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OWi I: Nicht ausreichende Beweiswürdigung, oder: Schlechtes Lichtbild

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Urheber Dede2

Am heutigen Donnerstag dann mal wieder drei Entscheidungen zum Verkehrsrecht.

Ich starte mit dem OLG Celle, Beschl. v. 09.04.2020 – 1 Ss (OWi) 4/20 – zu der Dauerbrennerthematik: Anforderungen an die Urteilsgründe und Täteridentifizierung.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. In der Beweiswürdigung hat das AG ausgeführt, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft nicht in Abrede gestellt habe und die Feststellungen auf den glaubhaften Bekundugen des Zeugen PHK pp. sowie dem Inhalt der verlesenen Urkunden und der Inaugenscheinnahme der zu den Akten gelangten Lichtbildern beruhen würden. Der Betroffene sei bei Inaugenscheinnahme der in Bezug genommenen Lichtbilder eindeutig als Fahrer zu identifizieren.

Das OLG hat aufgehoben:

„Das Urteil ist —auch eingedenk des Umstandes, dass an die Urteilsgründe in Bußgeldverfahren keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind- bereits deshalb aufzuheben, weil die Beweiswürdigung in Bezug auf die getroffenen Feststellungen lückenhaft ist; diese vermag daher dieselben nicht in einer für das Rechtsbeschwerdegericht rechtlich überprüfbaren Weise zu tragen. So müssen die schriftlichen Urteilsgründe nicht nur die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, sondern neben anderem auch erkennen lassen, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt oder diese für widerlegt ansieht (vgl. OLG Gelle, Beschluss vom 27. September 2019 -2 Ss Owi 260/19-; OLG Bamberg, Beschluss vom 9. Juli 2009 -3 Ss OWi 290/09- juris). Es bedarf einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe der wesentlichen Grundzüge der Einlassung (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Februar 2017 -2 (10) SsBs 740/16-AK 265/16, DAR 2017, 395). Jedenfalls dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich der Betroffene in eine bestimmte Richtung verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung dieser Erklärung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat, stellt diese Säumnis einen sachlich rechtlichen Mangel des Urteils dar (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Oktober 2016 -1 Ss 55/06- juris).

Vorliegend lässt sich aus dem Urteil nicht entnehmen, ob sich der Betroffene in der Hauptverhandlung überhaupt geäußert oder von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat. Aus der Beweiswürdigung lässt sich lediglich erkennen, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft nicht in Abrede gestellt hat. Ob der Betroffene, und wenn ja in welcher Weise, sich zum Vorwurf eingelassen hat, bleibt letztlich offen. Folglich verhält sich das Urteil auch nicht dazu, ob der Tatrichter eine etwaige Einlassung, und ggf. in welchem Umfang, für widerlegt angesehen hat.

Das Urteil war daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben, §§ 353 Abs. 2 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG und die Sache zur neuen Entscheidung —auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens- an das Amtsgericht zurückzuverweisen, § 79 Abs. 6 OWiG.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

Nach Auffassung des Senats ist das vom Verkehrsverstoß vom 5. Juli 2018 gefertigte Frontfoto nicht uneingeschränkt zur Identifizierung der Betroffenen geeignet. Die Kinnpartie wird durch das Lenkrad verdeckt, die Augenpartie einschließlich der Augenbrauen durch eine große Sonnenbrille. Das linke Ohr ist gar nicht, das rechte aufgrund der Verpixelung nur teilweise indivi¬dualisierbar erkennbar. Der Haaransatz ist durch die aufgeklappte Sonnenblende nur zu erahnen.

Angesichts dessen wird der Tatrichter näher darlegen müssen, warum er, unabhängig von einer Bezugnahme, trotz der eingeschränkten Bildqualität den Betroffenen als Fahrer identifizieren kann (vgl. OLG Hamm NZV 2006, 162). Die — auf dem Foto erkennbaren — charakteristischen Merkmale der Betroffenen, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind in einem solchen Fall zu benennen und zu beschreiben (BGH NJW 1996, 142). Dies fehlt im angefochtenen Urteil.“

M.E. vom OLG „großzügig“. Denn: „Nicht in Abrede gestellt“ hätte sicherlich manch anderem OLG „gereicht“.

Messung mit VAMA – Urteilsanforderungen

Ich habe schon länger nicht mehr über interessante Entscheidungen zum Owi-Verfahren berichten können. Was ist los? Flaute? Die ein oder andere Entscheidung habe ich aber noch im Bestand. So den OLG Bamberg, Beschl. v. 01.09.2011 – 2 Ss OWi 1036/11 – also auch schon nicht mehr ganz taufrisch.

Der Beschluss nimmt zu den Anforderungen an die Urteilsgründe bei Verurteilung wegen Nichteinhaltung der Höchstgeschwindigkeit und des Sicherheitsabstands Stellung, und zwar mit folgenden Leitsätzen.

1. Die Geschwindigkeits- und Abstandsmessung mit dem Video-Abstands-Messverfahren VAMA erfüllt die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens.

2. Die auf den Videoaufnahmen dokumentierten Verstöße werden jedoch im Rahmen einer nachträglichen Auswertung des Videobandes durch eine Weg-Zeit-Berechnung ermittelt, wobei sich die für die jeweiligen Zeitnahmen maßgeblichen Zeitpunkte aus der Richtlinie des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren zur polizeilichen Verkehrsüberwachung vom 12.05.2006 (VÜR), Ergänzende Weisung Nr. 6.1 Ziff. 7, ergeben.

3. Da diese Weg-Zeit-Berechnung nicht automatisiert erfolgt, muss der Tatrichter dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung seiner Berechnung ermöglichen, wobei er im Regelfall zumindest die in den polizeilichen Richtlinien genannten Zeitpunkte mitzuteilen und auch darzulegen hat, dass die nach den polizeilichen Richtlinien vorgeschriebenen Toleranzen eingehalten worden sind.

Und: Bedenken hatte das OLG hinsichtlich der Ausführungen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen.

Zwar hat das Amtsgericht auf das bei der Akte befindliche Fahrerlichtbild (Bl. 7 d.A) gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG verwiesen. Allerdings scheint die Tatrichterin gewisse Bedenken hinsichtlich der Qualität und Eignung der (bisher) bei der Akte befindlichen Beweisbilder gehabt zu haben. Dies entnimmt der Senat aus folgendem Passus der Urteilsgründe:

„Die Lichtbilder sind im Bezug auf Farbqualität und Schärfe von mittlerer Qualität. Im Bezug auf die Anzahl erkennbarer Merkmale aus Gesicht und Ohren sind die Bilder von mittlerer Qualität.“

Wenn aber Lichtbilder eines Betroffenen zur Identifizierung nur eingeschränkt geeignet sind, dann muss der Tatrichter weiter darlegen, warum ihm die Identifizierung trotz der eingeschränkten Bildqualität möglich erscheint. Die auf dem Foto erkennbaren charakteristischen Merkmale des Betroffenen, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend sind, sind zu benennen und zu beschreiben (OLG Hamm NZV 2006, 162 [OLG Hamm 13.05.2005 – 2 Ss OWi 274/05]).

Für den Fortgang des Verfahrens weist der Senat rein vorsorglich darauf hin, dass Hochglanzabzüge vom Fahrerlichtbild, die beim Bayerischen Polizeiverwaltungsamt – Zentrale VOWi-Stelle – Straubing angefordert werden können, unter Umständen eine bessere Qualität aufweisen, als normale Videoprints.

 

Das zur Identifizierung geeignete Lichtbild

In Verkehrs-OWi-Sachen spielt, wenn es um die Täteridentifizierung anhand eines vom betreffenden Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbild geht, die Frage der Qualität des Lichtbildes eine große Rolle. Da gehen die Meinungen zwischen Verteidiger und Amtsrichter häufig auseinander. Das OLG kann nicht immer eingreifen, da die damit zusammenhängenden Fragen häufig mit dem dem Amtsrichter eingeräumten tatrichterlichen Ermessen zusammenhängen. Aber manchmal geht es doch. Nämlich dann, wenn das Lichtbild generell nicht geeignet ist.

Dazu das OLG Brandenburg, Beschl. v. 09.08.2011 – (2 B) 53 Ss-OWi 186/11 (89/11), auf das ich erst jetzt bei Jurion gestoßen bin:

Der Senat beurteilt die Qualität des in Bezug genommenen und von dem Amtsgericht allein zur Identifikation herangezogenen Messbildes als vergleichsweise gering. Es ist unscharf und kontrastarm. Die Konturen des aufgenommenen Gesichts sind flach und kaum erkennbar, die Körnung des Fotos ist grob. Zudem sind die Ohren und der Bereich der rechten Wange nicht zu erkennen.
Soweit das Amtsgericht ausführt, weshalb es gleichwohl von der Fahrereigenschaft des Betroffenen ausgegangen ist (UA S.5), erschöpft sich dies in der Benennung von Merkmalen des Vergleichsbildes der Betroffenen, die aber auf dem Messbild nicht oder jedenfalls nicht hinreichend deutlich zu erkennen sind.“

Gutes Lichtbild, schlechtes Lichtbild?

Das ist häufig die Frage, wenn der Mandant mit einem Anhörungsbogen erscheint, in das die Verwaltungsbehörde ein Lichtbild vom Verkehrsverstoß kopiert hat. Frage: Erkennt man den Mandanten oder besser: Erkennt man die Person? Zu der damit zusammenhängenden Problematik gibt es umfangreiche Rechtsprechung, in die sich nun auch der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.02.2011 – IV-4 RBs 29/11 – eingereiht. Er sagt, was kein gutes Lichtbild ist:

Hier lässt es jedoch die schlechte Qualität der vom Amtsgericht in Bezug genommenen Abbildungen als zweifelhaft erscheinen, dass diese eine tragfähige Basis für die Überführung des Betroffenen darstellen können. Denn die Gesichtszüge des Fahrers sind auf den Radarfotos nur unscharf zu sehen, klare Konturen von Nase, Mund und Augen sind nicht erkennbar, die Stirnpartie sowie der Haaransatz werden durch den Rückspiegel vollständig verdeckt. In Anbetracht der danach nur eingeschränkten Eignung der Fotos zur Identitätsfeststellung hätte der Bußgeldrichter im vorliegenden Fall konkret darlegen müssen, warum es ihm gleichwohl möglich gewesen ist, den Betroffenen als Fahrzeugführer zu erkennen. Hierzu hätte er Ausführungen zur Bildqualität machen sowie die – auf dem Foto erkennbaren – charakteristischen Merkmale der abgelichteten Person, die für seine Überzeugungsbildung bestimmend waren, benennen und beschreiben müssen (vgl. BGH a.a.O.; Göhler a.a.O.; Meyer-Goßner a.a.O.) An einer solchen für den Senat nachvollziehbaren Darstellung der Beweiswürdigung fehlt es indes.“