Beendigung der Messung zurückgelegten Wegstrecke bis in den unmittelbaren Kreuzungsbereich. Ebenso ist nicht dargelegt welchen etwaigen „Zuschlag“ auf das Messergebnis das Gericht aufgrund dieser Umstände angenommen hat.

Il.

Da nicht auszuschließen ist, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht, ist es insgesamt mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Es ist auch nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht durch eine ergänzende Befragung der in Betracht kommenden Zeugen und gegebenenfalls durch weitere Beweiserhebungen (Sachverständigengutachten) zu zuverlässigen Schlussfolgerungen hinsichtlich der tatsächlichen Dauer der Rotlichtphase zum maßgebenden Zeitpunkt gelangen kann.“

Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.“

Zur Haftungsverteilung nach einem Rotlichtverstoß, oder: Betriebsgefahr tritt zurück

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Im „Kessel Buntes“ heute seit längerem mal wieder zwei Entscheidungen zur Haftung bei/nach Verkehrsunfällen.

Zunächst stelle ich das OLG Saarbrücken, Urt. v. 21.04.2023 – 3 U 11/23 – vor. Der Kläger macht in dem Verfahren gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 6.11.2019 in Saarbrücken ereignet hat. Der Kläger befuhr mit seinem eine Straße, auf der baustellenbedingt die rechte der beiden Fahrspuren gesperrt und eine Behelfsampel eingerichtet war, die der Kläger bei Rotlicht überfuhr. In der Folge kam es zur Kollision mit dem Pkw der (Erstbeklagte), als diese bei für sie angezeigtem Grünlicht aus der Ausfahrt eines Parkhauses auf die Straße einfuhr.

Das LG ist von einer Haftung der Klägers zu 75 % ausgegangen. Dagegen richten sich die Berufungen der Parteien. Die der Beklagten hatte Erfolg:

„2. Die hiernach gebotene Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 Abs. 1, 2 StVG ist aufgrund aller festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Dabei ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben, wobei ein Faktor bei der Abwägung das beiderseitige Verschulden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2022 – VI ZR 344/21 –, Rn. 11, juris). Anders als das Landgericht angenommen hat, hat der Kläger danach für die Unfallfolgen alleine einzustehen.

a) Ohne Erfolg wendet sich die Zweitberufung dagegen, dass das Landgericht auf Klägerseite einen Verstoß gegen § 8 Abs.2 StVO i.V.m. 37 Abs. 1 StVO berücksichtigt hat.

Soweit der Kläger geltend macht, sein Rotlichtverstoß sei nicht kausal für den Unfall geworden, da die Ampel auch der Einfahrt in das Parkhaus diene und die Parkhausausfahrt als weiter entfernt liegende Einmündung nicht mehr dem unmittelbaren Schutzbereich des Rotlichts unterfalle, vermag sich der Senat dieser Auffassung nicht anzuschließen. Zwar regelt jede Lichtzeichenanlage nur die Kreuzung oder Einmündung, an der sie angebracht ist (vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl. 2023, § 37 Rn. 8 m.w.N.); die Entscheidung über den durch das Rotlicht geschützten Bereich ist aber stets einzelfallabhängig anhand der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten zu treffen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 7. November 2002 – Ss (OWi) 508/02 –, Rn. 8, juris; Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 37 StVO (Stand: 01.12.2021), Rn. 19; NK-GVR/Felix Koehl, 3. Aufl. 2021, StVO § 37 Rn. 13). Danach war hier zweifelsfrei auch die Parkhausausfahrt durch das Rotlicht geschützt. Denn die Behelfsampel ersetzte während der Bauarbeiten die ansonsten an der Unfallstelle vorhandene Lichtzeichenanlage und erfüllte – was auch der Kläger nicht in Abrede stellt – deren Funktionen. Die üblicherweise vorhandene Lichtzeichenanlage – die sich, anders als die Zweitberufung meint, in Bezug auf die Behelfsampel nicht 14 Meter weiter entfernt, sondern näher an der Parkhausausfahrt befindet – regelt den jeweiligen Vorrang zwischen dem Verkehr auf der Kaiserstraße einschließlich der dort verkehrenden Saarbahn sowie den aus dem Parkhaus auf die Kaiserstraße einfahrenden Verkehrsteilnehmern und dient daher gerade dem Schutz des aus der Parkhausausfahrt auf die Kaiserstraße einmündenden Verkehrs. Dass es nach den Feststellungen des Sachverständigen M. erst rund 31 Meter hinter der Behelfsampel zur Kollision kam, stellt die Unfallursächlichkeit des Rotlichtverstoßes des Klägers damit nicht infrage, weil diese sich im insofern maßgeblichen, unmittelbaren Einmündungsbereich der Parkhausausfahrt ereignet hat.

b) Das Landgericht hat auf Klägerseite ferner einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO in die Abwägung mit einbezogen, da der Kläger auf das herannahende Beklagtenfahrzeug nicht reagiert hatte, obschon sich dieses bereits ab der Ausfahrt aus dem Parkhaus in seinem Blickfeld befand und er mit dessen Einfahren auf die Kaiserstraße rechnen musste. Auch dies begegnet keinen Bedenken und wird von der Zweitberufung nicht angegriffen.

c) Auf Beklagtenseite ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Sorgfaltspflichten der Erstbeklagten nicht nach § 10 StVO richteten. Denn das Grünlicht der für die Erstbeklagte geltenden Lichtzeichenanlage gemäß § 37 Satz 1 StVO geht den Vorrangregeln des § 10 Satz 1 StVO vor (vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, StVO § 37 Rn. 5). Gleiches gilt in Bezug auf das an der Ausfahrt vor dem Übergang zu den Saarbahngleisen angebrachten, den Vorrang regelnden Verkehrszeichen 205 („Vorfahrt gewähren“).

d) Die Erstbeklagte brauchte bei für sie angezeigtem Grünlicht grundsätzlich auch nicht damit zu rechnen, dass Querverkehr unter Missachtung des für ihn geltenden Rotlichts von der Seite her in den Einmündungs-/Kreuzungsbereich einfährt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 1991 – VI ZR 98/91 –, Rn. 13, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 6. Februar 2018 – 1 U 112/17 –, Rn. 51, juris). Da auch sonst keine Umstände ersichtlich sind, die aus Sicht der Erstbeklagten Vorsicht geboten, spricht manches dafür, dass die Erstbeklagte – anders als dies das Landgericht angenommen hat – trotz der baustellenbedingten Verlagerung der Lichtzeichenanlage nicht gehalten war, sich gleichwohl nach von rechts kommenden Verkehrsteilnehmern zu vergewissern.

Letztlich kann dies dahinstehen. Denn ein etwaiges Mitverschulden der Erstbeklagten wöge gering und träte vollständig hinter das vergleichsweise schwere Verschulden des Klägers zurück. Bereits das Nichtbeachten des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage ist wegen der damit verbundenen erheblichen Gefahren in aller Regel als objektiv grob fahrlässig anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2014 – VI ZR 452/13 –, Rn. 18, juris; Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 37 StVO (Stand: 01.12.2021), Rn. 74). So liegt es auch hier. Soweit der Kläger geltend macht, die rote Ampel sei baustellenbedingt nur schwer erkennbar gewesen, vermag der Senat dem in Ansehung der Aussage des Zeugen G. nicht beizutreten. Dieser hatte in seiner Vernehmung geäußert, er sei verwundert darüber gewesen, dass der Kläger die rote Ampel übersehen konnte. Auch das von dem Kläger eingereichte Lichtbild (Bl. 39 GA) zeigt nicht auf, dass die Ampel für einen Verkehrsteilnehmer schwer erkennbar gewesen wäre. Dem steht auch nicht entgegen, dass das nebenliegende Gebäude großflächig mit einem roten Schutznetz abgedeckt war. Der Blick auf die gesondert aufgestellte Ampel war damit gerade nicht beeinträchtigt.

Hinzu tritt hier ferner, dass der Kläger im weiteren Verlauf auf das einfahrende Beklagtenfahrzeug nicht reagierte, obschon sich der Einfahrvorgang der Erstbeklagten in seinem frontalen Gesichtsfeld abspielte, und – wie das Sachverständigengutachten ergeben hat – in das seitlich vor ihm befindliche Fahrzeug hineinfuhr. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Alleinhaftung des Klägers angemessen.“

OWi I: Rotlichtverstoß auf der Rechtsabbiegespur, oder: Augenblicksversagen des Taxifahrers

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Heute dann wieder Entscheidungen aus dem Bußgeldverfahren.

Zunächst hier zwei Entscheidungen zum Rotlichverstoß (§ 37 StVO), und zwar:

1. Ein Fahrzeugführer, der auf einer Rechtsabbiegerspur bei Rotlicht (schwarzer Pfeil nach rechts) in den Kreuzungs- bzw. Einmündungsbereich einfährt, begeht auch dann einen Rotlichtverstoß, wenn er nicht nach rechts abbiegen will, sondern die Rechtsabbiegerspur nur zum Überholen eines auf der Geradeausspur, für die der Verkehr freigegeben ist, fahrenden Fahrzeugs benutzt und anschließend geradeaus weiterfährt. Dies gilt aber nur dann, wenn er sich im Zeitpunkt des Einfahrens in den durch die Lichtzeichenanlage gesicherten Kreuzungs- bzw. Einmündungsbereich zumindest noch teilweise auf der Rechtsabbiegerspur befindet.

2. Der Einmündungsbereich wird im Falle einer bogenförmig verlaufenden Einmündung durch den Punkt bestimmt, an dem die Geradeausspur und der Beginn der Kurvenkrümmung zusammentreffen.

3. Bei Fahrstreifenmarkierungen mit Pfeilen (Zeichen 297 der Anlage 2 zur StVO) zwischen Leitlinien (Zeichen 340 der Anlage 3 zur StVO) ist es gemäß lfd. Nr. 70 der Anlage 2 zur StVO gestattet, in Abweichung von § 5 Abs. 1 StVO rechts zu überholen.

1. Von der Anordnung eines Fahrverbots beim Rotlichtverstoß kann abgesehen werden, wenn ein atypischer Fall vorliegt, bei dem der Erfolgsunwert verringert ist, insbesondere wenn jede konkrete Gefährdung ausgeschlossen gewesen ist oder eine Verkehrssituation vorliegt, welche die Unaufmerksamkeit des Betroffenen und seine Sorgfaltswidrigkeit im Sinne eines so genannten Augenblicksversagens in einem signifikant milderen Licht erscheinen lassen könnten.

2. Ein Augenblicksversagen kann bei einem „Frühstart“ oder „Mitzieheffekt“ vorliegen. Kein Augenblicksversagen ist anzunehmen, wenn ein ortskundiger Taxifahrer bei Dunkelheit mit unverminderter Geschwindigkeit eine bereits seit Längerem Rotlicht zeigende Lichtzeichenanlage überfährt, weil er diese überhaupt nicht wahrgenommen hat.

 

 

 

 

Rotlichtverstoß III: Fahrverbot beim Rotlichtverstoß, oder: Mietzieheffekt und Augenblicksversagen

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas zum Fahrverbot beim Rotlichverstoß, und zwar der OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 31.01.2022 – 3 Ss-OW i 41/22. Es geht um Augenblicksversagen und/oder den sog. Mietzieheffekt. Das AG hat ein Fahrverbot verhängt, das OLG hat keine Bedenken:

„1. Für die festgestellte Ordnungswidrigkeit ist eine Regelgeldbuße von 200 Euro sowie ein Regelfahrverbot von einem Monat nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV, Nr. 132.3 BKat vorgesehen. Die Erfüllung dieses Tatbestandes indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel-und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf. Dadurch ist die zur Verhängung des Fahrverbots führende grobe Pflichtverletzung in objektiver und subjektiver Hinsicht indiziert.

Entgegen der Ansicht des Rechtsbeschwerdeführers muss daher nicht gesondert geprüft werde, ob ein grober Verstoß im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG vorliegt, sondern allein, ob aufgrund der Umstände des Einzelfalles ein Ausnahmefall gegeben ist, der atypischerweise ein Absehen von der Regelwirkung rechtfertigt (vgl. BGHSt 38, 125, 130 ff. = NZV 1992, 117, 119; OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.3.2020 – 1 Ss-OWi 72/20, BeckRS 2020, 41395 Tz. 7).

2. Zutreffend ist das Amtsgericht nicht von einem solchen Ausnahmefall ausgegangen.

Die Indizwirkung für einen groben Verstoß im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StVG ist durch die im Urteil geschilderten Umstände nicht widerlegt. Das Amtsgericht hat dafür eine auf Tatsachen gestützte Begründung gegeben und die dem Urteil zu Grunde gelegten Ausführungen sind nachvollziehbar und schlüssig (vgl. BGHSt 38, 125, 130 ff. = NZV 1992, 117, 120; OLG Frankfurt aaO, Tz. 8).

a) Bei Vorliegen eines Regelfalles kann nach der Rechtsprechung nur in solchen Fällen von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden, in denen der Sachverhalt erhebliche Besonderheiten zugunsten des Betroffenen gegenüber dem Normalfall aufweist (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.08.2010 – 2 Ss-OWi 592/10, BeckRS 2010, 26343). Dafür ist entweder erforderlich, dass schon keinerlei Gefährdung weitere Verkehrsteilnehmer besteht, weil auch eine nur abstrakte Gefährdung völlig ausgeschlossen ist, sodass der Erfolgsunwert erheblich vermindert ist. Somit lässt eine auch nur abstrakte Gefährdung den indizierten Erfolgsunwert eines Rotlichtverstoßes noch nicht entfallen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 27.7.2004 – 1 Ob-OWi 310/04, NZV 2005, 433; KG, Beschl. v. 14.4.2020 – 3 Ws (B) 46/20122 Ss 18/20, BeckRS 2020, 6531 Tz 21 f.; OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.3.2020 – 1 Ss-OWi 72/20, BeckRS 2020, 41395 Tz. 11 f.). Oder es liegt ein Verstoß von denkbar geringer Bedeutung und minimalem Handlungsunwert vor. Der Handlungsunwert kann insbesondere durch ein sog. Augenblicksversagen sowie durch den sog. Mitzieheffekt gemindert sein (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 8.12.2004 – 2 Ss-OWi 411/04, BeckRS 2004, 151752 Tz. 9; Beschl. v. 11.3.2020 – 1 Ss-OW i 72/20, BeckRS 2020, 41395 Tz. 9 ff.).

b) Weder Erfolgs- noch Handlungsunwert sind hier jedoch derart gemindert, dass das Amtsgericht von einem Ausnahmefall ausgehen musste.

aa) Der Erfolgsunwert ist nicht unter dem Gesichtspunkt fehlender konkreter Gefährdung weiterer Verkehrsteilnehmer erheblich gemindert.

Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts kann nicht davon ausgegangen werden, dass keinerlei Gefährdung weiterer Verkehrsteilnehmer bestand. Unmittelbar vor der sachgegenständlichen Lichtzeichenanlage und auf der anderen Seite der Kreuzung befindet sich ein Fußgängerüberweg, weshalb die Lichtzeichenanlage auch für den Schutz von Fußgängern gedacht ist. Daneben kreuzt an dieser Stelle die Straße1 die Straße2. Die Lichtzeichenanlage dient hier demnach dem Schutz eines Querverkehrs und hat nicht ausschließlich eine den Verkehrsfluss regelnde Funktion. Demnach ist es allein schon aufgrund dieser Straßenlage nicht auszuschließen, dass durch das Überqueren der Kreuzungsanlage Rechtsgüter weiterer Verkehrsteilnehmer gefährdet werden. Dies ergibt sich insbesondere vor dem Hintergrund der Uhrzeit. Der Sachverhalt trug sich zur Mittagszeit um 13:28 Uhr zu. Um diese Tageszeit ist erfahrungsgemäß Verkehr nicht nur rudimentär vorhanden. Plötzlich noch die Fahrbahn betretende, vielleicht sogar rennenden Fußgänger, unter Umstände unachtsame Fahrradfahrer oder ebenso Kraftfahrzeuge können jederzeit auftreten. Selbst bei langsamer Einfahrtsgeschwindigkeit hätten andere Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommen können; das gilt erst Recht bei jemandem, der so unaufmerksam ist, dass er schon das Haltegebot der Lichtzeichenanlage nicht beachtet.

bb) Auch der Handlungsunwert ist nicht derart gering, dass ein Ausnahmefall anzunehmen ist.

Das Amtsgericht ist überzeugend nicht von einem reinen kurzfristigen Versagen ausgegangen, dass den Handlungsunwert des Verstoßes als weniger gravierend erscheinen ließe. Nach den Feststellungen des Amtsgerichtes fuhr der Betroffene drei Sekunden auf die gelb zeigende und 1,1 Sekunde auf die rot zeigende Lichtzeichenanlage zu. Ein Augenblicksversagen setzt hingegen eine nur kurze Unaufmerksamkeit voraus, weshalb der Verstoß dann nicht auf grober Nachlässigkeit, Rücksichtslosigkeit oder Verantwortungslosigkeit beruht. Bei einer Zeitspanne von 4,1 Sekunden scheidet dies aus, da aufgrund der erheblichen Zeitspanne nicht mehr nur von einer kurzen Unaufmerksamkeit ausgegangen werden kann. Besondere Gründe, warum auch bei dieser erheblichen Zeitspanne von einem Augenblicksversagen auszugehen wäre, sind nach den Feststellungen nicht ersichtlich.

Das Amtsgericht ist zutreffend nicht von einer Verringerung des Handlungsunwerts aufgrund eines Mitzieheffektes ausgegangen. Ein kann dann vorliegen, wenn der Betroffene zuerst ordnungsgemäß an der Lichtzeichenanlage anhält und erst anschließend infolge einer auf einem Wahrnehmungsfehler über die Lichtzeichenanlage und einer Unachtsamkeit, indem er sich durch die vor ihm fahrenden Fahrzeuge in die Kreuzung hineinziehen lässt, trotz fortdauernden Rotlichts in die Kreuzung einfährt.

Einen solchen Ausnahmefall hat das Amtsgericht jedoch mit nachvollziehbarer Begründung abgelehnt. Richtig ist, dass der Betroffene zunächst vor der Lichtzeichenanlage ordnungsgemäß anhielt. Der Betroffene konnte jedoch nicht darlegen, warum er anschließend 4,1 Sekunden mit verringertem Handlungsunwert nicht in der Lage gewesen sein soll, den von ihm gesteuerten Omnibus noch vor der Kreuzungseinfahrt zum Halten zu bringen. Ein dahingehender Wahrnehmungsfehler über die Lichtzeichenanlage z.B. aufgrund besonderer Wetter- oder Witterungsverhältnisse o.ä., ist nicht festgestellt; die Tatsache, dass es zur Tatzeit nass gewesen ist, begründet für sich genommen keinen Wahrnehmungsfehler. Eine nasse Fahrbahn hat zwar Auswirkungen auf die Fahreigenschaften eines Kraftfahrzeuges, jedoch nicht unbedingt auf die Möglichkeit der Wahrnehmung des Verkehrsgeschehens. Weiter erschließt sich auf Grundlage der Feststellungen nicht, inwieweit gerade die vorausfahrenden Fahrzeuge den Betroffenen in die Kreuzung hineingezogen haben sollen.

3. Die berufliche Situation des Betroffenen rechtfertigt auf der Rechtsfolgenseite für sich allein nicht das Absehen von einem Fahrverbot.“

Passt wohl, aber warum man dazu so viel schreiben muss……