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Nochmals Erstreckung, oder: Aber was hat Erstreckung mit Ermessen zu tun?

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Am „Gebührenfreitag“ nach längerer Zeit dann mal wieder etwas zur Erstreckung, und zwar der LG Kaiserslautern, Beschl. v. 08.01.2019 – 5 Qs 120/18. Es geht noch einmal um die Frage, ob § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG eigentlich für alle Fälle der Verfahrensverbindung, unabhängig davon, ob die Beiordnung als Pflichtverteidiger vor oder nach der Verbindung erfolgt ist, gilt oder nicht.

Das LG Kaiserslautern hat die Frage bejaht mit der m.E. ein wenig abenteuerlichen Begründung, dass diese Sicht des § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG es dem Gericht ermögliche, jeweils dem Einzelfall angemessene Entscheidungen nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Passt in meinen Augen nicht, da „Ermessen“ in § 48 RVG nun wahrlich nichst zu suchen hat, aber muss man leider mit leben:

Nach hiesiger Auffassung gilt § 48 Abs. 6 S. 3 RVG für alle Fälle der Verfahrensverbindung, unabhängig davon, ob die Beiordnung als Pflichtverteidiger vor oder nach der Verbindung erfolgt (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 24.10.2017, —1 Ws 196117 —, zit. nach juris). Neben dem – insoweit klaren – Wortlaut der Norm spricht hierfür auch die Gesetzesbegründung, nach der durch S. 3 klargestellt werden soll, dass sich die Rückwirkung des S. 1 nicht automatisch auf verbundene Verfahren erstreckt, in denen bisher kein Pflichtverteidiger bestellt war (BT-Drucks. 15/1971, S. 201). Für Verbundverfahren, in denen eine Erstreckung – wie vorliegend – nicht erfolgt ist, gibt es keinen sachlichen Grund, den Gebührenanspruch des Wahlverteidigers gegen seinen Mandanten durch einen Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zu ersetzen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 30.05.2012 – 2 Ws 242/12, zit. nach juris). Eine Einschränkung hinsichtlich des Zeitpunktes der Verbindung lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen (vgl. auch OLG Braunschweig, Beschluss vom 22.04.2014 – 1 Ws 48/14, juris, Rn. 34). Da die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht dem Kosteninteresse des Angeklagten und seines Verteidigers dient, sondern allein den Zweck verfolgt, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Angeklagte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet ist (BGH NStZ-RR 2009, 348), wäre es systemwidrig, allein den Umstand einer Verfahrensverbindung ausreichen zu lassen, um Gebührenansprüche des Verteidigers gegen den Mandanten in hinzuverbundenen Verfahren durch Erstattungsansprüche gegen die Staatskasse zu ersetzen. Die Anwendung des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG ermöglicht es daher dem Gericht, jeweils dem Einzelfall angemessene Entscheidungen nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Dass das Amtsgericht eine dahingehende Ermessensentscheidung getroffen hat, nämlich ob eine Pflichtverteidigerbestellung in den hinzuverbundenen Verfahren sachgerecht wäre, ist dem Beschluss vom 05.09.2018 nicht zu entnehmen.“

Das LG hat allerdings die Ablehnungsgentscheidung des AG aufgehoben und zurückverwiesen, da das AG sein Ermessen nicht ausgeübt hatte. Jetzt muss das AG erneut entscheiden mit der Vorgabe des LG:

„Für die seitens des Amtsgerichts zu treffende Ermessensentscheidung weist die Kammer daraufhin, dass Herr Rechtsanwalt pp. in den Verfahren der nunmehrigen Fallakten 1 und 2 bereits vor der Verfahrensverbindung angezeigt hat, die Beschuldigte zu verteidigen und angeregt hat, als Pflichtverteidiger bestellt zu werden.“

Gebetsmühle des BGH I: Belehrung bei der Absprache, oder: Reihenfolge

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Urheber Bin im Garten

Eine der „verfahrensrechtlichen Gebetsmühlen“ des BGH ist derzeit die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO in Zusammenhnag mit dem Zustandekommen einer Absprache nach § 257c StPO (vgl. dazu hier zuletzt Verständigung/Absprache im Strafverfahren, oder: Belehrt werden muss vor der Verständigung). Der BGH weist – ich formuliere – immer wieder darauf hin, dass die Belehrung vor dem Zustandekommen der Absprache erfolgen muss. So dann jetzt auch wieder/noch einmal im BGH, Beschl. v. 09.10.2018 – 1 StR 425/18:

Das Rechtsmittel hat bereits mit der Rüge der Verletzung des § 257c Abs. 5 StPO Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die weitere Verfahrensrüge und die Sachrüge nicht bedarf.

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu Folgendes ausgeführt:

„Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am dritten Hauptverhandlungstag, den 5. Februar 2018, teilte der Vorsitzende mit, dass in der Pause ein Rechtsgespräch zwischen Verteidiger, Staatsanwaltschaft und der Kammer in voller Besetzung stattgefunden hat und machte nähere Ausführungen zum möglichen Inhalt der Verständigung … Anschließend erklärte der Angeklagte, er sei mit dem Inhalt der Verständigung einverstanden, werde das Geständnis selbst abgeben und könne eine Schadenswiedergutmachung von 10.000 Euro leisten. Der Verteidiger und der Staatsanwalt stimmten der Verständigung ebenfalls zu. Erst danach belehrte der Vorsitzende den Angeklagten qualifiziert gemäß § 257c Abs. 4 und 5 StPO.

Am nächsten Hauptverhandlungstag wurde der Angeklagte zur Sache vernommen und legte ein Geständnis ab (UA S. 4, 25, 32 ff).

Danach rügt die Revision die Verletzung des § 257c Abs. 5 StPO zu Recht. Denn der Vorsitzende der Strafkammer hätte den Angeklagten bereits bei Unterbreitung des Verständigungsvorschlages über die in § 257c Abs. 4 StPO geregelte Möglichkeit eines Entfallens der Bindung des Gerichts an die Verständigung belehren müssen. Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen nach § 257c Abs. 5 StPO über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist (vgl. hierzu BVerfGE 133, 168, 237; BVerfG (Kammer), NStZ 2014, 721; Senat, Beschluss vom 11. Mai 2016 – 1 StR 71/16, StV 2018, 11; BGH, Beschlüsse vom 10. Februar 2015 – 4 StR 595/14 mwN und vom 25. März 2015 – 5 StR 82/15).
Das Geständnis des Angeklagten und damit auch das Urteil beruhen auf dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht (§ 337 Abs. 1 StPO).“

Dem schließt sich der Senat an.

Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten weitgehend erst auf der Grundlage der Verständigung eingeräumt. Der Senat kann die Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis nicht ausnahmsweise ausschließen. ….

NSU-Verfahren: Hat der GBA eine andere StPO?

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Sorry, selbst auf die Gefahr, dass ich den ein oder anderen Leser unseres Blogs langweile, aber dieses Posting kann ich mir dann doch nicht verkneifen. Ich wühle mich gerade durch die Blogbeiträge des heutigen Tages und stoße beim Terorrismus-Blog auf den Beitrag: NSU: Diskussion um den guten Ton im Gericht. Der Kollege Schmidt berichtet dort über den noch immer andauernden Streit um die Reihenfolge von Wortmeldungen. Da heißt es:

„Über die Anträge der Rechtsanwälte Heer (Zschäpe) und Klemke (Wohlleben) zu den Wortmeldungen und ihrer Reihenfolge ist noch nicht entschieden worden. Oberstaatsanwalt beim BGH Jochen Weingarten nahm dazu Stellung und sagte, es sei vom Gesetz vorgesehen, dass nach dem Gericht zunächst die Staatsanwaltschaft die Gelegenheit zur Stellung habe, weil sie im Gegensatz zu anderen Beteiligten zur Objektivität verpflichtet sei. Wenn Rechtsanwalt Klemke besorge, dass ihm zu einem späteren Zeitpunkt keine Fragen mehr übrig blieben, so müsse er bedenken ”Sinn und Zweck des Fragerechts ist nicht, sich zu exponieren. Sinn und Zweck ist die Erforschung der Wahrheit”.“

Nun bin ich aber doch ziemlich erstaunt.

Denn: In meiner StPO steht – wenn es denn so gesagt worden ist – nicht, „dass nach dem Gericht zunächst die Staatsanwaltschaft die Gelegenheit zur Stellung habe„. Zur Reihenfolge von Erklärungen/Wortmeldungen/Fragen usw. finde ich nur den § 239 StPO, der allerdings einen Sonderfall behandelt, das sog. Kreuzverhör eines Zeugen, um das es hier und jetzt aber nun wahrlich (noch) nicht geht. Offenbar hat die GBA eine andere StPO (ich finde übrigens auch in meinem Handbuch zur HV dazu nichts :-).

In allen anderen Fällen als dem des § 239 StPO gibt es Übungen, die sich im Laufe der Jahre herausgebildet haben, wie geredet/gefragt wird, nämlich Gericht, StA, Nebenklage, Verteidiger. Aber in Stein gemeißelt sind die eben nicht, eben nur Übungen.

Entscheidungen über die Reihenfolge von Wortmeldungen trifft der Vorsitzende nach § 238 Abs. 1 StPO. Wem die vom Vorsitzenden angeordnete Reihenfolge nicht passt, der kann nach § 238 Abs. 2 StPO vorgehen, wobei nicht unstreitig ist, ob eine solche Beanstandung zulässig/möglich ist. Allerdings gelten die Regeln auch für den GBA, es sei denn in seiner StPO steht etwas anderes.

P.S. Ich sehe gerade: der Kollege Hoenig hat sich auch schon gemeldet, vgl. hier: Verbeamtete Arroganz. Nun ja: ”Sinn und Zweck des Fragerechts ist nicht, sich zu exponieren. Sinn und Zweck ist die Erforschung der Wahrheit” klingt, wenn nicht arrogant, aber dann doch unschön belehrend. Die „Stimmungsmachemaschine“ läuft also offenbar auf hoch Touren. So viel zur „Objektivität“.

Step by Step – erst Beweiswürdigung, dann in dubio pro reo

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Step by Step – erst Beweiswürdigung, dann in dubio pro reo, oder immer schön der Reihe nach, habe ich gedacht, als ich den BGH, Beschl. v. 16.08.2012 – 3 StR 180/12 – gelesen habe. es geht mal wieder um Beweiswürdigungsfragen. Der Angeklagte ist vom Vorwurf des Mordes – zwei Mal – frei gessprochen worden, dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die die Beweiswürdigung des LG angreift. Die hält aber beim BGH, der zwei Kernaussagen trifft.

Einmal der alt bekannte Satz/Textbaustein – hier aber mal zu Gunsten des Angeklagten:

„a) Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht überwinden kann, so ist dies vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen; denn die Würdigung der Beweise ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem um-fassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen stellt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326).“

Und dann ein Hinweis, der hier allerdings nicht zum Tragen gekommen ist, der aber in anderen Fällen Bedeutung haben kann:

„(1) Soweit die Revision rügt, das Landgericht habe bei der Bewertung je-des einzelnen, den Angeklagten potentiell belastenden Beweismittels gemäß dem Grundsatz „in dubio pro reo“ denjenigen Schluss gezogen, der den Angeklagten entlaste, ist ihr zwar im Ansatz zuzugeben, dass der Zweifelsgrundsatz eine Entscheidungsregel ist, die grundsätzlich nicht auf die einzelnen Elemente der Beweiswürdigung anzuwenden ist, sondern erst nach deren Abschluss ein-greift (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 261 Rn. 26 mwN). Gegen diesen Grundsatz hat das Landgericht jedoch nicht verstoßen. Den ausführlichen Urteilsgründen ist vielmehr zu entnehmen, dass die Strafkammer die einzelnen den Angeklagten be- und entlastenden Umstände dargestellt und deren jeweili-gen Beweiswert vor dem Hintergrund der für ein Alibi des Angeklagten spre-chenden Beweise gewürdigt hat. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.“

Also: Schön der Reihe nach.