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Rechtsbeschwerdebegründung von 69 Seiten, oder: Für Überschreiten der Mittelgebühr reicht das nicht

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Das zweite Posting führt wahrscheinlich auch nicht zu einem Lachanfall.

Es geht um den AG Karlsruhe, Beschl. v. 15.06.2020 – 10 OWi 410 Js 43508/18, den mir der Kollege Gratz vom VerkehrsrechtsBlog geschickt hat. Der Beschluss ist in einem Bußgeldverfahren ergangen, über das ich hier auch berichtet habe, und zwar betreffend den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.09.2019 – 1 Rb 10 Ss 531/19 (dazu (Akten)Einsicht II: Nichtüberlassung von Messunterlagen, oder: Beschränkung der Verteidigung).

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und das AG-Urteil aufgehoben. Später ist dann – so der Kollege Gratz – im Beschlusswege (§ 72 OWiG) eine Geldbuße in Höhe von 55 EUR verhängt wurde, wobei 73/100 der Auslagen im Rechtsbeschwerdeverfahren von der Staatskasse zu tragen waren. Der verteidigende Kollege hatte dann abgerechnet und war von einer Verfahrensgebühr Nr. 5113 VV RVG in Höhe von 416,00 EUR ausgegangen. Davon hatte er 378,87 EUR geltend gemacht. Die Bezirksrevisorin hat sich natürlich gewehrt – wann „wehrt“ sich eine Bezirksrevisor nicht? – und hat lediglich eine Gebühr von 280 EUR für angemessen erachtet. Der Schwierigkeitsgrad sei unterdurchschnittlich. Davon ist der Rechtspfleger ausgegangen:

„Das Gericht schließt sich – auch nach Kenntnisnahme der Stellungnahme vom 10.06.2020 – der Rechtsauffassung der Bezirksrevisorin an; mehrere Bemessungsmerkmale des § 14 RVG, welche ein über dem Durchschnitt liegendes – und daher den Ansatz jenseits der Mittelgebühr (hier 320,00 Euro) rechtfertigendes – Gewicht aufweisen, sind in dem vorliegendem Verfahren nicht ersichtlich.

Diese Einschätzung wird auch von den Feststellungen des Gerichts getragen, dass sich die seitens der Antragstellerin nochmals betont erwähnte 90-seitige Rechtsbeschwerde nach konkreter Durchsicht in nicht zu vernachlässigendem Umfang aus Auszügen oder vollständigen Ablichtungen aus der Akte zusammensetzt. So konnten bei einer kurzen Durchsicht von 69 Seiten der Rechtsbeschwerdeschrift auf circa 30 Seiten lediglich bereits in den Akten vorhandene „Aktenbestandteile“ festgestellt werden.“

Wie gesagt: „Lachanfall“ ausgeschlossen. Denn, wenn man das liest, bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Denn:

    1. mehrere Bemessungsmerkmale des § 14 RVG, welche ein über dem Durchschnitt liegendes – und daher den Ansatz jenseits der Mittelgebühr (hier 320,00 Euro) rechtfertigendes – Gewicht aufweisen, sind in dem vorliegendem Verfahren nicht ersichtlich.“ – Nicht nachvollziehbar bzw. falsch. Der Ansatz verkennt nämlich das Vorgehen bei der Gebührenbemessung. Auszugehen ist von der Mittelgebühr – das ist der Durchschnitt. Und wen die überstiegen werden soll, dann brauche ich über dem Durchschnitt liegende Bemessungsmerkmale. Aber eins kann ausreichen. Es müssen nicht mehrere sein. Das sollte sich auch bis Karlsruhe herum gesprochen haben. Mich erschreckt es, dass das offenbar nicht der Fall ist, wie die Stellungnahme des Bezirksrevisors und die Ausführungen des Rechtspflegers, der sich dem anschließt, zeigen.
    2. Und: Es liegt ein Verfahren vor, in dem die Rechtsbeschwerde zur Aufhebung des AG-Beschlusse geführt hat. Warum dann nicht die erhöhte Mittelgebühr für die Verfahrensgebühr angemessen sein soll, erschließt sich mir nicht. Im Übrigen: Wenn von 69 Seiten 30 Seiten Kopien sind, dann bleiben nach meiner Rechnung 39 Seiten übrig, die nicht kopiert sind. Das reicht dann nicht für die erhöhte Mittelgebühr? Mit Verlaub: Auch das ist nicht nachvollziehbar. Oder will der Rechtspfleger beim AG Karslruhe behaupten, dass man dort immer (noch) längere Rechtsbeschwerdebegründungen hat?

Alles in allem: Wenn man das so sieht/liest: Es macht keinen Spaß mehr.

Rechtsmittel III: Rechtsmittelbegründung durch den „Einvernehmensanwalt“, oder: Zulässig

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Und die dritte und letzte Entscheidung am heutigen Tag kommt mit dem BayObLG, Beschl. v. 02.12.2019 – 201 ObOWi 1817/19 – aus Bayern. Thematik: Rechtsbeschwerdebegründung durch den sog. Einvernehmensanwalt. Eine Thematik, mit der man nicht jeden Tag zu tun hat, aber immer mal wieder.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

„Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt hat gegen den in Österreich wohnhaften deutschen Betroffenen einen Bußgeldbescheid wegen eines fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h) erlassen und dabei eine Geldbuße von 360 EUR sowie ein mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot von einem Monat verhängt. Dieser Bußgeldbescheid ist am 28.09.2018 an den in Österreich zugelassenen Rechtsanwalt M mittels Einschreiben/Rückschein zugestellt worden. Mit am 08.10.2018 eingegangenem Schriftsatz hat der Verteidiger gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Er hat im Laufe des Verfahrens eine schriftliche Verteidigervollmacht vom 21.07.2018 vorgelegt, die ihn auch ausdrücklich dazu ermächtigt, Klagen und andere behördliche Schriftstücke entgegenzunehmen. Die Hauptverhandlung am 11.04.2019 fand in Abwesenheit des Betroffenen statt. Das Amtsgericht hat den Betroffen entsprechend dem Bußgeldbescheid schuldig gesprochen und gegen ihn die im Bußgeldbescheid vorgesehenen Rechtsfolgen festgesetzt. Dieses mit Gründen versehene Urteil ist auf richterliche Anordnung vom 29.04.2019 dem Verteidiger am 10.05.2019 mittels Einschreiben/Rückschein zugestellt worden. Rechtsanwalt M hat darauf mit Schriftsatz vom 16.05.2019, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 10.06.2019, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet, wobei die Rechtfertigungsschrift allein von Rechtsanwalt M unterzeichnet ist.“

Das BayObLG hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen. Das BayObLG sieht die Zustellung des Bußgeldbescheides und des Urteils des Amtsgerichts an den Verteidiger als wirksam an, § 31 EuRAG stehe dem nicht entgegen.

Aber:

2. Die Rechtsbeschwerde erweist sich allerdings als unzulässig, weil sie unter Verstoß gegen § 345 Abs. 2 StPO i.Vm. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG nicht in einer von einem Verteidiger oder einem im Geltungsbereich der StPO zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts begründet worden ist (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 15.12.2017 – 3 Ss OWi 1702/17 bei juris; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 62. Aufl. § 345 Rn. 12 m.w.N.). Der hier tätige Verteidiger mit Kanzleisitz in Österreich erfüllt diese Voraussetzung nicht und er hat auch entgegen der gesetzlichen Regelung keinen sog. Einvernehmensanwalt eingeschaltet.

a) Ein europäischer Rechtsanwalt darf vorübergehend in Deutschland Tätigkeiten eines Rechtsanwalts ausüben, § 25 Abs. 1 EuRAG. Der dienstleistende europäische Rechtsanwalt hat im Zusammenhang mit der Verteidigung eines Mandanten im Bereich der Rechtspflege grundsätzlich die Stellung eines (deutschen) Rechtsanwalts, § 27 Abs. 1 Satz 1 EuRAG. Allerdings darf der dienstleistende europäische Rechtsanwalt im gerichtlichen Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten, in denen der Mandant sich nicht selbst verteidigen kann, als Verteidiger eines Mandanten nur im Einvernehmen mit einem Rechtsanwalt (Einvernehmensanwalt) handeln, § 28 Abs. 1 EuRAG. Damit ist nicht nur der Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne von § 140 StPO gemeint. Vielmehr wird hiervon auch die Begründung der Rechtsbeschwerde erfasst (vgl. LR/Franke StPO 26. Aufl. § 345 Rn. 19; OLG Bamberg a.a.O.). Der Einvernehmensanwalt muss zur Vertretung oder Verteidigung bei dem Gericht befugt sein (§ 28 Abs. 2 Satz 1 EuRAG).

Auch wenn nach § 28 EuRAG die Gestaltung des Verfahrens dem dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt obliegt (vgl. Henssler/Prütting BRAO 5. Aufl. § 28 EuRAG Rn. 4), so ist es Aufgabe des Einvernehmensanwalts gem. § 28 Abs. 2 Satz 2 EuRAG, gegenüber dem dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt darauf hinzuwirken, dass dieser bei der Verteidigung die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege beachtet. Die Gesetzesbestimmung lässt keine Ausnahmen zu. Dementsprechend muss auch ein der deutschen Sprache mächtiger und im deutschen Verfahrensrecht sachkundiger österreichischer Rechtsanwalt zwingend im Einvernehmen mit einem deutschen Rechtsanwalt bei der Fertigung der Rechtsbeschwerdebegründung handeln. Da Rechtsanwalt M vorliegend das Einvernehmen eines deutschen Rechtsanwaltes weder behauptet noch gem. § 29 Abs. 1 EuRAG dieses Einvernehmen schriftlich gegenüber dem Gericht nachgewiesen hat, liegt keine formgerechte Begründung der Rechtsbeschwerde gem. § 345 Abs. 2 StPO i.Vm. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 29 Abs. 3 EuRAG vor.

Wie § 28 Abs. 2 Satz 2 EuRAG klarstellt, hat der Einvernehmensanwalt entgegen den Ausführungen in der Gegenerklärung der Verteidigung vom 18.11.2019 nicht die Funktion, nur eine Pro-Forma-Unterschrift zu leisten. Vielmehr hat der deutsche Gesetzgeber in Umsetzung von Art. 5 der Richtlinie des Rates vom 22.03.1977 (77/249/EWG) davon Gebrauch gemacht, es einem Rechtsanwalt als Bedingung aufzuerlegen, dass er im Einvernehmen mit einem beim angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt handeln muss. Der Gesetzgeber hat bei der Änderung des § 4 Abs. 1 des Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetzes (RADG), der der Nachfolgebestimmung des § 28 Abs. 1 EuRAG inhaltlich entspricht, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 25.02.1988 (Rs 427/85 = NJW 1988, 887) beachtet, wonach es gegen die vorgenannten Richtlinie verstößt, wenn der dienstleistende europäische Rechtsanwalt dazu verpflichtet wird, im Einvernehmen mit einem in Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt zu handeln, selbst wenn nach deutschem Recht kein Anwaltszwang besteht (vgl. BT-Drucksache 11/4793, Begründung zu § 4). Dementsprechend stehen der genannten Regelung auch keine europarechtlichen Bedenken entgegen.

b) Der Betroffene hat eine Genehmigung des Gerichts, Rechtsanwalt M als Verteidiger nach § 138 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG zuzulassen, nicht beantragt. Zudem konnte Rechtsanwalt M gem. § 138 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG ohnedies nicht allein zum Verteidiger bestellt werden.

c) Der Senat setzt sich auch nicht in Widerspruch zu den Beschlüssen des Oberlandesgerichts Köln vom 31.01.2017 (Az. III – 1 RBs 302/16) und vom 14.02.2017 (Az. III – 1 RBs 31/17), da dort ohne nähere Begründung lediglich ausgeführt wird, dass der Verteidiger mit Kanzleisitz in Österreich für eine eingelegte Rechtsbeschwerde postulationsfähig im Sinne von § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 345 Abs. 2 StPO sei. Es lässt sich aber nicht entnehmen, ob es sich nicht um einen im Sinne von § 2 EuRAG niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt handelt. Im Übrigen steht die vorliegende Entscheidung in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Bundesfinanzhofes (BFH, Beschluss vom 11.07.2013 – III R 31/12 bei juris) und des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 15.06.2010 – B 13 R 172/10 B – bei juris), die bei bestehendem Anwaltszwang das Erfordernis eines Einvernehmensanwaltes bestätigt haben.

3. Es besteht auch kein Anlass, dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren. Der Betroffene hat diese nicht beantragt, § 45 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG. Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine formgerechte Begründung der Rechtsbeschwerde unverändert nicht vorliegt, § 45 Abs. 2 S. 2, 3 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG.“

Begründung der Rechtsbeschwerde durch die Verwaltungsbehörde?, oder: Außer Haus arbeiten lassen geht nicht

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Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Köln, Beschl. v. 19.02.2020 – 1 RBs 360/19 –  betrifft eine Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Folgender Sachverhalt:

Gegen die Betroffene, deren Geschäftszweck der gewerbliche Güterverkehr ist, war mit Bußgeldbescheid der Bundesamts für Güterverkehr im selbstständigen Verfahren gem. § 29 a Abs. 5 OWiG eine Einziehungsanordnung über einen Betrag von 44.355 € ergangen. Dem lag der Vorwurf zugrunde, die Betroffene habe in der Zeit vom 01.06. bis 31.08. 2016 in 157 Fällen durch eine Subunternehmerin Transportaufträge durchführen lassen, bei denen entgegen § 7 c Satz 1 Nr. 3 a GüKG i.V.m. Art 8 Abs. 2 Satz 1 der VO (EG) 1072/2009 Kabotagevorschriften nicht beachtet worden seien.

Dagegen der Einspruch der Betroffenen. Die Verwaltungsbehörde gibt das Verfahren an die Staatsanwaltschaft ab, wo es als “Verkehrs-OWi“ gegen „A, B“ eingetragen wurde. Die Staatsanwaltschaft legt die Akten dann gem. § 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG dem AG unter Verzicht auf die Teilnahme an der Hauptverhandlung vor. In der Verfügung wird u.a. um Begründung der Entscheidung für den Fall gebeten, dass auf ein Fahrverbot verzichtet werde. Das Amtsgericht spricht die Betroffene freigesprochen und begründet das auf  29 Seiten

Gegen diese Entscheidung legt die Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde eint. Das Urteil wird am 29.03.2019 zugestellt worden. Die zuständige Oberamtsanwältin versendet die Akten mit Verfügung vom 01.04.2019 an die Bußgeldbehörde „m.d.B. um Fertigung und Beifügung einer Gegenerklärung bzw. Beschwerdebegründung“. Das Bundesamt fertigte daraufhin einen auf den 18.04.2019 datierten, mit „Begründung der Rechtsbeschwerde“ überschriebenen, knapp sieben Seiten umfassenden Schriftsatz, welcher dann bei der Staatsanwaltschaft eingeht.

Beim AG geht sodann am 29.04.2019 eine unter demselben Datum gefertigte und der zuständigen Oberamtsanwältin unterzeichnete Beschwerdebegründung ein, mit der die Verletzung materiellen Rechts beanstandet wird. Im Anschluss an eine kurze Darstellung des Verfahrensgangs findet sich darin – in Gänze eingerückt – der Schriftsatz des Bundesamts für Güterverkehr. Mit Blick darauf hat das OLG Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde geäußert und der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft haben das Rechtsmittel aufrechterhalten.

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig angesehen, da sie nicht formgerecht durch die Staatsanwaltschaft begründet worden ist:

„Mit der Abgabe der Sache gem. § 69 Abs. 4 OWiG geht die alleinige Verfolgungsbefugnis mit Wirkung für das gesamte weitere Verfahren auf die Staatsanwaltschaft über. Im Erkenntnisverfahren ist die Verwaltungsbehörde nach Maßgabe  des § 76 OWiG zu beteiligen. Im Rechtsbeschwerdeverfahren, bei der die Sachkompetenz der Bußgeldbehörde nachrangige Bedeutung hat (vgl. Bösert in: Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., § 79, Rdnr. 15 m.w.N.), kann sie beteiligt werden (vgl. zum Meinungsstand: Hadamitzky in: KK-OWiG, 5. Aufl., Vor § 79 Rdnr. 12), eine Rechtsmittelbefugnis steht ihr indes nicht zu (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.08.1974 – 3  Ss (B) 132/784 – = VRS 48, 80; Göhler-Seitz/Bauer, OWiG, 17. Aufl., Vor § 79, Rdnr. 8). Danach bestehen im Grundsatz zwar keine Bedenken, wenn der Einlegung der Rechtsbeschwerde eine entsprechende Anregung der Bußgeldbehörde vorausgeht, Herrin des Beschwerdeverfahrens ist indes allein Staatsanwaltschaft. Sie ist weder Erfüllungsgehilfin der Verwaltungsbehörde noch deren verlängerter Arm. Namentlich liegt es in ihrer alleinigen Verantwortung, die angefochtene Entscheidung auf formelle oder sachliche Fehler hin zu prüfen und die Rechtsbeschwerdebegründung in der Form der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 StPO abzufassen. Bestehen durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass die Staatsanwaltschaft das Beschwerdeverfahren nicht in eigener Verantwortung betrieben hat, insbesondere die Rechtsmittelbegründung der Verwaltungsbehörde ohne eigene inhaltliche Prüfung übernommen hat, so liegt kein zulässiges Rechtsmittel vor.

So liegt der Fall hier. Eine auf eine eigene Befassung in der Sache rückführbare Begründung der Rechtsbeschwerde durch die Staatsanwaltschaft enthalten die Akten nicht. Sie hat die Akten nach Übersendung durch die Bußgeldbehörde kommentarlos weitergeleitet und nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen. Die Hauptverhandlung stellt indes den zentralen Teil des gerichtlichen Verfahrens dar. Dort – und nicht erst im Rechtsbeschwerdeverfahren – sind die tatsächlich und rechtichen Fragen, wie hier: des Kabotagerechts, zu erörtern. Die Einlegung des Rechtsmittels erfolgte sodann auf ausdrückliche Bitte der Bußgeldbehörde, von der Rechtsbeschwerdebegründung angefordert worden ist. In dem am Tage des Ablaufs der Begründungsfrist gefertigten Vermerk vom 29. April 2019 heißt es:

„Die Begründung der Rechtsbeschwerde (Anm.: Hervorhebung durch den Senat) durch das Bundesamt für Güterverkehr wurde mir im Postweg am Freitag, den 26.04.2019, zugetragen. Ich befand mich dort ganztägig im Sitzungsdienst vor dem AG Bergisch Gladbach und hatte daher erst heute Gelegenheit zur Bearbeitung. Trotz mehrmaliger telefonischer Nachfrage beim Bundesamt für Güterverkehr liess sich dort niemand zwecks Bereitstellung der Begründung in Dateiform erreichen.“

Nachdem das „copy-and-paste“-Verfahren offenbar ausschied, ist die „Rechtsbeschwerdebegründung“ wortwörtlich in die „Sofort! Von Hand zu Hand Per bes. Wachtmeister“ übermittelte Zuschrift vom 29. April 2019 eingerückt worden. Weder finden sich ansatzweise eigene Ausführungen der Staatsanwaltschaft noch ein irgendgearteter Hinweis darauf, dass sie die Verantwortung für den Inhalt übernommen hat. Das rechtfertigt die Annahme, dass eine eigene sachliche Prüfung durch die Staatsanwaltschaft, die angesichts der Komplexheit der Materie zeitlich auch kaum möglich gewesen wäre, nicht stattgefunden hat. Schließlich hat sie auch die Gegenerklärung auf den Schriftsatz der Verteidigung vom 3. Juni 2019 der Bußgeldbehörde überlassen.

Soweit die Amtsanwältin im Vermerk vom 23. Dezember 2019 nunmehr ausführt, sie übernehme die volle Verantwortung für den Inhalt der Beschwerdebegründung, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen müssen innerhalb der Frist zur Begründung des Rechtsmittels vorliegen. Eine nachträgliche Übernahme der Verantwortung für den Inhalt vermag zudem die notwendige inhaltliche Befassung nicht zu ersetzen.“

Tja, so ist es  bzw. das passiert, wenn man es sich zu einfach macht 🙂 .

OWi III: Rechtsbeschwerdebegründung mit eingescannter Unterschrift, oder: Reicht nicht

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Und als dritte Entscheidung kommt dann zum Abschluss des Tages hier der OLG Jena, Beschl. v. 22.05.2018 – 1 OLG 121 SsBs 30/18, schon etwas älter 🙂 . Über den hat der Kollege Gratz vom VerkehrsrechtsBlog ja auch schon berichtet.

Das OLG nimmt Stellung zur den bei einer Rechtsbeschwerde zu beachtenden Formvorschriften (§ 345 StPO). Der Verteidiger hatte die Rechtsbeschwerdebegründung nur mit einer „eingescannten Unterschrift“ „unterzeichnet“.

Das reicht – so das OLG jena – nicht:

„Die Rechtsbeschwerde wurde aber nicht formgerecht begründet.

Der Senat hat insoweit im Verfahren 1 OLG 171 SsBs 38/18, in dem ebenfalls Rechtsanwalt R verteidigte, ausgeführt:

„Gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 345 Abs. 2 StPO ist es erforderlich, dass die Begründung von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichnet wird.

Dieses Erfordernis dient nicht zuletzt dem Ziel, den Revisions-/Rechtsbeschwerdegerichten die Prüfung unsachgemäßer und unvollständiger Anträge zu ersparen (vgl. BVerfG NJW 1983, 2762, 2764; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage, § 345 Rdnr. 10). Wählt der Angeklagte/Betroffene die Möglichkeit der Revisions-/Rechtsbeschwerdebegründung durch einen Verteidiger oder Anwaltsschriftsatz, muss aus der Unterzeichnung der Begründungsschrift deutlich werden, dass der Verteidiger oder der unterfertigte Rechtsanwalt die volle Verantwortung für den Inhalt übernimmt (BGHSt 25, 272; Löwe-Rosenberg/Hanack, StPO, 25. Auflage, § 345 Rd.-Nr. 16, 20, 27 f.). Eine solche Unterzeichnung erfordert die eigenhändige Unterschrift (BGH NJW 1980, 291; KK-Gericke, StPO, 7. Auflage, § 345 Rdnr. 12; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Einl. Rdnr. 129). Nicht ausreichend ist hingegen das Anbringen eines Namensstempels (RGSt 69, 137).

Diesem Erfordernis wird die vorliegende Begründungsschrift nicht gerecht, weil sie lediglich mittels einer eingescannten Unterschrift „gezeichnet“ wurde. Das Einfügen einer solchen Scan-Datei steht in technischer Hinsicht dem Anbringen eines Schriftzuges mittels eines Namensstempels gleich. In beiden Fällen kann ein einmal hergestellter Schriftzug beliebig oft durch eine beliebige Anzahl von Personen, die Zugang zu dieser Scan-Datei bzw. diesem Stempel haben, auf Dokumenten angebracht werden. Die Benutzung durch den Namensinhaber dieser Datei bzw. dieses Stempels ist nicht zwingend notwendig, sondern erscheint, ob der Tatsache, dass er ein selbst verfasstes Schreiben ohnehin gleich selbst unterschreiben könnte, eher fernliegend. Es ist gerade nicht gewährleistet, dass der Verfasser des Schreibens, der möglicherweise auch nur einen Entwurf fertigte, die volle Verantwortung für den Inhalt übernimmt, wenn sein Name – durch wen auch immer – nur gestempelt bzw. in elektronischer Form eingefügt wurde, er selbst aber nicht eigenhändig unterzeichnet hat (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.03.2018, Az.: 2 Ss-OWi 1265/17). Angesichts der leichten Reproduktionsmöglichkeiten von authentisch aussehenden Schreiben durch die neuen medialen Möglichkeiten, kommt diesem Erfordernis umso mehr Bedeutung zu, was der Gesetzgeber durch die elektronische Identifikation und den damit verbundenen hohen Aufwand zur Realisierung des Sicherheitsstandes ausdrücklich bestätigt. Dies alles würde es nicht bedürfen, wenn durch Computer generierte Schreiben, die von jedermann stammen können, als rechtsverbindliche Erklärungen akzeptiert werden könnten (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O.).

Fehlt es damit an einer eigenhändigen Unterschrift und damit an einer Unterzeichnung der Begründungsschrift im Sinne des § 345 Abs. 2 StPO, liegt bereits keine formgerechte und damit auch keine zulässige Rechtsbeschwerdebegründung vor.“

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat in vorliegender Sache an.“

Frage: Wenn man doch als Verteidiger schon mal einen „Warnschuss“ bekommen hat, warum beachtet man ihn nicht?

(Akten)Einsicht a la OLG Celle/Hamm: In meinen Augen Unsinn bei der Begründung der Rechtsbeschwerde

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Duplizität der Ereignisse. Gestern hat mir der Kollege Geissler den OLG Celle, Beschl. v. 21.04.2016 – 2 Ss (OWi) 82/16 übersandt. Und gestern hat der Kollege Gratz dann auch über den OLG Hamm, Beschl. v. 23.03.2016 – 4 RBs 50/16 (vgl. Sachverständiger er­hält Messdaten, Verteidiger nicht: Nach Urteil muss Einsicht wei­ter ver­sucht wer­den!) berichtet. In beiden Beschlüssen geht es u.a. um die Begründung der Rechtsbeschwerde bei verweigerter Einsicht in die Rohmessdaten. Und beide OLG machen den Blödsinn (ups schreibe ich lieber nicht, aber was schreibt man?, vielleicht besser Unsinn/) weiter, den die OLG, darunter auch Celle und Hamm, vor einiger Zeit bei verweigerter Einsicht in die Bedienungsanleitung angefangen haben. Sie legen insgesamt die Hürden mal wieder so hoch, dass kaum ein Betroffener drüber springen kann. Man hat schon den Eindruck – der Kollege Geißler formuliert: „…lässt die Tendenz erkennen Rechtsmitteln die Grundlage durch Förmelei zu entziehen … .

Und m.E. ist das, was die OLG machen, auch nicht zutreffend. Das OLG Celle führt aus:

„Die Verfahrensrüge zur Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Nichtbeiziehung der Rohmessdaten erweist sich als unzulässig. Der Senat hat bereits entschieden, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die Anforderungen an eine Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs bei beantragter Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung eines Messgerätes auf die Herausgabe von Rohmessdaten zu übertragen sind. Danach muss sich der Betroffene bis zum Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist um die Herausgabe und ggf. Entschlüsselung der Rohmessdaten bemühen und vortragen, welche Anstrengungen er insoweit bis zum Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist unternommen hat (vgl. dazu Beschl. des Senats v. 21. März 2016, 2 Ss (OWi) 77/16). Der Betroffene muss sich außerhalb der Hauptverhandlung und ggf. auch unter Einsatz finanzieller Mittel darum bemühen, Anhaltspunkte für eine Fehlmessung zu ermitteln (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf, NZV 2016, 140). Wenn das Amtsgericht es aus Amtsaufklärungsgesichtspunkten nicht für erforderlich erachtet, selbst in die Rohmessdaten Einsicht zu nehmen bzw. dazu ein Sachverständigengutachten einzuholen, weil keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fehl-messung vorliegen, ist dies nicht zu beanstanden.“

Und bitte schön, liebes OLG: Was soll das an der Stelle noch bringen? Für das vorbereitende Verfahren mag die Ansicht ja noch nachvollziehbar sein – dazu verhält sich m.E. der OLG Düsseldorf-Beschluss. Aber für das Verfahrensstadium Rechtsbeschwerde? Was kann ich als Betroffener dann noch mit den Rohmessdaten anfangen, wenn ich sie erst jetzt erhalte? Ein Sachverständigengutachten erstellen lassen? Toll, die Hauptverhandlung ist beendet, wie soll ich das also ins Verfahren einführen. Und einen Beweisantrag formulieren – ebenso toll, denn – richtig – die Hauptverhandlung ist zu Ende. Also laufe ich gegen die Wand, bzw. befinde mich auch hier als Verteidiger/Betroffener in einem Teufelskreis. Es bringt mir nicht mehr, wenn ich mich weiter um die Daten bemühe.Oder?

Aber vielleicht bin ich inzwischen ja auch zu blöd zu erkennen, wo der Hase denn nun im Pfeffer liegt. Dann wäre es toll, wenn vielleicht mal ein OLG so nett wäre, es den staunenden Verteidigern und sonstigen interessierten zu erklären. So hat man wirklich den Eindruck, dass es darum geht, dass die Rechtsbeschwerden in dem gemeinsamen Kampf der OLG um die standardisierten Messverfahren „abgewürgt“ werden sollen. Warum auch immer?

Und vielleicht noch ein kleiner Hinweis nach Celle: Die Entscheidung ist in einem „Bußgeldverfahren“ ergangen, nicht in einem „Strafverfahren“ wie es im Beschluss steht.