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Fahrradsturz ohne Berührung im Begegnungsverkehr: Beweislast beim Radfahrer

entnommen openclipart.org

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Um eine Schadensersatzklage gegen eine Pkw-Fahrerin ging es im OLG Hamm, Urt. v. 02.09.2016 – 9 U 14/16. Eine 75 Jahre alte Radfahrerin hatte mit ihrem Fahrrad einen (nur) 3 m breiten Weg befahren. Aus entgengesetzter Richtung näherte sich eine Pkw-Fahrerin mit einem 1,70 m breiten Mercedes-Benz. Noch bevor sich die Beteiligten begegneten, stürzte die Geschädigte. Dabei fiel sie mit dem Kopf auf die Fahrbahn. Die Pkw-Fahrerin wich aus und geriet mit ihrem Fahrzeug in den rechtsseitigen Bewässerungsgraben. Bei dem Geschehen berührten sich Pkw und Fahrrad bzw. die Geschädigte nicht. Die Geschädigte erlitt durch den Sturz schwere Kopfverletzungen, durch die sie ins Koma fiel. Sie verstarb im September 2014. Von der Fahrerin, der Fahrzeughalterin sowie der Haftpflichtversicherung des Fahrzeugs verlangten die für die Geschädigte zuständige Krankenkasse und die Pflegekasse die Erstattung aufgewandter Behandlungs- und Pflegekosten.

Das LG hatte die Klage abgewiesen. Das OLG hat das bestätigt. Stürze ein Radfahrer auf einer schmalen breiten Straße ohne ein entgegenkommendes Fahrzeug zu berühren, müsse der geschädigte Radfahrer beweisen, dass sein Sturz durch die Betriebsgefahr des Fahrzeugs mit beeinflusst wurde. Die bloße Anwesenheit eines fahrenden Fahrzeugs an der Unfallstelle reiche insoweit nicht aus:

„Wie das Landgericht zutreffend ausführt, setzt das haftungsbegründende Tatbestandsmerkmal „bei Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ grundsätzlich voraus, dass sich in dem jeweiligen Unfallgeschehen eine von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr realisiert hat und das Schadensgeschehen dadurch insgesamt mitgeprägt wurde (BGH, Urteil vom 26.04.2005, Az.: VI ZR 168/04, zitiert nach juris). Dabei muss die Unfallursache im Betrieb des Kraftfahrzeuges begründet sein, d.h., dieses muss durch seine Funktion als Fortbewegungs- und Transportmittel das Unfallgeschehen in irgendeiner Form mit beeinflusst haben. Bei einem Unfallgeschehen ohne tatsächliche Berührung der Verkehrsteilnehmer, wie es auch vorliegend der Fall ist, setzt der BGH weitergehend voraus, dass das Fahrzeug durch seine Fahrweise zur Entstehung des Unfalls beigetragen haben muss. Die bloße Anwesenheit eines in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeuges an der Unfallstelle reiche hierzu nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 04.05.1976, Az.: VI ZR 193/74, zitiert nach juris). Bei Betrieb des Kraftfahrzeuges geschehe ein Unfall jedoch auch dann, wenn er unmittelbar durch ein Verhalten des Verletzten oder eines Dritten ausgelöst werde, dieses Verhalten aber seinerseits in zurechenbarer Weise durch das Kraftfahrzeug mitverursacht werde. Eine solche weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals entspreche dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG (BGH, Urteil vom 19.04.1988, Az.: VI ZR 96/87, zitiert nach juris). Somit genüge es für die Annahme des Merkmals „bei Betrieb“ grundsätzlich auch, wenn der Unfall sich infolge einer Abwehr- oder Ausweichreaktion der verunfallten Person ereigne, auch wenn diese zwar objektiv nicht erforderlich gewesen sei, jedoch im Zusammenhang des konkreten Verkehrsgeschehens subjektiv vertretbar erscheine (vgl. OLG Celle, Urteil vom 07.06.2001, Az.: 14 U 210/00, zitiert nach juris; vgl. aber weitergehend BGH, U.v. 21.09.2010 – IV ZR 263/09 – NJW 2010, 3713 und U.v. 21.09.2010 – VI ZR 265/09 – SVR 210, 466, wonach auch subjektiv die Ausweichreaktion nicht erforderlich sein muss oder sich für den Fahrer des anderen Fahrzeugs aus seiner Sicht als die einzige Möglichkeit darstellt, um eine Kollision zu vermeiden.).

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Beweislast für die Auswirkung der Betriebsgefahr bei dem Unfallgeschehen bei den Klägerinnen liege.

Es hat insoweit festgestellt, dass die Geschädigte die 3 m breite und asphaltierte Straße aus ihrer Sicht äußerst rechts befahren habe. Sodann sei sie, als sich Pkw und Fahrrad noch in einigem Abstand zueinander befunden hätten, ins Straucheln geraten und gestürzt. Die Beklagte zu 2) habe sodann ihr Fahrzeug in den rechtseitigen Graben gelenkt, um die auf der Straße liegende Geschädigte nicht zu überfahren. An diese Feststellungen ist der Senat grundsätzlich nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Dies gilt nur dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen gebieten.

Auf der Basis der vom Landgericht getroffenen Feststellungen lässt sich ein Zusammenhang zwischen der vom Beklagtenfahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr und dem Sturz der Geschädigten nicht herstellen.

Weder die in der vom Landgericht und vom Senat beigezogenen Ermittlungsakte festgehaltenen Angaben der Beklagten zu 1) und 2) und weiterer Zeugen ergeben einen Anhaltspunkt dafür, dass die Geschädigte dem Fahrzeug der Beklagten zu 2) mit ihrem Fahrrad ausgewichen und auf dem unbefestigten Seitenstreifen in Straucheln geraten ist, noch lässt sich ein derartiges Ausweichmanöver aus der Breite der asphaltierten Fahrbahn oder der Endlage der Geschädigten oder ihres Fahrrades nach dem Sturz herleiten…..“

Für Münster: Zwei verkehrswidrig fahrende Radfahrer – wie wird gehaftet?

FahrradfahrerNun gut, nicht nur in Münster, aber hier sicherlich, und vor allem nicht selten, erleben wir folgende Verkehrssitutaion: Es kommt zu einer Fahhradunfall zwischen zwei Radfahrern, bei dem die spätere Klägerin auf dem Radweg entgegen der Fahrtrichtung fuhr. Der Beklagte kam mit seinem Fahrrad aus einem verkehrsberuhigten Bereich, um nach rechts auf den Radweg einzubiegen. Beide Radfahrer stießen im Einmündungsbereich zusammen. Die Klägerin stürzte und zog sich nicht unerhebliche Verletzungen zu. Sie forderte vom Beklagten Schadenersatz in Höhe von 100 %. Sie war der Auffassung, der Beklagte habe den Unfall allein verschuldet; denn er habe vom verkehrsberuhigten Bereich der Straße nur so einbiegen dürfen, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei.

So nicht, sagt das OLG Hamm. Urt. v. 06.06.2014 – 26 U 60/13 – und kommt zu einer Haftungsquote von 2/3 zulasten des Radfahrers/Beklagten und 1/3 zulasten der Radfahrerin/Klägerin:

cc) Nach Auffassung des Senats trifft den Beklagten ein höheres Verschulden an dem Zusammenstoß. Das Verschulden der Klägerin tritt indessen nicht vollständig zurück, so dass bei Abwägung der beiderseitigen Verschuldensanteile eine Haftungsquote von 2/3 zu 1/3 zu Lasten des Beklagten angemessen erscheint.

(1) Die überwiegende Haftung des Beklagten ist deshalb gerechtfertigt, weil ihn ein besonders schwerer Sorgfaltspflichtverstoß trifft. Er hätte gem. § 10 StVO nicht nur eine Verletzung der Klägerin verhindern müssen, sondern schon ihre Gefährdung ausschließen müssen, indem er besonders vorsichtig auf den Radweg an der C Straße hätte einbiegen müssen. Er war verpflichtet, auf den bevorrechtigten Verkehr auf dem Radweg zu achten und hätte sich dementsprechend umsichtig verhalten müssen. Dabei kam es nicht darauf an, aus welcher Richtung der bevorrechtigte Querverkehr kam. Der Schutz des § 10 StVO entfiel für die Klägerin nicht etwa deshalb, weil sie den Radweg entlang der C Straße in falscher Richtung befahren hat. Ihr Verstoß gegen § 2 Abs. 4 StVO war für ihr Vorfahrtsrecht unerheblich. Der Vorrang des fließenden Verkehrs steht in den Fällen des § 10 StVO grundsätzlich den Benutzern der gesamten Fahrbahn zu. Selbst der einen Radweg in verkehrter Richtung benutzende Radfahrer hat deshalb Vorrang (KG, DAR 1993, 257; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 22. Auflage 2012, § 10 Rn. 2; Jagusch-König, StVR, 42. Aufl., § 10 Rn. 14).

(2) Andererseits kommt entgegen der Auffassung der Klägerin keine Alleinhaftung des Beklagten in Betracht. Die Klägerin trifft ein Mitverschulden i.S.d. § 254 BGB, da ihr vorzuwerfen ist, dass sie die Gefahrensituation hätte voraussehen können. Sie ist – wie sie selbst im Senatstermin eingeräumt hat – vorsätzlich entgegen § 2 Abs. 4 StVO auf dem für ihre Fahrtrichtung nicht freigegebenen Radweg gefahren. Die sich daraus ergebenen Gefahren hätte sie erkennen und deshalb vorsichtiger an die Straße „B“ heranfahren müssen. Entgegen ihrer Auffassung steht dem nicht entgegen, dass sie grundsätzlich vorfahrtberechtigt gewesen ist. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, durfte die Klägerin nicht darauf vertrauen, dass ihr grundsätzliches Vorfahrtrecht beachtet werden würde. Sie hätte sich vielmehr darauf einstellen müssen, dass ihr Vorfahrtrecht missachtet werden könnte, zumal der Einmündungsbereich wegen des Bewuchses nur schlecht einsehbar war. Nach OLG Hamm, NZV 1997, 123 schafft der Umstand, dass der Radfahrer in derartigen Fällen grundsätzlich vorfahrtberechtigt ist, keine besondere Vertrauensgrundlage, wenn er sich seinerseits nicht verkehrsgerecht verhält. Die Klägerin konnte deshalb nicht darauf vertrauen, dass der Beklagte anhalten und sie durchfahren lassen würde. Eine auf ihre eigenen Interessen bedachte Radfahrerin hätte sich der Einmündung von vornherein nur so vorsichtig genähert, dass sie einem von für sie von links kommenden Fahrzeug hätte ausweichen können. Darauf, dass der Beklagte sie selbst rechtzeitig bemerken und anhalten würde, durfte sie nicht ohne weiteres vertrauen.

b) Die Klägerin kann unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 1/3 Schadensersatz und Schmerzensgeld von dem Beklagten verlangen, wobei die geleisteten Zahlungen zu berücksichtigten sind.“

Wie gesagt: Gegen die Fahrtrichtung auf dem Fahrradweg – in Münster keine Seltenheit.